11067/J XXVII. GP
Eingelangt am 19.05.2022
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Petra Wimmer, Genossinnen und Genossen
an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien im Bundeskanzleramt
betreffend Grenzüberschreitende Familienleistungen
Die Beantragung von Familienleistungen ist in Österreich allzu häufig ein bürokratischer Akt. Die Probleme im Jahr 2021 bei der Auszahlung der Familienbeihilfe oder die komplexe Beantragung des Corona-Familienhärteausgleichs sind Beispiele aus der jüngsten Geschichte. Besonders kompliziert und langwierig wird es, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt.
Seit vielen Jahren weist die Volksanwaltschaft auf Probleme bei der Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes mit Auslandsbezug hin. In den Missstandsfeststellungen 2021 der Volksanwaltschaft wurden mehr als 30 grenzüberschreitende Fälle aufgezeigt, wonach es teilweise zu existenzbedrohlichen Verzögerungen gekommen war. Überwiegend handelt es sich um in Österreich lebende Familien, bei denen ein Elternteil nicht in Österreich, sondern in einem anderen EU-Land lebt und/oder arbeitet. Oder um Familien, die in anderen EU-Ländern leben, während aber ein Elternteil in Österreich arbeitet, was ebenfalls Anspruch auf österreichische Familienleistungen bedeutet.
Die Probleme sind vielfältig. Oft stellt der Sozialversicherungsträger (SV-Träger) keine Bescheide aus, während von Eltern verlangt wird, ausländische Bescheide über Leistungsansprüche vorzubringen. Das Ministerium beharrt darauf, dass die Betroffenen “formelle“ ausländische Bescheide vorlegen, was oft schwierig bis gar nicht zu bewerkstelligen ist. Die fehlenden Bescheide durch den österreichischen Sozialversicherungsträger oder anderen Behörden führen dazu, dass gegen die Entscheidung nicht berufen werden kann, denn es gilt: Kein Bescheid, kein Rechtsmittel.
Ein weiteres Problem stellt für viele Antragsteller*innen § 24 Abs. 3 Kinderbetreuungsgeldgesetz dar, der die sogenannte „Scheinkarenz“ regelt. EU-Bürger*innen müssen spätestens nach Ende der gesetzlichen Karenz die Erwerbstätigkeit beim selben Arbeitgeber wieder aufnehmen, sonst verlieren sie den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Probleme ergeben sich, wenn der Betrieb stillgelegt wurde, der Arbeitnehmer in Insolvenz ging, die Arbeitnehmer*in gekündigt wurde oder es keinen Kinderbetreuungsplatz gibt. Wenn daher das Arbeitsverhältnis nicht mehr aufgenommen werden kann oder einvernehmlich mit dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin eine Verlängerung der Karenz nach dem zweiten Geburtstag vereinbart wird, löst dies keine österreichische Zuständigkeit aus. Jeder Fall wird vom Ministerium einzeln geprüft. Die fehlende Rückkehrabsicht muss von der Österreichischen Gesundheitskasse bewiesen werden. Aufgrund von Erfahrungsberichten zeigt sich, dass Gründe wie fehlende Kinderbetreuung oder Insolvenz des Arbeitgebers nicht oder kaum berücksichtigt werden. Die Rechtsprechung sieht in der „Scheinkarenz“ Unionsrechtswidrigkeit, da sie Personen benachteiligt, die von der Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit Gebrauch machen. Dennoch wurde diese Regelung bisher nicht abgeschafft.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1. Wie viele Fälle von „Scheinkarenz“ wurden in den Jahren 2019, 2020 und 2021 jeweils überprüft (Aufschlüsselung nach Nationalität und Jahr)?
2. In wie vielen der überprüften Fälle von „Scheinkarenz“ wurde diese tatsächlich in den Jahren 2019, 2020 und 2021 nachgewiesen? (Aufschlüsselung nach Nationalität und Jahr)?
3. In wie vielen Fällen wurden Milderungsgründe wie fehlende Kinderbetreuung und Insolvenz des Arbeitgebers in den Jahren 2019, 2020 und 2021 angeführt? (Aufschlüsselung nach Nationalität und Jahr)?
4. Wie lauten die Weisungen und Richtlinien des Ministeriums bezüglich der Vollziehung des Kinderbetreuungsgeldes in grenzüberschreitenden Fällen an die SV-Träger? (Übermittlung der geltenden Fassung der in der Missstandsfeststellung der Volksanwaltschaft genannten „Internen Arbeitsanweisung zum Kinderbetreuungsgeldgesetz – Internationales“ sowie allfälliger weiterer Richtlinien.)
5. In wie vielen Fällen kam es zu einer Klage aufgrund der diskriminierenden Regelung der Scheinkarenz in den Jahren 2019, 2020 und 2021?
a. Wie lange dauern solche Verfahren durchschnittlich?
b. In wie vielen Fällen erhielt die Klägerin/der Kläger Recht?
i. Wenn es in diesen Fällen zu einer nachträglichen Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes kam, wie hoch waren die insgesamt ausbezahlten Beträge pro Klägerin/pro Kläger?
6. Ist aufgrund der Rechtsprechung auf EU-Ebene geplant, die diskriminierende Scheinkarenz-Regelung abzuschaffen, da diese nur auf grenzüberschreitende Beschäftigungsverhältnisse abzielt du damit europarechtlich nicht haltbar ist?
a. Wenn nein, warum nicht?
b. Wenn ja, wann ist die Abschaffung geplant und wann wird diese Gesetzesänderung dem Parlament vorgelegt?
7. Wie viele Anträge mit grenzüberschreitendem Sachverhalt bei der Beantragung des Kinderbetreuungsgeldes wurden in den Jahren 2019, 2020 und 2021 bearbeitet (Aufschlüsselung nach Jahr und Nationalität)?
8. Wie viele Anträge mit grenzüberschreitendem Sachverhalt bei der Beantragung des Kinderbetreuungsgeldes wurden in den Jahren 2019, 2020 und 2021 gestellt (Aufschlüsselung nach Jahr und Nationalität)?
9. Wie viele der Anträge mit grenzüberschreitendem Sachverhalt bei der Beantragung des Kinderbetreuungsgeldes in den Jahren 2019, 2020 und 2021wurden positiv/negativabgeschlossen (Aufschlüsselung nach Jahr und Nationalität)?
a. Wenn die Anträge negativ abgeschlossen wurden, aus welchen Gründen wurde ihnen nicht stattgegeben? (Aufschlüsselung nach Grund, Nationalität und Jahr)
10. Wie viele Anträge auf Kinderbetreuungsgeld mit grenzüberschreitendem Sachverhalt aus den Jahren 2015/2016/2017/2018/2019/2020/2021 sind derzeit noch nicht rechtswirksam abgeschlossen (d.h. durch Auszahlung des vollen beantragten Betrages oder durch Ablehnung mit rechtskräftigem Bescheid)? (Aufschlüsselung nach Jahr und Nationalität)
11. Wie lange ist die durchschnittliche Bearbeitungsdauer des Antrags zum Erhalt des Kinderbetreuungsgeldes, wenn es sich um keine grenzüberschreitenden Sachverhalte handelt?
12. Wie lange ist die durchschnittliche Bearbeitungsdauer des Antrags zum Erhalt des Kinderbetreuungsgeldes, wenn es sich um grenzüberschreitende Sachverhalte handelt?
13. Ist von Seiten des Ministeriums geplant, die Dauer der Bearbeitung von Anträgen mit grenzüberschreitenden Sachverhalten zu verkürzen?
a. Wenn ja, mit welchen Mitteln soll die Verkürzung der Bearbeitung erreicht werden?
b. Wenn nein, warum nicht?
14. Wie viele Säumnisfälle bei der Beantragung des Kinderbetreuungsgeldes mit grenzüberschreitendem Sachverhalt sind gerade gerichtsanhängig? (Aufschlüsselung nach Nationalität)
15. Wie viele Anträge auf Kinderbetreuungsgeld mit grenzüberschreitendem Sachverhalt wurden in den Jahren 2019, 2020 und 2021 mit Gerichtsentscheidung oder Gerichtsvergleich positiv abgeschlossen? (Aufschlüsselung nach Jahr und Nationalität)
16. Wie viele Anträge auf Kinderbetreuungsgeld mit grenzüberschreitendem Sachverhalt wurden in den Jahren 2019, 2020 und 2021 mit Gerichtsentscheidung oder Gerichtsvergleich negativ abgeschlossen? (Aufschlüsselung nach Jahr und Nationalität)
17. Werden von Seiten des Ministerium Gespräche mit den SV-Trägern geführt, um den Umstand, dass gemäß der Judikatur Streitigkeiten nicht zu Lasten der Betroffenen gehen dürfen, zu beseitigen?
a. Wenn ja, von wem wurden mit welchen SV-Trägern Gespräche geführt?
b. Wenn ja, was war das Ergebnis dieser Gespräche und welche Maßnahmen wurden vereinbart, um die Lasten der Betroffenen zu mindern/beseitigen?
c. Wenn nein, warum wurden keine Gespräche geführt?