11087/J XXVII. GP

Eingelangt am 24.05.2022
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr.in Elisabeth Götze, Mag.a Ulrike Fischer, Freundinnen und Freunde

an die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus

betreffend „Interessenkonflikt Forstgesetz in Kompetenz des Bundes versus Naturschutz, insbesondere Natura 2000 Gebiete, als reine Landeskompetenz“

 

Begründung

Der Wald mit seinen Funktionen hat große Bedeutung für die biologische Vielfalt, Klima, Wasser und Boden. In Zeiten der Klimakrise, mehr denn je, ist er als CO2- Speicher und Sauerstoffproduzent unentbehrlich und bildet Lebensgrundlage für zahlreiche Pflanzen, Tiere und den Menschen. Die Biodiversität stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeiten von Ökosystemen dar. Besonders wertvolle und daher auch besonders schutzwürdige Lebensraumtypen wurden in Österreich im Zuge der Erstellung eines europaweiten Schutzgebietsnetzwerks als Natura 2000 Gebiet ausgewiesen.

In diesen Natura 2000 Gebieten liegt der Fokus auf der Bewahrung des Erhaltungszustands der einzelnen, insbesondere nach Fauna-Flora-Habitat Richtlinie geschützten prioritären Lebensraumtypen sowie der Schutzgebiete für besonders geschützte Vogelarten nach Vogelschutzrichtlinie. Diese naturschutzrechtlichen Angelegenheiten fallen in Länderkompetenz.

Gleichzeitig schließt die Festlegung als Natura 2000 Gebiet bestimmte Vorhaben, die grundsätzlich zu keinen Verschlechterungen führen, nicht aus. Darunter fällt auch die forstwirtschaftliche Nutzung, die wiederum in Bundeskompetenz liegt, wobei die Bestimmungen der EU-Richtlinien auch für das Österreichische Forstgesetz Relevanz besitzen. Augenscheinlich kommt es hier aber immer wieder zu einem Spannungsverhältnis hinsichtlich Bewilligungen für die forstwirtschaftliche Nutzung und der gleichzeitigen Wahrung der naturschutzfachlichen Interessen.

Im Niederösterreichischen Natura 2000 Gebiet Tullnerfelder Donau-Auen gilt, wie in allen Europaschutzgebieten, das sogenannte Verschlechterungsverbot gemäß Art 6 Abs. 2 FFH-RL, welches jeden Mitgliedstaat dazu verpflichtet, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine „Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie erhebliche Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen sind“ zu vermeiden.

Im Zuge von fortdauernden forstwirtschaftlichen Aktivitäten kommt es aber in wachsendem Umfang zu Schlägerungen und Aufforstungen mit standortuntypischen Baumarten. In Folge wurden bereits große Teile des prioritären Lebensraumtyps Weichholzau 91E0 (Erlen-Eschen-Weidenau) zu Hybridpappelforsten umgewandelt. Die forstrechtlichen Fällungsbescheide nahmen hier keinerlei Rücksicht auf Natura 2000-Erhaltungsmaßnahmen und entsprechende Auflagen. Die gleichen Umstände führen auch zu einer großflächigen Veränderung und gelichzeitig schrittweisen Zerstörung des Lebensraumtyps Hartholzau 91F0 (Eichen-Ulmen-Eschenau) im Gebiet der Tullnerfelder-Donau-Auen.

Hier sei auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen Polen aus dem Jahr 2018 aufmerksam gemacht, welcher auf Grund von Waldbewirtschaftungsplänen, die sich nachteilig auf ein Schutzgebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung auswirkten und der Tatsache, dass nicht die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen ergriffen wurden, eine Vertragsverletzung feststellte.

Für die forstwirtschaftlichen wiederkehrenden Eingriffe in Form von Fällungen und Wiederaufforstungen im Natura 2000 Gebiet Tullnerfelder Donau-Auen haben in den vergangenen 15 Jahren keine Naturverträglichkeitsprüfungen stattgefunden. Dies führt in Summe zu einer Verschlechterung des jeweiligen Erhaltungszustandes der Lebensraumtypen Weichholzauen und Hartholzauen sowie der Art Wiesenkopf-Ameisenbläuling, wie aus einer Anfrage von Helga Krismer durch den für Naturschutz und Forstwirtschaft zuständigen NÖ Landeshauptfrau-Stellvertreters Dr. Stephan Pernkopf hervorgeht (https://noe-landtag.gv.at/gegenstaende/XIX/XIX-1519).

Auch im Kamptal, einem der bedeutendsten Naturwald-Standorte in Niederösterreich, kam es bereits 2015 im Natura 2000 Gebiet mangels konkreter Vorgaben für die forstliche Nutzung und detaillierter Kartierungen zur Abholzung von 2ha einer sehr alten Buchen- und Lindenwaldfläche. Ebenso hier gab es trotz massiver Beeinträchtigungen keine Naturverträglichkeitsprüfung seitens der Behörde.

Wie man sieht, kommt es durch die unterschiedlichen Kompetenzen des Bundes und des Landes in Bezug auf Forstrecht und Naturschutz zu Interessenskonflikten. Da in der Bundesverfassung der ausdrückliche Kompetenztatbestand Naturschutz gänzlich fehlt, kommt Art 15 Abs 1 als Generalklausel zur Anwendung, die Naturschutz zur Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung macht. Das Forstgesetz muss aber auch auf diese Kompetenzen des Naturschutzes Rücksicht nehmen, da ansonsten Bewilligungen, die rein nach Forstrecht abgehandelt werden, dem Naturschutz, insbesondere den Schutzinteressen in Natura 2000 Gebieten zuwiderlaufen. Aus Sicht der gezeichneten Abgeordneten muss auch bei Forstverfahren eine Berücksichtigung der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie erfolgen.

§ 32a Forstgesetz erlaubt zwar bestimmte Ausnahmegenehmigungen für Wälder mit besonderem Lebensraum, normiert aber nicht die Rücksichtnahme betreffend Naturschutz und Verschlechterungsverbot in diesen Gebieten. Fest steht, dass es sich bei forstwirtschaftlicher Tätigkeit um wiederkehrende Projekte handelt, die womöglich schon einzeln, aber vor allem kumulativ zu erheblichen Beeinträchtigungen in Europaschutzgebieten führen können. Generell gilt die Festlegung in § 1 Forstgesetz, wonach die Waldbewirtschaftung in einer Form zu erfolgen hat, dass die biologische Vielfalt dauerhaft erhalten bzw. nicht gefährdet wird. Diese Ausrichtung steht im direkten Widerspruch zu den in den genannten Natura 2000 Gebieten durchgeführten Handlungen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage

1.    Wie wird Berücksichtigung von Naturschutzrecht im ForstG-Vollzug sichergestellt? Konkret: Wie stellen Sie die Beachtung der Entscheidung des VwGH vom 20.12.2019, Ro 2018/10/0010, sicher, wonach unmittelbar anwendbarem Unionsrecht – im Fall der konkreten Entscheidung Art 6 Abs 3 Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) – durch das Gewähren des Anwendungsvorrangs Geltung zu verschaffen ist?

 

2.    Wird die NÖ Naturschutzbehörde informiert, damit sie die Fällung bzw. forstliche Pflegemaßnahme prüfen kann? Was machen die Forstbehörden, wenn die Naturschutzbehörden eine Prüfpflicht ablehnen, insbesondere vor dem Hintergrund des oben zitierten Judikats?

 

3.    Wie wird die Berücksichtigung von Naturschutzrecht in jenen Fällen sichergestellt, in denen forstliche Maßnahmen in Natura2000 Gebieten weder nach dem Naturschutzrecht (Gesetz oder Schutzgebiets-VO), noch nach dem ForstG bewilligungs- noch anzeigepflichtig sind?

 

4.    Wie wird sichergestellt, dass ev. Summationseffekte durch verschiedene Eingriffe im jeweiligen Gebiet ausreichend berücksichtigt werden?

 

5.    Wie wird ohne entsprechende Verankerung im ForstG aktuell sichergestellt, dass EU-rechtlich vorgeschriebene Naturverträglichkeitsprüfungen gem. Art. 6 FFH-RL bei forstrechtlichen Bewilligungsverfahren durchgeführt werden?

 

6.    Noch konkreter: Wie wird ohne entsprechende Verankerung im ForstG aktuell sichergestellt, dass bei (vor allem den wiederkehrenden) forstwirtschaftlichen Eingriffen das in § 10 NÖ NSchG vorgesehene Screening (Vorprüfung) zur Abklärung, ob eine NVP-Pflicht besteht, durchgeführt wird?

 

7.    Wie wird gewährleistet, dass bei Bewilligungsverfahren in NÖ Natura 2000 Gebieten die eingesetzten Sachverständigen ausreichend über die Forstwirtschaft hinausgehende naturschutzfachliche Kenntnisse besitzen?

 

8.    Welche Rolle spielen die festgelegten Erhaltungsziele und Maßnahmen der Managementpläne von Natura 2000 Gebieten bei forstrechtlichen Bewilligungen von Fällungen?

 

9.    §32a ist ja grundsätzlich auf alle Waldflächen in Natura 2000-Gebieten anwendbar: Für wie viele (%) dieser Waldflächen wurden von den Forstbehörden per Bescheid (gem §32a Abs 2) Ausnahmen von den Schutz- und Pflegeverpflichtungen aufgrund des ForstG verfügt? Welche Ausnahmen genau wurden gemacht?

 

10. Inwieweit ist eine Ausweitung der Bestimmung des § 32a ForstG angedacht, um Ausnahmen von derzeit von dieser Bestimmung nicht abgedeckten Pflege- und anderen Maßnahmen zu ermöglichen?

 

11. Derzeit wird eine Novellierung des Salzburger Nationalparkgesetzes angedacht, um die Einhaltung von Natura 2000 Vorgaben bei forstlichen Eingriffen sicherzustellen. Der Grund ist, dass das Forstrecht dort nicht Gewähr für die Einhaltung der Vorgaben der EU-FFH-RL bieten konnte. Wäre nicht eine Sicherstellung der Einhaltung von EU-FFH Vorgaben im ForstG statt einer Umsetzung in sämtlichen Naturschutz – und Nationalparkgesetzen mit der Folge sehr unterschiedlicher Regelungen sinnvoller?

 

12. Wie groß ist aktuell das österreichische Forststraßennetz (in Kilometer), das jährlich mit Förderungen aus der Ländlichen Entwicklung ausgeweitet wird?

 

13. Wie ist vorgesehen, den in der EU-Waldstrategie geforderten Schutz von Ur- und Naturwäldern umzusetzen (Maßnahmen, Zuständigkeiten und Zeitplan)?

 

14. Ist bei den vorgesehenen Bestrebungen der Novellierung des ForstG vorgesehen, die Strafbestimmungen aus § 85 (§ 174, Absatz 1 a Z 30) bei Fällungen ohne Bewilligung anzuheben, um eine effektive Abschreckung sicherzustellen, die den wirtschaftlichen Vorteil aus der Übertretung der Bestimmung überwiegt? Wenn nein, was ist die Begründung für die Nichterhöhung?

 

15. Ist bei den vorgesehenen Bestrebungen der Novellierung des ForstG vorgesehen, die Rolle des (Natur-)Waldes als Kohlenstoffsenke und damit größten Kohlenstoffspeicher in Österreich gesetzlich zu verankern?