11207/J XXVII. GP

Eingelangt am 13.06.2022
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Mag. Stefan

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Befangenheit von beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen

 

Gerichtlich bestellte Sachverständige sollen objektiv sein, die Parteien können befangene Personen daher als Sachverständige ablehnen (§ 355 ZPO). Im Grunde ist diese Ablehnungsmöglichkeit selbstverständlich, im Detail fällt der Umgang damit indes nicht immer leicht. Das betrifft die Parteien und das Gericht […] aber auch den Sachverständigen selbst. Legt er befangenheitsrelevante Umstände nicht offen, drohen nämlich der Entfall seines Gebührenanspruchs, eine Haftung gegenüber den Parteien und die Streichung aus der Sachverständigenliste. […]

 

In jedem Verfahren geht es bekanntlich darum, einen Sachverhalt rechtlich zu beurteilen. […] Die rechtliche Beurteilung dieser Frage kann das Gericht selbst vornehmen, auf der Tatsachenebene ist es demgegenüber regelmäßig auf Hilfe angewiesen. […] Dem Gericht fehlt der notwendige Sachverstand.

 

Sachverständige vermitteln diesen fehlenden Sachverstand. Sie liefern die einschlägigen Erfahrungssätze, ermitteln Tatsachen, beschreiben die Ergebnisse in einem Befund und ziehen daraus in einem Gutachten Schlussfolgerungen. Das Gericht ist an dieses Gutachten zwar nicht gebunden, weil nach § 272 ZPO der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt. […]

 

Daraus folgt die praktisch prozessentscheidende Rolle des Sachverständigen. Er […] gibt den Verfahrensausgang so regelmäßig vor. […] Der Sachverständige redet also nicht nur mit, sondern hat faktisch oft auch das letzte Wort. […]

 

Vor diesem Hintergrund erhellt zwanglos, dass der einflussreiche Sachverständige eine objektive Person sein und keine Schlagseite in die Richtung einer Partei haben soll, also nicht befangen sein darf. Immerhin kann sich das Gericht den Sachverständigen – anders als Zeugen – aussuchen. […]

 

Derselbe Gedanke ist für Richter und andere entscheidende Organe maßgebend, was die Regelungstechnik der Verfahrensgesetze verdeutlicht: Nach § 355 ZPO, der auch im Verfahren anwendbar ist (§ 35 AußStrG), können Sachverständige aus denselben Gründen abgelehnt werden wie Richter (§§ 19f JN); […]

 

Bestimmte Fälle, die eine Ablehnung des Sachverständigen wegen eklatanter Interessenkonflikte jedenfalls rechtfertigen, nennt das Gesetz explizit (§ 20 JN). […]

 

Abschließend lassen sich die problematischen Fälle aber natürlich nicht aufzählen, weshalb alle Verfahrensgesetze eine Generalklausel enthalten. Ein Sachverständiger kann danach abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (§ 19 Z 2 JN; § 47 Abs 1 Z 3 StPO; § 7 Abs 1 Z 3 AVG). Ob sich dieser Grund aus der Freundschaft oder Feindschaft des Sachverständigen zu einer Partei, beruflichem Kontakt, unsachlichem Verhalten oder aus anderen Umständen ergibt, spielt dabei keine Rolle. Relevant ist allein, dass begründete Zweifel an der Unbefangenheit bestehen. […][1]

 

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende

 

 

Anfrage

 

1.    Wie viele Anträge auf Ablehnung von beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen wegen Befangenheit wurden in den Jahren 2015 bis 2021 eingebracht?

2.    Wie viele Anträge auf Ablehnung von beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen wegen Befangenheit wurden in den Jahren 2015 bis 2021 abgewiesen?

3.    Sind von Seiten des BMJ Maßnahmen geplant, die das Problem der Befangenheit von beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen in Angriff nehmen?

a.    Wenn ja, welche?

4.    Ist die Innehabung der Funktion des Präsidenten einer Gesellschaft für Chemiewirtschaft, einer Institution, die sich als Forum und Interessenvertretung der Chemieunternehmen Österreichs versteht und sich aus den Beiträgen dieser Unternehmen oder aus Förderungen durch Interessensvertretungen der chemischen Wirtschaft finanziert als beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständige auf dem Fachgebiet der Toxikologie vereinbar?



[1] Dr. Alexander Wilfinger, Befangenheit von Sachverständigen, ÖJZ 2021/103