11272/J XXVII. GP
Eingelangt am 14.06.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Petra Vorderwinkler,
Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend „Pflichtfach Digitale Grundbildung"
Im kommenden Schuljahr wird es in den ersten drei Klassen AHS und MS ein neues Pflichtfach, die „Digitale Grundbildung", geben. Ab dem Jahr 2023/24 soll dieses Fach auch in der 4. Klasse unterrichtet werden. Eine Wochenstunde pro Schuljahr ist hierfür vorgesehen.
Grundsätzlich hätte in der Digitalen Grundbildung auf drei Schienen gefördert werden sollen (Medienkompetenz, Anwendungskompetenzen und informatische Kompetenzen). So wurde ursprünglich bewusst ein disziplinenübergreifender Unterricht konzipiert. Im fertigen Lehrplanentwurf war hiervon aber kaum mehr etwas zu sehen.[1]
In Folge wird nun die Kritik an der Ausgestaltung des Lehrplans immer lauter. Selbst die Leiterin der Arbeitsgruppe, welche die Vorarbeiten für den Lehrplan geleistet hat, Petra Missomelius, meint: „Leider hat sich in der Rahmung und der Konkretisierung des Pflichtgegenstandes einiges geändert, das nicht in der Absicht der Lehrplan- Erstellenden lag". Das Gleichgewicht sei im geänderten Lehrplan massiv zugunsten der Informatischen Bildung verschoben worden. Auch die Arbeiterkammer ist der Meinung, dass die Bereiche Medienbildung und Medienkompetenz nur kurz angeschnitten werden, während IT- Inhalte und Anwendungsfertigkeiten dominieren. Die Informatik- Fakultät der Uni Wien kritisiert, dass der Lehrplan für ein einstündiges Schulfach „überfrachtet" sei. Der Bildungswissenschafter Christian Swertz ortet ebenso wie Missomelius eine zu starke Technikorientierung im Lehrplan, der auch noch weitgehend mit dem nicht- fächerübergreifenden Informatik- Lehrplan übereinstimmt und somit ein Schulfach mit denselben Inhalten erneut einführen würde. Vonseiten der Bundesjugendvertretung (BJV), die gesetzlich verankerte Interessenvertretung aller Kinder und Jugendlicher ist, kommen skeptische Töne, da im aktuellen Entwurf die Medienbildung nur als Randkomponente verstanden werde. Sämtliche Lernziele auf Informatik- Ebene stünden im Fokus, während nur wenige die Medienbildung miteinbeziehen.[2]
Es ist offensichtlich, dass die Unzufriedenheit mit dem neuen Schulfach „Digitale Grundbildung" von allen Seiten kommt, dennoch soll im Herbst auf dieser unzureichenden Grundlage gestartet werden. Um den Schüler*innen eine ernsthafte Förderung in diesem Bereich zukommen zu lassen und tatsächlich Kompetenzen zu vermitteln, braucht es aber mehr als nur unzureichend ausgearbeitete Lehrpläne.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1) Es ist mittlerweile bekannt, dass noch nicht alle Schulen mit digitalen Endgeräten ausgestattet worden sind und teilweise noch die grundlegende technische Infrastruktur fehlt. Wie erklären Sie, dass auf einer solchen unzureichenden Grundlage ein neues Pflichtfach eingeführt werden kann?
2) Nach welchen Kriterien wurden die Mitglieder der Arbeitsgruppe, welche die Vorarbeiten für den Lehrplan „Digitale Grundbildung" geleistet hat, ausgewählt?
3) Welche Personen waren Mitglied dieser Arbeitsgruppe?
4) Gab es im Prozess der Lehrplanerstellung Treffen mit Vertreter*innen von Interessenvertretungen, insbesondere der WKÖ, ÖCG, AK und der Industriellenvereinigung? Wenn ja:
a) Wann haben diese Treffen stattgefunden?
b) Welche Vertreter*innen der Interessenvertretungen und des Ministeriums waren bei diesen Treffen eingebunden?
c) Welche Inhalte wurden behandelt?
d) Welche Änderungswünsche wurden von den jeweiligen Vertreter*innen der Interessenvertretungen in Bezug auf den Lehrplan geäußert?
5) Warum wurden die Rahmung und Konkretisierung des Lehrplans dieser Arbeitsgruppe nach der Fertigstellung noch abgeändert?
6) Nach welchen Kriterien und von wem wurde dann im Anschluss über den tatsächlichen Lehrplaninhalt entschieden?
7) Im ursprünglichen Expertenentwurf stand die Interdisziplinarität im Vordergrund. Nun liegt das Hauptaugenmerk auf den technischen Grundlagen. Wie begründen Sie diese Differenz?
8) Wird Ihres Erachtens nach, die kritische Auseinandersetzung mit Medien und Digitalisierung im Lehrplan ausreichend gewichtet?
9) inwiefern kann ein Hauptfokus auf den technischen Grundlagen im Lehrplan die Medienkompetenz der Schüler*innen stärken?
10) Wie begründen Sie, dass das Kompetenzmodell im Lehrplan keinem bereits bekanntem Modell folgt?
11) Ist der Lehrplan Ihres Erachtens nach, so formuliert, dass Lehrpersonen diesen auch umsetzen können?
12) Abgesehen vom Lehrplaninhalt bestehen auch über das unterrichtende Lehrpersonal noch Zweifel. Im Herbst werden noch keine Absolvent*innen eines entsprechenden Lehramtstudiums zur Verfügung stehen. Werden daher tatsächlich Sprach-, Geographie/ Wirtschaftskunde-, Mathematik- Lehrer*innen etc. zum Einsatz kommen?
a) Wenn ja, wie sind diese Lehrpersonen für den Unterricht dieses neuen Schulfaches qualifiziert?
b) Wenn nein, wer wird im Schuljahr 2022/23 dieses Fach unterrichten und wie wird die Auswahl getroffen?
13) Laut Ministerium sind Lehrpersonen ab Herbst eingeladen, begleitend an einer Fortbildung für dieses Pflichtfach teilzunehmen. [3] Warum wurde nicht schon rechtzeitig (vor Start des neuen Schulfaches) mit der Ausbildung von Lehrpersonal für die Digitale Grundbildung begonnen?
14) Die Erstellung von neuen Unterrichtsmaterialien hat eine gewisse Vorlaufzeit für die Verlage. Konnte sichergestellt werden, dass auch aufgrund der kurzfristigen Einführung des neuen Unterrichtsfaches geeignete Materialien rechtzeitig zur Verfügung stehen?
15} Auch das Approbationsverfahren nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch. Aufgrund der kurzfristigen Einführung des neuen Unterrichtsfaches kann dieses mit den neu zu verwendenden Unterrichtsmaterialien wohl kaum zur Gänze durchlaufen worden sein.
a) Wie wird in diesem Fall dann die tatsächliche Geeignetheit der Unterrichtsmaterialien geprüft?
b) Wie soll unter diesen Umständen sichergestellt werden, dass in ganz Österreich die gleichen grundlegenden Qualitätskriterien eingehalten werden können?
[1] Digitale Grundbildung: Noch immer wird über die Inhalte des neuen Pflichtfachs gestritten - Digitale Zukunft - derStandard.at > Web
[2] Digitale Grundbildung: "Medienbildung in neuem Fach nur Randkomponente" I kurier.at
[3] Kritik an Bildungsminister: Der lange Weg zur digitalen Schule [ Kleine Zeitung