11394/J XXVII. GP

Eingelangt am 17.06.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Folgeanfrage Evakuierungen von Schutzsuchenden aus Nachbarländern der Ukraine

 

Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine hat dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung. Seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 werden ukrainische Städte bombardiert und zivile Infrastruktur wird zerstört – es werden zahlreiche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gemeldet - tausende Zivilist_innen sind bereits gestorben. Dadurch wurden Millionen Menschen dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nach Angaben des UNHCR sind mit Stand 1. Juni 2022 6,8 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen (siehe Ukraine Refugee Situation - UNHCR Data Portal) - es ist die größte Fluchtbewegung seit dem zweiten Weltkrieg. Ein Ende des Konflikts steht derzeit nicht in Sicht. Schätzungen zufolge könnte die Anzahl an Schutzsuchenden aus der Ukraine sogar auf 10 Millionen ansteigen.

Die Versorgung und Unterbringung von hunderttausenden Menschen birgt erhebliche logistische, finanzielle und institutionelle Herausforderungen für die Aufnahmestaaten, insbesondere für die Nachbarstaaten der Ukraine, in denen sich aktuell die meisten Schutzsuchenden aufhalten: Polen, Ungarn, Rumänien, Moldawien und Slowakei – allein in Polen halten sich 3,6 Millionen Menschen aus der Ukraine auf (Stand 1. Juni). Das Ausmaß der humanitären Krise wird nach wie vor unterschätzt. Es fehlt an einem gesamteuropäischen Vorgehen mit einer entsprechenden logistischen Koordination, um die Nachbarstaaten der Ukraine zu unterstützen und, um sicherzustellen, dass Schutzsuchende überall adäquat untergebracht und versorgt werden. Auch in Österreich gälte es, für genügend Aufnahmekapazitäten zu sorgen, um im Umgang mit Schutzsuchenden organisiert, koordiniert und human vorzugehen: derzeit sind rund 70.000 Menschen nach der Vertriebenen-Verordnung in Österreich registriert, man rechnet mit bis zu 200.000 Schutzsuchenden aus der Ukraine. Doch auch über hundert Tage nach Kriegsbeginn ist Österreich nach wie vor so schlecht aufgestellt, dass zahlreiche Schutzsuchende unzureichend versorgt werden. Insbesondere wird die Grundversorgung zu spät, unvollständig oder gar nicht ausbezahlt, sodass Menschen auf die Zivilgesellschaft angewiesen sind, die im Moment für den viel zu langsam und träge agierenden Staat einspringt, wo es nur geht (siehe "Die Lage hier ist katastrophal", Falter). Viele Ankündigungen vonseiten der Regierung, etwa die Anhebung der Tagessätze in der Grundversorgung, die Anhebung der Zuverdienstgrenze oder der Zugang zu Sozialleistungen blieben bis dato leere Versprechungen. 

Die österreichische Bundesregierung hat die Teilnahme an jeglichen Solidaritätsprogrammen auf europäischer und internationaler Ebene in den letzten Jahren stets kategorisch abgelehnt. So wurde zum Beispiel der EU-Verordnungsvorschlag zum Solidaritätsmechanismus für Asyl-Krisensituationen von Österreich aufgrund des Fokus auf Relocation (Umverteilung) kritisch gesehen – Argument dagegen war, dass letztere zu einer Verteilung von Migrant_innen "über die Hintertür" führen könnten. Auch der Beteiligung an Resettlement-Programmen (Neuansiedlung) stand Österreich stets entgegen.

Am 14. März kündigte Bundeskanzler Karl Nehammer an, 2.000 Schutzsuchende aus der Moldau in Österreich aufnehmen zu wollen (siehe "Österreich übernimmt 2.000 Flüchtlinge aus Moldawien", ORF). Kurz darauf wurde ebenfalls die Aufnahme von 500 Personen aus Polen angekündigt. Die polnische Regierung willigte ein, eine Umsetzung ist jedoch noch nicht erfolgt. In den Anfragebeantwortungen 10032/AB und 10275/AB wurde angegeben, es seien mit Stand 27. April erst 445 Personen aus Moldawien nach Österreich gebracht worden - nicht einmal ein Viertel der angekündigten 2.000 Personen - aus Polen wurde bis dato keine einzige Person aufgenommen. Während die Regierung stets ihre Solidarität lobt, lässt die Umsetzung ihrer Ankündigungen auf sich warten. Wieso keine aktuelleren Daten bekanntgegeben worden sind, bleibt ebenfalls unklar. Darüber hinaus blieben einige Fragen der 10032/AB unbeantwortet. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

  1. Welche Position vertraten Sie hinsichtlich der Evakuierung von Schutzsuchenden aus der Ukraine aus den Nachbarstaaten der Ukraine wann in welchen formellen und informellen Gremien auf EU- und internationaler Ebene
    1. über Relocation in andere EU-Mitgliedstaaten, die noch Ressourcen haben und daher adäquate Unterbringung anbieten können?
    2. über Resettlement in Staaten außerhalb der EU?
  1. Wann war die Evakuierung von Schutzsuchenden aus Nachbarstaaten der Ukraine in Diskussion
    1. auf nationaler Ebene?
    1.  

                                          i.    in welchen Gremien?

                                        ii.    in welchen nicht formalisierten Runden mit welchen Teilnehmer_innen außerhalb Ihres Ressorts?

                                       iii.    in Ihrem Ressort?

    1. Welche Position haben Sie bzw. wer aus Ihrem Ressort dort jeweils vertreten?
  1. Wann war die Evakuierung von Schutzsuchenden aus Nachbarstaaten der Ukraine in Diskussion
    1. auf europäischer Ebene

                                          i.    in welchen Gremien?

                                        ii.    in welchen nicht formalisierten Runden mit welchen Teilnehmer_innen?

    1. Welche Position haben Sie bzw. wer aus Ihrem Ressort dort jeweils vertreten?
  1. Die Regierungschef_innen und Vertreter_innen welcher Länder trafen Sie seit dem 23.2.2022? 
    1. Machten Sie die Evakuierung von Schutzsuchenden aus Nachbarstaaten der Ukraine selbst zum Thema?
    2. War die Evakuierung von Schutzsuchenden aus Nachbarstaaten der Ukraine vonseiten Ihres Gesprächspartners Thema?
    3. Welche Position vertraten Sie?
    4. Welches Verhalten versuchten Sie von Ihrem Gegenüber zu erwirken?
    5. Machten Sie die Sanktionen gegen Russland selbst zum Thema?
    6. Waren die Sanktionen gegen Russland vonseiten Ihres Gesprächspartners Thema?
    7. Welche Position vertraten Sie jeweils?
    8. Welches Verhalten versuchten Sie von Ihrem Gegenüber zu erwirken?
  1. Wie viele Schutzsuchende aus der Republik Moldau hat Österreich bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung aufgenommen? 
  2. Wie, worüber und wann werden bzw. wurden in der Republik Moldau aufhältige Schutzsuchende, deren Aufnahme in Österreich geplant war bzw. ist, informiert? 
  3. Wie viele Flüge wurden zu diesem Zweck jeweils wann durchgeführt? 
    1. Mit wie vielen Personen jeweils? 
  1. Wie verlief die Koordinierung mit dem UNHCR?
  2. Nach Angaben des Kanzleramts sollte bei der Aufnahme von Schutzsuchenden aus der Moldau ein "Fokus auf besonders schutzbedürftige Personen" gelegt werden. Daher solle es auch um "spezielle Unterkünfte für Menschen mit Behinderung oder für unbegleitete Kinder gehen" (siehe "Österreich übernimmt 2.000 Flüchtlinge aus Moldawien", ORF). Wie viele der bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung aus der Republik Moldau aufgenommenen Personen sind besonders schutzbedürftige Personen? 
    1. Wie viele davon

                                          i.    sind unbegleitet und minderjährig?

                                        ii.    haben ein körperliche oder psychische Behinderung?

                                       iii.    sind erkrankt oder brauchen eine spezifische medizinische Versorgung? 

                                       iv.    haben Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten?

                                        v.    sind Opfer von Menschenhandel?

                                       vi.    sind aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtsspezifischer Voraussetzungen besonders schutzbedürftig?

                                      vii.    in welcher anderen Form besonders schutzbedürftig?

  1. Welche Vorkehrungen wurden jeweils wann getroffen, um sicherzustellen, dass die aufgenommen besonders schutzbedürftigen Personen in Österreich ihren Bedürfnissen entsprechend adäquat versorgt und untergebracht werden können?
  2. Sollten zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung weniger als 2.000 Schutzsuchende aus Moldawien in Österreich aufgenommen worden sein: aus welchen Gründen? 
    1. Gab es Probleme bzw. Schwierigkeiten hinsichtlich der

                                          i.    Koordinierung mit der Republik Moldau bzw. mit den moldawischen Behörden?

                                        ii.    Auswahl der Schutzsuchenden? 

                                       iii.    Information der Schutzsuchenden? 

                                       iv.    Koordinierung mit dem UNHCR? 

                                        v.    Organisation bzw. des Verlaufs des Transports? 

                                       vi.    Versorgungs- und Unterbringungskapazitäten in Österreich? 

    1. Gab es sonstige Schwierigkeiten? 

                                          i.    Wenn ja, welche genau und welche Maßnahmen wurden dagegen von welcher Stelle Ihres Ressorts wann gesetzt? 

  1. Wie viele Schutzsuchende aus Polen hat Österreich bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung aufgenommen? 
  2. Wie, worüber und wann werden bzw. wurden in Polen aufhältige Schutzsuchende, deren Aufnahme in Österreich geplant war bzw. ist, informiert? 
  3. Wie viele Flüge wurden zu diesem Zweck jeweils wann durchgeführt? 
    1. Mit wie vielen Personen jeweils? 
  1. Wird bei der Aufnahme von Schutzsuchenden aus Polen auch ein "Fokus auf besonders schutzbedürftige Personen" gelegt? 
    1. Wenn ja, wie viele der bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung aus Polen aufgenommenen Personen sind besonders schutzbedürftige Personen?

                                          i.    Wie viele davon

1.    sind unbegleitet und minderjährig?

2.    haben ein körperliche oder psychische Behinderung?

3.    sind erkrankt oder brauchen eine spezifische medizinische Versorgung? 

4.    haben Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten?

5.    sind Opfer von Menschenhandel?

6.    sind aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtsspezifischer Voraussetzungen besonders schutzbedürftig?

7.    in welcher anderen Form besonders schutzbedürftig?

    1. Wenn nein, was genau wurde mit Polen ausgemacht bzw. welche Personen oder Personengruppen möchte Österreich aufnehmen? 
  1. Welche Vorkehrungen wurden jeweils wann getroffen, um sicherzustellen, dass die aufgenommen Schutzsuchenden aus Polen ihren Bedürfnissen entsprechend adäquat versorgt und untergebracht werden können? 
  2. Sollten zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung keine Schutzsuchenden oder weniger als 500 Schutzsuchende aus Polen in Österreich aufgenommen worden sein: aus welchen Gründen? 
    1. Gab es Probleme bzw. Schwierigkeiten hinsichtlich der

                                          i.    Koordinierung mit Polen bzw. mit den polnischen Behörden? 

                                        ii.    Auswahl der Schutzsuchenden? 

                                       iii.    Information der Schutzsuchenden? 

                                       iv.    Koordinierung mit dem UNHCR? 

                                        v.    Organisation bzw. des Verlaufs der Transporte? 

                                       vi.    Versorgungs- und Unterbringungskapazitäten in Österreich? 

    1. Gab es sonstige Schwierigkeiten? 

                                          i.    Wenn ja, welche genau und welche Maßnahmen wurden dagegen von welcher Stelle Ihres Ressorts wann gesetzt?