11587/J XXVII. GP
Eingelangt am 06.07.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Nurten Yilmaz, Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend: Noch immer fehlende Beschwerdestelle bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamt*innen
Das zwischen ÖVP und Grünen ausverhandelte Regierungsprogramm 2020–2024 will eine konsequente Aufklärung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sicherstellen. Zu diesem Zweck soll eine multiprofessionell zusammengesetzte eigene Behörde geschaffen werden, die sowohl von Amts wegen ermitteln als auch als Beschwerdestelle für Betroffene fungieren soll. Zu diesem Zweck soll diese unabhängige Beschwerdestelle auch mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet werden.
Aus der Anfragebeantwortung (605/AB) vom März 2020 durch den Bundesminister für Inneres geht hervor, dass „zur Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle (..) projektmäßig ein umsetzungsfähiges Konzept bis Herbst 2020 beauftragt (wurde).“ Dabei sei die „Einbindung externer Expertise angedacht“, wobei „diesbezüglich (…) mit den betroffenen Organisationen, Stellen oder Personen erst konkrete Gespräche zu führen“ seien. Bis zum heutigen Tag wurde diese unabhängige Beschwerdestelle weder eingerichtet noch präsentiert. Auch im Juli 2021 konnte der damalige Innenminister Nehammer keine nennenswerten Fortschritte bezüglich der Beschwerdestelle vorbringen (6604/AB).
Im Sinne einer modernen, transparenten und menschenrechtsorientierten Polizeiarbeit sollte es im Sinne aller Beteiligten sein, dass die im Regierungsprogramm angekündigte Beschwerde- und Aufklärungsstelle bei Misshandlungsvorwürfen rasch umgesetzt wird, zumal diese Stelle einem weiteren Organisationsentwicklungsziel aus dem Regierungsprogramm – der „Förderung von Reflexionsräumen im Arbeitsalltag sowie einer positiven Fehlerkultur“ (222) – zuträglich erscheint. Bei der Konzeption und Umsetzung gilt es dabei den einschlägigen internationalen Vorgaben für eine effektive Untersuchung Rechnung zu tragen, um eine rasche, gründliche, kompetente, unparteiische und unabhängige Untersuchung und gegebenenfalls Verfolgung von Misshandlungsvorwürfen zu garantieren.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1. Wer ist für die Umsetzung der unabhängigen Beschwerdestelle verantwortlich bzw. welche sonstigen Stellen sind in ihre Konzeption eingebunden?
2. Gab oder gibt es eine interministerielle Arbeitsgruppe, die sich mit der Umsetzung der unabhängigen Beschwerdestelle befasst?
a. Wenn ja, welche Ministerien nehmen daran teil?
b. Wenn ja, wie oft und wann hat sich die interministerielle Arbeitsgruppe getroffen?
c. Wenn ja, zu welchem Ergebnis ist diese bisher gekommen?
d. Wenn nein, warum nicht?
3. Wer aus dem Kabinett des Bundesministers für Inneres ist mit der Umsetzung der unabhängigen Beschwerdestelle befasst?
4. Gab es bis dato einen inhaltlichen Austausch über die Beschwerdestelle mit den österreichischen Bundesländern?
a. Wenn ja, wann, in welchem Rahmen und mit welchem Ergebnis?
b. Wenn nein, wird in Erwägung gezogen bei fortschreitender Planung und Umsetzung der Beschwerdestelle dies zu tun?
5. Gab es mit der gewählten Personalvertretung der Polizeibeamt*innen bisher Gespräche über die Struktur, die Aufgaben und die Umsetzung der Beschwerdestelle?
a. Wenn ja, wann, in welchem Rahmen, mit wem und mit welchem Ergebnis?
b. Wenn nein, warum nicht?
6. Laut 6604/AB gab es bis zum Juli 2021 mit den Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Georg Bürstmayr und Karl Mahrer „einen allgemeinen Austausch“ zum Themenkomplex Beschwerdestelle. Mit welchen gewählten Abgeordneten des National- oder Bundesrats wurden seit dem Gespräche und/oder Verhandlungen über die Struktur, die Aufgaben und die Umsetzung der Beschwerdestelle geführt? Wann fanden diese Gespräche statt?
7. Gab es seit der Beantwortung der Anfrage 6654/J mit anderen EU-Mitgliedsstaaten einen inhaltlichen Austausch, die bereits über eine solch unabhängige Beschwerdestelle verfügen?
a. Wenn ja, wann, in welchem Rahmen und mit welchen EU-Mitgliedsstaaten?
b. Wenn nein, warum nicht?
c. Laut 6604/AB würden „Informationen über Modelle“ einer Beschwerdestelle dem Innenministerium bereits vorliegen.
i. Mit welchen Modellen anderer Staaten hat man sich befasst?
ii. Welche Modelle haben sich dabei als zielführend für Österreich herauskristallisiert? Wenn ja, warum?
8. Gab es seit der Beantwortung der Anfrage 6654/J mit Institutionen der Europäischen Union (Kommission, LIEBE-Ausschuss, Rat Justiz und Inneres, …) bisher einen strukturierten Austausch über die Einrichtung der unabhängigen Beschwerdestelle?
a. Wenn ja, wann und mit welcher Einrichtung?
b. Wenn ja, mit welchem Erkenntnisgewinn?
9. Sind oder waren Menschenrechtsorganisationen bei der Erarbeitung eines Konzepts für die unabhängige Beschwerdestelle seit der Beantwortung der Anfrage 6654/J beteiligt?
a. Wenn ja, welche Organisationen, mit welchem inhaltlichen Beitrag und zu welchen (möglichen) Kosten?
b. Wenn nein, wird in Erwägung gezogen dies zukünftig zu tun?
10. Sollen Menschenrechtsorganisationen darüber hinaus bei der Beschwerdestelle selbst (begleitend) eine Aufgabe haben?
11. Welche Organisationen sind in die Umsetzung der Beschwerdestelle inhaltlich und konzeptionell abseits von den oben genannten Organisationen und Institutionen eingebunden?
12. Wurde seit der Beantwortung der Anfrage 6654/J Geld für externe Beratungsleistungen hinsichtlich der Beschwerdestelle vom Innenministerium ausgegeben? Bitte um konkrete Aufschlüsselung.
a. Wenn ja, wie hoch waren diese Ausgaben und an wen gingen diese?
b. Wenn nein, gibt es Überlegungen im Ministerium auf externe Beratungsleistung hinkünftig zurückzugreifen?
13. Laut dem Bundesminister für Inneres wäre Susanne Reindl-Krauskopf „als eine von vier Universitäts-Experten bei der Konzeption der neuen Beschwerdestelle eingebunden“ (APA-Meldung vom 16.Juli 2020).
a. In welcher Form war oder ist Susanne Reindl-Krauskopf in die Konzeption der Beschwerdestelle eingebunden?
b. Wer sind die anderen drei Universitäts-ExpertInnen und welche Aufgaben haben diese bei der Konzeption?
c. Sind zusätzlich zu den vier Universitäts-ExpertInnen noch andere ExpertInnen in die Konzeption eingebunden?
i. Wenn ja, wer und mit welchen Aufgaben?
ii. Wenn nein, warum nicht?
d. Haben diese Personen ihre Arbeit für die Konzeption der Beschwerdestelle bereits abgeschlossen?
i. Wenn ja, in welcher Form liegt diese Expertise vor?
ii. Wenn ja, warum ist diese nicht öffentlich zugänglich?
iii. Wenn nein, wann wird dies voraussichtlich der Fall sein?
e. Sind diese ExpertInnen immer noch für das Innenministerium tätig?
f. Kosten in welcher Höhe sind bis dato durch die Einbindung der universitären ExpertInnen dem Ministerium für Inneres entstanden?
14. Im Jahr 2010 hat der Menschenrechtsbeirat einen Bericht[1] veröffentlich, der Empfehlungen bzw. Ableitungen für eine solche Beschwerdestelle zusammenfasst.
a. Wie genau wird dieser in die Konzeptualisierung einfließen?
15. Wie soll die unabhängige Beschwerdestelle strukturiert sein (bitte um detaillierte Aufschlüsselung des Konzeptes)?
16. Das Regierungsprogramm spricht von einer „eigenen Behörde“, die „bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen bzw. Polizeibeamte“ konsequent und unabhängig ermitteln soll.
a. In welcher Art und Weise soll die Eigenständigkeit sich ausdrücken?
b. Wien soll die Behörde benannt werden?
17. Wie viele Planstellen sind für die Beschwerdestelle geplant, um einen reibungslosen und raschen Ablauf zu gewährleisten?
18. Gibt es schon eine Entscheidung, wo die unabhängige Beschwerdestelle institutionell angesiedelt werden soll?
a. Wenn ja, wo soll diese angesiedelt werden?
b. Wenn nein, welche Überlegungen gibt es innerhalb des Ministeriums diesbezüglich?
c. Wenn nein, wird eine Ansiedelung an das Justizministerium überlegt?
19. Wie soll generell die Unabhängigkeit der Beschwerdestelle in ihren Ermittlungen gewährleistet werden?
20. Welche Durchgriffsrechte soll die unabhängige Beschwerdestelle erhalten, um ihren Aufgaben nachkommen zu können?
21. Mit welchen „polizeilichen Befugnissen“ (Regierungsprogramm) soll die Beschwerdestelle ausgestattet sein? Welche Ermittlungskompetenzen sollen der Beschwerdestelle zukommen?
22. Wird die Beschwerdestelle jeden Polizeieinsatz mit Waffengebrauch von Amtswegen untersuchen?
a. Wenn ja, warum?
b. Wenn nein, warum nicht?
23. Laut Regierungsprogramm soll die Beschwerdestelle „von Amts wegen“ ermitteln. Wie soll diese Vorgabe konkret umgesetzt werden? Nach welchen Kriterien soll die Beschwerdestelle von Amtswegen tätig werden können?
24. Bei welchen Anzeichen möglicher Misshandlungen wird die Beschwerdestelle aktiv werden?
25. Wie soll sichergestellt werden, dass der Zugang zur Beschwerdestelle niederschwellig und sich alle, möglichen Betroffenen ohne Hürden an sie wenden können?
26. Wird es in jedem Bundesland eine Zweigstelle der Beschwerdestelle geben, an die sich Betroffene wenden können?
a. Wenn ja, wann und in welchem personellen Umfang sollen diese Zweigstellen ihre Arbeit aufnehmen?
27. Wie soll die Leitung der Beschwerdestelle strukturiert sein?
a. Aus wie vielen Personen wird das Leitungsgremium bestehen?
b. Was sind die Kriterien für die Aufnahme als Mitglied des Gremiums?
28. Sollen auch Personen aus dem Polizeiapparat selbst Teil der unabhängigen Stelle sein?
a. Wenn ja, wie viele und aus welchen spezifischen Bereichen?
b. Aus welchen Professionen sollen sich die Angestellten der Beschwerdestelle rekrutieren?
c. Welche Ausbildungen müssen diese Personen vorweisen?
d. Wie wird die „multiprofessionelle Zusammensetzung“ (Regierungsprogramm) der Beschwerdestelle sichergestellt?
29. Können sich auch Polizeibeamt*innen an die Beschwerdestelle wenden, z.B. bei ungerechtfertigten Missbrauchsvorwürfen?
a. Wenn ja, wie ist hier das Verfahren bzw. der Ablauf gedacht?
b. Wenn nein, warum nicht?
30. Wie viele ausgebildete JuristInnen sollen in der unabhängigen Beschwerdestelle angestellt sein?
31. Welche Kosten sind für die unabhängige Beschwerdestelle budgetiert?
32. Wann wird die unabhängige Beschwerdestelle ihre Arbeit aufnehmen?
33. Ist angedacht die zukünftige Beschwerdestelle öffentlich zu bewerben, um zu garantieren, dass auch alle Menschen wissen, an wen sie sich bei Bedarf wenden können?
a. Wenn ja, wieviel Geld soll in die Kampagne fließen?
b. Wenn ja, welche Konzepte wurden bereits für die Bewerbung ausgearbeitet?
c. Wenn nein, warum nicht?
34. Wie rasch soll eine Beschwerde abgehandelt werden? Wird es hier zeitliche Vorgaben geben und, wenn ja, wie lauten diese?
35. Mit welcher Definition des Begriffes „Misshandlung“ wird die unabhängige Beschwerdestelle arbeiten?
36. Wird die Beschwerdestelle auch die Kompetenz haben Empfehlungen für strukturelle Veränderungen einzubringen?
37. Wird es einen institutionalisierten Austausch zwischen der Beschwerdestelle und den Polizeibehörden geben?
a. Wenn ja, zu welchem Zweck (Weiterentwicklung, Feedback-Kultur, Transparenz, …)?
b. Wenn nein, warum nicht?
38. Wird die Beschwerdestelle einer jährlichen Berichtspflicht unterliegen?
a. Wenn ja, was sollen diese Jahresberichte umfassen?
b. Wenn ja, werden diese Berichte dem Justizausschuss bzw. dem Ausschuss für Innere Angelegenheiten im Nationalrat übermittelt?
c. Wenn nein, warum nicht?
39. Inwieweit und durch welche Kompetenzen wird die Beschwerdestelle als Schnittstelle zwischen Disziplinarbehörden und Staatsanwaltschaften dienen?
40. Sollte die Beschwerdestelle zum Ergebnis kommen, dass es zu einem Missbrauch von Zwangsgewalt gekommen ist und/oder die Misshandlungsvorwürfe begründet sind, was sind die nächsten Schritte, die die Stelle einzuleiten hat?
41. Welche Gründe haben dazu geführt, dass die unabhängige Misshandlungsmeldestelle bis zur Beantwortung dieser Anfrage noch nicht eingerichtet wurde?
42. Laut einer APA-Meldung vom 16.Juli 2020 sollte ein Konzept für die Beschwerdestelle „bis zum Herbst 2020 stehen“.
a. Warum wurde dieser Zeitplan nicht eingehalten?
b. In welchem Entwicklungsstadium befindet sich dieses Konzept?
c. Was sind die inhaltlichen und organisatorischen Gründe für das Scheitern?
43. In einem Zeitungsartikel vom 27.Jänner 2022 wird das Innenministerium mit den Worten zitiert: „Die Arbeitsgruppe hat mehrere Konzepte vorgelegt, die sowohl in der Arbeitsgruppe als auch anschließend auf politischer Ebene zwischen den Regierungsparteien diskutiert werden müssen.“[2]
a. Um welche Arbeitsgruppe handelt es sich?
b. Wer war an dieser Arbeitsgruppe beteiligt?
c. Wie oft und wann genau hat sich diese Arbeitsgruppe getroffen?
d. Welche verschiedenen Konzepte hat die Arbeitsgruppe vorgelegt?
e. Haben die Gespräche "auf politischer Ebene“ schon begonnen?
44. Im oben zitierten Zeitungsartikel heißt es zudem: „Wie es aussieht, wird die neue Stelle im Bundesamt zur Korruptionsbekämpfung (BAK) entstehen“.
a. Ist diese Entscheidung bereits getroffen worden?
b. Wird die Beschwerdestelle im Bundesamt zur Korruptionsbekämpfung verortet werden?
45. Wann rechnen Sie mit dem Abschluss der Willensbildung und Planungsphase? Wann soll das fertige Konzept für die Beschwerdestelle präsentiert werden? Gibt es bereits einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung der unabhängigen Beschwerdestelle?
a. Wenn ja, wie sieht dieser aus?
b. Wenn nein, warum nicht?
[1] Menschenrechtsbeirat (2010): Unabhängige polizeiexterne Beschwerdestelle für Misshandlungsvorwürfe gegen Organe der Sicherheitsexekutive. Ein visionäres Konzept mit Zukunft oder doch eine entbehrliche Einrichtung? Abschlussbericht.
Wien. https://www.bmi.gv.at/408/Menschenrechtsbeirat/Berichte/files/Abschlussbericht_AG_Misshandlung_Druckversion.pdf
[2] https://www.diepresse.com/6090922/polizeigewalt-der-steinige-weg-zur-neuen-behoerde