11621/J XXVII. GP
Eingelangt am 06.07.2022
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS Genossinnen und Genossen,
an den Bundesminister für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus
betreffend der Position zu Produkten aus
Entwaldung und Waldschädigung
Bei der Positionierung Österreichs bezüglich globalen Waldschutzes und Vorhaben gegen Entwaldung liegt einiges im Dunklen.
Die Entschließung des Parlaments[1] zu Entwaldung hat anerkannt, dass viele Agrarrohstoffe forst- und ökosystemgefährdend sind. Derzeit wird im Anwendungsbereich aber nur Entwaldung und Waldschädigung berücksichtigt. Andere Ökosysteme wie Savannen, Feuchtgebiete und Grasländer sind aber ebenso hochrelevant für den Erhalt der Biodiversität und als Kohlenstoffspeicher und werden auch in alarmierendem Tempo zerstört (Bsp. Zerstörung des Cerrado[2]).
Der Grund für Entwaldung und Umwandlung anderer naturnaher Ökosysteme ist vor allem die Expansion des Anbaus von Agrarrohstoffen wie Soja für Futtermittel, Rindfleisch, Palmöl für billiges Fett und Agrotreibstoffe, sowie die Nachfrage nach Holz, Kaffee, Kakao, Mais und Kautschuk. Obwohl Forscher*innen gezeigt haben[3], dass die Begründung für den Ausschluss von Mais und Kautschuk auf fehlerhaften Zahlen beruht und sich dafür ausgesprochen haben, die Rohstoff- und Produktliste möglichst umfassend anzusetzen, um Verlagerungseffekte zu vermeiden, werden derzeit Mais und Kautschuk sowie auch andere Fleischsorten als Rind, wie Huhn und Schwein, nicht von der VO (Art. 1) erfasst. Eine erweiterte Liste mit allen relevanten Gütern (als Teil des Art. 1 und des Anhangs I) wäre entscheidend, um eine umfassende Bekämpfung von Waldzerstörung und Waldschädigung zu erreichen.
Damit die neue Entwaldungsverordnung die Holzhandelsverordnung wirksam weiterführen kann, braucht es eine gute Definition von Waldschädigung. Im Ratsvorschlag wurde die Definition (Art. 2, Z. 6) allerdings eingeschränkt auf die Umwandlung von Primärwald. Damit wird in der Verordnung Waldschädigung an Nicht-Primärwäldern als unmöglich definiert.
Die Festlegung eines Stichtages, der deutlich vor dem Jahr 2020 liegt, würde es ermöglichen die massive Zerstörung von Waldflächen, die rechtswidrig durchgeführt wurden, zu berücksichtigen. Eine Änderung des Stichtags und die Verlegung auf dem 31. Dezember 2021 wie im Vorschlag des Rates gemäß Art. 2 Z. 8 lit a und b vorgesehen, führt zu einer de facto Heilung des rechtswidrigen Zustandes, weil die auf diesen Flächen erzeugten Produkte problemlos auf dem EU Binnenmarkt eingeführt werden können. Zudem kam es insbesondere im Jahr 2019 zu einem gigantischen Anstieg
(+34%) der Rodungen in Brasilien auf über 10.000 km2 - ein Trend der sich im Jahr 2020 fortgesetzt hat (INPE 2021).
Ein Jahrzehnt Erfahrung mit der EU Holzhandelsverordnung (EUTR) zeigt, dass es zu Umgehungen der Verordnung kam, indem Schlupflöcher ausgenutzt wurden, wie z. B. die schwache Durchsetzung der Verordnung in einigen Ländern über die der Erstimport in die EU erfolgte. Die Europäische Kommission zog daraus die klare Lektion, in der neuen Verordnung auch große Händler innerhalb der EU sowie Exporteure in die Sorgfaltspflicht zu nehmen. Gemäß dem Vorschlag der EU Kommission (idF Art. 6 Abs 5) sollten große Händler die keine KMUs sind die gleichen Pflichten wie die Marktteilnehmer erfüllen. Der Ratsvorschlag streicht diese Pflichten und lässt die gleichen Regeln für KMUs auch für große Händler gelten - nur mit einem minimalen Zusatz (siehe dazu Art. 6 Z 5 Ratsvorschlag).
Finanzinstitute finanzieren nachweislich[4] viele Projekte, die mit Entwaldung in Verbindung stehen. Daher ist es inkonsistent, auf der einen Seite Unternehmen den Import von Rohstoffen und Produkten, die mit Entwaldung in Verbindung stehen zu verbieten, und auf der anderen Seite gleichzeitig Finanzinstituten die Investition in Projekte zur Erzeugung derselben Rohstoffe und Produkte zu erlauben.
Global beziehen rund 1,6 Milliarden Menschen und darunter rund 70 Millionen Indigene ihre Lebensgrundlagen aus Wäldern. Der Weltbiodiversitätsrat erkennt außerdem an, dass indigene und lokale Communities zu den besten Beschützer*innen von Wäldern gehören. Es kommt aber immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (z. B. Bedrohung, willkürlicher Inhaftierung und gewaltsame Vertreibung indigener Gruppen), Verletzungen von Landnutzungsrechten und der Vernichtung der Lebensgrundlagen Indigener im Vorfeld sowie im Zuge von Entwaldung und Waldschädigung.
Zugang zur Justiz (Gem. Art. 30 Kommissionsvorschlag) ist ein wesentliches Instrument um das Ziel der Verordnung zu erreichen und Sachverhalte gerichtlich, d.h. unabhängig und unparteiisch prüfen zu lassen. Es ist unklar und bisher unbegründet geblieben, wieso der Ratsvorschlag diese Möglichkeit komplett aus der VO gestrichen hat.
Die Europäische Kommission hat Geolokalisierung zum Zweck der strengen Rückverfolgbarkeit als Kernelement des Kommissionsvorschlags bezeichnet. Der Ratsvorschlag hat die Geolokalisierung geschwächt, indem bei Flächen unter 10 Hektar nur noch eine einzige Geokoordinate zur Lokalisierung angegeben werden soll. Dies würde es unmöglich machen, klar zu identifizieren, ob für die Erzeugung der Rohstoffe und Produkte Entwaldung geschehen ist oder nicht.
Hinterfragbar ist auch das Risiko-Benchmarking: Der Ratsvorschlag hat das vorgesehene Ausmaß der Kontrollen auf 5% für Hochrisiko-Gebiete und auf 1% für Standardrisiko-Gebiete gesenkt. Außerdem beziehen sich die Mindestkontrollen im Gegensatz zum Kommissionsvorschlag nur auf die Zahl der Unternehmen, nicht auf das gehandelte Volumen an Rohstoffen und Produkten. Für NiedrigrisikoGebiete sind keine Kontrollen vorgesehen. Das öffnet ein großes Schlupfloch für Unternehmen fälschlicherweise anzugeben, dass ihre Rohstoffe und Produkte aus Niedrigrisikogebieten stammen, um Kontrollen zu umgehen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1. Sollen andere naturnahe Ökosysteme als Wald, wie Savannen, Feuchtgebiete und Grasländer, in der Verordnung berücksichtigt werden?
a) Wie haben Sie/Ihr Ressort sich dazu positioniert?
b) Wenn nein, warum nicht?
2. Welche Rohstoffe und Produkte sollten laut Ihrer Position unter die Entwaldungsverordnung fallen ?
a) Wie haben Sie/Ihr Ressort sich dazu positioniert?
b) Stimmen Sie/Ihr Ressort einer Erweiterung des Art. 1 um Mais, Kautschuk und anderen Fleischsorten wie Huhn und Schwein zu?
c) Wenn nein, warum nicht?
3. Zu der Begriffsbestimmung von Waldschädigung: Trägt das BMLRT die Definition von Waldschädigung im Ratsvorschlag und damit die Einschränkung auf die Umwandlung von Primärwald mit?
a) Wenn ja, mit welcher Begründung?
b) Wenn nein, warum nicht?
4. Zum Stichtag gem. Art. 2 Z. 8 der VO: Welches Cut-off-date halten Sie für angemessen?
a) Mit welcher Begründung?
b) Werden Sie sich für ein Datum einsetzen, das die massive Entwaldung der letzten Jahre berücksichtigt?
c) Wenn nein, warum nicht?
5. Soll es Sorgfaltspflichten für große Händler geben, die denen der Erstinverkehrsbringer entsprechen?
a) Wenn nein, warum nicht?
b) Wie sorgen Sie dafür, dass die gut dokumentierten Lücken in der Durchsetzung der Holzhandelsverordnung (EUTR) im Rahmen der neuen Verordnung beseitigt werden?
6. Wie sehen Sie die Maßnahme, Finanzinstitute ebenso einer Sorgfaltspflicht zu unterziehen und wie begründen Sie diese Positionierung?
7. Wie setzen Sie sich dafür ein (auch im Hinblick auf die extraterritorialen Pflichten Österreichs), dass international anerkannte Rechte von Indigenen, internationale Menschenrechts- und Arbeitsrechtsstandards (etwa die ILO Kernarbeitsnormen) unabhängig vom gesetzlichen Rahmen der Produktionsländer (gemäß des Legalitätsprinzips iSd Art. 3) in der neuen Verordnung im Zuge der Sorgfaltspflichten von Unternehmen gewahrt werden?
a) Wenn Sie sich nicht dafür einsetzen, warum nicht?
8. Warum wurde die Deklaration über die Rechte der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und anderen Menschen die in ländlichen Regionen arbeiten A/RES/73/16 (UNDROP), ein Rechtsinstrument, das sowohl für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Österreich als auch im globalen Süden äußerst relevant ist, nicht in den Begriffsbestimmungen in Art. 2 Z. 28 des Ratsvorschlags übernommen?
a) Setzen Sie sich für die Übernahme der UNDROP ein?
b) Wenn nein, warum nicht?
9. Der Zugang zur Justiz (Gem. Art. 30 Kommissionsvorschlag) wurde nicht in die VO übernommen.
a) Welche Begründung gibt es dafür?
b) Haben Sie sich für eine Übernahme eingesetzt?
c) Wenn nein, warum nicht?
10. Welche Position vertritt das BMLRT in Hinsicht auf die Frage der Geolokalisierung und wie begründen Sie diese?
11. Welche Größenordnung an Kontrollen halten Sie für angemessen und für welche haben Sie sich eingesetzt?
a) Befürworten Sie angesichts der Umgehungsgefahr über Niedrigrisikogebiete ein Umgehungsverbot?
b) Wenn nein, warum nicht?
c) Angesichts der niedrigen Mindestwerte bzw. keiner Mindestwerte für Kontrollen für Niedrigrisikogebiete, unterstützt das BMLRT starke Sanktionen wie z. B. den mehrjährigen Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und hohen Strafzahlungen?
d) Wenn nein, warum nicht?
e) Wenn nein, welche Sanktionen halten Sie ansonsten für angebracht?
[1] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2020-0285_DE.html
[2]https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Pressemitteilungen/Naturschutz/quovadisSoja_final.p
df
[3]http://www.focali.se/filer/Focali%20brief_2021_02_Flawed%20numbers%20underpin%20recommendations%
20to%20exclude%20commodities%20from%20EU%20deforestation%20legislation.pdf
[4] https://www.globalwitness.org/en/campaigns/forests/deforestation-dividends/