11889/J XXVII. GP

Eingelangt am 13.07.2022
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Julia Herr,

Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Position zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit

Damit Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen nicht länger zur Normalität globaler Lieferketten gehören, braucht es ein strenges Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene. Allerdings wurde der Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit[1] aufgrund von massivem Lobbying durch Industrieverbände bereits vor der Veröffentlichung durch die EU-Kommission im Februar 2022 stark abgeschwächt[2].

Daraus resultieren mehrere Schlupflöcher, die nun durch die Mitgliedstaaten und das EU- Parlament beseitigt werden müssen. Zum Beispiel wird im derzeitigen Richtlinien-Entwurf festgelegt, dass nur ein Bruchteil der europäischen Unternehmen eine Sorgfaltspflicht erfüllen muss. Doch selbst die OECD Guidelines für multinationale Unternehmen[3] fordern von allen Unternehmen, egal welcher Größe, eine risiko-basierte Sorgfaltsprüfung.

Aus Sicht der Einschränkung negativer Umweltauswirkungen entlang globaler Wertschöpfungsketten hat der Vorschlag mehrere Lücken. Der Richtlinien-Vorschlag definiert “negative Auswirkungen auf die Umwelt” (Artikel 3 b) sehr eingeschränkt durch eine Liste internationaler Vereinbarungen in Anhang II. Allerdings birgt diese enge Definition die Gefahr, dass viele Umweltgüter und Umweltauswirkungen nicht von der Sorgfaltspflicht erfasst werden, zum Beispiel weil keine internationalen Vereinbarungen bestehen (z.B. Boden). Zusätzlich fehlen in Anhang II Verweise auf viele wichtige bestehende Abkommen, wie zum Beispiel das Pariser Klima-Abkommen.

Klima und Treibhausgasemissionen werden im Vorschlag der EU-Kommission in einem eigenständigen Artikel (Artikel 15) behandelt. Allerdings ist der Artikel wiederum nur auf einen Teil der Unternehmen anwendbar und enthält gravierende Mängel. Anstatt Treibhausgasemissionen verpflichtend zu reduzieren, müssen Unternehmen lediglich unter bestimmten Voraussetzungen einen Plan zur Reduktion von Treibhausgasemissionen vorweisen. Der aktuelle Vorschlag definiert dabei weder, dass Treibhausgasemissionsziele entlang der gesamten Wertschöpfungskette reduziert werden müssen, noch, dass es sich um absolute Reduktionen handeln muss. Dadurch bleibt die Bestimmung hinter den bereits bestehenden Selbstverpflichtungen zurück und läuft Gefahr, lediglich zu Greenwashing beizutragen.

Im Pariser Klimaabkommen ist das Prinzip definiert, dass Industriestaaten mit größtmöglicher Ambition die Treibhausgasemissionen senken. Dementsprechend sollten auch Unternehmen mit größtmöglicher Ambition Emissionen senken und Verantwortung gegenüber Nicht-EU- Länder übernehmen. Dadurch könnte auch die Verlagerung von CO2-Emissionen in Nicht- EU-Länder vermeiden.

Ein weiterer Schwachpunkt besteht darin, dass der Richtlinien-Entwurf vorsieht, dass es eine Überprüfung der Compliance durch unabhängige Dritte geben soll, womit AuditorInnen und ZertifiziererInnen gemeint sind. Laut Entwurf kann damit de facto eine Haftung im Falle von Schäden bei indirekten Partnern ausgeschlossen werden.

Darüber hinaus sind Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen nicht verpflichtend in den Sorgfaltspflichtenprozess eingebunden. Dabei sind gerade sie es, die oft am besten über menschen- und umweltrechtliche Risiken in den Betrieben Bescheid wissen und auch Auskunft geben können, was nötig wäre, um nachhaltige Verbesserungen vor Ort zu erreichen.

Auch die Verfahren, mit denen Betroffene sich konfrontiert sehen, weisen erhebliche Mängel auf. Diese transnationalen Verfahren sind teuer, komplex und langwierig. Die Erfahrung zeigt, dass sie oft nach Jahren an formalen Erfordernissen scheitern. Ein Beispiel dafür ist Klage nach dem Brand in einer pakistanischen Textilfabrik, in der überwiegend für KiK produziert wurde. Dabei starben 2013 258 Menschen. Nach einem vierjährigen Verfahren wurde die Klage wegen Verjährung nach pakistanischem Recht abgewiesen. Zu einer Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Punkten kam es dadurch nie. Diese Mängel werden im aktuellen Entwurf nicht behoben.

Bis zum In-Kraft-treten der Richtlinie auf EU-Ebene und der anschließenden Umsetzung auf nationaler Ebene werden noch Jahre vergehen, in denen Menschen und Umwelt weltweit ausgebeutet werden. Andere EU-Mitgliedsstaaten wie zum Beispiel Frankreich und Deutschland haben bereits nationale Lieferkettengesetze verabschiedet. Die großen Unterschiede in der Umsetzung vergleichbarer Gesetzesvorhaben, wie zum Beispiel die in Österreich im Vergleich zu Deutschland sehr niedrige Strafhöhe im Rahmen der Konfliktmineralien-Verordnung[4], zeigen, dass ein starker Rechtsrahmen nur durch eine ambitionierte Umsetzung auf nationaler Ebene erreicht werden kann.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1.   Soll der Geltungsbereich der Richtlinie laut Ihrer Position ausgeweitet werden?

a.   Wenn ja, in welchem Umfang?

b.   Wenn nein, warum nicht?

2.     Wie viele österreichische Unternehmen in welchen Sektoren wären erfasst, laut des Richtlinien-Entwurfs?

a.     Wie viele österreichischen Unternehmen wären von Artikel 15 erfasst?

b.     Um welche Unternehmen in welchen Sektoren handelt es sich?

3.   Zur Definition von Umweltauswirkungen: Wird sich Ihr Ressort für eine umfassende Definition von Umwelt, die alle relevanten Umweltauswirkungen und Umweltgüter umfasst, einsetzen? Ein Beispiel ist die Generalklausel im französischen Lieferkettengesetz.

a.    Wenn ja, wie soll diese umfassende Umweltdefinition erreicht werden?

b.   Wenn nein, warum nicht?

 

4.   Soll die zivilrechtliche Haftung auch auf die Bekämpfung der Klimakrise und die Reduktion von Treibhausgasemissionen (derzeit in Artikel 15) ausgeweitet werden?

a.     Wie positioniert sich Ihr Ressort zu dieser Frage?

b.     Wenn nein, warum nicht?

5.     Setzen Sie/Ihr Ressort sich für verpflichtende Umsetzung der Emissions-Reduktionspläne unter Artikel 15 ein?

a.     Wenn ja, welches Strafmaß fordern Sie/Ihr Resort für das nicht-Erreichen der Reduktionsziele?

b.     Wenn nein, warum nicht?

6.     Wie setzen Sie/Ihr Ressort sich dafür ein, dass die Klimaverpflichtungen für Unternehmen tatsächlich mit dem Ziel des Pariser Klimaabkommens, den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 °C zu begrenzen, vereinbar sind?

a.    Wenn Sie sich nicht dafür einsetzen, warum nicht?

b.     Setzten Sie/Ihr Ressort sich auch für die Verpflichtung ein, den Ausbau fossiler Infrastruktur zu beenden?

7.     Kann der Beitrag der Richtlinie zur CO2-Reduktion in Österreich bzw. österreichischer Unternehmen durch die Pläne zur Treibhausgasreduktion laut Artikel 15 abgeschätzt werden?

a.     Wenn ja, wie hoch wäre dieser?

b.    Wenn nein, warum nicht?

8.     Wie setzen Sie/Ihr Ressort sich dafür ein, dass österreichische und europäische Unternehmen, wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart, Verantwortung gegenüber nicht-EU-Ländern übernehmen müssen?

a. Wenn nein, warum nicht?

9.     Wird auch in Österreich bereits an der nationalen Umsetzung gearbeitet, damit bei Fertigstellung der Richtlinie nur mehr angepasst werden muss?

a. Wenn nein, warum nicht?

10.  Setzen Sie/Ihr Ressort sich für wirkungsvolle Sanktionen im Fall eines Verstoßes gegen die Sorgfaltspflicht ein?

a. Wenn nein, warum nicht?

11.  Ist laut aktuellem Richtlinien-Entwurf die öffentliche Beschaffung mit umfasst?

a. Wenn nein, setzen Sie sich dafür ein, dass auch bei der öffentlichen Beschaffung Sorgfaltspflichten zur Anwendung kommen sollen?

12.  Wie positioniert sich Ihr Ressort zu den im Richtlinien-Entwurf bereits stark abgeschwächten Pflichten für die Unternehmensleitung?

a.     Befürworten Sie diese bzw. werden Sie sich dafür einsetzen diese zu stärken?

b.     Wenn nein, wieso nicht?

13.  Ist Ihnen bekannt, dass bei allen großen Unglücksfällen der letzten Jahre (Rana Plaza, KiK/Ali Enterprises, Brumadinho) kurz vor der Katastrophe Audits durchgeführt wurden, die keine wesentlichen Mängel bescheinigt haben?

a.     Setzen Sie sich dafür ein, dass es verpflichtende qualitative

Mindeststandards für AuditorInnen und ZertifiziererInnen geben muss?

b.     Wenn nein, warum nicht?

c.     Setzen Sie sich dafür ein, dass es eine europäische Behörde geben muss, bei der sich unabhängige Dritte akkreditieren müssen und durch die sie kontrolliert werden können?

d.    Wenn nein, warum nicht?

14.  Setzen Sie sich dafür ein, dass vom Begriff „öffentliche Unterstützung“ laut Richtlinienentwurf jegliche Form von Förderungen erfasst sein soll, wie insbesondere durch staatliche Beihilfen, die Vergabe öffentlicher Aufträge, Exportkreditagenturen oder staatlich besicherte Darlehen?

a.    Wenn ja, wie setzt sich Ihr Ressort dafür ein, sicherzustellen, dass Förderungen auch zurückbezahlt werden müssen, wenn Sorgfaltspflichtenverletzungen geschehen?

b.    Wenn nein, warum nicht?

15.  Der Entwurf sieht keine verpflichtende Einbindung von Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen in den Sorgfaltspflichtenprozess vor. Setzen Sie/Ihr Ressort sich dafür ein, dass diese Einbindung verpflichtend sein muss?

a. Wenn nein, warum nicht?

16.  Im Fall von Menschenrechtsverletzungen müssen Betroffene laut Entwurf komplexe, teure und langwierige transnationale Verfahren führen. Die Erfahrung zeigt: Diese scheitern oft nach Jahren an formalen Erfordernissen. Der Entwurf behebt schwerwiegende Mängel wie kurze Verjährungsfristen, hohe Verfahrenskosten, begrenzter Zugang zu Beweismitteln für Geschädigte, eine ungerechte Beweislastverteilung sowie Beschränkte Klagsbefugnisse nicht. Setzen Sie/Ihr Ressort sich dafür ein, diese Mängel zu beheben?

a.     Wenn nein, warum nicht?


 



[1]               https //eur-lex europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX52022PCO071&from=EN

[2]                https://www.global2000.at/sites/global/files/inside-job-report-pdf

[3]                https://www oecd.org/daf/inv/mne/48004323.pdf

[4]    siehe Fußnote 6, Seite 4 https://www.oefse.at/file/admin/content/Downloads/Publikationen/Policynote/PN36-Konfliktmineralien.pdf