Eingelangt am 07.09.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen
und Kollegen
an den Bundeskanzler
betreffend Folgeanfrage
"Inwiefern erfüllt der Staat seine Verpflichtungen gegenüber
Flüchtlingen aus der Ukraine?"
Putins Angriffskrieg gegen
die Ukraine hat dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung. Seit der
Invasion am 24. Februar 2022 werden ukrainische Städte bombardiert und
zivile Infrastruktur wird zerstört – es werden zahlreiche
Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gemeldet -
tausende Zivilist_innen sind bereits gestorben. Dadurch wurden viele Menschen
dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um sich in den Nachbarländern in
Sicherheit zu bringen. Nach Angaben des UNHCR sind mit Stand 1. Juli
2022 knapp 5,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Laut UNO gab es
seit dem zweiten Weltkrieg keine Fluchtbewegung, die so schnell gewachsen
ist. Und derzeit steht kein Ende des Konflikts in Sicht. Schätzungen
zufolge könnte die Anzahl an Schutzsuchenden aus der Ukraine sogar auf 10
Millionen ansteigen.
Am 4. März haben die
EU-Staaten den Durchführungsbeschluss 2022/382, basierend auf der Richtlinie
2001/55/EG,
einstimmig angenommen. Dieser soll es
ermöglichen, Schutzsuchenden aus der Ukraine schnell und
unbürokratisch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu gewähren.
Der vorübergehende Schutz soll vorerst für ein Jahr gelten, kann
jedoch um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden.
Die Richtlinie 2001/55/EG
sieht folgende Verpflichtungen des Staats gegenüber Personen, die einen
temporären Schutzstatus erhalten, vor:
- Angemessene
Unterkunft gem Art 13 (1): "Die
Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Personen, die
vorübergehenden Schutz genießen, angemessen untergebracht
werden oder gegebenenfalls Mittel für eine Unterkunft
erhalten."
- Sozialleistungen und medizinische Versorgung gem
Art 13 (2-4): "Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Personen,
die vorübergehenden Schutz genießen, die notwendige Hilfe in
Form von Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts sowie im Hinblick auf die medizinische Versorgung
erhalten, sofern sie nicht über ausreichende Mittel verfügen
(...) Die Mitgliedstaaten gewähren Personen, die
vorübergehenden Schutz genießen und besondere
Bedürfnisse haben, beispielsweise unbegleitete Minderjährige
oder Personen, die Opfer von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen
schwerwiegenden Formen psychischer, körperlicher oder sexueller
Gewalt geworden sind, die erforderliche medizinische oder sonstige
Hilfe."
- Zugang zum
Bildungssystem gem Art 14 (1):
"Die Mitgliedstaaten gestatten Personen unter 18 Jahren, die vorübergehenden
Schutz genießen, in gleicher Weise wie den Staatsangehörigen
des Aufnahmemitgliedstaats den Zugang zum Bildungssystem."
- Zugang zum
Arbeitsmarkt gem Art 12:
"Die Mitgliedstaaten gestatten Personen, die
vorübergehenden Schutz genießen (...) die Ausübung
einer abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit
nach für den jeweiligen Berufsstand geltenden Regeln sowie von
Tätigkeiten in Bereichen wie z.B. Bildungsangebote für
Erwachsene, berufliche Fortbildung und praktische Erfahrungen am Arbeitsplatz."
Innerstaatlich wurde
dieser Beschluss durch die Annahme der Vertriebenen-VO am 11. März 2022 im
Hauptausschuss des Parlaments umgesetzt, auf Basis derer diese Rechte
folgenden Personengruppen, die ab dem 24.2.2022 aus der Ukraine vertrieben
wurden, zu gewähren sind:
- Staatsangehörige
der Ukraine mit Wohnsitz in der Ukraine, die aus dieser aufgrund des
bewaffneten Konfliktes ab dem 24. Februar 2022 vertrieben
wurden;
- Drittstaatsangehörige
oder Staatenlose mit einem vor dem 24. Februar 2022 gewährten
internationalen Schutzstatus oder vergleichbaren nationalen
Schutzstatus, jeweils gemäß ukrainischem Recht, die aus
der Ukraine aufgrund des bewaffneten Konfliktes ab dem
24. Februar 2022 vertrieben wurden;
- Familienangehörige
(Ehegatte oder eingetragene Partnerschaft; minderjährige ledige
Kinder; sonstige enge Verwandte, die im selben Haushalt wie die
Vertriebenen gelebt haben und abhängig von ihnen waren);
- Staatsangehörige
der Ukraine, die am 24. Februar 2022 einen gültigen Aufenthaltstitel
in Österreich hatten, nach Ablauf der Gültigkeitsdauer (nur
für Fälle, in denen der Aufenthaltstitel nicht verlängert
wurde);
- Staatsangehörige
der Ukraine, die sich am 24. Februar 2022 rechtmäßig visumfrei
oder mit einem Visum in Österreich aufhielten (nach dem Ende des
visumfreien Aufenthalts oder dem Ablauf des Visums).
Zur Koordination im Umgang
mit Schutzsuchenden richtete Bundeskanzler Karl Nehammer die Stabstelle
"Ukraine - Flüchtlingskoordination" im Bundeskanzleramt ein und
bestellte am 13. März Michael Takács als
Flüchtlingskoordinator, welcher jedoch nur für kurze Zeit
im Amt blieb da er - nicht ohne Kritik - zum Bundespolizeidirektor
ernannt wurde. Daraufhin folgte Andreas Achrainer, Geschäftsführer der Bundesagentur für
Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, als
neuer Flüchtlingskoordinator (siehe: https://www.derstandard.at/story/2000137050720/asylagenturchef-andreas-achrainer-wird-neuer-fluechtlingskoordinator).
Zu den Aufgaben der
Stabstelle zählen insbesondere:
- Die Interministerielle
Abstimmung von Maßnahmen zur Unterbringung und Integration schutz-
und hilfsbedürftiger Personen aus der Ukraine, Bereitstellung von
entsprechenden Unterkünften
- Die Organisation von
Hilfslieferungen und Koordination weiterer in diesem Zusammenhang
notwendiger Maßnahmen
- Die Koordination mit
den Bundesländern, der Wirtschaft, NGOs und sonstigen Einrichtungen
bspw. Blaulichtorganisationen
- Die Berichterstattung
an die Mitglieder der Bundesregierung bzw. an das Krisenkabinett
Bislang war
die Aufnahme aus der Ukraine geflüchteter Menschen in verschiedenster
Hinsicht mangelhaft: Die Registrierungen verzögerten sich anfangs, die
Unterbringung der Schutzsuchenden zeichnete sich durch fehlende Organisation
und Koordination aus, die Auszahlung der Grundversorgung verspätete
sich oder blieb gar aus, sodass Betroffene auf die Hilfe
der Zivilgesellschaft angewiesen waren, welche die Aufgaben des Staats
größtenteils übernommen hat. Laut
Beantwortung auf die NEOS Anfrage zur Situation von aus der Ukraine
Geflüchteten bzw. zu den Tätigkeiten der Stabstelle (siehe 10805/AB)
sind neben dem Flüchtlingskoordinator in der
Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination vier Mitarbeiter_innen
auf Vollbeschäftigungsbasis beschäftigt. Der Stabstelle
stehen keine gesondert festgelegten budgetären Mittel zur
Verfügung. Generell ließ die Anfragebeantwortung zahlreiche
Fragen offen - so blieben insbesondere Fragen zur Erstversorgung und
zu den Vulnerabilitäten gänzlich unbeantwortet - und einige Antworten verlangen weitere Präzisierung.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher
folgende
Anfrage:
- Welche konkreten Funktionen erfüllen
die vier Mitarbeiter_innen der
Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination jeweils?
- Da der
Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination keine gesondert
festgelegten budgetären Mittel zur Verfügung stehen: Mit welchen
Mitteln erfüllt die Stabstelle ihre Aufgaben dann?
- Gibt es andere Mittel, auf die sie
zurückgreifen kann?
- Wenn ja, welche?
- Verfügt
die Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination zur
Erfüllung ihrer Aufgaben über ausreichend Ressourcen?
- Wird überprüft, ob
die Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination zur
Erfüllung ihrer Aufgaben über ausreichend Ressourcen
verfügt?
- Wenn ja, in welchen Zeitabständen, von
wem und mit welchem Ergebnis?
- Wenn nein, warum nicht?
- Gab bzw. gibt es Gespräche über
die Ressourcen der
Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination?
- Wenn ja, mit wem und mit welchem
Inhalt?
- Wenn ja, ersuchte die
Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination je um
zusätzliche Ressourcen?
- An welche Regierungsmitglieder erstattete
bzw. erstattet
die Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination in
welcher Form Bericht?
- Was sind dabei die konkreten Inhalte?
- In welchen zeitlichen Abständen findet
die Berichterstattung statt?
- Wurden bzw. wird der Stand der Ressourcen
der Stabstelle Ukraine-Flüchtlingskoordination in der
Berichterstattung an Regierungsmitglieder thematisiert?
- Wenn ja, wann und mit welchem Inhalt?
- Wenn ja, mit welchen Reaktionen von welchen
Regierungsmitgliedern jeweils?
- Die Anfragebeantwortung 10805/AB verwies auf
eine "vorausschauende Planung"
zur Schaffung von genügenden Kapazitäten zur Aufnahme,
Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden aus der Ukraine. Was
beinhaltet diese Planung?
- Welche Vorkehrungen wurden von der
Stabsstelle Ukraine - Flüchtlingskoordination wann getroffen, um
gegenwärtig und künftig genügend Kapazitäten zur Aufnahme, Unterbringung und Versorgung der
Schutzsuchenden aus der Ukraine sicherzustellen?