Eingelangt am 09.09.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen
und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Haftbedingungen in
Polizeianhaltezentren
Die Haftbedingungen in Polizeianhaltezentren
(PAZ) stehen schon jahrelang in der Kritik. Seit 2009 sind vier Personen in
österreichischer Schubhaft gestorben (siehe "Vier tote
Schubhäftlinge seit 2009, einer davon bisher unbekannt", Der
Standard) - zuletzt verstarb in der Nacht des 12. Juni 2019 ein
58-jähriger ungarischer Staatsbürger, unter tragischen Umständen
im PAZ Wien Rossauer Lände. Nach Angaben der Diakonie, die den Mann noch
am 11. Juni 2019 besuchte, befand sich der Verstorbene unmittelbar vor seinem
Tod in einem offenkundig sehr schlechten gesundheitlichen Zustand. Die Angaben
in der von der Diakonie eingebrachten Sachverhaltsdarstellung legten nahe, dass
der Mann unter hygienisch höchst problematischen Umständen angehalten
wurde und womöglich sogar haftunfähig war (siehe NEOS-Anfrage
2010/J). Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde Ende
2019 eingestellt. Laut Staatsanwaltschaft Wien habe sich kein Fremdverschulden
nachweisen lassen. Die Herzprobleme des verstorbenen Schubhäftlings
wären für die Beamten im PAZ nicht erkennbar gewesen. Zur Frage, ob
die Inhaftierung des 58-Jährigen rechtmäßig war, ist beim
Bundesverwaltungsgericht nach wie vor ein Verfahren anhängig (siehe "Tod
in Schubhaft ohne Fremdverschulden", ORF).
Auch die Volksanwaltschaft äußerte
als Nationaler Präventionsmechanismus (NPM) einige Kritikpunkte an
den Haftbedingungen in Polizeianhaltezentren, beispielsweise bestehen
Defizite in der Unterbringung und der Verpflegung der inhaftierten Personen.
Des weiteren ist im PAZ Hernalser Gürtel und Roßauer Lände zu
wenig Personal beschäftigt. Auch die aufgrund der Pandemie erlassenen
Beschränkungsmaßnahmen wiesen Mängel auf, beispielsweise
verabsäumte das Bundesministerium für Inneres es, Alternativen zu
Besuchsverboten anzubieten – die Beschränkung der Dauer von
Häftlingsbesuchen widersprachen zudem dem eigenen Erlass. Weitere
Kritikpunkte betreffen Hygienebedingungen und Brandschutz. Der NPM erließ
zahlreiche Empfehlungen zur Verbesserung der Standards in PAZ - manche davon
sind schon ein paar Jahre alt und wurden noch immer nicht umgesetzt (siehe
Band Präventive Menschenrechtskontrolle 2021, Volksanwaltschaft).
Darüber hinaus gibt es nicht wenige Fälle, in denen Schubhaft in PAZ
rechtswidrig ist. Im Jahr 2021 wurden 75 von 97 Ersatzbegehren wegen
rechtswidriger Schubhaft anerkannt - das BMI hat laut Anfragebeantwortung 9405/AB
insgesamt 132.287€ Haftentschädigung gezahlt.
Hier leistet sich das BMI rechtswidrige Schubhaft zu hohen Kosten.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher
folgende
Anfrage:
- Wie viele
Haftplätze gibt es insgesamt in PAZ? Bitte um Aufschlüsselung
nach PAZ.
- Wie viele Personen
wurden in den Jahren 2015-2022 bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung
in PAZ angehalten? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr,
Staatsangehörigkeit und PAZ.
- Wie viele davon waren
Schubhäftlinge? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr,
Staatsangehörigkeit, Rechtsgrundlage der Verhängung der
Schubhaft und PAZ.
- Wie viele Personen sind
zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung in PAZ angehalten? Bitte um
Aufschlüsselung nach Jahr, Staatsangehörigkeit und PAZ.
- Wie viele davon waren
Schubhäftlinge? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr,
Staatsangehörigkeit, Rechtsgrundlage der Verhängung der
Schubhaft und PAZ.
- Wie viele
minderjährige Personen wurden in den Jahren 2015-2022 bis zum
Zeitpunkt der Anfragebeantwortung in PAZ angehalten? Bitte um
Aufschlüsselung nach Jahr, Staatsangehörigkeit und PAZ.
- Wie viele davon waren
Schubhäftlinge? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr,
Staatsangehörigkeit, Rechtsgrundlage der Verhängung der
Schubhaft und PAZ.
- Wie lange betrug die
durchschnittliche Haftdauer in einem PAZ in den Jahren 2015-2022 bis zum
Zeitpunkt der Anfragebeantwortung? Bitte um Aufschlüsselung nach
Jahr.
- Wie lange betrug die
maximale Haftdauer in einem PAZ in den Jahren 2015-2022 bis zum Zeitpunkt
der Anfragebeantwortung? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr.
- In wie vielen
Fällen wurde die maximale Haftdauer von 18 Monaten
überschritten? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr.
- Wie geht das BMI vor, um
über Monate dauernde Anhaltungen von Schubhäftlingen in PAZ
möglichst zu vermeiden?
- Wie viele Beschwerden
wurden in den Jahren 2015-2022 bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung
aufgrund einer Anhaltung in einer PAZ eingebracht? Bitte um
Aufschlüsselung nach Jahr und Staatsangehörigkeit.
- Wie viele davon waren
Schubhaftbeschwerden? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr und
Staatsangehörigkeit.
- In wie vielen
Fällen wurde der Beschwerde stattgegeben?
- Wie viele
Haftentschädigungsansprüche sind in den Jahren 2015-2022 bis zum
Zeitpunkt der Anfragebeantwortung eingelangt? Bitte um
Aufschlüsselung nach Verwaltungsstrafhaft und Haft nach § 76
FPG.
- Wie viel wurde in Summe
vom BMI in den Jahren 2015-2022 bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung
an Haftentschädigung gezahlt? Bitte um Aufschlüsselung nach
Verwaltungsstrafhaft und Haft nach § 76 FPG.
- Wie erklärt das
Bundesministerium für Inneres die hohe Anzahl an rechtswidriger
Schubhaft?
i. Sieht das Bundesministerium für Inneres zur
künftigen Vermeidung rechtswidriger Haft Handlungsbedarf?
1. Wenn ja, welche Maßnahmen sind wann
geplant?
2. Wenn nein, warum nicht?
- Per Erlass schränkte
das BMI im November 2020 im Rahmen von COVID-19 Maßnahmen
die Möglichkeit von Häftlingsbesuchen ein. In welchem
Zeitraum galten die erlassenen Einschränkungen von
Häftlingsbesuchen?
- Sollten die
Einschränkungen nach wie vor gelten: wann sieht das BMI eine
Aufhebung der Einschränkungen vor?
- Wir lange darf die
Dauer eines Besuchs zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung betragen?
- Ergeben sich
bezüglich der Dauer der Besuche nach wie vor Widersprüche
zwischen den Erlässen des BMI?
- Wurde der Erlass von
November 2020 geändert bzw. aufgehoben?
i. Sollte er geändert worden sein: was beinhalten
die Änderungen?
- Welche Alternativen zur
Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten der Häftlinge sind bzw.
wurden jeweils wann vorgesehen?
- Laut Erlass
von November 2020 sollten Konzepte zur Beschäftigungsmöglichkeiten
für die in den Anhaltezentren inhaftierten Personen zur Kompensation
der negativen Auswirkungen der vorgesehenen Einschränkungen
vorgelegt werden. Wurden diese Konzepte je entwickelt?
i. Wenn ja, wann?
ii. Wenn ja, was beinhalten sie?
iii. Wenn nein, warum nicht?
- Besteht in den PAZ ein
Angebot für freiwillige COVID-19 Testungen? Bitte um Angaben nach
PAZ.
- Wenn ja, ist dieses
österreichweit einheitlich geregelt?
i. Wenn nein, in welchen PAZ fehlt dieses Angebot und
welche Maßnahmen wurden gesetzt, um dieses Defizit zu beheben?
- Müssen in PAZ
inhaftierte Personen nach wie vor auch bei einem negativen
Testergebnis die zehntägige Zugangsquarantäne absolvieren?
- Nach Angaben des NPM ist
das BMI bei der Umsetzung von einigen, auch älteren Empfehlungen aus
den Jahren 2016 und 2017 zu PAZ, säumig - insbesondere hinsichtlich
der baulichen und hygienischen Standards in PAZ. Welche
konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt, um PAZ auf
die menschenrechtlich bedingten baulichen Standards zu bringen?
- Wurde eine ausreichende
Anzahl an Hafträumen geschaffen, die für den Vollzug der
Einzelhaft gemäß § 5 bzw. § 5b Abs. 2 Z 4 AnhO
geeignet sind?
- Verfügen besonders
gesicherte Zellen über einen natürlichen Lichteinfall?
- Verfügen alle
Einzelhafträume über eine natürliche oder mechanische
Belüftungsmöglichkeit?
- Wurden alle
Einzelzellen mit einer bei der Zelle zu quittierenden Alarmtaste
ausgestattet?
- Wurden Einzelzellen
gemäß § 5 AnhO mit einem Waschbecken, einer Warm- und
Kaltwasser- Versorgung, einer Sitztoilette, einem Bett und einem Tisch
mit Sitzmöglichkeit ausgestattet?
- Wurden alle gefliesten
Sicherheitszellen mit einer (Hock-)Toilette ausgestattet?
- Erfolgt die technische
Überwachung aller Sicherungszwecken dienenden Zellen in PAZ durch
eine lichtquellenunabhängige Videoüberwachung unter Wahrung der
Intimsphäre der Häftlinge?
- Welche Maßnahmen
wurden wann gesetzt, um den Zugang von Angehaltenen in PAZ zu
hygienischen sanitären Einrichtungen zu gewährleisten?
- Wurden Toiletten von in
PAZ befindlichen Mehrpersonenzellen vom übrigen Haftraum
vollständig abgetrennt?
- Welche Maßnahmen
wurden wann gesetzt, um in Hafträumen sowie in den allgemein
zugänglichen Räumen in PAZ die Hygiene zu
verbessern?
- Welche Maßnahmen
wurden wann gesetzt, um den ungestörten Ablauf der Tischbesuche (durch
bauliche Maßnahmen) zu gewährleisten?
- Verfügen PAZ
für Besuche durch minderjährige Angehörige über
einen eigenen Raum mit Tisch?
- Zu a. bis l.:
Sollten noch keine Maßnahmen gesetzt worden sein, warum
nicht?
i. Wann plant das BMI welche Maßnahmen zu setzen,
um den Empfehlungen des NPM gerecht zu werden?
ii. Die Umsetzung jener Empfehlungen, für die
bauliche Maßnahmen erforderlich sind, machte das BMI nach Angaben des NPM
von der Verlautbarung der adaptierten Richtlinie für Arbeitsstätten
abhängig. Nachdem der Zeitpunkt der Verlautbarung nach wie vor unklar ist:
Zieht das BMI eine Umsetzung der Empfehlungen, unabhängig von der
Verlautbarung der adaptierten Richtlinie für Arbeitsstätten in
Erwägung - insb. in den PAZ, in denen die Haftbedingungen am
schlechtesten sind bzw. in welchen der größte Handlungsbedarf
besteht?
- Welche
konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt bzw. wann plant das BMI
welche Maßnahmen zu setzen, um die kostenlose oder
kostengünstigen Videotelefonie für Angehaltene einzurichten?
- Mit welchem
Ergebnis?
- Sollten keine
Maßnahmen gesetzt worden sein bzw. geplant sein: warum nicht?
- Welche
konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt bzw. wann plant das BMI
welche Maßnahmen zu setzen, um
eine einrichtungsübergreifende, digitale Dokumentation von kurativ-medizinischen
Häftlingsinformationen zu etablieren?
- Mit welchem
Ergebnis?
- Sollten keine
Maßnahmen gesetzt worden sein bzw. geplant sein: warum nicht?
- Welche
konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt bzw. wann plant
das BMI welche Maßnahmen zu setzen, um das Brandschutzniveau in
PAZ zu verbessern?
- Hat das BMI eine
Gesamtstrategie zur bundesweit einheitlichen Gestaltung des
vorbeugenden und abwehrenden Brandschutzes erarbeitet und entsprechende
Vorgaben erlassen?
i. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Wurden der
längerfristigen Polizeianhaltung dienenden Hafträume mit
geeigneten, automatischen Brandmeldesystemen ausgestattet?
- Was ist der
aktuelle Personalstand in PAZ? Bitte um Aufschlüsselung nach
PAZ.
- Entspricht dieser dem
vorgesehenen Soll-Stand?
i. Wenn nein, was wäre der Soll-Stand?
ii. Wenn nein, welche Maßnahmen wurden wann
gesetzt bzw. sind geplant, um den Personalstand auf den vorgesehenen Stand
zu bringen und Unterbesetzungen künftig zu vermeiden insb.
1. Im PAZ Hernalser Gürtel?
2. Im PAZ Roßauer Lände?
- Das BMI hat der LPD
Wien angewiesen einem etwaigen kurzfristigen Personalbedarf in den PAZ
durch die Bereitstellung von Personal aus anderen Organisationsbereichen
entgegenzuwirken. Hat das BMI den Personaleinsatz in den Wiener
PAZ und die Effektivität der personalorganisatorischen
Maßnahmen der LPD Wien bereits evaluiert?
i. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Aus welchen Gründen
erfolgt der Ausschluss von Schubhäftlingen vom offenen Vollzug
des PAZ?
- Weichen diese
Gründe von den mit dem NPM vereinbarten Gründe ab und wenn
ja, inwieweit?
- Wie
viele Schubhäftlingen wurden in den Jahren 2015-2022 bis zum
Zeitpunkt der Anfragebeantwortung vom offenen Vollzug ausgeschlossen?
Bitte um Angaben nach Gründen und PAZ.
i. Wie lange dürfen im geschlossenen Vollzug
angehaltene Personen pro Tag im Durchschnitt ihre Zelle verlassen?
ii. Wurde im Rahmen der COVID-19 Maßnahmen
häufiger auf den geschlossenen Vollzug zurückgegriffen?
iii. Gab bzw. gibt es generell zum geschlossenen
Vollzug in PAZ Weisungen oder Erlässe?
1. Wenn ja, (seit) wann und mit welchem
Wortlaut?
- In welchen
Abständen wird die Haftfähigkeit psychisch auffälliger
Personen inwiefern überprüft?
- Wie viele Fälle
von selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten wurden in den
Jahren 2015-2022 bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung
festgestellt?
i. In wie vielen dieser Fälle wurde
die angehaltene Person daraufhin aus der polizeilichen Anhaltung entlassen
und in die Psychiatrie gebracht?
- Welche
konkreten Maßnahmen wurden wann gesetzt bzw. wann plant das BMI
welche Maßnahmen zu setzen, um die Mängel in der Dokumentation
der Anhaltenden zu beheben, insb. um eine lückenlose und
fehlerfreie Dokumentation von Amtshandlungen zu ermöglichen?
- Wie erfolgt
die Dokumentation von Unterbringungen in besonders gesicherten
Zellen?
- Wird in allen PAZ die
aktuelle Version des "Anhalteprotokoll III – Polizeiamts-
ärztliches Gutachten" zur Dokumentation der
Haftfähigkeitsuntersuchung verwendet?
i. Bis wann, in welchen PAZ und in wie vielen
Fällen wurde die veraltete Version dieses Protokolls verwendet?