Eingelangt am 21.09.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen
und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Will die Regierung ein
funktionierendes europäisches Asylsystem?
EU-weit wurden 2021 rund 630 500
Asylanträge gestellt, darunter 535 000
Erstanträge. Gemessen an der Bevölkerung wurden im selben Jahr
die meisten Erstasylanträge in Zypern gestellt, gefolgt von
Österreich und Slowenien. In Österreich wurden rund 411
Asylanträge je 100 000 Einwohner_innen gestellt.
Im Vergleich dazu handeln andere
EU-Mitgliedsstaaten, z.B. die der Visegrád-Gruppe, sehr wenig
Asylanträge ab:
- Polen: 16 Asylanträge je 100 000
Einwohner_innen
- Tschechien: 0,9 Asylanträge je
100 000 Einwohner_innen
- Slowakei: 0,6 Asylanträge je 100
000 Einwohner_innen
- Ungarn: 0,4 Asylanträge je 100
000 Einwohner_innen
Anteilig an der jeweiligen
Gesamtbevölkerung haben Länder der Visegrád-Gruppe sehr wenig
Flüchtlinge aufgenommen (siehe Asylanträge in Europa I Europäische Kommission). Das liegt daran, dass die
Dublin-Verordnung ignoriert wird, viele Asylanträge oft gar nicht angenommen
werden und teilweise Asylgesetze den Anforderungen von geltendem EU-Recht
widersprechen. Obgleich eine hohe Anzahl an Asylanträgen allein nicht
reicht, um die Auslastung eines Asylsystems zu beurteilen - denn auch in
Österreich ist die Anzahl an Asylsuchenden, die in andere Länder
weiterziehen hoch: im ersten Halbjahr 2022 machten sonstige Entscheidungen,
also hauptsächlich Verfahrenseinstellungen, die oft eine Weiterreise
wiederspiegeln, 30% der Asylentscheidungen aus (siehe Asylstatistik,
BFA-Kennzahlen des 1. Und 2. Quartals I
Bundesministerium für Inneres) - werden in Österreich im Vergleich zu
anderen EU-Länder viele Asylverfahren abgehandelt.
Immer mehr Mitgliedstaaten der EU
versuchen jedoch, für Asylwerber_innen möglichst unattraktiv zu sein,
auch indem rechtsstaatliche Standards unterminiert werden. Dadurch sind nicht
nur die Rechte der Betroffenen gefährdet, sondern wird auch Chaos
verursacht, da Schutzsuchende sich auf eigene Faust verteilen. So ziehen viele
Asylwerber_innen in andere EU-Länder weiter, in denen die
Aufnahmebedingungen menschenrechtskonform sind und eine bessere Perspektive auf
ein faires Verfahren besteht (siehe „Flüchtlinge verteilen sich auf eigene Faust“
I Wiener Zeitung).
Aktuell bemüht sich Österreich
ebenso, sich als wenig attraktiv für Asylsuchende zu positionieren. ÖVP-Innenminister
Gerhard Karner lässt keine Gelegenheit mehr aus, um die vermeintliche
"Überlastung" des österreichischen Asylsystems in den
Vordergrund zu stellen - somit werden auch
faktenfreie Entscheidungen getroffen, welche sogar vom Koalitionspartner stark
kritisiert werden, wie etwa die Idee der Auslagerung von Asylverfahren in
Drittstaaten oder neuerdings die Schaltung einer Onlinekampagne zur
Abschreckung von Asylwerber_innen um 260.000
Euro. Derartige
Kampagnen sind für ÖVP-Politiker_innen nichts Neues: 2016 hat das Innenministerium eine ähnliche Kampagne mit
Schwerpunkt in Afghanistan lanciert, die im Internet, Fernsehen, in Zeitungen
und sogar auf Bussen mit Slogans wie "Österreichs Asylrecht nun noch
strenger" dagegen warb, sich auf den Weg nach Österreich zu machen -
klare Ergebnisse derartiger Kampagnen sind unklar, Migrationsexpert_innen
bezweifeln grundsätzlich, dass derartige Kampagnen auf Betroffene eine
abschreckende Wirkung haben, wenn bei ihnen entsprechende Fluchtgründe
vorliegen (siehe „Kampagne gegen illegale Migration:
Fragwürdige Abschreckung“ sowie
„Innenminister Karner will Asylprüfungen in Drittstaaten
auslagern“ I Der Standard)
Damit wird sowohl Energie als auch Zeit verschwendet,
welche in Bemühungen für ein funktionierendes europäisches
Asylsystem gesteckt werden könnten. Auf EU-Ebene braucht es im
Asylwesen eine koordinierte Vorgehensweise und gemeinsame Lösungen. Denn
das Vorgehen von Staaten, die sich ihrer Verantwortung entziehen, muss
gegenwärtig von anderen Mitgliedstaaten ausgeglichen werden – das
ist äußerst unsolidarisch und widerspricht dem europäischen
Gedanken. Österreich hätte ein hohes Interesse daran, anstatt an einem Wettlauf nach
unten teilzunehmen, sich für europäische Lösungen einzusetzen
– und somit zu Rechtsstaat und Ordnung beizutragen, sowie zur eigenen
Entlastung. So würde Österreich von einem Verteilungsschlüssel
für Schutzsuchende innerhalb der EU, der sich z.B. an der
Bevölkerungszahl und der Anzahl an in den jeweiligen Mitgliedsstaaten
lebenden Asylberechtigten orientiert, durchaus profitieren. Darüber hinaus
sieht Art 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen
Union den "Grundsatz der Solidarität und der gerechten
Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten" vor -
dieser gilt auch im Bereich Asyl.
Umso verwunderlicher ist es daher, dass
derartige Lösungsansätze auf EU-Ebene vonseiten der ÖVP stets
abgelehnt werden und - obgleich derartige Vorschläge bereits in
den eigenen Reihen verteidigt worden sind (siehe "Mikl-Leitner fordert Verteilungsquote
in der EU" I Der Standard) - das Innenministerium stur auf
seiner Abwehrhaltung verharrt. So trafen die EU-Innenminister im Juni 2022
zusammen, 18 EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen, Schweiz und
Liechtenstein einigten sich auf eine freiwillige Regelung zur
Verteilung von Flüchtlingen (siehe "EU-Innenminister wollen
Geflüchtete gerechter verteilen" I Deutsche Welle), doch Österreich,
gemeinsam mit u.a. Polen und Ungarn, lehnte ab (siehe "Voluntary Solidarity Mechanism"
I Council of the EU). Weitere Bemühungen zur Umsetzung des neuen EU Asyl- und Migrationspaktes und generell zur
verstärkten Kooperation auf EU-Ebene im Asylbereich sind vonseiten
Österreichs kaum wahrnehmbar.
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Welche Informationen haben Sie von wem wann
zum aktuellen Stand der Verhandlungen zum EU Asyl- und Migrationspakt
eingeholt?
- Welche der durch den EU Asyl- und
Migrationspakt bereits durchgesetzten Reformen hat das Bundesministerium
für Inneres bisher vollinhaltlich unterstützt?
- Welche der durch den EU Asyl- und
Migrationspakt noch vorgesehenen Reformen plant das Bundesministerium
für Inneres künftig vollinhaltlich zu unterstützen?
- Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der
Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten
unter den Mitgliedstaaten, zu dem sich Österreich bekannt hat: Wie
legitimiert das Bundesministerium für Inneres seine Abwehrhaltung
gegen jegliche Form der Solidarität - nämlich sogar
unverbindliche - im Asylbereich?
- Welche Gründe haben Sie, Herr
Innenminister, in den Verhandlungen bzw. Gesprächen gegenüber
Ihren Amtskolleg_innen im Juni hervorgehoben, um zu rechtfertigen, dass
Österreich sich nicht an der freiwilligen Regelung zu Verteilung von
Flüchtlingen beteiligt?
i. Aus welchen Gründen stellt eine derartige - unverbindliche -
Regelung nach Ansicht des Innenministeriums keine Form der
"flexiblen" Solidarität dar, sowie Ihr Ressort sie vertritt
(siehe 7629/AB zu 7761/J)?
- Aus welchen Gründen wird ein
Verteilungsschlüssel von Schutzsuchenden, der damals auch von der
ÖVP vertreten worden ist, nun strikt abgelehnt?
- Ist Ihnen bewusst, Herr Innenminister, dass
Österreich nach aktuellem Datenstand von einem Verteilungsschlüssel
profitieren würde?
- Wenn ja, wieso wird dieser weiterhin
abgelehnt?
- Wenn nein, ziehen Sie es in Erwägung,
Herr Innenminister, nun im Bewusstsein, dass Österreich nach
aktuellem Datenstand von einem Verteilungsschlüssel profitieren
würde, Ihre Position zu überdenken?
i. Wenn nein, warum nicht?
- Welche Positionen hat Ihr Ressort auf
europäischer Ebene bezüglich der Schaffung von einheitlichen
europäischen, menschenrechtskonformen (Aufnahme-)Standards
für Asylsuchende jeweils wann vertreten?
- Welche Bemühungen hat Ihr Ressort auf
europäischer Ebene zur Schaffung von einheitlichen,
europäischen, menschenrechtskonformen (Aufnahme-)Standards
für Asylsuchende jeweils wann eingeleitet?
- Mit welchem Ergebnis jeweils?
- Hat sich Ihr Ressort je dafür eingesetzt,
dass EU-Staaten, die im EU-Vergleich wenige Asylverfahren abhandeln
und wenig Flüchtlinge aufnehmen bzw. aufgenommen haben, einen
besseren Zugang zum Asylverfahren und bessere Aufnahmestandards für
Asylsuchende schaffen?
- Wenn ja, wann und in welchen Gesprächen
bzw. Gremien?
- Wenn ja, mit welchen Ergebnissen
jeweils?
- Wenn nein, warum nicht?
- Welche Positionen hat Ihr Ressort auf
europäischer Ebene bezüglich der Schaffung von legalen
Zugangswegen für Menschen auf der Flucht in die EU jeweils wann und
in welchen Gesprächen vertreten?
- Welche Bemühungen hat Ihr Ressort auf
europäischer Ebene jeweils wann eingeleitet, um legale
Zugangswegen für Menschen auf der Flucht in die EU zu schaffen?
- Mit welchem Ergebnis jeweils?
- Sollten keine Schritte in diese Richtung
eingeleitet worden sein: Ist Ihnen bewusst, Herr Innenminister, dass
die Schaffung von legalen Zugangswegen der Schlepperei ihre
Geschäftsgrundlage entziehen würde?
- Welche Bemühungen hat Ihr Ressort auf
europäischer Ebene jeweils wann eingeleitet, um die Einhaltung
der Menschenrechte Schutzsuchender an den EU-Außengrenzen
sicherzustellen (insb. das Folterverbot und das Recht, einen
Asylantrag zu stellen)?
- Mit welchen Ergebnissen
jeweils?
- Haben Sie bzw. Ihr Ressort sich auf
EU-Ebene wegen Verstoßes gegen das Folterverbot etc. durch
den Umgang mit Asylsuchenden für die Einleitung von
Vertragsverletzungsverfahren gegen EU-Mitgliedstaaten eingesetzt , etwa
- Kroatien - insbesondere angesichts dessen
bevorstehenden Beitritt zum Schengen-Raum?
i. Wenn ja wann inwiefern?
ii. Wenn nein, warum nicht?
iii. Wann gab es dazu Gespräch mit anderen Regierungsmitgliedern mit
welchem Ergebnis?
- Ungarn?
i. Wenn ja wann inwiefern?
ii. Wenn nein, warum nicht?
iii. Wann gab es dazu Gespräch mit anderen Regierungsmitgliedern mit
welchem Ergebnis?
- Polen?
i. Wenn ja wann inwiefern?
ii. Wenn nein, warum nicht?
iii. Wann gab es dazu Gespräch mit anderen Regierungsmitgliedern mit
welchem Ergebnis?
- Ungarn droht aktuell eine erhebliche
Kürzung von EU-Mitteln u.a. aufgrund von Verstößen
gegen den Rechtsstaat (siehe "Ungarn droht Kürzung von
EU-Mitteln in Milliardenhöhe" I Süddeutsche Zeitung).
Einer EU-Mittel Kürzung müssten mindestens 15 EU-Staaten
zustimmen. Werden Sie bzw. Ihr Ressort sich dafür einsetzen?
- In Ungarn ist es für Menschen auf der
Flucht fast unmöglich, einen Asylantrag zu stellen und Ungarn
wurde wegen seines Umgangs mit Asylwerber_innen mehrmals vom EGMR und
vom EuGH verurteilt. Im Jahr 2021 wurden mehr als 71.000
Pushbacks an der ungarisch-serbischen Grenze verzeichnet (siehe Länderbericht
Ungarn I Amnesty International). Somit
verletzt Ungarn regelmäßig europäisches und
internationales Recht und verhält sich zugleich Österreich
gegenüber unsolidarisch. Wann haben Sie welche ungarischen
Vertreter_innen getroffen?
- Bei welchen Treffen war dieser Sachverhalt
von Ihrer Seite inwiefern Thema?
- Haben Sie oder MitarbeiterInnen Ihres
Ressorts sich gegenüber Vertreter_innen Ungarns für die
Einhaltung menschenrechtlicher Standards im Umgang mit asylsuchenden
Menschen eingesetzt?
- Wenn ja, wann und wem gegenüber?
- Wenn ja, mit welchen Ergebnissen
jeweils?
- Wenn nein, warum nicht?
i. Aus welchen Gründen schickt Ihr Ressort Exekutivbeamt_innen in ein
Land, dass wiederholt schwere Menschenrechtsverletzung begeht, sich nicht an
der Aufnahme von Schutzsuchenden beteiligt und keinen Beitrag zu einen
funktionierenden europäischen Asylsystem leistet?
- Der EGMR
erließ im Juni 2022 eine einstweilige Maßnahme zur
Verhinderung der Abschiebung eines Schutzsuchenden nach Ruanda
und bestätigte daher die Rechtswidrigkeit eines solchen Vorgehens,
insbesondere da laut EGMR in Ruanda
Asylwerber_innen keinen Zugang zu fairen und effizienten Asylverfahren
haben und, dass Ruanda nicht als sicherer Drittstaat zu werten ist (siehe K.N.
v. the United Kingdom I EGMR). Trotzdem
vertreten Sie, Herr Innenminister, auf nationaler Ebene
regelmäßig die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten
nach diesem Modell: Haben Sie bzw. Ihr Ressort sich auf EU-Ebene je für die Auslagerung von
Asylverfahren in Drittstaaten eingesetzt?
- Wenn ja, wann und
in welchen Gesprächen bzw. Gremien?
- Wenn ja, mit welchen
Ergebnissen jeweils?
- Haben Sie bzw. Ihr Ressorts sich in
Gesprächen bzw. Verhandlungen mit Drittstaaten je
für die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten
eingesetzt?
- Wenn ja, wann und
in welchen Gesprächen und mit welchen Staaten jeweils?
- Wenn ja, mit welchen
Ergebnissen jeweils?
- In der Beantwortung zur
NEOS-Anfrage 11530/AB zu 11823/J haben Sie, Herr Innenminister, angegeben,
dass die "Migrationspartnerschaft zwischen dem Vereinigten
Königreich und Ruanda von den zuständigen Rechts- und
Fachexperten derzeit näher unter rechtlichen (unter Einbeziehung der
grund-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben) und
migrationspolitischen Gesichtspunkten geprüft und evaluiert"
wird. Welche Rechts- und Fachexperten sind für die Evaluierung bzw.
Prüfung zuständig?
- Zu welchem Ergebnis führte die
Evaluierung bzw. die Prüfung wann?
- Aus welchen Gründen wurde eine
rechtliche Prüfung dazu eingeleitet, obwohl das Abkommen rechtlich
bereits vom UNHCR geprüft und als rechtswidrig befunden worden
ist (siehe Abs 25 "Legal Analysis UK-Ruanda Deal" I
UNHCR)?
- Wie steht es um die Prüfung?