12197/J XXVII. GP

Eingelangt am 21.09.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Will die Regierung ein funktionierendes europäisches Asylsystem?

 

EU-weit wurden 2021 rund 630 500 Asylanträge gestellt, darunter 535 000 Erstanträge. Gemessen an der Bevölkerung wurden im selben Jahr die meisten Erstasylanträge in Zypern gestellt, gefolgt von Österreich und Slowenien. In Österreich wurden rund 411 Asylanträge je 100 000 Einwohner_innen gestellt.

Im Vergleich dazu handeln andere EU-Mitgliedsstaaten, z.B. die der Visegrád-Gruppe, sehr wenig Asylanträge ab:

Anteilig an der jeweiligen Gesamtbevölkerung haben Länder der Visegrád-Gruppe sehr wenig Flüchtlinge aufgenommen (siehe Asylanträge in EuropaEuropäische Kommission). Das liegt daran, dass die Dublin-Verordnung ignoriert wird, viele Asylanträge oft gar nicht angenommen werden und teilweise Asylgesetze den Anforderungen von geltendem EU-Recht widersprechen. Obgleich eine hohe Anzahl an Asylanträgen allein nicht reicht, um die Auslastung eines Asylsystems zu beurteilen - denn auch in Österreich ist die Anzahl an Asylsuchenden, die in andere Länder weiterziehen hoch: im ersten Halbjahr 2022 machten sonstige Entscheidungen, also hauptsächlich Verfahrenseinstellungen, die oft eine Weiterreise wiederspiegeln, 30% der Asylentscheidungen aus (siehe Asylstatistik, BFA-Kennzahlen des 1. Und 2. Quartals I Bundesministerium für Inneres) - werden in Österreich im Vergleich zu anderen EU-Länder viele Asylverfahren abgehandelt.  

Immer mehr Mitgliedstaaten der EU versuchen jedoch, für Asylwerber_innen möglichst unattraktiv zu sein, auch indem rechtsstaatliche Standards unterminiert werden. Dadurch sind nicht nur die Rechte der Betroffenen gefährdet, sondern wird auch Chaos verursacht, da Schutzsuchende sich auf eigene Faust verteilen. So ziehen viele Asylwerber_innen in andere EU-Länder weiter, in denen die Aufnahmebedingungen menschenrechtskonform sind und eine bessere Perspektive auf ein faires Verfahren besteht (siehe Flüchtlinge verteilen sich auf eigene FaustI Wiener Zeitung). 

Aktuell bemüht sich Österreich ebenso, sich als wenig attraktiv für Asylsuchende zu positionieren. ÖVP-Innenminister Gerhard Karner lässt keine Gelegenheit mehr aus, um die vermeintliche "Überlastung" des österreichischen Asylsystems in den Vordergrund zu stellen - somit werden auch faktenfreie Entscheidungen getroffen, welche sogar vom Koalitionspartner stark kritisiert werden, wie etwa die Idee der Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten oder neuerdings die Schaltung einer Onlinekampagne zur Abschreckung von Asylwerber_innen um 260.000 EuroDerartige Kampagnen sind für ÖVP-Politiker_innen nichts Neues: 2016 hat das Innenministerium eine ähnliche Kampagne mit Schwerpunkt in Afghanistan lanciert, die im Internet, Fernsehen, in Zeitungen und sogar auf Bussen mit Slogans wie "Österreichs Asylrecht nun noch strenger" dagegen warb, sich auf den Weg nach Österreich zu machen - klare Ergebnisse derartiger Kampagnen sind unklar, Migrationsexpert_innen bezweifeln grundsätzlich, dass derartige Kampagnen auf Betroffene eine abschreckende Wirkung haben, wenn bei ihnen entsprechende Fluchtgründe vorliegen (siehe „Kampagne gegen illegale Migration: Fragwürdige Abschreckung“ sowie „Innenminister Karner will Asylprüfungen in Drittstaaten auslagern“ I Der Standard)

Damit wird sowohl Energie als auch Zeit verschwendet, welche in Bemühungen für ein funktionierendes europäisches Asylsystem gesteckt werden könnten. Auf EU-Ebene braucht es im Asylwesen eine koordinierte Vorgehensweise und gemeinsame Lösungen. Denn das Vorgehen von Staaten, die sich ihrer Verantwortung entziehen, muss gegenwärtig von anderen Mitgliedstaaten ausgeglichen werden – das ist äußerst unsolidarisch und widerspricht dem europäischen Gedanken. Österreich hätte ein hohes Interesse daran, anstatt an einem Wettlauf nach unten teilzunehmen, sich für europäische Lösungen einzusetzen – und somit zu Rechtsstaat und Ordnung beizutragen, sowie zur eigenen Entlastung. So würde Österreich von einem Verteilungsschlüssel für Schutzsuchende innerhalb der EU, der sich z.B. an der Bevölkerungszahl und der Anzahl an in den jeweiligen Mitgliedsstaaten lebenden Asylberechtigten orientiert, durchaus profitieren. Darüber hinaus sieht Art 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den "Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten" vor - dieser gilt auch im Bereich Asyl. 

Umso verwunderlicher ist es daher, dass derartige Lösungsansätze auf EU-Ebene vonseiten der ÖVP stets abgelehnt werden und - obgleich derartige Vorschläge bereits in den eigenen Reihen verteidigt worden sind (siehe "Mikl-Leitner fordert Verteilungsquote in der EU" I Der Standard) - das Innenministerium stur auf seiner Abwehrhaltung verharrt. So trafen die EU-Innenminister im Juni 2022 zusammen, 18 EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen, Schweiz und Liechtenstein einigten sich auf eine freiwillige Regelung zur Verteilung von Flüchtlingen (siehe "EU-Innenminister wollen Geflüchtete gerechter verteilen" I Deutsche Welle), doch Österreich, gemeinsam mit u.a. Polen und Ungarn, lehnte ab (siehe "Voluntary Solidarity Mechanism" I Council of the EU). Weitere Bemühungen zur Umsetzung des neuen EU Asyl- und Migrationspaktes und generell zur verstärkten Kooperation auf EU-Ebene im Asylbereich sind vonseiten Österreichs kaum wahrnehmbar. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Welche Informationen haben Sie von wem wann zum aktuellen Stand der Verhandlungen zum EU Asyl- und Migrationspakt eingeholt?
  2. Welche der durch den EU Asyl- und Migrationspakt bereits durchgesetzten Reformen hat das Bundesministerium für Inneres bisher vollinhaltlich unterstützt? 
  3. Welche der durch den EU Asyl- und Migrationspakt noch vorgesehenen Reformen plant das Bundesministerium für Inneres künftig vollinhaltlich zu unterstützen? 
  4. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, zu dem sich Österreich bekannt hat: Wie legitimiert das Bundesministerium für Inneres seine Abwehrhaltung gegen jegliche Form der Solidarität - nämlich sogar unverbindliche - im Asylbereich?
    1. Welche Gründe haben Sie, Herr Innenminister, in den Verhandlungen bzw. Gesprächen gegenüber Ihren Amtskolleg_innen im Juni hervorgehoben, um zu rechtfertigen, dass Österreich sich nicht an der freiwilligen Regelung zu Verteilung von Flüchtlingen beteiligt?

                                          i.    Aus welchen Gründen stellt eine derartige - unverbindliche - Regelung nach Ansicht des Innenministeriums keine Form der "flexiblen" Solidarität dar, sowie Ihr Ressort sie vertritt (siehe 7629/AB zu 7761/J)?

  1. Aus welchen Gründen wird ein Verteilungsschlüssel von Schutzsuchenden, der damals auch von der ÖVP vertreten worden ist, nun strikt abgelehnt?
  2. Ist Ihnen bewusst, Herr Innenminister, dass Österreich nach aktuellem Datenstand von einem Verteilungsschlüssel profitieren würde? 
    1. Wenn ja, wieso wird dieser weiterhin abgelehnt? 
    2. Wenn nein, ziehen Sie es in Erwägung, Herr Innenminister, nun im Bewusstsein, dass Österreich nach aktuellem Datenstand von einem Verteilungsschlüssel profitieren würde, Ihre Position zu überdenken?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?  

  1. Welche Positionen hat Ihr Ressort auf europäischer Ebene bezüglich der Schaffung von einheitlichen europäischen, menschenrechtskonformen (Aufnahme-)Standards für Asylsuchende jeweils wann vertreten? 
  2. Welche Bemühungen hat Ihr Ressort auf europäischer Ebene zur Schaffung von einheitlichen, europäischen, menschenrechtskonformen (Aufnahme-)Standards für Asylsuchende jeweils wann eingeleitet?
    1. Mit welchem Ergebnis jeweils? 
  1. Hat sich Ihr Ressort je dafür eingesetzt, dass EU-Staaten, die im EU-Vergleich wenige Asylverfahren abhandeln und wenig Flüchtlinge aufnehmen bzw. aufgenommen haben, einen besseren Zugang zum Asylverfahren und bessere Aufnahmestandards für Asylsuchende schaffen? 
    1. Wenn ja, wann und in welchen Gesprächen bzw. Gremien? 
    2. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen jeweils? 
    3. Wenn nein, warum nicht?  
  1. Welche Positionen hat Ihr Ressort auf europäischer Ebene bezüglich der Schaffung von legalen Zugangswegen für Menschen auf der Flucht in die EU jeweils wann und in welchen Gesprächen vertreten? 
  2. Welche Bemühungen hat Ihr Ressort auf europäischer Ebene jeweils wann eingeleitet, um legale Zugangswegen für Menschen auf der Flucht in die EU zu schaffen?
    1. Mit welchem Ergebnis jeweils? 
    2. Sollten keine Schritte in diese Richtung eingeleitet worden sein: Ist Ihnen bewusst, Herr Innenminister, dass die Schaffung von legalen Zugangswegen der Schlepperei ihre Geschäftsgrundlage entziehen würde? 
  1. Welche Bemühungen hat Ihr Ressort auf europäischer Ebene jeweils wann eingeleitet, um die Einhaltung der Menschenrechte Schutzsuchender an den EU-Außengrenzen sicherzustellen (insb. das Folterverbot und das Recht, einen Asylantrag zu stellen)? 
    1. Mit welchen Ergebnissen jeweils?  
  1. Haben Sie bzw. Ihr Ressort sich auf EU-Ebene wegen Verstoßes gegen das Folterverbot etc. durch den Umgang mit Asylsuchenden für die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen EU-Mitgliedstaaten eingesetzt , etwa
    1. Kroatien - insbesondere angesichts dessen bevorstehenden Beitritt zum Schengen-Raum?

                                          i.    Wenn ja wann inwiefern?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

                                       iii.    Wann gab es dazu Gespräch mit anderen Regierungsmitgliedern mit welchem Ergebnis?

    1. Ungarn?  

                                          i.    Wenn ja wann inwiefern?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

                                       iii.    Wann gab es dazu Gespräch mit anderen Regierungsmitgliedern mit welchem Ergebnis?

    1. Polen? 

                                          i.    Wenn ja wann inwiefern?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

                                       iii.    Wann gab es dazu Gespräch mit anderen Regierungsmitgliedern mit welchem Ergebnis?

  1. Ungarn droht aktuell eine erhebliche Kürzung von EU-Mitteln u.a. aufgrund von Verstößen gegen den Rechtsstaat (siehe "Ungarn droht Kürzung von EU-Mitteln in Milliardenhöhe" I Süddeutsche Zeitung). Einer EU-Mittel Kürzung müssten mindestens 15 EU-Staaten zustimmen. Werden Sie bzw. Ihr Ressort sich dafür einsetzen? 
  2. In Ungarn ist es für Menschen auf der Flucht fast unmöglich, einen Asylantrag zu stellen und Ungarn wurde wegen seines Umgangs mit Asylwerber_innen mehrmals vom EGMR und vom EuGH verurteilt. Im Jahr 2021 wurden mehr als 71.000 Pushbacks an der ungarisch-serbischen Grenze verzeichnet (siehe Länderbericht Ungarn I Amnesty International). Somit verletzt Ungarn regelmäßig europäisches und internationales Recht und verhält sich zugleich Österreich gegenüber unsolidarisch. Wann haben Sie welche ungarischen Vertreter_innen getroffen?
    1. Bei welchen Treffen war dieser Sachverhalt von Ihrer Seite inwiefern Thema?
  1. Haben Sie oder MitarbeiterInnen Ihres Ressorts sich gegenüber Vertreter_innen Ungarns für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards im Umgang mit asylsuchenden Menschen eingesetzt? 
    1. Wenn ja, wann und wem gegenüber? 
    2. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen jeweils? 
    3. Wenn nein, warum nicht? 

                                          i.    Aus welchen Gründen schickt Ihr Ressort Exekutivbeamt_innen in ein Land, dass wiederholt schwere Menschenrechtsverletzung begeht, sich nicht an der Aufnahme von Schutzsuchenden beteiligt und keinen Beitrag zu einen funktionierenden europäischen Asylsystem leistet? 

  1. Der EGMR erließ im Juni 2022 eine einstweilige Maßnahme zur Verhinderung der Abschiebung eines Schutzsuchenden nach Ruanda und bestätigte daher die Rechtswidrigkeit eines solchen Vorgehens, insbesondere da laut EGMR in Ruanda Asylwerber_innen keinen Zugang zu fairen und effizienten Asylverfahren haben und, dass Ruanda nicht als sicherer Drittstaat zu werten ist (siehe K.N. v. the United Kingdom I EGMR). Trotzdem vertreten Sie, Herr Innenminister, auf nationaler Ebene regelmäßig die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten nach diesem Modell: Haben Sie bzw. Ihr Ressort sich auf EU-Ebene je für die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten eingesetzt?  
    1. Wenn ja, wann und in welchen Gesprächen bzw. Gremien?
    2. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen jeweils?  
  1. Haben Sie bzw. Ihr Ressorts sich in Gesprächen bzw. Verhandlungen mit Drittstaaten je für die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten eingesetzt?
    1. Wenn ja, wann und in welchen Gesprächen und mit welchen Staaten jeweils?
    2. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen jeweils?  
  1. In der Beantwortung zur NEOS-Anfrage 11530/AB zu 11823/J haben Sie, Herr Innenminister, angegeben, dass die "Migrationspartnerschaft zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda von den zuständigen Rechts- und Fachexperten derzeit näher unter rechtlichen (unter Einbeziehung der grund-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben) und migrationspolitischen Gesichtspunkten geprüft und evaluiert" wird. Welche Rechts- und Fachexperten sind für die Evaluierung bzw. Prüfung zuständig? 
    1. Zu welchem Ergebnis führte die Evaluierung bzw. die Prüfung wann? 
    2. Aus welchen Gründen wurde eine rechtliche Prüfung dazu eingeleitet, obwohl das Abkommen rechtlich bereits vom UNHCR geprüft und als rechtswidrig befunden worden ist (siehe Abs 25 "Legal Analysis UK-Ruanda Deal" I UNHCR)?  
    3. Wie steht es um die Prüfung?