12430/J XXVII. GP

Eingelangt am 27.09.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Katharina Kucharowits, Petra Tanzler, Mag.a Verena Nussbaum

Genossinnen und Genossen

an die Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

betreffend Recht auf Bildung für ALLE

Ein umfassendes und allgemeines Grundrecht auf (schulische) Bildung und Lernen für ALLE Kinder und Jugendlichen gibt es in Österreich nicht. Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischen Förderbedarf steht zwar der Schulbesuch während der Pflichtschuljahre zu, darüber hinaus herrscht jedoch das Prinzip der „Freiwilligkeit“: Eltern, Erziehungsberechtigte oder Obsorgepersonen von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischen Förderbedarf müssen – nach Ende der Pflichtschulzeit – jedes weitere Schuljahr mühsam beantragen und dann hoffen, dass dem Antrag stattgegeben wird. Einen rechtlichen Anspruch darauf gibt es nicht.

Dabei hat Österreich 2008 das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) unterzeichnet und sich damit zu einer Reihe von Verpflichtungen bekannt. Zum Recht auf Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen, somit auch in der Bildung (Art 24 UN BRK) zum Beispiel. Darunter insbesondere das Recht auf lebenslanges Lernen und ein „inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen“, von elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen bis hin zu Einrichtungen der tertiären Bildung (Art 24 Abs 1 UN-BRK). Oder das Recht von Kindern, eine „weiterführende Schule“ (Art 24 Abs 2 UN-BRK) bzw. eine tertiäre Bildungseinrichtung zu besuchen (Art 24 Abs 5 UN-BRK).  

Der zweite und dritte Staatenbericht Österreichs zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2019 bleibt im Bereich Bildung vage, lediglich die inklusiven Modellregionen finden kurz Erwähnung. Zurück bleiben viele offene Fragen darüber, wie inklusiv Österreichs Bildungssystem wirklich ist.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende 

ANFRAGE 

1.       Welche Maßnahmen werden vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung konkret getroffen, um die Zusagen im Bildungsbereich im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen? Bitte um detaillierte Auflistung!

2.       In der Beantwortung des zweiten und dritten Staatenberichts Österreichs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird auf sogenannte inklusive Modellregionen in allen Bundesländern verwiesen.

a.       Wie weit ist die Umsetzung der inklusiven Modellregionen? Wie viele gibt es bereits in Österreich (aufgeschlüsselt nach Bundesländern)?

b.       Welche Regionen in welchen Bundesländern wurden wann zu inklusiven Modellregionen? Warum wurden genau diese Regionen als Modellregionen gewählt?

c.       Gibt es Pläne, diese inklusiven Modellregionen auf alle Regionen und damit ganz Österreich auszuweiten bzw. auszubauen? Falls ja, wie sehen diese Pläne konkret aus? Wie gestalten sich diese inklusiven Modellregionen in der Praxis konkret aus?

d.       Gab/Gibt es für die Umsetzung dieser inklusiven Modellregionen zusätzliche finanzielle Mittel?

i.       Falls ja, in welcher Höhe gab/gibt es für die inklusiven Modellregionen zusätzliche finanzielle Mittel?

ii.     Falls nein, warum nicht?

e.       Wird es eine Evaluierung zu diesen inklusiven Modellregionen geben?

i.       Falls ja, wann werden die inklusiven Modellregionen evaluiert werden? Werden die Ergebnisse der Evaluierung öffentlich zugänglich sein?

ii.     Falls nein, warum wird es keine Evaluierung geben?

3.       Welche Maßnahmen werden vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung konkret getroffen, um das österreichische Bildungssystem inklusiver zu gestalten? Bitte um detaillierte Auflistung.

4.       Wie viele inklusive Bildungseinrichtungen gibt es zum Zeitpunkt der Beantwortung dieser Anfrage österreichweit? Bitte um Auflistung nach Einrichtungstyp (Kindergarten, Krabbelstube, Volksschule, (neue) Mittelschule, AHS, BMHS, Berufsschulen, polytechnische Schulen, Universitäten, (Fach) Hochschulen, Kollegs usw.) sowie nach Bundesland.

5.       Wie viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (in Folge SPF) besuchen eine elementarpädagogische (Bildungs-) Einrichtung (Kindergarten, Krabbelstube etc.) in Österreich? Bitte um detaillierte Auflistung der Zahlen nach Bundesland und Art der Einrichtung für das Jahr 2011/2012 sowie für 2021/2022.

6.       Wie viele Schüler*innen mit SPF sind an Österreichs Regel-Pflichtschulen? Bitte um detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen nach Bundesland und Schultyp [Volksschule, (Neue) Mittelschule, AHS, BMS, Sonderschulen, polytechnische Schulen etc.] für das Schuljahr 2011/2012 sowie das Schuljahr 2021/2022.

7.       Im Schuljahr 2020/21 wurde im Österreich-Schnitt bei 5,1 Prozent der Pflichtschüler*innen (Volks-, Mittel-, Sonder- und Polytechnische Schule) ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt, das sind knapp 30.000 Kinder. Dabei ist der Anteil an Kindern mit SPF (gemessen an der Gesamtschüler*innenzahl) je Bundesland höchst unterschiedlich (z.B. 7,2% in Vorarlberg, 3,4 % in Tirol). Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?

8.       Wie viele Schüler*innen mit SPF besuchen eine weiterführende Regel-Schule, über das schulpflichtige Alter hinaus? Bitte wieder um detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen nach Bundesland und Schultyp (AHS, BHS, Kollegs etc.) für das Schuljahr 2011/2012 und das Schuljahr 2021/2022.

9.       Wie viele Studierende mit SPF gibt es an den tertiären Bildungseinrichtungen Österreichs? Bitte wieder um detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen nach Bundesland und Typ der Bildungseinrichtung für das Jahr 2011/2012 und das Jahr 2021/2022.

10.   Wie viele Jugendliche mit SPF absolvierten a) im Jahr 2011 bzw. b) im Jahr 2021 eine Lehrausbildung? Bitte um Aufschlüsselung nach Lehrjahr und Bundesland (Bsp. Im Jahr 2011 absolvierten XY Jugendliche mit SPF eine Lehrausbildung im ersten Lehrjahr, … im zweiten Lehrjahr usw.)

a.       Gibt es finanzielle Förderungen oder sozialpädagogische Unterstützung für Jugendliche mit SPF , die eine Lehrausbildung absolvieren?

i.       Falls ja, welche finanziellen Förderungen oder sozialpädagogische Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?

ii.     Falls nein, warum gibt es keine finanziellen Förderungen bzw. sozialpädagogische Unterstützung in diesem Bereich?

11.   Wie viele Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen etc., die speziell mit Kindern, Schüler*innen und Studierenden mit SPF arbeiten, gibt es an Österreichs Bildungseinrichtungen? Bitte um detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen nach Bundesland sowie nach genauer Art der Bildungseinrichtung (Kindergarten, Krabbelstube, Volksschule, (neue) Mittelschule, AHS, BMHS, Berufsschulen, polytechnische Schulen, Universitäten, (Fach) Hochschulen, Kollegs usw.)für das Schul-/Studienjahr 2011/2012 sowie für 2021/2022.

a.       Wie viele Stellen sind in diesem Bereich zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung 1) unbesetzt und 2) ausgeschrieben?

b.       Gibt es Initiativen oder Programme, die Attraktivität dieser vakanten Stellen bzw. der verschiedenen Berufsbilder in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit inklusivem Förderbedarf zu erhöhen? Welche Initiativen und Programme sind das? 

12.   Welche Schulmaterialen, die spezifisch auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit SPF abgestimmt sind, stehen den Lehrenden, Pädagog*innen etc. zur Verfügung? Bitte um detaillierte Darstellung!

13.   An wie vielen Regel-Bildungseinrichtungen werden die Braille-Sprache, die Gebärdensprache oder eine andere Form der inklusiven Kommunikation aktiv im Lehr- und Unterrichtsbetrieb angewendet? Bitte um detaillierte Auflistung, wenn möglich nach Typ der Bildungseinrichtung und Bundesland.

14.   Wie viele Schüler*innen mit SPF stellen nach Abschluss der regulären Schulpflicht einen Antrag auf eine freiwillige weitere schulische Bildung? Bitte um detaillierte Aufschlüsselung der Anträge nach Bundesland und Schultyp und um Aufschlüsslung für die Schuljahre 2017/2018 2018/2019, 2019/2020, 2020/2021 sowie 2021/2022.

a.       Wie viele dieser gestellten Anträge wurden genehmigt bzw. wie viele der Anträge wurden abgelehnt? Bitte jeweils um Aufschlüsslung nach Bundesland und Schultyp, für die Schuljahre 2017/2018, 2018/2019, 2019/2020, 2020/2021 sowie 2021/2022.

i.       Aus welchen Gründen werden Anträge auf eine freiwillige weitere schulische Bildung von Schüler*innen mit SPF abgelehnt?

ii.     Weshalb gibt es – obwohl in der UN-Behindertenrechtskonvention unter § 24 dezidiert geregelt – für Kinder und Jugendliche mit inklusivem Förderbedarf keinen rechtlichen Anspruch auf weitere Bildung nach dem 9. Schuljahr?

b.       Welche Maßnahmen werden gesetzt, um mehr Schüler*innen mit SPF ihr Grundrecht auf Bildung über das 9. Schuljahr hinaus zu ermöglichen?

c.       Welche Maßnahmen werden gesetzt, um mehr Jugendlichen mit SPF ihr Grundrecht auf Bildung auch in Form von tertiärer Bildung zu ermöglichen?

d.       Gibt es alternative Angebote, z.B. Anspruch auf einen Platz in anderen Bildungseinrichtungen oder Tagestrukturen usw., für Schüler*innen mit SPF, deren Anträge auf eine freiwillige weitere schulische Bildung abgelehnt werden?

i.       Falls ja, wie sehen diese Angebote konkret aus? Und haben Schuler*innen mit SPF einen rechtlichen Anspruch auf alternative Angebote?

ii.     Falls ja, erhalten Erziehungsberechtige/Obsorgepersonen von Kindern und Jugendlichen mit SPF Unterstützung/Beratung betreffend dieser alternativen Angebote? Wie gestaltet sich diese Unterstützung/Beratung konkret aus?

iii.   Falls nein, warum gibt es keinen rechtlichen Anspruch auf alternative Angebote für Schüler*innen mit SPF?

15.   Wie viel Gesamtbudget (Budget für Schulplatz, Personal etc.) steht für Kinder und Schüler*innen mit SPF in elementarpädagogischen Einrichtungen bzw. Pflichtschulen zur Verfügung? Bitte um detaillierte Auflistung nach Bundesland, Schultyp und Art der Budgetverwendung (Personal, Materialen etc.) für das Schuljahr 2011/2012 sowie für das Schuljahr 2021/2022?

16.   Wie viel Gesamtbudget (Budget für Schul-/Studienplatz, Personal etc.) steht für Schüler*innen und Studierende mit SPF zur freiwilligen weiteren (schulischen) Bildung über die Pflichtschulzeit (ab 10. Schulstufe) hinaus zur Verfügung? Bitte um detaillierte Auflistung nach Bundesland, Schultyp/Typ der tertiären Bildungseinrichtung und Art der Budgetverwendung (Personal, Materialen etc.) für das Jahr 2011/2012 sowie für das Jahr 2021/2022?

17.   Die Unterstützung des Bundes für Kinder mit SPF ist bei 2,7% gedeckelt. Kein österreichisches Bundesland bleibt unter dieser Grenze, dazu kommt, dass die Zahl der Kinder mit attestiertem SPF jährlich steigt. Der Bedarf nach höheren Förderbeträgen ist somit offensichtlich. Ist aufgrund dessen eine Erhöhung der Förderanteile vorgesehen?

a.       Falls ja, in welcher Höhe?

b.       Falls nein, warum nicht?

18.   Wie hoch ist die zusätzliche Unterstützung, welche vom Bund pro Kind mit SPF zur Verfügung gestellt wird, wenn von einem Anteil an 2,7% der Kinder mit SPF auszugehen ist? Wie viele Förderstunden werden in diesem Szenario pro Kind mit SPF vergeben?

19.   Ist die Annahme richtig, dass aufgrund einer höheren tatsächlichen Anzahl an Kindern mit SPF in den einzelnen Bundesländern, auch nur unterschiedliche Unterstützungsleistungen angeboten werden können, da sich der Unterstützungsbetrag und die Förderstunden pro Kind mit SPF stark reduzieren?

a.       Falls ja, wie ist dies zu rechtfertigen?

b.       Falls nein, wie wirkt sich die in der Realität anteilig höhere Anzahl der Kinder mit SPF stattdessen aus?