12451/J XXVII. GP
Eingelangt am 03.10.2022
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ANFRAGE
der Abgeordneten Eva Blimlinger, David Stögmüller, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Landesverteidigung
betreffend Teilnahme von Bundesheer-Offizieren bei der Kundgebung der Gruppierung „Soldaten für Neutralität“ am 21. September in Wien
Die Tageszeitung Der Standard berichtete am 19. September 2022 von einer angemeldeten Kundgebung der Gruppierung „Soldaten für Neutralität“, die am 21. September in Wien stattfand.[1] Laut Informationen auf der Website steht die Gruppe „für die Neutralität Österreichs,“ gegen Sanktionen gegen Russland und gegen die Kooperation der österreichischen Nachrichtendienste mit jenen der Vereinigten Staaten.
Laut Informationen sollen neben mehreren ehemals aktiven Soldaten – darunter ein General und ein Oberst im Ruhestand – auch mindestens zwei aktive Offiziere des österreichischen Bundesheers die Kundgebung mitorganisiert haben. Beide, Brigadier Johann Gaiswinkler und Oberst Hermann Mitterer, haben bei der Kundgebung am Mittwoch auch Reden abgehalten.[2] Beide sind dem Verteidigungsministerium im Zusammenhang mit rechtsextremen Aktivitäten bekannt:
Bgdr Gaiswinkler, ehemals Kommandant der 6. Gebirgsbrigade und bis 2009 im Generalstab tätig,[3] positioniert sich offen gegen das Corona-Management der Bundesregierung, tritt regelmäßig medial und bei Kundgebungen von Corona-Maßnahmenkritikern auf. Sein Kommando der Gebirgsjäger endete im Februar 2021, nachdem Gaiswinkler in einem Video in einem T-Shirt mit Neonazi-Spruch zu sehen war. Infolge dieses Vorfalls wurde Gaiswinkler suspendiert und ein Disziplinarverfahren eingeleitet, die Ministerin begründete das damals mit Gaiswinklers offenkundigem „Anstreifen an nationalsozialistischem Gedankengut“.[4] Wie die Tiroler Tageszeitung jedoch berichtete wurde dieses Disziplinarverfahren beendet und Gaiswinkler nur versetzt, und zwar nach Osttirol, wo er nun „für strategische Planungen zuständig“ ist.[5] Auf der Website der „Soldaten für Neutralität“ wird Gaiswinkler offiziell als Sprecher der Bewegung angeführt.[6]
Oberst Mitterers Person bekam 2019 öffentliche Aufmerksamkeit, nachdem der Standard über „Verschwörungstheoretiker im Heeresnachrichtenamt“ berichtete.[7] Mitterer war damals schon beim Heeres-Nachrichtenamt (HNaA), sein im Dezember 2018 erschienenes Buch „Bevölkerungsaustausch in Europa: Wie eine globale Elite die Massenmigration nutzt, um die einheimische Bevölkerung zu ersetzen“ wurde laut Bundesheer-Pressesprecher Bauer damals „überprüft und nicht beanstandet.“[8] Nicht bekannt ist, ob Mitterers neuestes Buch, erschienen im November letzten Jahres unter dem Titel „Mit einer Scheinpandemie in die Knechtschaft,“ dieselbe Beurteilung bekam,[9] und ob seine vielen Auftritte bei Kundgebungen von Corona-Leugnern in den letzten zwei Jahren auch nicht die Dienstvorschriften des HNaA überschritten. Laut aktuellen Informationen ist Mitterer mit Stand heute noch immer beim Heeres-Nachrichtenamt angestellt.
Beide Offiziere waren auch in der laut Bundesheer behördlich bekannten Telegram-Gruppe „Beamte für Aufklärung“ aktiv, und beide gelten als gemeinsame Verfasser des Ende 2021 veröffentlichten „offenen Briefes,“ der die identitäre Bewegung als „patriotische Jugendliche“ bezeichnete, die Impfung mit Vergewaltigung gleichsetzte und relativ unzweideutig die Stigmatisierung von Impfverweigerern mit der Verfolgung von Juden in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts verglich. Erneut hieß es, dass „der Brief schon bei der Abteilung Disziplinar- und Beschwerdewesen [liegt]. Dort werden weitere Maßnahmen und Vorgehensweisen geprüft."[10] Nichtsdestotrotz scheint der Brief weder für Mitterer noch für Gaiswinkler bis dato dienstrechtliche Konsequenzen gehabt zu haben.
Kundgebung vom 21.9.2022
Die Kundgebung wurde in vielen, unter anderem auch rechtsextremen und Corona-kritischen Kreisen angekündigt und promotet; so auch auf dem offiziellen Telegram-Kanal des verurteilten Rechtsextremen Martin Sellner. Aufgezeichnet und gestreamt wurde die gesamte Kundgebung unter anderem von einem regelmäßigen Gefährten Sellners, Manuel Müllner. Wie eingangs erwähnt sprachen Gaiswinkler und Mitterer beide bei der Kundgebung am Wiener Platz der Menschenrechte. Zwei Aussagen waren dabei von besonderem Interesse für diese Anfrage. Beide traten (wie alle Redner und Teilnehmer) in Zivil auf; Mitterer jedoch stellte am Anfang seiner Rede klar:
„Darüber hinaus bin ich Offizier des österreichischen Bundesheeres, der auf Recht und Gesetz der Republik und auf die Verteidigung des österreichischen Volkes angelobt ist. Und in Erfüllung meiner Pflicht Euch gegenüber und dem Land gegenüber, steh‘ ich heute hier und trete als Soldat für Neutralität ein.“[11]
Von Interesse ist auch, dass Gaiswinkler in einer an sich unauffälligen Rede gegen Ende einen (wie zu befürchten ist, klassifizierten) „nachrichtendienstlichen Bericht“ zitiert:
„Es überrascht nicht, dass die Leitintellektuellen der Machteliten politische Lethargie als geradezu unverzichtbar für eine Demokratie preisen, und über Techniken nachdenken, wie sie sich am besten erreichen lässt – nicht umsonst hat unser geschätzter Herr Außenminister in Salzburg kundgetan: ‚entscheidend für Österreich sei die schweigende Mehrheit.‘ Sehr geehrte Damen und Herren, diese Kriegsführung geht mittlerweile soweit, dass diese Veranstaltung heute, hier, dem Vernehmen nach nachrichtendienstlich wie folgt bewertet wird, man höre und staune! Unter dem Übertitel ‚Extremismus: Politisch-staatsfeindliche Verbindung‘ sind wir mit diesem Thema heute hier aufgelistet. Sind wir heute, hier, Staatsfeinde, weil wir uns für die in der Verfassung verankerte Neutralität einsetzen? An alle hier anwesenden Menschen von den diversen nationalen und internationalen Nachrichten-, Geheim- und Staatssicherheitsdiensten: Staatsfeinde solltet Ihr an anderen Orten suchen!“[12]
Die unterfertigenden Abgeordneten
stellen daher folgende
1. Versieht Oberst Hermann Mitterer noch immer Dienst beim Heeres-Nachrichtenamt ?
a. Wenn ja, wie genau lautet seine Position und Funktion?
b. Welche Bereiche umfasst seine Dienstbeschreibung?
c. Wie viele Beschäftige unterstehen ihm
i. in der Fachaufsicht
ii. in der Dienstaufsicht
d. Hat Mitterer in dieser Funktion Zugang zu klassifizierten Berichten über die Extremismuslage in Österreich?
i. Wenn ja, bis zu welcher Klassifizierungsstufe?
ii. Wenn ja, zu welchen und welche wurden von ihm wann, und aus welchem Grund eingesehen?
e. Fällt die Teilnahme von Oberst Hermann Mitterer an der Kundgebung in die Dienstzeit?
i. Wenn ja, welche Maßnahmen wurden disziplinarrechtlich getroffen?
ii. Wenn nein, welche Abwesenheit vom Dienst wurde genehmigt (zB Erholungsurlaub, Sonderurlaub, ZAG)?
2. Bei welcher Einheit und mit welcher Funktion ist Brigadier Johann Gaiswinkler in Osttirol betraut?
a. Welche Bereiche umfasst seine Dienstbeschreibung?
b. Wie viele Beschäftige unterstehen ihm
i. in der Fachaufsicht
ii. in der Dienstaufsicht
c. Hat Gaiswinkler in dieser Funktion Zugang zu klassifizierten Berichten über die Extremismuslage in Österreich?
i. Wenn ja, zu welchen und welche wurden von ihm wann, und aus welchem Grund eingesehen?
d. Fällt die Teilnahme von Brigadier Johann Gaiswinkler an der Kundgebung in die Dienstzeit?
i. Wenn ja, welche Maßnahmen wurden disziplinarrechtlich getroffen?
ii. Wenn nein, welche Abwesenheit vom Dienst wurde genehmigt (zB Erholungsuralub, Sonderurlaub, ZAG)?
e. Hat sich Brigadier Johann Gaiswinkler im Zuge einer Dienstreise in Wien befunden?
i. Wenn ja, was war der dienstliche Auftrag?
3. Existiert Ihrer Wahrnehmung nach ein Bericht des HNaA, AbwA, DSN oder einer anderen nachgeordneten Dienststelle mit dem Titel (oder ähnlich) bzw. Zwischentitel „Extremismus: politisch-staatsfeindliche Verbindung“, insbesondere mit Bezug zur Kundgebung am 21.9.2022?
a. Wenn ja, wann und von wem wurde dieser verfasst?
b. Hatten Oberst Hermann Mitterer oder Brigadier Johann Gaiswinkler in ihrer Funktion beim Bundesheer bzw. HNaA Zugang zu diesem Bericht?
c. Gibt es in Ihrer Wahrnehmung Anzeichen dafür, dass Mitterer oder ein anderer Mitarbeiter der österreichischen Nachrichtendienste diesen an Gaiswinkler weitergegeben haben könnte?
d. Wer hat Zugang zu diesem Bericht?
e. Wird eine Evidenz darüber geführt, wer diesen Bericht analog und/ oder digital erhalten hat?
i. Wenn ja, bitte um Nennung der Zahl der Personen und ihrer Funktionen.
f. Wird eine Evidenz darüber geführt wer diesen Bericht einsehen kann?
i. Wenn ja, bitte um Nennung der Zahl der Personen und ihrer Funktionen.
4. Wurde die Veranstaltung der „Soldaten für die Neutralität“ als staatsfeindlich eingeschätzt?
a. Wenn ja, mit welcher Begründung?
b. Wenn nein, warum nicht?
c. Wenn ja, hat es eine diesbezügliche Information an alle Angehörigen des BMLV gegeben in der eine Teilnahme untersagt wurde?
d. Wenn nein, warum hat es diese Information nicht gegeben?
e. Welche Maßnahmen wurden unternommen, um eine Teilnahme aktiver Teile des Bundesheeres zu verhindern?
5. Gegen wie viele aktive Teile des Bundesheers (uniformiert oder nicht) wird derzeit in irgendeiner Kapazität vom Staatsschutz bzw. den Nachrichtendiensten ermittelt?
a. Bitte um genaue Nennung von Funktionsbezeichnungen und Dienstgraden.
b. Bitte um genaue Aufschlüsselung nach Geschlecht.
6. Was war das Ergebnis der Untersuchung der Abteilung Disziplinar- und Beschwerdewesen in der Causa offener Brief vom November 2021?
a. Führte die Untersuchung zu dienstlichen Konsequenzen für Mitterer und/oder Gaiswinkler? Wenn ja, zu welchen?
b. Führte die Untersuchung zu dienstrechtlichen Konsequenzen für andere aktive Mitglieder des Bundesheeres?
i. Wenn ja, welche und wie viele Mitglieder wurden bestraft?
7. Existiert die Telegram-Gruppe „Beamte für Aufklärung“ noch?
a. Wenn ja, wieso wurde sie nicht eingestellt?
b. Wenn ja, wie viele Bundesheer-Bedienstete (uniformiert oder nicht) sind Teil der Gruppe?
i. Bitte um genaue Nennung von Funktionsbezeichnungen und Dienstgraden.
ii. Bitte um genaue Aufschlüsselung nach Geschlecht.
8. Ist ein „Anstreifen an nationalsozialistischem Gedankengut“ kein Entlassungsgrund beim österreichischen Bundesheer?
9. Welche Maßnahmen werden für eine fortlaufende Grundrechtsbildung von Offizieren getroffen?
Sollte eine detaillierte Beantwortung einzelner Fragen aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich sein, so wird dennoch um eine Beantwortung mit möglichst hohem Informationsgehalt im Sinne des parlamentarischen Interpellationsrechts ersucht. Allenfalls ersuchen die Abgeordneten um eine Beantwortung in klassifizierter Weise nach dem Bundesgesetz über die Informationsordnung des Nationalrates und des Bundesrates (InfOG).
[1] Sulzbacher, Markus. Der Standard, Bundesheer-Verschwörungstheoretiker "Soldaten für Neutralität" marschieren auf. 19.9.2022. https://www.derstandard.at/story/2000139207906/bundesheer-verschwoerungstheoretikersoldaten-fuer-neutralitaet-marschieren-auf. Aufgerufen am 20.9.2022.
[2] Ibid.
[3] Bundesheer (k.A.). AUCON 21: Neues österreichisches Kontingent im Kosovo. 4.10.2009. https://www.bundesheer.at/ausle/kfor/artikel.php?id=2969. Aufgerufen am 20.9.2022.
[4] Tiroler Tageszeitung (k.A.). T-Shirt mit Neonazi-Gedicht in Video: Tiroler Brigadier suspendiert. 2.2.2021. https://www.tt.com/artikel/30776971/t-shirt-mit-neonazi-gedicht-in-video-tiroler-brigadier-suspendiert. Online aufgerufen am 20.9.2022.
[5] Tiroler Tageszeitung (k.A.). Nach Suspendierung: Brigadechef Gaiswinkler nach Osttirol versetzt. 15.5.2021. https://www.tt.com/artikel/30791619/nach-suspendierung-brigadechef-gaiswinkler-nach-osttirol-versetzt. Online aufgerufen am 20.9.2022.
[6] Soldaten für Neutralität (k.A.). Warum? https://www.soldaten-fuer-neutralitaet.at/?S=Warum. Online abgerufen am 20.9.2022.
[7] Rauscher, Hans. Der Standard. Verschwörungstheoretiker im Heeresnachrichtenamt. 5.4.2019. https://www.derstandard.at/story/2000100906526/verschwoerungstheoretiker-im-heeresnachrichtenamt. Online aufgerufen am 21.9.2022.
[8] Ibid.
[9] Mitterer, Hermann. Bücher. https://www.hermann-h-mitterer.com/buecher-kaufen. Online aufgerufen am 21.9.2022.
[10] Sulzbacher, Markus. Der Standard. Hochrangige Bundesheer-Offiziere machen Stimmung gegen Impfung. 17.11.2021. https://www.derstandard.de/story/2000131153658/hochrangige-bundesheer-offiziere-machen-stimmung-gegen-impfungen. Online aufgerufen am 21.9.2022.
[11] Muellner, Manuel. Youtube. Aufzeichnung, „Kundgebung: Soldaten für Neutralität // 21.09.2022 am Platz der Menschenrechte, Wien“. https://www.youtube.com/watch?v=u-pqhukwC9c, ca. 1:54:50.
[12] Ibid., ca. 52:40.