1253/J XXVII. GP
Eingelangt am 11.03.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Petra Wimmer, Genossinnen und Genossen
an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend
betreffend Schikanen beim Kinderbetreuungsgeld - massive Verzögerungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten
Das österreichische Kinderbetreuungsgeld ist eine fortlaufende Leistung für Elternteile, die sich in den ersten Lebensmonaten des Kindes gezielt der Kindererziehung widmen. Sie dient dazu, auflaufende andere Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls finanzielle Nachteile, die der Verzicht auf ein (Voll-) Erwerbseinkommen bedeutet, abzumildern.
Wenn die Eltern in unterschiedlichen EU-Staaten leben bzw. arbeiten, gibt es komplizierte Regelungen, welches Mitgliedsland für die Auszahlung zuständig ist. Um diese Situationen zu klären, treten die Behörden miteinander in Kontakt, doch kann es viele Monate dauern, bis es zur Auszahlung einer Leistung in Österreich kommt.
Derzeit sind bei der Volksanwaltschaft[1]) mehr als 30 Fälle anhängig, in denen Familien beklagen, trotz wiederholter Kontaktnahmen mit den zuständigen Stellen im In- und Ausland schon mehrere Monate, teils auch Jahre auf die Erledigung ihrer Anträge zu warten und bislang keine behördliche Unterstützung erfahren zu haben. Dabei handelt es sich überwiegend um in Österreich lebende Familien, bei denen ein Elternteil nicht in Österreich, sondern in einem anderen EU-Land lebt und/oder arbeitet. Oder um Familien, die in EU-Ländern leben, während ein Elternteil in Österreich arbeitet. Gemäß ihrem Art 3 Abs. 1 lit j gilt die VO (EG) 883/2004 für alle Rechtsvorschriften, die Familienleistungen betreffen (Art 1 lit z); daher unter anderem auch das österreichische Kinderbetreuungsgeld. Auf diese Fälle wurde zuletzt auch medial Bezug genommen.[2])
Nun verlangt die Volksanwaltschaft im Zuge einer Missstandsfeststellung vom Familienministerium im Bundeskanzleramt, dass Missstände durch EU-konforme Auslegung geltender innerstaatlicher Vorschriften umgehend beseitigt werden.
Der OGH hat in seiner Entscheidung vom 28. Mai 2019 (10 ObS 42/19b) betont, "jede Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lassen zu müssen, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem unionsrechtswidrigen Ergebnis führen würde" und hält zu § 27 Abs. 4 KBGG dezidiert fest, dass Österreich als nachrangig zuständiger Wohnsitzstaat ungeachtet der Regelung des § 27 Abs. 4 KBGG im Sinn der Vorgaben des Art 68 Abs 3 VO (EG) 883/2004 und Art 7 der DurchführungsVO (EG) 987/2009 spätestens 8 Monate nach Antragstellung Differenzzahlungen als Vorschuss gewähren bzw. einen Bescheid zu erlassen hat. Dies auch dann, wenn noch nicht alle Informationen aus dem Ausland vorliegen. Aus diesem Erkenntnis des OGH wurden bislang keine Konsequenzen gezogen, worin die Volksanwaltschaft einen Missstand erblickt.
Die Volksanwaltschaft verweist unter Bezugnahme von Entscheidungen des EuGH und OGH ferner darauf, dass für die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Art 68 Abs. 2 VO 883/2014 nur gleichartige Familienleistungen zu berücksichtigen sind. § 6 Abs. 3 KBGG idF BGBI I 2016/53 widerspricht, soweit er auch nicht vergleichbare Familienleistungen im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 anrechnet, dem Unionsrecht und ist insoweit nicht anwendbar (siehe mit ausführlicher Begründung OGH vom 24. 1. 2017, 10 Ob S 146/16t und vom 13.9.2019, 10 Ob S 108/19h).
Bürokratische Tücken und die lange Bearbeitungsdauer beim Kinderbetreuungsgeld sind schon seit längerem ein großes Thema und so hat auch die Arbeiterkammer in einer Pressekonferenz im August 2019 auf Schikanen aufmerksam gemacht. Dabei wurde besonders darauf hingewiesen, dass diese Verzögerungen vor allem für Alleinerzieher*innen existenzbedrohend sind, denn die Regelungen gelten auch dann, wenn die Eltern kein Paar mehr sind. Ist der Vater nicht kooperativ und stellt keine Anträge, wird der Frau, die in Österreich mit dem Kind lebt geraten, dass sie ja selbst im anderen Mitgliedstaat die nötigen Anträge stellen kann. Das ist vielfach existenzbedrohend.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage
1. Wie viele Anträge auf Kinderbetreuungsgeld wurden in den Zeiträumen
• 1.1.2015 bis 28.02.2017 sowie
• 1.3.2017 bis 31.12.2019 gestellt?
1.1 Wie viele Anträge davon betreffen grenzüberschreitende Familienkonstellationen in der EU/im EWR/in der Schweiz/Drittstaaten (bitte um Aufgliederung nach dem jeweiligen Beschäftigungsstaat des Elternteils bzw. Wohnsitzland des Kindes/der Kinder) in den Zeiträumen
• 1.1.2015 bis 28.02.2017 sowie
• 1.3.2017 bis 31.12.20197
2. Wie lange (in Tagen) dauert 2018 bis 2019 die durchschnittliche Bearbeitungsdauer ab Antragstellung bis zur Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (bitte getrennt nach Anträgen ohne grenzüberschreitenden Bezug und Anträgen mit grenzüberschreitendem Bezug)?
3. In wie vielen Fällen dauert 2018 bis 2019 die Bearbeitungsdauer ab Antragstellung bis zur Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (bitte um Aufgliederung nach dem jeweiligen Beschäftigungsstaat des Elternteils bzw. Wohnsitzland des Kindes/der Kinder)?
3.1 bis zu 6 Monaten?
3.2 bis zu einem Jahr?
3.3 bis zu zwei Jahren?
3.4 bis zu sechs Jahren?
3.5 In wie vielen Fällen ab Antragstellung (2018 bis 2019) kommt es gar nicht zur Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (bitte um Aufgliederung nach dem jeweiligen Beschäftigungsstaat des Elternteils bzw. Wohnsitzland des Kindes/der Kinder)?
4. Hat sich die durchschnittliche Bearbeitungsdauer (Antragstellung bis Auszahlung) im Zeitraum 1.3.2017 bis 31.12.2019 im Vergleich zum Zeitraum 1.1.2015 bis 28.02.2017
- verkürzt
- verlängert
- nicht verändert?
5. Bei wie vielen im Zeitraum ab 1.3. 2017 eingebrachten Anträgen mit grenzüberschreitendem EU- Bezug wurde der Krankenversicherungsschutz nachträglich zuerkannt?
6. In wie vielen der seit 2017, 2018, 2019 anhängigen Verfahren mit EU-Bezug leben Kinder, auf die sich der Antrag bezieht, mit zumindest einem Elternteil in Österreich? Wie viele davon sind österreichische Staatsbürger?
7. In wie vielen der seit 2017, 2018, 2019 anhängigen Verfahren mit EU-Bezug leben Kinder, auf die sich der Antrag bezieht, mit zumindest einem Elternteil in einem EU-Mitgliedsstaat? Wie viele davon sind österreichische Staatsbürger?
8. Trifft es zu, dass es das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend auf weitere Säumnisklagen in ASGG-Verfahren ankommen lässt, ohne die innerstaatliche Rechtslage und Vollzugspraxis auf die EU-Konformität zu hinterfragen? Wenn ja, warum?
9. Trifft es zu, dass österreichische Behörden Antragstellende auf Kinderbetreuungsgeld in Fällen des Auslandsbezuges lediglich dazu anhalten, Anträge auch im anderen EU-Mitgliedsstaat einzubringen und Entscheidungen des Beschäftigungsstaates eines Elternteils abzuwarten bzw. diese gegebenenfalls im Ausland zu beeinspruchen, ohne dass Vorschussleistungen gewährt werden? Wenn ja, warum?
10. Trifft es zu, dass „ressortinterne Richtlinien" Krankenversicherungsträger bei Problemen der Antragstellenden im EU-Ausland dazu anhalten, möglichst wenig selbst mit ausländischen Behörden zu kooperieren und es ihnen sogar untersagt wurde, in Österreich lebende Antragstellende auf Kinderbetreuungsgeld gegenüber Behörden im EU-Ausland zu unterstützen, dort auf längst eingegangene Unterlagen hinzuweisen und auf beschleunigte Bearbeitung zu drängen bzw. Missverständnisse aufzuklären etc.? Wenn ja, warum?
11. Wer berät Ihr Ressort in europarechtlichen Fragen?
12. Zu den von Antragstellenden und vom zuständigen Ressort geschilderten Kommunikationsproblemen mit ausländischen Behörden empfiehlt die Volksanwaltschaft, die EU-Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit einzuschalten. Wird dies von Ihrem Ressort erwogen?
13. Trifft es zu, dass Ihr Ressort sich mit diesen Erkenntnissen des OGH betreffend Berechnung des Unterschiedsbetrages bislang nicht näher auseinandersetzte und keine Konsequenzen daraus gezogen hat?
14. Welche Familienleistungen sind in den EU 27 als dem Kinderbetreuungsgeld gleichartige Leistungen gemäß der VO (EG) 883/2004 (Koordinierungsverordnung) anzusehen? Bitte jedes EU Land einzeln anführen.
15. Wie hoch waren die Gesamtkosten 2018 bis 2019 für das ausbezahlte Kinderbetreuungsgeld (bitte um Aufgliederung nach dem jeweiligen Beschäftigungsstaat des Elternteils bzw. Wohnsitzland des Kindes/der Kinder)?
16. Werden die Weisungen und Durchführungserlässe zum Kinderbetreuungsgeld veröffentlicht?
16.1 Wenn ja, wann und in welcher Form?
16.2 Wenn nein, warum nicht?