12581/J XXVII. GP

Eingelangt am 04.10.2022
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Dr. Martin Graf

an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

betreffend Plagiieren – die neue akademische Seuche! Was gedenken Sie zu tun, Herr Minister?

 

 

Plagiate sind die neue Form des Diebstahls. Sie korrumpieren die akademische Landschaft, untergraben jegliche wissenschaftliche Integrität und sind ein Affront gegen jede ehrlich und selbst erstellte wissenschaftliche Arbeit. Ein Plagiat ist, laut offizieller Definition der Universität Wien, die bewusste und unrechtmäßige Übernahme von fremdem geistigem Eigentum, unter anderem, die Verwendung ganz oder teilweise fremder Werke in einem eigenen Werk, ohne Angabe der Quelle[1].  Plagiieren kann juristisch nur schwer eingedämmt werden, da es bisher keinen eigenen Straftatbestand darstellt. Unter Umständen ist lediglich eine Verfolgung der Plagiatoren über das Urheberrecht möglich.

 

Fest steht, immer mehr Studenten verwenden Gedanken anderer und geben sie als die eigenen aus. Plagiatsaffären gibt es dank eingeführter Plagiatsprüfungen immer mehr. Berichte über sie rücken zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit.  Verschiedene Universitäten stechen im Zuge dieser Thematik entweder positiv oder negativ hervor. Ein solches Negativbeispiel ist die Universität Innsbruck, deren Handhabung insbesondere bei der Aberkennung von Titeln nach positiven Plagiatsprüfungen für Kritik sorgte. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ griff dies in einem jüngst erschienenen Artikel[2] auf:

 

Tiroler Folgenlosigkeit

Ende August schickte der Salzburger Plagiatsforscher Stefan Weber mal wieder eine Tabelle an die Universität Innsbruck. Auf 37 Seiten sind ungekennzeichnete Übernahmen in der Dissertation von Otto Carstens vermerkt. Im Jahr 2010 wurde der schleswig-holsteinische Staatssekretär für Justiz „zum Themenbereich Politikgestaltung/Lobbyismus“ (Selbstbeschreibung Carstens) promoviert. Seitdem darf sich der Christdemokrat mit einem Dr. jur. aus Innsbruck schmücken. Dass die Schrift nicht einmal das Niveau einer durchschnittlichen Seminararbeit im Grundstudium erreiche, konstatierte der Gießener Rechtslehrer Steffen Augsberg in einer Rezension. Steht die Dissertation, die von Waldemar Hummer und Werner Schroeder betreut wurde, exemplarisch für die Betreuungsqualität oder gar Forschungsleistung der Innsbrucker Universität?

Im Zeitraum zwischen 2006 und 2021 gab es 31 Verdachtsfälle zu Verstößen gegen die gute wissenschaftliche Praxis, davon achtmal die Rechtswissenschaft betreffend, erklärt Rektor Tilman Märk auf Nachfrage. Wie oft Doktorarbeiten betroffen waren, schlüsselt er nicht auf. Märk betont, dass sich die Hinweise oft schon in einer Erstbetrachtung als völlig substanzlos und/oder aus einer persönlichen Motivation heraus entspringend darstellen.

„Wir hatten als Motive unter anderem berufliche Auseinandersetzungen beziehungsweise Konkurrenzverhältnisse, persönliche, zum Teil auch private Differenzen unterschiedlichster Ausprägung, Versuche, einen politischen Gegner anzupatzen und Ähnliches.“ Märks Äußerung lässt darauf schließen, dass Motive von Hinweisgebern in Innsbruck genau untersucht werden. Das ist erstaunlich, denn am Plagiatstatbestand und den möglichen Folgen ändert es nichts. Jüngst konnte eine Habilitation aufgrund schwerer Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis nicht positiv beurteilt werden. „In diesem Fall wurde der Titel nicht verliehen“, betont Märk. In keinem Fall aber erfolgte in den vergangenen 15 Jahren die Aberkennung eines akademischen Grades.

Datenschutz und Amtsverschwiegenheit

„Damit nimmt die Universität eine Sonderstellung unter den Hochschulen im deutschsprachigen Raum ein“, sagt der Plagiatsexperte und Rechtsprofessor Gerhard Dannemann: „Innsbruck entzieht anscheinend grundsätzlich keine Grade.“ Nun ist die Gesetzeslage in Österreich anders als im Rest Europas. Dem Täter ist nachzuweisen, dass er sich seinen Grad „erschlichen“ hat. Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei der Erschleichung um ein vorsätzliches Verhalten.

Dieser Vorsatz zeigt sich entweder im Vorbringen falscher Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht oder dem Verschweigen wesentlicher Umstände. Beides muss zum Ziel haben, einen für sich günstigen Erfolg zu erlangen. Ob das gegeben ist, wird nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt. An der Universität Wien führten zuletzt 49 abgeschlossene Verfahren zu 27 Aberkennungen, in weiteren Fällen wurde der Grad für „nichtig“ erklärt, was die Vorstufe einer Aberkennung ist. Das zeigt eine Statistik, die der F.A.Z. vorliegt.

Auf die Diskrepanz zu Innsbruck angesprochen, verweist Märk auf fehlende bundeseinheitliche Vorgaben für derartige Aufstellungen. Jede Universität lege ihre Statistik, „wenn sie überhaupt eine solche laufend führt“, anders an. Eine nationale Studie sollte dieses Manko nun ändern, doch diese liegt seit Monaten unpubliziert in den Schubladen des Bildungsministeriums. Aus Wien heißt es dazu, die Untersuchung werde „im Herbst“ präsentiert.

Spricht man Rektor Märk indes auf einen konkreten Plagiatsfall an, zu dem sich sogar die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität äußerte, verweigert er jegliche Auskunft. Es ist grundsätzlich nicht in Erfahrung zu bringen, wie sich die Universität zu Plagiatsvorwürfen verhält. Ganz anders ist das etwa an der FU Berlin: Die veröffentlichten Erläuterungen zu Franziska Giffeys Studie füllen inzwischen Bände. Innsbrucks Rektor verweist dagegen auf Datenschutz und Amtsverschwiegenheit.

Diese Amtsverschwiegenheit hat in Österreich immerhin Verfassungsrang. Allerdings gibt es auch ein Verfassungsrecht auf Auskunft. Kollidieren diese Grundsätze, werden sie in ihrer Anwendung abgewogen. In Innsbruck fällt die Abwägung immer zugunsten der Verschwiegenheit aus: Seit Jahren berichtet die österreichische Presse über den Innsbrucker Sonderfall, seit Jahren bleibt der Rektor schweigsam. Auch deswegen muss die Amtsverschwiegenheit nun, auf Betreiben der national regierenden Grünen, weichen. Stattdessen soll es künftig ein in der Verfassung verankertes Recht auf Information geben, kündigten Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) jüngst an. Allerdings: Solche Anläufe gab es in Österreich immer wieder. Nie ist etwas passiert. Ob ein Informationsfreiheitsgesetz wirklich kommt, steht in den Sternen. Wer genauere Informationen über Innsbrucker Plagiatsfälle bekommen will, fragt daher am besten Personen, die einige der inkriminierten Arbeiten rezensiert haben.

So wies Plagiatsjäger Weber 2017 auf eine Dissertation über Opiatabhängige hin, deren Plagiatsfragmente seitenweisen Charakter hatten. Ein Kapitel über Gender-Theorien sei nahtlos von einer Magisterarbeit der TU Berlin abgeschrieben worden. Der Doktorgrad blieb bestehen. Im Jahr 2013 entschieden Innsbrucker Prüfer, dass der Sohn eines früheren bayerischen Ministerpräsidenten wesentliche Teile seiner Doktorarbeit von Dritten übernommen hatte, ohne das kenntlich zu machen. Der Senat der Universität revidierte laut dem „Spiegel“ das Votum, er durfte den Grad behalten. Genaueres ist unbekannt, alle Gutachten zum Fall blieben unveröffentlicht, Grund: Amtsverschwiegenheit. Anno 2003 dissertierte ein Student zur Sozialphilosophie von Joseph Kardinal Höffner, die nach Plagiatsvorwürfen entlastende Stellungnahme der Universität Innsbruck blieb verschlossen.

„Ich habe der Uni Innsbruck schon mehrere Gutachten geschickt, es ist nie etwas passiert“

Zur Dissertation eines Gerichtspsychologen berichtete der Zweitgutachter, es sei eine „große Enttäuschung, von einem Mitarbeiter, dem ich lange Zeit vertraut habe, so hintergangen worden zu sein“. Laut Weber bestätigten fünf Schreiben oder Gutachten von Universitätsprofessoren das Plagiat. Innsbruck erkannte auch diesen Grad nicht ab. Im Jahr 2015 wurde das Verfahren gegen die Doktorarbeit eines Juristen eingestellt. Die Wissenschaftsplattform VroniPlag Wiki fand auf 67 Prozent aller Seiten Plagiatsfundstellen. Davon enthalten über hundert Seiten mehr als 75 Prozent Plagiatstext. Eine frühere Version dieser Arbeit hatte der Mann erfolglos an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht. Dort wurde erkannt, dass die Arbeit zahlreiche Plagiate enthielt. In Österreich sah man weder die Plagiate noch die, ebenfalls bei VroniPlag Wiki dokumentierten, inhaltlichen Fehler der Arbeit – oder man sah über all dies hinweg. Der damalige Doktorand ist inzwischen Professor an der Hochschule Heilbronn.

Internationale Experten veröffentlichten vor einigen Jahren ein Gutachten, das die Forschung an der Innsbrucker Juristenfakultät kritisch beleuchtete. Sie forderten: „Amtsverschwiegenheit, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, die in Österreich praktisch absolut gelten, müssen hinter dem Aufklärungsanspruch der Öffentlichkeit zurückstehen.“ Gefragt, wie sich die Universität dazu stelle, berief sich der Rektor gegenüber dem „Tagesspiegel“ auf die Amtsverschwiegenheit.

Plagiatsjäger Weber erklärte 2011 dem Magazin „Profil“: „Ich habe der Uni Innsbruck schon mehrere Gutachten geschickt, es ist nie etwas passiert.“ Diese Aussage sei heute noch wahr, sagt Weber. Rektor Märk dagegen betont, Innsbruck habe schon sehr früh und vor den meisten anderen Universitäten in Österreich Richtlinien zur guten wissenschaftlichen Praxis eingeführt. Der Kieler Staatssekretär Carstens arbeitet derweil Ministerin Kerstin von der Decken, einer früheren Rechtsprofessorin, zu. Diese wirkte einst mit Werner Schroeder, der die Dissertation von Carstens begutachtet hatte, an einem Berufungsverfahren und an einem Buch zum Europarecht mit. Die über 1000 Kilometer Entfernung von Kiel nach Innsbruck hinderten verschiedene Beteiligte nie an guter Zusammenarbeit.

 

Oft bereits in einer Erstbetrachtung lassen sich plagiierte Stellen bei an der Universität Innsbruck eingereichten Arbeiten herauslesen. Trotz ihres offensichtlichen Plagiats werden diese Abgaben regelmäßig anerkannt.

 

Als konkretes Beispiel dient in diesem Zusammenhang die Dissertation des schleswig-holsteinischen Staatssekretärs Otto Carstens. Die Schrift, bei der es um Politikgestaltung und Lobbyismus geht, habe laut Steffen Augsberg, Professor für öffentliches Recht an der Universität Gießen, nicht einmal das Niveau einer durchschnittlichen Seminararbeit im Grundstudium[3]. Dennoch verlieh ihm die Universität Innsbruck den Titel eines Doktors der Rechtswissenschaften.

 

Der Rektor der Universität Innsbruck, Tilman Märk, konstatiert allerdings, dass es in einem Zeitraum von 2006 bis 2021 lediglich 31 Plagiatsverdachtsfälle gab. Die meisten von ihnen erwiesen sich, laut Märk, als substanzlos. Überdies ist er sicher, dass Plagiatsvorwürfe oft aufgrund beruflicher und privater Auseinandersetzungen erhoben werden[4].

 

Fraglich ist außerdem die Sonderstellung der Universität Innsbruck in Plagiatsangelegenheiten. Laut Plagiatsexperte Gerhard Dannemann sei sie die einzige Hochschule im deutschsprachigen Raum, die grundsätzlich keine akademischen Grade entzieht[5]. Anders ist das beispielsweise an der Universität Wien, die in den vergangenen 15 Jahren 26 Aberkennungen eines akademischen Grades durchgeführt hat[6].

 

 

In diesem Sinne stellt der unterfertigte Abgeordnete an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung folgende

 

Anfrage

1.    Ist Ihnen der oben genannte Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bekannt?

2.    Hatten Sie bereits vor Erscheinen dieses Artikels Kenntnis über die Ungereimtheiten bei Plagiaten an der Universität Innsbruck?

3.    Wie soll die immer größer werdende Problematik eingedämmt werden?

a.    Welche konkreten, bereits bestehenden, beziehungsweise welche zukünftigen Pläne haben Sie in puncto der Plagiatsproblematik?

4.    Sprechen Sie sich dafür aus, Plagiieren zu einem eigenen Straftatbestand zu machen?

5.    Wie viele Plagiatsprüfer sind derzeit (Oktober 2022) an der Universität Innsbruck vollvertraglich angestellt?

a.    Nach welchen Voraussetzungen wird eine Anstellung vorgenommen?

6.    Ist die Dissertation von Otto Carstens, die von Waldemar Hummer und Werner Schroeder betreut wurde[7], ein Exempel für die Betreuungsleistung, beziehungsweise Forschungsleistung der Universität Innsbruck?

a.    Wenn nein, aus welchem Grund wurde keiner der Vorwürfe gegen Otto 

Carstens von der Universität Innsbruck kommentiert beziehungsweise dementiert?

b.    Wird die Dissertation von Otto Carstens noch einmal eingehend überprüft werden?

c.    Wenn nein, aus welchem Grund nicht?

7.    Werden die Motive der Plagiatsankläger beziehungsweise der Hinweisgeber genau überprüft?

a.     Wenn nein, aus welchem Grund nicht?

b.     Aus welchem Grund werden diese Vorwürfe im Fall der Universität Innsbruck immer wieder revidiert?

8.    Wird das Verhältnis des jeweiligen Plagiatsprüfers zur einreichenden Person genau überprüft?

a.    Wenn nein, aus welchem Grund nicht?

9.    Wie lässt sich die Sonderstellung der Universität Innsbruck in Bezug auf das Nichterfolgen von Aberkennungen akademischer Titel nach positiver Plagiatsprüfung erklären?

10. Wie viele Arbeiten werden derzeit (Oktober 2022) auf Plagiate untersucht?

a.    Wie viele von diesen sind Dissertationen, wie viele Masterarbeiten, wie viele Bachelorarbeiten, wie viele Diplomarbeiten?

b.    Bei wie vielen von diesen bestehen Zweifel über die Originalität der Arbeit?

11. Aus welchem Grund besteht eine offensichtliche Diskrepanz zur Handhabung der Universität Wien insbesondere bei der Aberkennung akademischer Titel nach positiver Plagiatsprüfung?

12. Aus welchem Grund werden keine genaueren Informationen, die Einzelfälle betreffen, durch das Rektorat der Universität Innsbruck angegeben?

a.    Wie weit lässt sich das mit dem Argument des Datenschutzes und der 

Amtsverschwiegenheit rechtfertigen?

13. Wann soll es eine nationale, alle Bundesländer zusammennehmende Studie über den Umgang mit Plagiaten in Österreich geben?

a.    Werden sich nach dieser Gegenüberstellung Konsequenzen für die

Handhabung der Universität Innsbruck in diesem Zusammenhang ergeben?



[1] Vgl.: Universität Wien: https://studienpraeses.univie.ac.at/infos-zum-studienrecht/wissenschaftliche-arbeiten/plagiat/

[2] Frankfurter Allgemeine: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/plagiate-an-der-uni-innsbruck-tiroler-folgenlosigkeit-18348939.html

[3] Vgl.: ebd.

[4] Vgl.: ebd.

[5] Vgl.: ebd.

[6] Vgl.: Die Presse: https://www.diepresse.com/6050957/plagiate-wir-haben-alles-schon-erlebt

[7] Vgl.: Frankfurter Allgemeine: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/plagiate-an-der-uni-innsbruck-tiroler-folgenlosigkeit-18348939.html