12623/J XXVII. GP

Eingelangt am 06.10.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Wo bleibt die versprochene Hilfe für Ukrainer_innen?

 

Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung. Seit der Invasion am 24. Februar 2022 werden ukrainische Städte bombardiert und zivile Infrastruktur wird zerstört – es werden zahlreiche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gemeldet sowie Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung (siehe "UNO zu Ukraine-Krieg: Exekutionen und sexuelle Gewalt" I ORF). Tausende Zivilist_innen sind bereits gestorben. Viele Menschen sind dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um sich in den Nachbarländern in Sicherheit zu bringen. Nach Angaben des UNHCR wurden mit Stand 26. September 2022 knapp 7,5 Millionen aus der Ukraine Geflüchtete in Europa erfasst, circa 4,1 Millionen Menschen haben in der EU einen temporären Schutzstatus nach der Richtlinie 2001/55/EG erhalten (siehe Data Ukraine I UNHCR). Seit dem zweiten Weltkrieg gab es keine derartige Fluchtbewegung in Europa. Und derzeit steht kein Ende des Konflikts in Sicht. Schätzungen zufolge könnte die Anzahl an Schutzsuchenden aus der Ukraine sogar auf 10 Millionen ansteigen. 

Die durch den Durchführungsbeschluss 2022/382 umgesetzte Richtlinie 2001/55/EG ermöglicht es, Schutzsuchenden aus der Ukraine schnell und unbürokratisch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu gewähren. Der vorübergehende Schutz soll vorerst für ein Jahr gelten, kann jedoch um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden.

Die Richtlinie 2001/55/EG sieht folgende Verpflichtungen des Staats gegenüber Personen, die einen temporären Schutzstatus erhalten, vor: 

Innerstaatlich wurde dieser Beschluss durch die Annahme der Vertriebenen-VO am 11. März 2022 im Hauptausschuss des Parlaments umgesetzt. Damals versprach die österreichische Regierung, insbesondere Innenminister Karner, schnelle Hilfe für Schutzsuchende aus der Ukraine und ließ keine Gelegenheit aus, um die Solidarität Österreichs zu loben (siehe "Karner: Rasche und unbürokratische Hilfe für die Ukraine" I BMI). Jedoch zeichneten sich über die letzten Monate die Grenzen der Hilfsbereitschaft ab - Aufnahme, Versorgung und Unterbringung aus der Ukraine geflüchteter Menschen waren in verschiedenster Hinsicht mangelhaft. So verzögerten sich am Anfang die Registrierungen, die Unterbringung der Schutzsuchenden zeichnete sich durch fehlende Organisation und Koordination aus, die Auszahlung der Grundversorgung verspätete sich oder blieb manchmal sogar aus, sodass Betroffene auf die Hilfe der Zivilgesellschaft angewiesen waren, welche die Aufgaben des Staats übernahm. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Bundesländern ist z.T. so schlecht verlaufen, dass kleine Reformen wie die Erhöhung der Tagessätze in der Grundversorgung oder die Festlegung einer Erstversorgungspauschale Monate lang dauerten - und die Umsetzung bleibt aktuell noch in vielen Bundesländern aus. 

Nun kündigt sich ein absehbares großes Problem an: Ukrainer_innen sind, anders als Asylwerber_innen, größtenteils (zu ca. 90%) in privaten Unterkünften untergebracht, welche die Zivilgesellschaft unmittelbar nach Kriegsbeginn zur Verfügung gestellt hat. Zwar ist die tägliche Ankunftszahl von Ukrainer_innen im Vergleich zu Kriegsbeginn deutlich zurückgegangen. Aber die Situation vieler, die in Österreich Zuflucht gesucht haben, wird immer prekärer. Die Grundversorgung reicht kaum aus, um den Alltag zu bestreiten, die Teuerung verschärft die Situation. Hilfsorganisationen berichten vom teils dramatischen Rückgang an Spenden. Private Unterkünfte drohen verloren zu gehen, da private Quartiergeber_innen mangels Unterstützung immer weniger werden. Aus diesem Grund könnte es dazu kommen, dass Ukrainer_innen mehr und mehr auf organisierte Unterkünfte zurückgreifen müssen, in denen es demnach zu einem Platzmangel kommen könnte. Zumal rechnet man in den Kältemonaten mit einem erneuten Anstieg der Ankünfte von Schutzsuchenden aus der Ukraine: Viele der Quartiere in den Erstzufluchtsstaaten Polen und Moldawien sind nämlich nicht winterfest, und von dort könnten etliche Menschen weiterreisen (siehe "Ukraine-Vertriebene in Österreich: Gefangen im System" I Profil). Auch Migrationsexpert_innen appellieren an Staaten, sich für den kommenden Winter vorzubereiten ("Migrationsexperte: Zahl der Geflüchteten wird im Winter steigen" I MDR). Wird nun der Staat seine Verpflichtungen wahrnehmen, wenn die Zivilgesellschaft seine Versäumnissen nicht mehr auffangen kann? 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

  1. Welche Maßnahmen wurden von Ihrem Ressort jeweils wann gesetzt bzw. wird Ihr Ressort wann setzen, um genügend Kapazitäten zur Unterbringungen von Schutzsuchenden aus der Ukraine sicherzustellen? 
  2. Welche Maßnahmen wurden von Ihrem Ressort jeweils wann gesetzt bzw. wird Ihr Ressort wann setzen, um genügend Plätze zur Unterbringungen von Schutzsuchenden aus der Ukraine, welche aufgrund von Vulnerabilitäten besondere Unterbringungs- und Versorgungsbedürfnisse haben, sicherzustellen?
  3. Der ehemalige Flüchtlingskoordinator Michael Takács rechnete mit 200.000 Schutzsuchenden aus der Ukraine in Österreich. Aktuell sind in Österreich rund 80.000 mit einem Aufenthaltsrecht nach der Vertriebenen-VO aufhältig und ca. 60.000 davon beziehen Grundversorgung. Ist diese Schätzung weiterhin gültig? 
    1. Wenn ja, welche Vorkehrungen wurden wann getroffen, um zusätzliche 120.000 Personen menschenrechtskonform in Österreich aufnehmen und unterbringen zu können? 
    2. Wenn nein, welche Schätzungen sind basierend auf welcher Daten- und Faktenlage gegenwärtig gültig?
  1. Österreich hat nach Angaben der EU-Kommission rund 74 Millionen Euro als Unterstützung für aus der Ukraine Geflüchtete erhalten. Welchen Anteil hat das Bundesministerium für Inneres davon erhalten? 
    1. Wofür wurden die Mittel jeweils verwendet?
    2. Welcher Anteil der Mittel wurde für Unterbringungen verwendet? 
    3. Wurde der Betrag bereits überwiesen?

                                          i.    Wenn ja, welche Stelle verwaltet dieses Geld?

    1. Wurde davon Geld auch anderen Ministerien zur Verfügung gestellt?

                                          i.    Wenn ja, wie viel und an welche Ministerien? 

  1. Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine sind nach der Vertriebenen-VO registriert? Bitte um Aufschlüsselung nach Monat und Bundesland. 
    1. Wie viele Personen waren zu den Stichtagen Monaterster jeweils privat untergebracht und wie viele in organisierten Quartieren? Bitte um Auflistung nach Bundesland.  
    2. Wie viele der 2.000 angekündigten Schutzsuchenden aus der Republik Moldau hat Österreich bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung aufgenommen? 
    3. Wie viele der 500 angekündigten Schutzsuchenden aus Polen hat Österreich bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung aufgenommen? 
  1. Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine beziehen Grundversorgung? Bitte um Aufschlüsselung nach Monat und Bundesland. 
  2. Im Artikel „Ukraine-Vertriebene bekommen versprochene Hilfsgelder nicht“ in der Tageszeitung „Die Presse“ vom 27.07.2022 heißt es: „Der Presse liegen Protokolle des Koordinationsrats vor. Dieses Ländergremium trifft sich ein Mal pro Woche.“ Wer ist in diesem Koordinationsrat vertreten bzw. nimmt an diesem teil?
    1. Wie oft findet dieser statt?
    2. Was sind die Themen dieses Koordinationsrats? Gibt es eine Tagesordnung? Wer legt diese fest? Bitte um Übermittlung der Protokolle dieses Gremiums seit Beginn des Ukraine-Krieges am 24.2.2022.
    3. Wer nimmt von Seite des Bundesministeriums für Inneres daran teil?
    4. Werden im Koordinationsrat ausschließlich Angelegenheiten zu den Vertriebenen aus der Ukraine besprochen?
    5. Werden in diesem Gremium auch Beschlüsse gefasst? Welche Rechtsverbindlichkeit haben diese Beschlüsse?
    6. Ist in diesem Gremium auch die Verbindungsstelle der Bundesländer, situiert beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung mit Sitz in 1010 Wien involviert?

                                          i.    Wenn ja, in welcher Form?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Wurden bereits Maßnahmen gesetzt, um private Quartiergeber_innen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden aus der Ukraine zu unterstützen?
    1. Wenn ja, wann, welche und mit welchem Ergebnis? 
    2. Wenn nein, warum nicht? 
    3. Wenn nein: Welche Maßnahmen sind geplant? 
  1. Zieht das Bundesministerium für Inneres die Indexierung der Kostenhöchstsätze in der Grundversorgung an die Inflation in Erwägung? 
    1. Wenn ja, wann? 
    2. Wenn nein, warum nicht? 
    3. Wurde darüber schon im Koordinationsrat, der jede Woche tagt, gesprochen? 
  1. Zieht das Bundesministerium für Inneres eine Unterstützung in Form eines steuerlichen Absetzbetrages für private Quartiergeber_innen in Erwägung? 
    1. Wenn ja, wann? 
    2. Wenn nein, warum nicht?
    3. Gab es dazu schon Gespräche zwischen dem BMI und dem BMF? 

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Zieht das Bundesministerium für Inneres eine andere Form von Unterstützung für private Quartiergeber_innen in Erwägung?
    1. Wenn ja, wann und welche? 
    2. Wenn nein, warum nicht? 
  1. Aktuell wird im Formular der BBU nicht nach der Dauer der Verfügbarkeit eines privaten Quartiers gefragt (siehe Formular Nachbarschaftsquartier - Unterstützung für Flüchtlinge aus der Ukraine I BBU). Gibt es eine Mindestdauer zur Bereitstellung eines privaten Quartiers?
    1. Wenn ja, welche?
    2. Wenn nein, warum nicht?
    3. Wenn nein: Zieht das Bundesministerium für Inneres in Erwägung, eine Mindestdauer festzulegen, um sicherzustellen, dass private Quartiere längerfristig verfügbar sind?
  1. Wurden bereits Maßnahmen gesetzt, um sicherzustellen, dass private Quartiere sicher und adäquat sind bzw. gewissen Standards entsprechen?
    1. Wenn ja, wann, welche und mit welchem Ergebnis? 
    2. Wenn ja, was sind die minimalen Standards?
    3. Wenn nein, warum nicht? 
    4. Wenn nein: Welche Maßnahmen sind geplant? 
    5. Wem obliegt die Kontrolle, ob private Quartiere adäquat sind oder nicht? Gibt es Vorgaben des Bundes?
    6. Wurden dazu Inhalte im Rahmen des Koordinationsrates besprochen?

                                          i.    Wenn ja, wann, welchen Inhalts und mit welchem Ergebnis? 

  1. Wie wird die Einhaltung der Standards in privaten Unterbringungen überprüft? 
  2. Wie wird sichergestellt, dass Schutzsuchende vor Missbrauch, Ausbeutung oder Menschenhandel durch private Quartiergeber_innen geschützt werden? 
    1. Wie werden Risiken identifiziert?
    2. Welche Anlaufstellen gibt es für privat untergebrachte Schutzsuchende aus der Ukraine?
    3. Gab es bereits Meldungen über Missbrauch, Ausbeutung oder Menschenhandel in privaten Quartieren? 

                                          i.    Wenn ja, wie viele?

                                        ii.    Wenn ja, wie wird in der Folge verfahren? 

  1. Zur Entlastung der Grundversorgung bestünde auch die Möglichkeit der vollständigen Überführung von Ukrainer_innen ins Sozialhilfesystem: Gibt es diesbezüglich Gespräche bzw. Verhandlungen zwischen Ihrem Ressort und den anderen zuständigen Ministerien?
    1. Wenn ja, welche Positionen werden seitens Ihres Ressorts vertreten?  
  1. ÖVP-Klubobmann Wöginger hat bei einer Pressekonferenz am 26.04.22 bekannt gegeben, dass eine Gewährung eines Anspruchs auf Sozialhilfe bei den Ukraine-Vertriebenen in Aussicht genommen werde. Wurden vor dieser Ankündigung Gespräche mit Ihnen bzw. Ihrem Kabinett geführt?
    1. Wenn ja, mit welchem Ergebnis?  
  1. Gibt es zwischen Ihrem Ressort und Vertreter_innen der Länder einen Austausch bezüglich
    1. einer Unterstützung für private Quartiergeber_innen?
    2. einer Anpassung der Kostenhöchstsätze in der Grundversorgung an die Inflation?
    3. der Schaffung bzw. Einhaltung einheitlicher Mindeststandards in privaten Quartieren? 
    4. Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel durch private Quartiergeber_innen?
    5. der vollständigen Überführung von Ukrainer_innen ins Sozialhilfesystem?
    6. zu a-f: wenn ja, mit welchem Ergebnis und wenn nein, warum nicht?
  1. Seit wann erfolgt die Auszahlung der Erstversorgungspauschale? 
    1. Wird die Erstversorgungspauschale rückwirkend ab März 2022 gezahlt? 

                                          i.    Wenn ja, an welche Bundesländer und an welche nicht? 

1.    War dies Thema im Koordinationsrat?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht? 

    1. Sollte die Auszahlung der Erstversorgungspauschale noch nicht erfolgen: warum nicht? 
  1. Das temporäre Aufenthaltsrecht nach der Vertriebenen-VO gilt voraussichtlich bis März 2022, kann aber verlängert werden - bis dato wurde noch keine Möglichkeit der Verlängerung angekündigt, ein Ende des Kriegs steht nicht in Sicht: Wie bereitet sich Ihr Ressort auf eine eventuelle Verlängerung des Aufenthaltsrechts für zehntausende Menschen vor? 
    1. Welcher Rahmen ist für eine lückenlose Verlängerung des Aufenthaltsrechts nach der Vertriebenen-VO angedacht (insb. damit kein Rückstau entsteht, wenn das Aufenthaltsrecht verlängert wird oder damit kein_e Ukrainer_in in der Zwischenzeit das Aufenthaltsrecht oder die Grundversorgung verliert)?
    2. Sollte sich Ihr Ressort noch nicht darauf vorbereiten: Warum nicht und wann werden welche Vorkehrungen getroffen werden?