Eingelangt am 06.10.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen
und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Wo bleibt die versprochene
Hilfe für Ukrainer_innen?
Putins Angriffskrieg gegen
die Ukraine hat dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung. Seit der
Invasion am 24. Februar 2022 werden ukrainische Städte bombardiert und
zivile Infrastruktur wird zerstört – es werden zahlreiche
Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gemeldet
sowie Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung (siehe
"UNO zu Ukraine-Krieg: Exekutionen und sexuelle
Gewalt" I ORF). Tausende
Zivilist_innen sind bereits gestorben. Viele Menschen sind dazu gezwungen, ihre
Heimat zu verlassen, um sich in den Nachbarländern in Sicherheit zu
bringen. Nach Angaben des UNHCR wurden mit Stand 26. September 2022
knapp 7,5 Millionen aus der Ukraine Geflüchtete in Europa erfasst, circa
4,1 Millionen Menschen haben in der EU einen temporären Schutzstatus nach
der Richtlinie 2001/55/EG erhalten (siehe Data
Ukraine I UNHCR). Seit
dem zweiten Weltkrieg gab es keine derartige Fluchtbewegung in Europa. Und
derzeit steht kein Ende des Konflikts in Sicht. Schätzungen zufolge
könnte die Anzahl an Schutzsuchenden aus der Ukraine sogar auf 10
Millionen ansteigen.
Die durch
den Durchführungsbeschluss 2022/382 umgesetzte Richtlinie
2001/55/EG ermöglicht es, Schutzsuchenden aus der Ukraine schnell und
unbürokratisch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu gewähren.
Der vorübergehende Schutz soll vorerst für ein Jahr gelten, kann
jedoch um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden.
Die Richtlinie 2001/55/EG
sieht folgende Verpflichtungen des Staats gegenüber Personen, die einen
temporären Schutzstatus erhalten, vor:
- Angemessene
Unterkunft gem Art 13 (1): "Die
Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Personen, die
vorübergehenden Schutz genießen, angemessen untergebracht
werden oder gegebenenfalls Mittel für eine Unterkunft
erhalten."
- Sozialleistungen und medizinische Versorgung gem
Art 13 (2-4): "Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Personen,
die vorübergehenden Schutz genießen, die notwendige Hilfe in
Form von Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts sowie im Hinblick auf die medizinische Versorgung
erhalten, sofern sie nicht über ausreichende Mittel verfügen
(...) Die Mitgliedstaaten gewähren Personen, die vorübergehenden
Schutz genießen und besondere Bedürfnisse haben,
beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Opfer
von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schwerwiegenden Formen
psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt geworden sind, die erforderliche
medizinische oder sonstige Hilfe."
- Zugang zum
Bildungssystem gem Art 14 (1):
"Die Mitgliedstaaten gestatten Personen unter 18 Jahren, die
vorübergehenden Schutz genießen, in gleicher Weise wie den
Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats den Zugang zum
Bildungssystem."
- Zugang zum
Arbeitsmarkt gem Art 12:
"Die Mitgliedstaaten gestatten Personen, die
vorübergehenden Schutz genießen (...) die Ausübung
einer abhängigen oder selbständigen Erwerbstätigkeitnach
für den jeweiligen Berufsstand geltenden Regeln sowie von
Tätigkeiten in Bereichen wie z.B. Bildungsangebote für
Erwachsene, berufliche Fortbildung und praktische Erfahrungen am
Arbeitsplatz."
Innerstaatlich wurde
dieser Beschluss durch die Annahme der Vertriebenen-VO am 11. März 2022 im
Hauptausschuss des Parlaments umgesetzt. Damals versprach die
österreichische Regierung, insbesondere Innenminister
Karner, schnelle Hilfe für Schutzsuchende aus der Ukraine und
ließ keine Gelegenheit aus, um die Solidarität Österreichs zu
loben (siehe "Karner: Rasche und
unbürokratische Hilfe für die Ukraine" I BMI). Jedoch zeichneten sich über die letzten
Monate die Grenzen der Hilfsbereitschaft ab - Aufnahme, Versorgung und
Unterbringung aus der Ukraine geflüchteter Menschen waren in
verschiedenster Hinsicht mangelhaft. So verzögerten sich am Anfang
die Registrierungen, die Unterbringung der Schutzsuchenden zeichnete sich durch
fehlende Organisation und Koordination aus, die Auszahlung
der Grundversorgung verspätete sich oder blieb manchmal sogar aus,
sodass Betroffene auf die Hilfe der Zivilgesellschaft angewiesen waren,
welche die Aufgaben des Staats übernahm. Die Zusammenarbeit zwischen Bund
und Bundesländern ist z.T. so schlecht verlaufen, dass kleine
Reformen wie die Erhöhung der Tagessätze in der Grundversorgung oder
die Festlegung einer Erstversorgungspauschale Monate lang dauerten - und die
Umsetzung bleibt aktuell noch in vielen Bundesländern aus.
Nun kündigt sich ein
absehbares großes Problem an: Ukrainer_innen sind, anders als Asylwerber_innen,
größtenteils (zu ca. 90%) in privaten Unterkünften
untergebracht, welche die Zivilgesellschaft unmittelbar nach Kriegsbeginn zur
Verfügung gestellt hat. Zwar ist die tägliche Ankunftszahl von
Ukrainer_innen im Vergleich zu Kriegsbeginn deutlich zurückgegangen. Aber
die Situation vieler, die in Österreich Zuflucht gesucht haben, wird immer
prekärer. Die Grundversorgung reicht kaum aus, um den Alltag zu
bestreiten, die Teuerung verschärft die Situation. Hilfsorganisationen
berichten vom teils dramatischen Rückgang an Spenden. Private
Unterkünfte drohen verloren zu gehen, da private Quartiergeber_innen
mangels Unterstützung immer weniger werden. Aus diesem Grund könnte
es dazu kommen, dass Ukrainer_innen mehr und mehr auf organisierte
Unterkünfte zurückgreifen müssen, in denen es demnach zu einem
Platzmangel kommen könnte. Zumal rechnet man in den Kältemonaten
mit einem erneuten Anstieg der Ankünfte von Schutzsuchenden aus der
Ukraine: Viele der Quartiere in den Erstzufluchtsstaaten Polen und Moldawien
sind nämlich nicht winterfest, und von dort könnten etliche Menschen
weiterreisen (siehe "Ukraine-Vertriebene in
Österreich: Gefangen im System"
I Profil). Auch Migrationsexpert_innen appellieren an Staaten, sich für
den kommenden Winter vorzubereiten ("Migrationsexperte:
Zahl der Geflüchteten wird im Winter steigen" I MDR). Wird nun der Staat seine
Verpflichtungen wahrnehmen, wenn die
Zivilgesellschaft seine Versäumnissen nicht mehr auffangen
kann?
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Welche Maßnahmen
wurden von Ihrem Ressort jeweils wann gesetzt bzw. wird Ihr Ressort wann
setzen, um genügend Kapazitäten zur Unterbringungen von
Schutzsuchenden aus der Ukraine sicherzustellen?
- Welche Maßnahmen
wurden von Ihrem Ressort jeweils wann gesetzt bzw. wird Ihr Ressort wann
setzen, um genügend Plätze zur Unterbringungen von
Schutzsuchenden aus der Ukraine, welche aufgrund von Vulnerabilitäten
besondere Unterbringungs- und Versorgungsbedürfnisse haben, sicherzustellen?
- Der ehemalige
Flüchtlingskoordinator Michael Takács rechnete mit 200.000
Schutzsuchenden aus der Ukraine in Österreich. Aktuell sind in
Österreich rund 80.000 mit einem Aufenthaltsrecht nach der
Vertriebenen-VO aufhältig und ca. 60.000 davon beziehen
Grundversorgung. Ist diese Schätzung weiterhin gültig?
- Wenn ja, welche
Vorkehrungen wurden wann getroffen, um zusätzliche 120.000 Personen
menschenrechtskonform in Österreich aufnehmen und unterbringen zu
können?
- Wenn nein, welche
Schätzungen sind basierend auf welcher Daten- und Faktenlage
gegenwärtig gültig?
- Österreich hat nach
Angaben der EU-Kommission rund 74 Millionen Euro als Unterstützung
für aus der Ukraine Geflüchtete erhalten. Welchen Anteil hat das
Bundesministerium für Inneres davon erhalten?
- Wofür wurden die
Mittel jeweils verwendet?
- Welcher Anteil der
Mittel wurde für Unterbringungen verwendet?
- Wurde der Betrag bereits überwiesen?
i. Wenn ja, welche Stelle verwaltet dieses Geld?
- Wurde davon Geld auch anderen Ministerien
zur Verfügung gestellt?
i. Wenn ja, wie viel und an welche Ministerien?
- Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine
sind nach der Vertriebenen-VO registriert? Bitte um Aufschlüsselung
nach Monat und Bundesland.
- Wie viele Personen waren zu den Stichtagen
Monaterster jeweils privat untergebracht und wie viele in organisierten
Quartieren? Bitte um Auflistung nach Bundesland.
- Wie viele der
2.000 angekündigten Schutzsuchenden aus der Republik
Moldau hat Österreich bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung
aufgenommen?
- Wie viele der 500
angekündigten Schutzsuchenden aus Polen hat Österreich bis zum
Zeitpunkt der Anfragebeantwortung aufgenommen?
- Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine
beziehen Grundversorgung? Bitte um Aufschlüsselung nach Monat und
Bundesland.
- Im Artikel „Ukraine-Vertriebene
bekommen versprochene Hilfsgelder nicht“ in der Tageszeitung
„Die Presse“ vom 27.07.2022 heißt es: „Der Presse
liegen Protokolle des Koordinationsrats vor. Dieses Ländergremium
trifft sich ein Mal pro Woche.“ Wer ist in diesem Koordinationsrat
vertreten bzw. nimmt an diesem teil?
- Wie oft findet dieser statt?
- Was sind die Themen dieses
Koordinationsrats? Gibt es eine Tagesordnung? Wer legt diese
fest? Bitte um Übermittlung der Protokolle dieses Gremiums seit
Beginn des Ukraine-Krieges am 24.2.2022.
- Wer nimmt von Seite des Bundesministeriums
für Inneres daran teil?
- Werden im Koordinationsrat
ausschließlich Angelegenheiten zu den Vertriebenen aus der Ukraine
besprochen?
- Werden in diesem Gremium auch
Beschlüsse gefasst? Welche Rechtsverbindlichkeit haben diese
Beschlüsse?
- Ist in diesem Gremium auch die
Verbindungsstelle der Bundesländer, situiert beim Amt der
Niederösterreichischen Landesregierung mit Sitz in 1010 Wien
involviert?
i. Wenn ja, in welcher Form?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Wurden bereits
Maßnahmen gesetzt, um private Quartiergeber_innen bei der
Unterbringung von Schutzsuchenden aus der Ukraine zu unterstützen?
- Wenn ja, wann, welche
und mit welchem Ergebnis?
- Wenn nein, warum
nicht?
- Wenn nein: Welche
Maßnahmen sind geplant?
- Zieht das
Bundesministerium für Inneres die Indexierung der
Kostenhöchstsätze in der Grundversorgung an die Inflation in
Erwägung?
- Wenn ja, wann?
- Wenn nein, warum
nicht?
- Wurde darüber schon im
Koordinationsrat, der jede Woche tagt, gesprochen?
- Zieht das
Bundesministerium für Inneres eine Unterstützung in Form
eines steuerlichen Absetzbetrages für private Quartiergeber_innen in
Erwägung?
- Wenn ja, wann?
- Wenn nein, warum nicht?
- Gab es dazu schon Gespräche zwischen
dem BMI und dem BMF?
i. Wenn nein, warum nicht?
- Zieht das
Bundesministerium für Inneres eine andere Form von Unterstützung
für private Quartiergeber_innen in Erwägung?
- Wenn ja, wann und
welche?
- Wenn nein, warum
nicht?
- Aktuell wird im Formular
der BBU nicht nach der Dauer der Verfügbarkeit eines privaten
Quartiers gefragt (siehe Formular
Nachbarschaftsquartier - Unterstützung für Flüchtlinge aus
der Ukraine I BBU). Gibt
es eine Mindestdauer zur Bereitstellung eines privaten Quartiers?
- Wenn ja, welche?
- Wenn nein, warum nicht?
- Wenn nein: Zieht das
Bundesministerium für Inneres in Erwägung, eine Mindestdauer
festzulegen, um sicherzustellen, dass private Quartiere
längerfristig verfügbar sind?
- Wurden bereits
Maßnahmen gesetzt, um sicherzustellen, dass private Quartiere sicher
und adäquat sind bzw. gewissen Standards entsprechen?
- Wenn ja, wann, welche
und mit welchem Ergebnis?
- Wenn ja, was sind die
minimalen Standards?
- Wenn nein, warum
nicht?
- Wenn nein: Welche
Maßnahmen sind geplant?
- Wem obliegt die Kontrolle, ob private
Quartiere adäquat sind oder nicht? Gibt es Vorgaben des Bundes?
- Wurden dazu Inhalte im Rahmen des
Koordinationsrates besprochen?
i. Wenn ja, wann, welchen Inhalts und mit welchem Ergebnis?
- Wie wird die Einhaltung
der Standards in privaten Unterbringungen überprüft?
- Wie wird sichergestellt,
dass Schutzsuchende vor Missbrauch, Ausbeutung oder
Menschenhandel durch private Quartiergeber_innen geschützt
werden?
- Wie werden Risiken
identifiziert?
- Welche Anlaufstellen
gibt es für privat untergebrachte Schutzsuchende aus der Ukraine?
- Gab es bereits
Meldungen über Missbrauch, Ausbeutung oder Menschenhandel in
privaten Quartieren?
i. Wenn ja, wie viele?
ii. Wenn ja, wie wird in der Folge verfahren?
- Zur Entlastung
der Grundversorgung bestünde auch die Möglichkeit
der vollständigen Überführung von Ukrainer_innen ins
Sozialhilfesystem: Gibt es diesbezüglich Gespräche bzw.
Verhandlungen zwischen Ihrem Ressort und den anderen zuständigen
Ministerien?
- Wenn ja, welche
Positionen werden seitens Ihres Ressorts vertreten?
- ÖVP-Klubobmann Wöginger hat bei
einer Pressekonferenz am 26.04.22 bekannt gegeben, dass eine
Gewährung eines Anspruchs auf Sozialhilfe bei den
Ukraine-Vertriebenen in Aussicht genommen werde. Wurden vor dieser
Ankündigung Gespräche mit Ihnen bzw. Ihrem Kabinett
geführt?
- Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
- Gibt es zwischen Ihrem
Ressort und Vertreter_innen der Länder einen Austausch bezüglich
- einer
Unterstützung für private Quartiergeber_innen?
- einer Anpassung der
Kostenhöchstsätze in der Grundversorgung an die Inflation?
- der Schaffung bzw.
Einhaltung einheitlicher Mindeststandards in privaten Quartieren?
- Missbrauch, Ausbeutung
und Menschenhandel durch private Quartiergeber_innen?
- der vollständigen
Überführung von Ukrainer_innen ins Sozialhilfesystem?
- zu a-f: wenn ja, mit
welchem Ergebnis und wenn nein, warum nicht?
- Seit wann erfolgt die
Auszahlung der Erstversorgungspauschale?
- Wird die
Erstversorgungspauschale rückwirkend ab März 2022
gezahlt?
i. Wenn ja, an welche Bundesländer und an welche
nicht?
1. War dies Thema im Koordinationsrat?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Sollte die Auszahlung
der Erstversorgungspauschale noch nicht erfolgen: warum nicht?
- Das temporäre
Aufenthaltsrecht nach der Vertriebenen-VO gilt voraussichtlich bis
März 2022, kann aber verlängert werden - bis dato wurde noch
keine Möglichkeit der Verlängerung angekündigt, ein Ende
des Kriegs steht nicht in Sicht: Wie bereitet sich Ihr Ressort auf eine
eventuelle Verlängerung des Aufenthaltsrechts für zehntausende
Menschen vor?
- Welcher Rahmen ist
für eine lückenlose Verlängerung des Aufenthaltsrechts
nach der Vertriebenen-VO angedacht (insb. damit kein Rückstau
entsteht, wenn das Aufenthaltsrecht verlängert wird oder damit
kein_e Ukrainer_in in der Zwischenzeit das Aufenthaltsrecht oder die
Grundversorgung verliert)?
- Sollte sich Ihr Ressort
noch nicht darauf vorbereiten: Warum nicht und wann werden welche
Vorkehrungen getroffen werden?