12628/J XXVII. GP

Eingelangt am 07.10.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt

betreffend Vorarlberger Modell der direkten Demokratie

 

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) befand in seinem am 6.10.2020 ergangenem Erkenntnis landesgesetzliche Bestimmungen in Vorarlberg für verfassungswidrig. Aus Anlass einer Gemeindevolksabstimmung in Ludesch vom 10. November 2019 betreffend einer möglichen Umwidmung von Flächen im Neugut wurden Bestimmungen des Vorarlberger Gemeindegesetzes und des Landes-Volksabstimmungsgesetzes aufgehoben.

Das Vorarlberger Gemeindegesetz sah nämlich vor, dass Angelegenheiten, die in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen, durch eine Volksabstimmung entschieden werden können. Eine solche Volksabstimmung wäre demzufolge etwa dann abzuhalten, wenn eine bestimmte Anzahl der Stimmberechtigten der Gemeinde dies begehrt. Nach der nunmehr aufgehobenen Bestimmung im Landes-Volksabstimmungsgesetz substituierte eine derartige Entscheidung des Volkes die Entscheidung des sonst zuständigen Gemeindeorganes.

Der VfGH entschied, dass ein solches Modell der Volksabstimmung dem repräsentativ-demokratischen System der Gemeindeselbstverwaltung widerspricht: Die Bundesverfassung hat die Gemeindeselbstverwaltung als repräsentativ-demokratisches System eingerichtet. Im Mittelpunkt dieses Systems steht der Gemeinderat, der vom Gemeindevolk gewählt wird und dem alle anderen Gemeindeorgane für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde verantwortlich sind. Zwar hatte der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen verbindliche Gemeindevolksabstimmungen, denen eine Willensbildung des Gemeinderates zugrunde liegt – entweder indem der Gemeinderat die Volksabstimmung selbst einleitet oder indem er ihr Ergebnis für verbindlich erklärt. Das repräsentativ-demokratische System der Gemeindeselbstverwaltung schließt es jedoch aus, den Gemeinderat auch gegen seinen Willen durch eine Volksabstimmung an eine bestimmte Entscheidung zu binden.

Der VfGH hat daher Bestimmungen des Gemeindegesetzes und des Landes-Volksabstimmungsgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben, und zwar jene, die festlegen, dass Volksabstimmungen mit bindender Wirkung auf Verlangen von Stimmberechtigten der Gemeinde auch ohne Zustimmung des Gemeinderates durchzuführen sind.

Auf Initiative der Abgeordneten Dr. Bösch, Mag. Loacker, Ing. Einwallner und weiterer Abgeordneter wurde daher ein Entschließungsantrag 1080/A(E) in der Nationalratssitzung vom 20.11.2020 eingebracht, der die Bundesregierung aufforderte, dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf zuzuleiten, welcher eine Rechtsgrundlage für die Durchführung von Volksabstimmungen in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde auf Verlangen des Gemeindevolkes, wie im Vorarlberger Landes-Volksabstimmungsgesetz vorgesehen, zu schaffen. Dieser Antrag wurde von ÖVP und Grünen abgelehnt.

Daraufhin wurde in einem Entschließungsantrag (214/E XXVII. GP) von ÖVP und Grüne in der Sitzung des Nationalrats vom 19.11.2021 die Bundesministerin für EU und Verfassung ersucht, betreffend die Absicherung und die Förderung direktdemokratischer Instrumente auf der Ebene der Gemeinden mit den Ländern, insbesondere den Landesverfassungsgesetzgebern, in den Dialog zu treten und zu ergründen, inwieweit Änderungen der bundesverfassungsgesetzlichen Rahmenbedingungen auf Grund regionaler Bedürfnisse angezeigt sind. Dem Verfassungsausschuss sollte darüber berichtet werden. Der Antrag wurde angenommen, der Bericht jedoch ist bis zum heutigen Tage ausständig.

 

Quellen:

https://www.vfgh.gv.at/medien/Ludesch_Seiersberg.php

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Warum wurde bis dato ein solcher Bericht noch nicht dem Verfassungsausschuss vorgelegt bzw. vorgetragen?
  2. Welche Gründe haben Sie an einer Berichterstattung gehindert?
  3. Wurden schon Schritte Ihrerseits unternommen mit den Länder- und/oder Gemeindevertreter_innen in den Dialog zu treten und zu ergründen, inwieweit Änderungen der bundesverfassungsgesetzlichen Rahmenbedingungen auf Grund regionaler Bedürfnisse notwendig sind? Hatte außer Ihnen aus Ihrem Ministerium noch jemand in dieser Angelegenheit mit Länder- und/oder Gemeindevertreter_innen Kontakt?
  4. Falls bereits ein solcher Dialog stattgefunden hat: Welche Ergebnisse hatte der Dialog und welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus? Mit welchen Repräsentant_innen der Länder und Gemeinden wurde konkret der Dialog aufgenommen? Wurde dabei mit Vertreter_innen aus allen Bundesländern Kontakt aufgenommen? Wenn nicht mit Vertreter_innen aus allen Bundesländern Kontakt aufgenommen wurde: Warum wurde dies unterlassen?
  5. Wann haben Sie vor, dem Verfassungsausschuss zu berichten?
  6. Welche konkreten Maßnahmen/Umsetzungen/Vorschläge planen Sie künftig in dieser Angelegenheit?