12721/J XXVII. GP
Eingelangt am 18.10.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Landesverteidigung
betreffend Teilnahme an einer europäischen Raketenabwehr
Am 30.08.2022 schlug der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die Schaffung eines gemeinsamen Luftverteidigungssystems vor. In einer Rede in Prag hielt er fest, dass ein gemeinsames System kostengünstiger und leistungsfähiger wäre als individuelle Systeme der einzelnen Mitgliedsstaaten, und damit einen Sicherheitsgewinn für Europa darstellen würde. Er sprach von Bedrohungen aus der Luft wie auch aus dem Weltraum, und bezog sich auch auf den geplanten Raketenschutzschirm, nach dem seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine immer mehr Rufe laut werden.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner erklärte gegenüber den Medien, dass Österreich "als neutrales Land auch Schranken (habe), weil wir für unseren Luftraum selbst sorgen müssen." Diese Position wirft aber einige Fragen betreffend Österreichs Rolle innerhalb der europäischen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) sowie der Position der Bundesregierung auf.
1) Im Oktober 2021 legte das Verteidigungsministerium den Mitgliedern des Landesverteidigungsausschusses ein Rechtsgutachten (auf Basis von A/E1417) über die Verfassungsmäßigkeit einer Luftraumüberwachung im Verbund mit Partnerstaaten der Europäischen Union vor. Dieses Gutachten wurde, obwohl es eine Interpretation geltenden Rechts betrifft, als vertraulich eingestuft. Ministerin Tanner sagte jedoch im Landesverteidigungsausschuss, dass das Gutachten prinzipiell eine kooperative Luftraumüberwachung zulässt. Auch in der Aktuellen Fragestunde im Parlament im Juni 2022 sagte die Ministerin, Möglichkeiten einer Kooperation in der Luftraumüberwachung seien nicht zuletzt aufgrund der hohen Kosten zu befürworten, und verwies erneut auf die verfassungsrechtliche Evaluierung der Thematik durch die juristische Abteilung des BMLV. Es gebe Diskussionen mit der Schweiz, und mit Italien und Tschechien sei man ebenfalls bereits in Verbindung.
2) Mit dem EU-Beitritt hat sich Österreich vollinhaltlich zur GSVP des Maastricht-Vertrages 1993 verpflichtet und die Verfassung dahingehend angepasst. Art. 23 B-VG ermöglicht eine sogar eine Beteiligung an Kampfeinsätzen unter der GSVP. Eine Raketenabwehr ist ein defensives Waffensystem, das noch dazu der Verteidigung des österreichischen Staatsgebiets und Luftraums dient, den das ÖBH alleine nicht kostengünstig und auch nicht in der gleichen Form wie im Verbund mit Nachbarländern gewährleisten könnte.
3) Seit kurzem ist auch der Strategische Kompass Teil der österreichischen Sicherheitspolitik. Die Verteidigungsministerin sprach wiederholt davon, dass Österreich "selbstverständlich" dabei sei und schrieb in Ziele, Perspektiven und Chancen für Österreich: "Eine Neuaufstellung geopolitischer Konkurrenz und die Renaissance bipolarer Systemkonfrontation dämpfen die Hoffnung auf einen weiteren Ausbau der regelbasierten Weltordnung und des Multilateralismus. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Vertiefung der Verteidigungskooperation im Rahmen der EU geboten." Arnold Kammel, damals Ministerin Tanners Kabinettschef, jetzt BMLV Generalsekretär, schrieb in der selben Publikation, dass "die Dimension der Herausforderung" selbst die Möglichkeiten der großen Staaten übersteige und nur ein gemeinsames europäisches Vorgehen erlauben würde, dass Europa "den anderen Welt- und Mittelmächten glaubwürdig gegenübertreten" könne.
Der Kompass beinhaltet eine Vielzahl von Initiativen, von denen die gemeinsame Beschaffung von Militärgütern eines der Hauptaugenmerke darstellt. Auch Ministerin Tanner spricht wohlwollend von gemeinschaftlicher Beschaffung, letztens beim gleichen Minister_innentreffen, bei dem sie einer gemeinsamen Luftraumverteidigung eine Absage erteilte. Bei der Vorstellung des Strategischen Kompasses im Rahmen einer von der Ministerin veranstalteten ganztägigen Veranstaltung in der Stiftskaserne in Wien betonte auch Brigadier Peter Vorhofer, "alleine geht es nicht mehr."
4.) Nach dem EU-Gipfel in Versailles am 10. und 11. März 2022 sagte Bundeskanzler Nehammer, Österreich wolle sich an der Vertiefung der europäischen Militärpolitik beteiligen. Für die Neutralität sei dies kein Problem, Österreich werde sich sicherheitspolitisch mehr engagieren, das Bundesheer zur EU ausrichten, wird der Kanzler zitiert (https://www.derstandard.at/story/2000134063457/bundeskanzler-karl-nehammer-nehammer-die-eu-partner-in-der-nato).
All dem steht nun die letzte Aussage der Verteidigungsministerin entgegen. Im Falle einer aktiven Luftraumüberwachung und auch Luftraumverteidigung wäre ein Alleingang theoretisch möglich, allerdings zu den exorbitant hohen Kosten, die die Ministerin wie auch andere Militärs regelmäßig im Zusammenhang mit gemeinsamer Beschaffung und kooperativen Zugängen thematisieren. Die Schweiz hat zum Beispiel erst letztes Jahr eine Investition in die Luftwaffe angekündigt, deren Kosten das knapp dreifache des gesamten österreichischen Rüstungsbudgets betragen, die Schweizer jedoch dennoch nur auf etwa 60 Kampfflugzeuge bringt.
Auch eine lokale Raketenabwehr, die theater defense, wäre für Österreich möglich, aber extrem teuer. Im Gegensatz dazu ist eine high-altitude defense, bei der Raketen weit weg von der eigenen Grenze entdeckt und noch in großer Höhe bekämpft werden, nur im Verbund möglich. Dazu braucht es über große Distanz miteinander verbundene Radaranlagen und Satelliten, die über das Staatsgebiet Österreichs weit hinausgehen müssten. Wenn sich Österreich also nicht an einem internationalen System beteiligt, kann unser Heer auch nur bedingt – in den Worten der Verteidigungsministerin – "für unseren eigenen Luftraum sorgen." Österreich bliebe dennoch nicht ungeschützt, da die Luftraumverteidigung der benachbarten NATO- und EU-Staaten auch das Binnenland Österreich automatisch miteinbeziehen würden. Österreich könnte also weiterhin mit der Trittbrettfahrerrolle seine Sicherheit bewahren. Ein eigenes Raketenabwehrsystem, wie vom Bundeskanzler angedacht, wäre dann aber überflüssig.
Das leiche trifft auf die Verteidigung des Luftraums gegen feindliche Kampfflugzeuge zu. Diese müssten EU- und NATO-Luftraum durchqueren und würden dort bereits bekämpft werden. Wenn Österreich also aus Neutralitätsgründen nicht an eine gemeinsamen Luftraumverteidigung teilnimmt, bliebe das Risiko gegen einen konventionellen Luftangriff inexistent. Dann aber gäbe es keine Begründung für den kostspieligen Erhalt einer eigenen Luftwaffe. Diese würde aus geografischen Gründen keine Luftkämpfe gegen feindliche Luftwaffen führen, wäre aber für Luftraumüberwachung allein überdimensioniert. Eine Luft-Gendarmerie zur Identifizierung von aus befreundeten Nachbarländern unidentifiziert einfliegenden Flugobjekten wäre ausreichend.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende