12768/J XXVII. GP
Eingelangt am 21.10.2022
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Rechtswidrige Abschiebungen von Kindern
Bei Entscheidungen, die Familien und Kinder betreffen, ist im besonderen Maße das Kindeswohl zu beachten: Gemäß Art 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, Art 3 UN-Kinderrechtskonvention und Art 24 EU-Grundrechtecharta muss das Wohl des Kindes bei jeder Maßnahme durch öffentliche oder private Stellen vorrangige Erwägung sein. Auch bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ist das Kindeswohl daher vorrangig zu berücksichtigen.
Am 28. Januar 2021 wurde die damals 12-jährige Schülerin Tina samt ihrer Familie nach Georgien abgeschoben. Es handelte sich um ein bestens integriertes Kind, das in Wien geboren ist, in Wien zur Schule ging und sowohl ihre Freund_innen als auch ihren Lebensmittelpunkt in Österreich hatte. Zu dem Herkunftsland ihrer Mutter, Georgien, hatte Tina so gut wie keine Beziehung. Durch Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt wurde eine Entscheidung durchgesetzt, deren Überprüfung der ehemalige Innenminister Nehammer zugesagt hatte. Um dies im Nachhinein zu verteidigen, berief er sich auf einen angeblich anderweitig begehenden Amtsmissbrauch, die vermeintlich das Absehen von der Abschiebung nicht ermöglichende Rechtslage, eine rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (diese datiert jedoch vom September 2019) und eine Entscheidung eines Höchstgerichtes (der Verwaltungsgerichtshof fasste seinen Beschluss in dem Verfahren im Dezember 2019, die sich jedoch nicht inhaltlich mit dem Fall auseinandersetzt). Zudem wurde für Tina schon im Mai 2020 ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG gestellt. Eine Entscheidung des Bundesamtes von Fremdenwesen und Asyl war zu dem Zeitpunkt der Abschiebung nicht bekannt, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehene Frist von sechs Monaten schon längst verstrichen war. Der Fall löste eine öffentlichen Debatte zum Thema Kindeswohl aus und führte schließlich zur Einsetzung der Kindeswohlkommission, deren Abschlussbericht insbesondere die rechtliche Anwendungspraxis bei Asyl- und Bleiberechtsverfahren kritisiert, welche laut Kommission den völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs nur unzureichend gerecht wird. Die inzwischen 13 Jahre alte Tina ist am 30. Dezember 2021 nach Wien zurückgekehrt und hat am 25. Februar 2022 ein Schülervisum erhalten, seitdem lebt sie bei einer Gastfamilie in Wien. Ihre Schwester und die Mutter blieben in Georgien.
Dass die Abschiebung von Tina rechtswidrig war, entschied das BVwG am 21. März 2022. Laut BVwG hat Tina nämlich „ihre grundsätzliche Sozialisierung“ in Österreich erfahren, daher sei von einem „sehr ausgeprägten Bezug“ zu Österreich sowie einer „bereits starken Verwurzelung“ auszugehen. Zudem war sie zum Zeitpunkt der Abschiebung auch nicht mehr in einem "anpassungsfähigen Alter”, also in einem Alter, in dem sie sich noch an das neue Leben im Herkunftsland anpassen hätte können. In Summe hätte das Kindeswohl stärker berücksichtigt werden müssen, der Vollzug der Abschiebung ohne erneute Abwägung des Kindeswohls war laut BVwG auf jeden Fall unverhältnismäßig - die im September 2019 ausgestellte Rückkehrentscheidung war zum Zeitpunkt der tatsächlichen Abschiebung im Jänner 2021 nicht mehr aktuell genug. Hätte vor der Abschiebung eine neue Prüfung stattgefunden, hätte diese ergeben, dass die Voraussetzungen für die Abschiebung zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht mehr vorlagen. Gernot Maier, Chef des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, argumentierte infolge der Entscheidung des BVwG, dass das rechtswidrige Verhalten der Mutter der Tochter "nicht vorwerfbar, aber zurechenbar" sei, denn die Mutter sei Obsorgeberechtigte (siehe "Abschiebung nach Georgien rechtswidrig" I ORF). Daraufhin erhob das BFA gegen die Entscheidung des BVwG Einspruch, jedoch wies der Verwaltungsgerichtshof am 16. August 2022 die Revision des BFA im Fall Tina als unzulässig zurück und bestätigte die Unverhältnismäßigkeit der Abschiebung – demnach war es auch rechtskonform, dass das BVwG die Abschiebung der damals fünfjährigen Schwester und der Mutter Tinas für rechtswidrig erklärte (siehe "VwGH bestätigt: Abschiebung von Tina bleibt rechtswidrig" I Die Presse). Sie, Herr Innenminister, stellten diese höchstgerichtliche Entscheidungen in der ZiB2 des 23. August infrage. Ihrer Ansicht nach war sowohl eine Entscheidung für als auch gegen eine Abschiebung möglich - Sie verwiesen auf Juristen_innen im Ministerium.
Bei einer zweiten Abschiebung eines Minderjährigen wurde die Rechtswidrigkeit ebenfalls höchstgerichtlich bestätigt: Am 15. Februar 2022 wurde Husein Salimov, ein 13-jähriger Junge, mit seinen Eltern nach Aserbaidschan abgeschoben. Husein Salimov ist 2016 – im Alter von acht Jahren – mit seinen Eltern aus dem Süden von Aserbaidschan nach Österreich gekommen. Die Familie stellte damals einen Asylantrag und wohnte seither in dem Quartier der Grundversorgung in der Salzburger Alpenstraße. Bis zum vergangenen Wochenende lebte der 13-Jährige dort mit Mutter und Vater. Husein Salimov besuchte die Mittelschule und engagierte sich im UTTC Tischtennisverein in Salzburg, wo er als Nachwuchstalent galt. Er und seine Mutter sprechen fließend deutsch – die Mutter hatte laut ihrem Anwalt Kurt Jelinek auch einen Arbeitsvorvertrag sowie einen Mietvorvertrag für den Fall, dass ihnen Asyl gewährt wird (siehe "Aufregung um Abschiebung von 13-Jährigem" I ORF). Auch Personen, die Husein Salimov gut kannten, wie etwa der Vizepräsident des UTTC Salzburg, Walter Windischbauer, betonten, dass er in Salzburg bestens integriert ist und bemühten sich, die Abschiebung zu verhindern. Dass in dem Fall von Husein Salimov eine umfassende Prüfung des Kindeswohls stattgefunden hat, ist stark zu bezweifeln. Zahlreiche Empfehlungen der Kindeswohlkommission wurden in diesem Fall offensichtlich missachtet. Dies wird sowohl durch den Vollzug der Abschiebung während des laufenden Schuljahres als auch durch die - noch dazu getrennte - Inschubhaftnahme Huseins und seiner Familie verdeutlicht. Die Situation und Integration von Husein, inklusive Erfahrungen von Nahestehenden, blieben offenbar unbeachtet. Aus welchen Gründen ihm das humanitäre Bleiberecht gemäß §56 AsylG verweigert worden ist, blieb genauso unverständlich.
Anfang September 2022 hat der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben, mit dem die Anträge auf Asyl bzw. humanitäres Bleiberecht endgültig abgelehnt worden waren. Der VfGH führt aus, dass die Beschwerdeführer - die Mutter und ihr Sohn - „im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander" verletzt worden seien. In seiner Begründung ist der VfGH sehr deutlich: „Das angefochtene Erkenntnis enthält im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - soweit sie sich auf die Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidungen bezieht - ausschließlich Ausführungen, die offenbar aus einer Entscheidung übernommen wurden, die eine von den Beschwerdeführern verschiedene Familie betrifft, und die keinen Bezug zu dem vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten familiären und privaten Umständen der Beschwerdeführer erkennen lassen. Eine zutreffende rechtliche Würdigung des vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes findet nicht statt. Dadurch entzieht sich das angefochtene Erkenntnis in diesem Umfang einer nachprüfenden Kontrolle durch de Verfassungsgerichtshof." Nun muss das Verwaltungsgericht neu entscheiden. Zugleich ist die Entscheidung, ob Husein ein Schülervisum bekommen wird, noch offen (siehe "Abschiebung von Huseyn war rechtswidrig: Kommt der 14-Jährige bald nach Salzburg zurück?" I Salzburger Nachrichten).
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?