12820/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.11.2022
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Anfrage

 

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend ICMPD

 

Das International Center for Migration Policy Development (ICMPD) ist eine internationale Organisation die 1993 von Österreich und der Schweiz gegründet wurde und mittlerweile mit 19 Mitgliedstaaten in über 90 Ländern weltweit tätig ist. Den eigenen Aussagen nach wurde das ICMPD gegründet, um Forschung, Projekte und Aktivitäten zu migrationsbezogenen Themen durchzuführen sowie politische Empfehlungen an Regierungen zu geben. Zu den Schwerpunktregionen gehören Afrika, Osteuropa und Zentralasien, der Mittelmeerraum, die Seidenstraßen, die westlichen Balkanländer sowie die Türkei. Finanziert wird das ICMPD von seinen Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission, den Vereinten Nationen, anderen internationalen Organisationen sowie von weiteren bilateralen Gebern, wobei nähere Details zur Finanzierungsstruktur nicht bekannt gegeben werden (siehe: https://www.icmpd.org/file/download/48038/file/Factsheet_EN_July2022_Online.pdf). Einmal jährlich organisiert das ICMPD die Vienna Migration Conference, bei welcher Entscheidungsträger_innen, Expert_innen, internationale Organisationen, NGOs, Vertreter_innen des Privatsektors, der Medien und der Zivilgesellschaft zusammentreffen, zuletzt auch unter Anwesenheit des damaligen Innenministers, nun Bundeskanzler, Karl Nehammer.

Seit 2016 ist der ehemalige ÖVP-Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger Direktor des ICMPD. Sein Leitbild ist es, Partnern des ICMPD mit "zukunftsweisenden Antworten auf Chancen und pragmatischen Lösungen für komplexe, regionale Migrations- und Mobilitätsherausforderungen" auszustatten. Es sei an der Zeit, neue Wege zu finden, wie Migration "intelligenter und effektiver" werden kann (siehe: https://www.derstandard.at/story/2000130553254/konferenz-in-wien-innovative-wege-fuer-regulaere-migration-finden). Unter seiner Leitung verdoppelte sich das Personal des ICMPD von weniger als 200 auf fast 400 Mitarbeiter, das Jahresbudget stieg von 20 Millionen Euro auf rund 60 Millionen Euro (Jahr 2020) und die Anzahl an Dienststellen stieg von 19 auf 30 (vgl. "Decrypting ICMPD", S.P. Naceur). 

Unter Kritik steht das ICMPD aufgrund seiner zunehmenden Beteiligung an Projekten zur Externalisierung bzw. Auslagerung von Aufgaben aus den Bereichen Grenzschutz und Migrationsmanagement an Akteure aus Drittstaaten, in denen z.T. Zweifel an der Einhaltung menschenrechtlicher Standards bestehen, zuletzt auch im Rahmen eines Grenzschutzprojekts in Tunesien, bei dem die Ausbildung von Grenzschutzpolizist_innen durch Poliziste_innen aus Österreich und Dänemark sowie die Errichtung eines Trainingscamp geplant sind. Die Verbesserung der Sicherheit an der Grenze für "Bona-fide-Reisende" sowie die "Erleichterung von grenzübergreifenden, rechtskonformen Handlungsweisen" sind weitere Projektziele. Österreich unterstützt dieses Projekt mit einer knappen Million: "Auch die tunesische Grenze ist eine österreichische Grenze, wenn es darum geht, irreguläre, illegale Migration zu verhindern", so der damalige Innenminister Karl Nehammer. Offizielle Schätzungen, wie viele Menschen damals in Tunesien eine Überfahrt nach Europa planten, waren zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt (siehe: https://www.sn.at/politik/weltpolitik/oesterreich-unterstuetzt-grenzschutzprojekt-in-tunesien-89345692). Die tunesische Verfassung garantiert das Recht, Asyl zu beantragen, einen rechtlichen Rahmen für Asylverfahren gibt es jedoch nicht, so Amnesty International (siehe: https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/tunisia/report-tunisia/). 

In den letzten Jahren wurde das ICMPD auch zunehmend mit der Koordinierung von Beschaffungsprojekten beauftragt, mit denen Polizei-, Militär- und Zollbehörden in außereuropäischen Staaten mit Überwachungs- bzw. Polizeiausrüstung ausgestattet werden sollen, sowohl in Nordafrika als auch im Westbalkan, wobei das Ausmaß an der Beteiligung des ICMPD manchmal unklar ist. So förderte die EU 2017 ein Programm zum Ausbau von integriertem Grenzmanagement (IBM) in Libyen, bei dem das ICMPD neben Italiens Regierung für die Umsetzung des Projekts vorgesehen war und in den EU-Dokumenten als Projektpartner ausgewiesen wurde. Laut ICMPD führe man jedoch "keine Projekte im Bereich Grenzmanagement in Libyen" durch und sei "nicht mit Arbeiten im Rahmen von IBM Libya beauftragt". Eine Beschwerde zu der Kooperation der EU mit Libyen liegt aktuell beim EU-Rechnungshof (siehe: https://www.derstandard.de/story/2000117235978/ngos-reichen-beschwerde-gegen-kooperation-der-eu-mit-libyen-ein). 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. In welchem Ausmaß förderte Österreich das ICMPD seit 2010? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr, Hohe der Unterstützung und unterstützendes Ministerium sowie Grund. 
    1. In welchen Untergliederungen, Global- und Detailbudgets wurden diese Förderungen veranschlagt?
  1. An welchen Projekten des ICMPD beteiligte sich das Bundesministerium für Inneres seit 2010 jeweils
    1. in welchen Ländern?
    2. mit welchem konkreten Inhalt bzw. welcher Zielsetzung? 
    3. für welche Laufzeit?
    4. aus welchen Gründen bzw. basierend auf welcher Daten- und Faktenlage?
    5. zu welchen Kosten? 
    6. mit welchen Ergebnissen? 
  1. Welcher Anteil der vom Bundesministerium für Inneres geförderten ICMPD-Projekte hatten die (Koordinierung von) Beschaffung von Überwachungs- bzw. Polizeiausrüstung zum Gegenstand?
  2. Wie stellt das Bundesministerium für Inneres sicher, dass die geförderten ICMPD-Projekte, wie etwa das Grenzschutzprojekt in Tunesien, stets mit menschenrechtlichen Standards übereinstimmen? 
    1. Wurde vonseiten des BMI ein menschenrechtliches Monitoring eingefordert? 

                                          i.    Wenn ja, inwiefern wann mit welchem wann vorliegenden Ergebnis?

    1. Gibt es vonseiten des ICMPD ein menschenrechtliches Monitoring? 

                                          i.    Wenn ja, inwiefern wann mit welchem wann vorliegenden Ergebnis?

  1. Wie stellt das Bundesministerium für Inneres sicher, dass sich ICMPD im Rahmen der geförderten Projekte an die Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes bzw. die Vorgaben des BMF hält?
    1. Hat ICMPD jemals gegen Bestimmungen von mit dem BMI abgeschlossenen Förderverträgen verstoßen?
    2. Wurden zwischen dem BMI und ICMPD bestehende Förderverträge in der Vergangenheit jemals nachträglich abgeändert?
    3. Wer trifft die vergaberechtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit vom BMI geförderten Projekten des ICMPD?
    4. Ist dem BMI bekannt, mit welchen Subunternehmern der Fördernehmer ICMPD in den jeweiligen Projekten zusammenarbeitet?

                                          i.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Michael Spindelegger soll im Rahmen seiner Vorstandsposition bei der AED im Sommer 2020 u.a. beim Wirtschaftsministerium für eine Förderung für diese Organisation geworben haben. Nach Ablehnung mangels Budgetmitteln dürfte er seine Kontakte im Finanzministerium spielen lassen haben, woraufhin dem Wirtschaftsressort eine "Mittelverwendungsüberschreitung" erlaubt wurde, aus der die AED mit fast einer Million Euro gefördert wurde (siehe “Wie sich eine blaue und eine schwarze Agentur um EU-Gelder matchen" I Der Standard). Wie wird - angesichts solcher Vorkommnisse - sichergestellt, dass Organisationen wie die AED oder eben das ICMPD, deren Führungsebene aufgrund vergangener parteipolitischer Tätigkeit über Kontakte und Netzwerke in diverse Ministerien verfügt, bei Vergaben öffentlicher Mittel nicht begünstigt werden? 
  2. Hat das Bundesministerium für Inneres das ICMPD je im Rahmen eines Grenzmanagementprojekts in Libyen gefördert? 
    1. Wenn ja, wann, in welchem Ausmaß und aus welchen Gründen?
  1. Wie werden die Ergebnisse der von Österreich geförderten ICMPD-Projekte überprüft?
    1. Wie beurteilt das BMI, ob ICMPD-Projekte, die von Österreich gefördert werden, ihre Zielsetzung erfüllen?  
    2. Welchen Austausch gibt es diesbezüglich zwischen dem Bundesministerium für Inneres und dem ICMPD?
  1. Nimmt bzw. nahm das Bundesministerium für Inneres je Beratungsleistungen des ICMPD in Anspruch? 
    1. Wenn ja, wann und aus welchen Gründen? 
    2. Wenn ja, welchen Inhalts?
    3. Wenn ja, zu welchen Kosten? 
  1. In welchen zeitlichen Abständen finden Gespräche oder Treffen zwischen welchen Vertreter_innen des ICMPD und welcher Stelle Ihres Ressorts jeweils statt?
    1. Mit welchem Inhalt?
    2. Mit welchem Ergebnis?
  1. Wer vertritt Österreich in der politischen Steuerungsgruppe des ICMPD? 
  2. Ist das BMI in Kenntnis der strategischen Entscheidungen, an denen sich Österreich in der politischen Steuerungsgruppe des ICMPD beteiligt?  
  3. Ist das Bundesministerium für Inneres in Kenntnis der genauen Zusammensetzung des Budgets des ICMPD? 
    1. Wenn ja, wie setzte es sich in den Jahren 2020, 2021 und 2022 zusammen? 
  1. An welchen vom BMI organisierten Konferenzen/Veranstaltungen war das ICMPD jeweils aus welchen Gründen beteiligt und von wem vertreten? 
    1. Wieso war das ICMPD an der vom BMI organisierten "Rückkehr-Ministerkonferenz" im Februar 2022 beteiligt? 

                                          i.    Wer vertrat das ICMPD bei dieser Konferenz?

    1. Ist das ICMPD generell an der Joint Coordination Platform (JCP) beteiligt? 

                                          i.    Wenn ja, inwieweit und vertreten durch wen? 

    1. Sind andere internationale Organisationen an der JCP beteiligt? 

                                          i.    Wenn ja, welche? 

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?