12947/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.11.2022
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Anfrage

 

des Abgeordneten Peter Wurm

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Offenkundige Zahlungsunfähigkeit und Anzahl der Fälle seit dem 1. April 2022 - Folgeanfrage zu 9887/AB

 

Der Alpenländische Kreditorenverband (AKV) erklärt das „Instrument“ der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ folgendermaßen:[1]

 

Recht einfach erklärt – Offenkundige Zahlungsunfähigkeit

 

Im Juli 2021 wurde eine Verpflichtung der Exekutionsgerichte geschaffen, die Zahlungsunfähigkeit von Schuldnern festzustellen und öffentlich bekanntzumachen, sofern diese offenkundig ist.

 

Ziel war es, aussichtslose Exekutionsverfahren zu vermeiden bzw. zu beenden. Stattdessen sollen offene Forderungen in einem Insolvenzverfahren weiterverfolgt und bedient werden. Dies hat den Vorteil, dass sämtliche Forderungen zu gleichen Teilen befriedigt werden und es andererseits zu keinen Anfechtungen kommen kann, bei denen bereits im Exekutionsweg lukrierte Beträge an die Masse zurückgezahlt und neu verteilt werden müssten.

 

Die Einleitung dieses Verfahrens erfolgt in vier Schritten:

 

1. Feststellung durch Vollzugsorgan

Die offenkundige Zahlungsunfähigkeit wird im Exekutionsverfahren vom Vollzugsorgan oder einem Verwalter festgestellt. Dies geschieht bei einem Vollzug, der zur Ermittlung von Vermögen der verpflichteten Partei dient. In diesem Fall ist mit den Exekutionshandlungen vorerst innezuhalten.

 

2. Entscheidung durch das Gericht

In weiterer Folge hat das Exekutionsgericht – nach Einvernahme der Parteien – die offenkundige Zahlungsunfähigkeit bei Vorliegen mittels Beschlusses festzustellen.

 

3. Rechtskraft des Beschlusses

Wird innerhalb einer zweiwöchigen Frist kein Rekurs gegen diesen Beschluss eingebracht, ist dieser rechtskräftig.

 

4. Veröffentlichung

Die offenkundige Zahlungsunfähigkeit wird nach Rechtskraft des Beschlusses in der Ediktsdatei veröffentlicht. Dadurch sollen sämtliche Gläubiger Kenntnis über die offenkundige Zahlungsunfähigkeit erhalten.

 

Solange die offenkundige Zahlungsunfähigkeit besteht, ruhen sämtliche Exekutionsverfahren auf das bewegliche Vermögen.

 

Exekutiv erworbene Pfandrechte erlöschen bei Insolvenzeröffnung oder wenn nicht innerhalb von 6 Monaten das Exekutionsverfahren fortgeführt wird.

 

Gesetzliche und vertragliche Pfandrechte können weiter exekutiert werden – diese würden auch in einem Insolvenzverfahren weiter bestehen bleiben.

 

Gläubiger haben die Möglichkeit, entweder einen Insolvenzantrag oder einen Antrag auf Fortsetzung des Exekutionsverfahrens zu stellen.

 

Eine Fortsetzung der Exekution ist allerdings nur unter den folgenden Voraussetzungen möglich:

 

·         Über einen Insolvenzantrag wurde binnen 3 Monaten nicht entschieden.

·         Ein Insolvenzantrag wurde mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

·         Die Zahlungsunfähigkeit liegt nicht mehr vor.

 

In einem fortgesetzten Exekutionsverfahren kann die offenkundige Zahlungsunfähigkeit über einen Zeitraum von drei Jahren nicht mehr festgestellt werden, wohl aber in neuen Exekutionsverfahren

 

Eine amtswegige Einleitung von Insolvenzverfahren nach Veröffentlichung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit wurde diskutiert, aber letztendlich nicht beschlossen. Stattdessen sollen die Gläubiger durch die Gesetzesänderungen motiviert werden, frühzeitig Insolvenzanträge zu stellen.

 

Auch der Schuldner hat binnen 30 Tagen nach Veröffentlichung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit als Unternehmer einen Insolvenzantrag zu stellen oder als Nichtunternehmer Maßnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit zu ergreifen, z.B. eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen, welche dann einen Insolvenzantrag vorbereiten und einbringen kann. Verletzt der Schuldner diese Verpflichtung, steht ihm über Einwendung der Gläubiger kein dreijähriges, sondern nur ein fünfjähriges Abschöpfungsverfahren offen.

 

In der Ediktsdatei werden die Fälle der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ aufgelistet. Aktuell ist vor allem auch für die Sozial- und Konsumentenschutzpolitik von Interesse, welche Entwicklung die Fälle einer „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ seit dem Inkrafttreten österreichweit, in den einzelnen Bundesländern, aber auch in den einzelnen Bezirksgerichtssprengeln genommen haben. Daraus lassen sich dann auch weitere Maßnahmen, etwa bei der Schuldnerberatung usw. ableiten.

 

Hohe Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, eine steigende Anzahl an Sozialhilfebezieher und eine zunehmende Verarmung breiter Bevölkerungsschichten sind nicht zuletzt ein Resultat unverhältnismäßiger Corona-Maßnahmen dieser schwarz-grünen Bundesregierung. Dazu kommen gestörte Lieferketten und explodierende Weltmarktpreise im Zuge der aktuellen Ukraine-Krise, die zu stark steigenden Preisen auf dem Energiesektor und bei Ver- und Gebrauchsartikeln des täglichen Bedarfs geführt haben. Immer weniger Personen finden so ein Auskommen mit ihrem Einkommen. Dies führt im Resultat sehr oft auch zu Zahlungsverzug, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. In diesem Zusammenhang sollte man daher auch das Instrument der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ aus justiz-, vor allem aber auch aus sozial- und konsumentenpolitischer Sicht genau beobachten.

 

In der Anfragebeantwortung 9887/AB[2] zu 10142/J[3] hat Frau Bundesminister für Justiz, Dr. Alma Zadić, LL.M. neben dem Statistik-Teil folgende Informationen übermittelt:

 

Die offenkundige Zahlungsunfähigkeit ist bei einem Vollzugsversuch im Rahmen der Exekution auf bewegliche Sachen, dem häufigsten Exekutionsmittel, durch den Gerichtsvollzieher oder den Verwalter in Exekutionssachen bei Ermittlung von beweglichen Vermögen wahrzunehmen, und zwar in jenen Exekutionsverfahren, in denen der Exekutionsantrag nach dem 30. Juni 2021 bei Gericht eingelangt ist. Seit dem Inkrafttreten der Gesamtreform des Exekutionsrechts bis Anfang dieses Jahres wurden über 332.000 Vollzugsberichte mit dem Ergebnis „keine pfändbaren Gegenstände“ in Verfahren verzeichnet, die nicht aufgrund von vollständiger Zahlung oder Einstellung, die meist auf eine Zahlung an den betreibenden Gläubiger zurückzuführen ist, endeten.

 

Diese Berichte deuten auf das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit der verpflichteten Partei hin, wenngleich diese nicht immer vorliegen muss. Allerdings kann auch bei einem anderen Vollzugsergebnis offenkundige Zahlungsunfähigkeit vorliegen. Ein Vergleich der Zahlen zeigt, dass die offenkundige Zahlungsunfähigkeit noch in weniger Fällen wahrgenommen wird, als von der Praxis im Gesetzwerdungsprozess geschätzt wurde. Die Regelung hat sich aber bewährt, weil mit ihr bereits erreicht wurde, dass Exekutionsverfahren gegen zahlungsunfähige Schuldner ruhen. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist ein Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Bei späterer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens können im Exekutionsverfahren erworbene Pfändungen erlöschen und die Hereinbringung von Forderungen angefochten werden. Der Verfahrensaufwand des Exekutionsverfahrens und die Kosten für die Anfechtung sind vermeidbar, wenn rechtzeitig ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Darüber hinaus steht dem Schuldner, der kein Unternehmen betreibt, eine Entschuldung nach drei Jahren im Rahmen eines Abschöpfungsverfahrens mit Tilgungsplan nur offen, wenn er binnen 30 Tagen nach öffentlicher Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit Maßnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit ergreift und keine neuen Schulden eingeht, die er nicht bezahlen kann.

 

Mit Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit ruhen sämtliche Exekutionsverfahren der verpflichteten Partei. Ein auf das bewegliche Vermögen gerichteter Exekutionsantrag eines betreibenden Gläubigers ist nicht mehr zu bewilligen (ausgenommen Exekution wegen Unterhaltsanspruch). Die Exekutionsführung gegen eine verpflichtete Partei, dessen Zahlungsunfähigkeit rechtskräftig festgestellt wurde, ist nicht mehr möglich.

 

Mit der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen besteht ein regelmäßiger Austausch. Derzeit besteht kein Handlungsbedarf.

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende  

 

Anfrage

 

1.    Wie hat sich die Fallzahl der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ seit dem April 2022 im Monatsvergleich bis heute österreichweit entwickelt?

2.    Wie hat sich die Fallzahl der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ seit dem April 2022 im Monatsvergleich bis heute in den einzelnen Bundesländern entwickelt?

3.    Wie hat sich die Fallzahl der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ seit dem April 2022 im Monatsvergleich bis heute in den einzelnen Bezirksgerichts-Sprengeln entwickelt?

4.    Welche Schlüsse ziehen Sie als Justizministerin bisher aus dem Vollzug dieses neuen Instruments im Exekutionsrecht und wie hat sich dieses bewährt?

5.    Wie hat sich seit dem 1.1.2022 insbesondere die Anzahl der Vollzugsberichte mit dem Ergebnis „keine pfändbaren Gegenstände“ (bis 31.12.2021: 332.000 Vollzugsberichte mit dem Ergebnis „keine pfändbaren Gegenstände“- 9887/AB) entwickelt?

6.    Wie hat sich die Anzahl der Vollzugsberichte mit dem Ergebnis „keine pfändbaren Gegenstände“ umgelegt auf die Bundesländer und einzelnen Bezirksgerichtssprengel bis zum 31.12.2021 entwickelt?

7.    Wie hat sich die Anzahl der Vollzugsberichte mit dem Ergebnis „keine pfändbaren Gegenstände“ umgelegt auf die Bundesländer und einzelnen Bezirksgerichtssprengel seit dem 1.1. 2022 entwickelt?

8.    Wie viele Personen, bei denen seit dem 30. Juni 2021 „Offenkundige Zahlungsunfähigkeit“ festgestellt worden ist, haben „binnen 30 Tagen nach öffentlicher Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit Maßnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit ergriffen und sind keine neuen Schulden eingegangen, die sie nicht bezahlen können“?

9.    Wie hat sich die Anzahl der Personen, bei denen seit dem 30. Juni 2021 „Offenkundige Zahlungsunfähigkeit“ festgestellt worden ist, und die „binnen 30 Tagen nach öffentlicher Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit Maßnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit ergriffen und keine neuen Schulden eingegangen sind, die sie nicht bezahlen können“, entwickelt?

10. Wie hat sich die Anzahl der Personen, bei denen seit dem 30. Juni 2021 „Offenkundige Zahlungsunfähigkeit“ festgestellt worden ist, und die „binnen 30 Tagen nach öffentlicher Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit Maßnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit ergriffen und keine neuen Schulden eingegangen sind, die sie nicht bezahlen können“, umgelegt auf die Bundesländer und einzelnen Bezirksgerichtssprengel entwickelt?

11. Wie viele Exekutionsverfahren betreffend Unterhaltsschulden, sind trotz „Offen-kundiger Zahlungsunfähigkeit“ seit dem 30. Juni 2021 weitergeführt worden?

12. Wie hat sich die Anzahl der Exekutionsverfahren betreffend Unterhaltsschulden, die trotz „Offenkundiger Zahlungsunfähigkeit“ seit dem 30. Juni 2021 weitergeführt worden sind, umgelegt auf die Bundesländer und einzelnen Bezirksgerichtssprengel bis zum 31.12.2021 entwickelt?

13. Wie hat sich die Anzahl der Exekutionsverfahren betreffend Unterhaltsschulden, die trotz „Offenkundiger Zahlungsunfähigkeit“ seit dem 30. Juni 2021 weitergeführt worden sind, umgelegt auf die Bundesländer und einzelnen Bezirksgerichtssprengel seit dem 1.1.2022 entwickelt?

14. Sehen Sie als Justizministerin immer noch „keinen Handlungsbedarf“ (9887/AB) in der Konsumenten- und Schuldnerberatung, um das Instrument der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ unterstützen zu können?

15. Sehen Sie insbesondere als Justizministerin einen Handlungsbedarf bei der Erhöhung des Existenzminimums bei Exekutionen?

a.    Wenn ja, wann soll dieses Projekt umgesetzt werden?

b.    Wenn nein, warum nicht?

16. Wann fanden die letzten Verhandlungen mit der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen zum Thema „Erhöhung des Existenzminimums bei Exekutionen“ statt?



[1] https://www.akv.at/akv-newsroom/recht-einfach-erklaert/offenkundige-zahlungsunfaehigkeit

[2] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_09887/imfname_1444286.pdf

[3] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_10142/fnameorig_1428909.html