13786/J XXVII. GP
Eingelangt am 31.01.2023
Dieser Text ist elektronisch
textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Mario Lindner, Genossinnen und Genossen,
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Vermisstenfall Aeryn Gillern
Der Fall des Vermissten Aeryn Gillern sorgt seit Jahren immer wieder für Diskussionen in Medien und der Öffentlichkeit. Seit dem Verschwinden des damals 34-jährigen UN-Forschungsassistenten Gillern im Oktober 2007 widmeten sich sowohl Journalist*innen als auch Aktivist*innen diesem Fall. Zuletzt griff erst Ende 2021 die Tageszeitung Kurier den Fall in der Doppelfolge „Lauf ums Leben“ des True Crime Podcast „Dunkle Spuren“ auf. Auch im Parlament war diese Thematik, beispielsweise in der parlamentarischen Anfrage 422/J XXIV. GP, schon Thema. Bis heute konnte dieser tragische Fall jedoch nicht polizeilich gelöst werden.
Der US-Staatsbürger besuchte am 29. Oktober 2007 die Wiener Herren-Sauna Kaiserbründl. Wenig später verließ er, nach einzelnen Berichten nach einem Streit, die Sauna fluchtartig und ohne Kleidung und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Wenig später erfolgte ein Notruf, der zu einem Polizeieinsatz am Donaukanal führte, der jedoch erfolglos blieb. Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Fall, durch die teilweise laut geäußerten Vorwürfe von polizeilichem Ermittlungsverfahren. So berichtete die, wenig später aus den USA angereiste Mutter des Vermissten, dass Polizist*innen ihr gegenüber geäußert hätten, „er (Gillern) hätte einen positiven HIV-Test gehabt und wäre deshalb zum Donaukanal gelaufen, um sich darin spontan zu suizidieren“.[1] Diese und anderen Berichten haben den Vorwurf aufkommen lassen, dass in diesem Fall homophobes Verhalten seitens der Einsatzkräfte zu Ermittlungsfehlern geführt habe. Gillern war schwul, wurde zum „Mr. Gay Austria“ gewählt und das Kaiserbründl ist in Wien als Schwulen-Sauna bekannt. Der Kurier fasste die Situation u.a. wie folgt zusammen:
„Die Polizei stützt ihre Theorie auf den Anruf eines Fischers, der am 29. Oktober 2007 am Donaukanal saß. Er wählte um 20.21 den Notruf, wonach ein Mann im Wasser trieb und um Hilfe rief. Selbst bei diesem Notruf gibt es Widersprüche. Der Inhalt der Aussage des Fischers habe sich mehrmals geändert, heißt es etwa in Medienberichten von Joseph Gepp, der den Fall damals für den Falter akribisch beleuchtete. (...) Bei diesem Fall gibt es tatsächlich unzählige Ungereimtheiten. Der Akt blieb der Mutter bis heute nicht zugänglich.“[2]
Nach zahlreichen Medienberichten entwickelte sich der Fall zum Cold Case. Die Volksanwaltschaft beschäftigte sich in ihrem Bericht an den Nationalrat und den Bundesrat 2014 mit dem Fall Gillern und stellte fest:
„Die Mutter des Verschwundenen – eine US-Staatsbürgerin und pensionierte Polizistin – beschwerte sich darüber, dass die Polizei die Umstände des mysteriösen Verschwindens ihres Sohnes nicht ausreichend aufgeklärt habe. Nach Einschreiten der VA starteten die Ermittlungen von neuem, fast sieben Jahre nachdem der Mann zuletzt gesehen worden war. (...) Die involvierten Polizeikräfte beschränkten sich über Jahre hinweg bloß auf ihre Befugnisse zum Auffinden Vermisster gemäß dem SPG, welche lediglich eine freiwillige Mitwirkung von Personen vorsehen, die sachdienliche Hinweise geben können. Im Unterschied dazu stellt die StPO auch Zwangsbefugnisse bereit, wenn der Verdacht auf strafbare Handlungen vorliegt. (...) Es bleibt zu hoffen, dass trotz der fast sieben für eine effiziente kriminalpolizeiliche Ermittlung verlorenen Jahre letztlich doch noch Licht in das Dunkel des Falles gebracht werden kann. “[3]
Diese Hoffnung erwies sich, trotz neuen strafrechtlichen Ermittlungen durch das BMI, leider als vergeben. Weder eine Aufklärung des Falles konnte erreicht noch eine Leiche gefunden werden.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Was ist der aktuelle Stand der Ermittlungen im gegenständlichen Vermisstenfall?
2. Welche konkreten Ergebnisse konnten seit der Neuaufnahme der Ermittlungen dieses Vermisstenfalls als Cold Case 2014 erreicht werden? Bitte um detaillierte Auflistungen.
3. Wurden seit 2014 neue Zeug*innen in diesem Vermisstenfall einvernommen?
a. Wenn ja, welche?
b. Wenn ja, wie viele?
c. Wenn ja, aus welchem Grund wurden diese nicht schon beim Verschwinden von Gillern befragt?
d. Wenn nein, wieso nicht, nachdem im genannten Podcast beispielsweise eine neue Person zu Wort kommt?
4. Wurden die Personen, die im erwähnten Kurier-Podcast 2021 zu Wort kamen und teilweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht einvernommen worden waren, in diesem Fall inzwischen einvernommen?
a. Wenn ja, mit welchen konkreten Ergebnissen?
b. Wenn nein, warum nicht? Wann werden diese Einvernahmen erfolgen?
5. Gab es im gesamten Verlauf dieses Vermisstenfalls eine interne Untersuchung o.ä., die potenzielles Ermittlungsversagen bzw. Ermittlungsfehler – insbesondere während der Anfangsermittlungen – untersucht haben?
a. Wenn ja, wann und mit welchen Ergebnissen?
b. Wenn nein, warum wurden entsprechende Untersuchungen trotz der mehrfach medial ermittelten substanziellen Vorwürfe über homophobe Vorurteile etc. nicht angeordnet?
6. Wurden entsprechende Untersuchungen bzw. allfällige Konsequenzen auf Basis des VA-Berichts 2014, der das Fehlen sicherheitspolizeilicher Ermittlungen bzw. die fehlende Untersuchung möglicher strafbarer Handlungen kritisierte, gesetzt?
a. Wenn ja, weiche?
b. Wenn nein, warum wurden entsprechende Untersuchungen auch nach der klaren Kritik der Volksanwaltschaft nicht gesetzt?
7. Hat die Mutter des Vermissten inzwischen Einsicht in die Fallakten erhalten?
a. Wenn nein, welche Kriterien müssten erfüllt werden, um der Mutter diese Einsicht zu ermöglichen?
b. Wenn nein, warum steht der Mutter des Vermissten auch angesichts des (von der Volksanwaltschaft gezeigten) Verdachts strafbarer Handlungen – „nach den Umständen ständen wären schwere Nötigung, gefährliche Drohung, schwere Erpressung, eventuell auch Suchtgiftmissbrauch )jeweils mit Todesfolge) denkbar“ – nicht zu?
8. Welcher Tathergang wird in diesem Vermisstenfall auf Basis der aktuellen Informationen als wahrscheinlich angesehen?
9. Welche weiteren Ermittlungsschritte sind zur Aufklärung dieses Cold Case geplant?
10. Gibt es hinsichtlich der in dem Fall gemachten Erfahrungen, ermittlungstechnische Ableitungen, um in Vermisstenfällen besser agieren zu können?
a. Wenn ja: Welche?
11. Sind hinsichtlich des Vorwurfs von Homophobie beim Erstkontakt der Mutter von Gillern mit der Polizei entsprechende Sensibilisierungsmaßnahmen getroffen worden, damit Polizist*innen im Umgang mit Angehörigen von marginalisierten Gruppen, insbesondere der LGBTIQ-Community, ihrer Pflicht genauso nachkommen, wie sie es jedem und jeder anderen Person gegenüber auch tun sollten?
a. Wenn ja: Welche?
b. Wenn nein: Warum nicht und was werden Sie dagegen unternehmen?