14359/J XXVII. GP

Eingelangt am 28.02.2023
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Anfrage

der Abgeordneten MMag. Katharina Werner Bakk., , Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Bildung‚ Wissenschaft und Forschung

betreffend Tierärztemangel im Nutztierbereich - VetmedRegio und VetINNsights - Ausbildungsreform?

 

In Niederösterreich sind laut Medienberichten rund 1.000 Tierärztinnen und Tierärzte tätig. Davon stehen allerdings nur 200 auch für Nutztiere in den landwirtschaftlichen Betrieben zur Verfügung. Eine Pensionierungswelle, die bevorsteht, werde die Situation noch verschärfen, erwartet laut Medienbericht der Präsident der niederösterreichischen Tierärztekammer, Bernhard Kammerer. In fünf Jahren würden etwa 40 Tierärzte fehlen, pro Jahr bräuchte Niederösterreich zwischen 15 und 20 Tierärzte mehr. derzeit gebe es zu wenige Studienplätze an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und zu wenig finanzielle Unterstützung für bereits aktive Landtierärzte, die Wochenend- und Nachtdienste leisten.  Man dürfe auch nicht vergessen, dass es die Tierärztinnen und Tierärzte seien, die eine gesunde Lebensmittelproduktion sicherstellen. Auch das werde durch die angespannte Situation zunehmend schwieriger.(1)

Auch im Burgenland droht laut Berichten eine Pensionierungswelle und es fehlt an Nachwuchs. Tierärztekammer und praktizierende Mediziner hoffen auf mehr Studienplätze und Stipendien.(2) Obwohl es aktuell so viele Tierärzte wie noch nie gibt, steuert man auch in der Steiermark auf Versorgungsengpässe hin. Die Gründe dafür reichen von demographischen Entwicklungen, über einen fehlenden Kollektivvertrag bis hin zu unattraktiven Arbeitszeiten. Walter Obritzhauser, Präsident der Tierärztekammer Steiermark, sieht dafür mehrere Gründe, Ein Grund dafür liegt in der um sich greifenden Spezialisierung und Differenzierung im Beruf. Wir kennen heute den Allgemeinpraktiker "Tierarzt" kaum noch, sondern es gibt den Kleintierpraktiker:innen, es gibt die Nutztierpraktiker:in für die Bereiche Wiederkäuer, Geflügel, Schwein, oder es gibt den in der Schlachttierfleischuntersuchung tätige Praktiker;in. Der zweite Grund liege an der demographischen Situation: In den letzten 20 Jahren sei der Beruf vermehrt weiblich geworden – zwischen 80 und 85 Prozent der Veterinärmedizinstudierenden sind Frauen. Tierärzt:innen suchen im Beruf überwiegend eine unselbstständige Teilzeittätigkeit, auch das führt zur Verschärfung der Versorgungssituation.(3,4) Außerdem stellt der Beruf einer Nutztierärzt:in eine größere körperliche Herausforderung als der einer Kleintierärzt:in dar. Weiters spielt das Gehalt bestimmt eine entscheidende Rolle. Während in der Kleintier- und Pferdemedizin die Besitzer:innen in den meisten Fällen bereit (und in der Lage) sind, viel Geld auszugeben, ist eine Landwirt:in abhängig von der Wirtschaftlichkeit seines/ihres Betriebes.(5) 

Im Gegensatz zu Tierärzt:innen für Kleintiere kümmern sich  Tierärzt:innen für Nutztiere nicht nur um die Therapie des einzelnen Tieres, sondern auch um die Gesunderhaltung der Tierbestände. Regelmäßige Kontrollen des Gesundheitszustandes von landwirtschaftlichen Nutztieren gehören daher zu seinem Aufgabenbereich. Dies ist vor allem wichtig, um Seuchen vorzubeugen und beginnende Erkrankungen einzelner Tiere rechtzeitig zu erkennen. Das Aufgabengebiet der Nutztierärzt:innen umfasst außerdem die Krankheitsprophylaxe, die Verabreichung notwendiger Medikamente sowie die rigorose Überwachung und möglichste Minimierung des Arzneimitteleinsatzes.  Nutztierärzt:innen  führen ebenso künstliche Befruchtungen durch, helfen bei der Geburt und beraten  die Landwirt:innen hinsichtlich Fütterung und Tierpflege. Die Arbeit der Tierärzt:innen  im landwirtschaftlichen Bereich findet in einem ständigen Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Zwängen und Belangen des Tierschutzes statt. (6)

Derzeit gibt es in Österreich insgesamt etwa 4.000 Tierärzt:Innen, jährlich beginnen rund 220 Personen (80 - 90 Prozent Frauen) mit dem Veterinärstudium, 150 davon schließen ihr Studium ab. Nur 80 Absolvent:innen arbeiten dann tatsächlich als Tierärzt:innen in der Praxis, lediglich 20 davon im Großtierbereich auf dem Land.(7) Bereits 2019 warnte die Veterinärmedizinische Universität Wien davor, ein zu starker Fokus auf den Kleintierbereich würde für einige Jahre zu Engpässen im Bereich der Nutztierversorgung führen, dies vor allem in Vorarlberg, Tirol, Salzburg, der Steiermark und Kärnten. Besonders viele ältere Tierärz:Innen über 60 Jahre waren den Umfragedaten der Uni zufolge im Nutztierbereich tätig. Demnach wäre vor allem bis 2025 mit einem erhöhten Ersatzbedarf an Nutztiermediziner:Innen zu rechnen, bevor sich die Lage wieder entspannen sollte. (8)

Das Land Tirol und die Veterinärmedizinsiche Universität Wien stärken seit 2022 ihre Partnerschaft durch den Ausbildungszweig „Der Wiederkäuer im Alpenraum“. Zudem will man junge Menschen durch die „Summer School VetINNSights“ in das Berufsbild von Veterinärmedizinern Einsicht nehmen lassen. Im Rahmen der Summer School soll am Veterinärmedizinstudium interessierten SchülerInnen die Vielfältigkeit des Berufsbildes Tierärztin/Tierarzt mit dem Schwerpunkt der Nutztiermedizin nähergebracht werden. Dabei werden in Rahmen von Vorträgen, Workshops und Exkursionen mit Lehrenden der Vetmeduni verschiedene Themen aus dem Bereich der Nutztiermedizin bearbeitet. (9,10) Die Veterinärmedizinische Universität Wien setzt im Rahmen ihrer Regionalisierungsinitiative VetmedRegio einen weiteren wichtigen Schritt, um die veterinärmedizinische Versorgung in den Bundesländern zukunftsfit zu halten. Eine vom Land Tirol erstmals eingerichtete Stiftungsprofessur ist seit 1. Oktober 2022 besetzt. Der neue Professor für Wiederkäuermedizin im Alpenraum ist Lorenz Khol. Unter seiner Federführung werden ab dem Sommersemester 2023 20 angehende Nutztierpraktiker:innen am Vetmeduni-Standort in Innsbruck ausgebildet. (11)

Die Aufnahmeverfahren zu den Studien der Veterinärmedizinischen Universität Wien unterscheiden sich je nach Studienrichtung, um Verterinärmedizin zu studieren muss man einige Punkte absolvieren: Registrierung, Online-Bewerbung, Kostenbeitrag und Terminzuteilung, Eignungstest, Veröffentlichung der Rangliste, Zuweisung zu persönlicher Zulassung(12) Die an der Veterinärmedizinischen Universität Wien festgelegte Anzahl an Studienplätzen für Studienanfänger:innen beträgt für das Studienjahr 2023/2024 gemäß der Leistungsvereinbarung 2022 bis 2024 für das Diplomstudium Veterinärmedizin 223 Plätze. Im Zeitraum vom 17. bis 21. Juli 2023 findet in beiden Studienrichtungen ein schriftlicher Eignungstest in deutscher Sprache statt, der von den Studienwerber:innen, welche die Online-Bewerbung (§ 6) erfolgreich und fristgerecht abgeschlossen und den Kostenbeitrag ordnungsgemäß entrichtet haben (§ 7), persönlich zu absolvieren ist.(13)

Der Eignungstest wird als Gruppentestung durchgeführt. Die Testdauer beträgt für das Diplomstudium Veterinärmedizin insgesamt 180 Minuten. Der Inhalt des Eignungstests setzt sich zusammen aus: Fragen zu den Anforderungen von Studium und Beruf (persönliche Eignung) und fachspezifischen Fragen aus den Gebieten Biologie, Physik und Chemie in Form von Multiple Choice Fragen – Single best answer. Für das Diplomstudium Veterinärmedizin umfasst der fachspezifische Teil (§ 8 (6) lit. b) insgesamt 100 Fragen und ergibt sich aus den Themen des Schulstoffs ab der 9. Schulstufe. Die Fragen beziehen sich auf die Gebiete Biologie, Physik und Chemie.(13)

Dr. Niki Popper hat in seiner Studie  „Zukunftsprognose des tierärztlichen Berufsstandes“ interessante Ergebnisse erzielt: Die daraus resultierenden Ergebnisse wurden am ÖTK- Zukunftstalk am 22. Juni 2022 erstmals präsentiert. Im Studienjahr 2020/2021 gab es in der Veterinärmedizin 1.366 Studienbewerber*innen (davon 1.164 weiblich und 202 männlich); insgesamt wurden 218 Personen zum Studium zugelassen (180 weiblich, 38 männlich). Jährlich beenden durchschnittlich 164 Studierende ihre Ausbildung. Bemerkenswert dabei ist, dass ein beträchtlicher Teil der Absolvent*innen der Veterinärmedizin nicht in den Beruf einsteigt – die „Drop-out-Rate nach Studienabschluss“ beträgt 33 Prozent. In absoluten Zahlen sind lediglich 110 bis 121 Tierärzt:innen auch reale Berufseinsteiger*innen, wobei nur 25 Tierärzt:innen pro Jahr in den Nutztierbereich einsteigen. (14)

Dass nur 54 Prozent der Studienanfänger*innen später versorgungsrelevant im kurativen Bereich tätig werden, ist eine besorgniserregende Entwicklung. Österreichweit steuern wir in den kommenden Jahren auf einen Tierärzt:innenmangel (vor allem im Nutztierbereich) zu: Wie die zitierte Studie belegt, werden im Basisszenario, errechnet aus dem zurückliegenden Datenmaterial, bis zum Jahr 2027 zwischen 32 und 55 Nutztierärzt:innen fehlen, bis 2032 werden es schon 85 bis 120 Personen sein und im Jahr 2037 wird sich die Anzahl der fehlenden Nutztierärzt;iinnen auf 90 bis 140 Personen erhöhen. Unter Berücksichtigung von Einflussfaktoren wie Beschäftigungs- sowie Feminisierungsgrad, Demografie etc. werden bereits in fünf Jahren, also im Jahr 2027, etwa 95 bis 120 Personen zusätzlich benötigt.(14)

Laut einer jährlich durchgeführten Studie der Sigmund Freud PrivatUniversität über die mentale Gesundheit von Tierärzt:innen weisen diese signifikant höhere Werte hinsichtlich Burnout, Mitgefühlsmüdigkeit und mangelnder Work-Life-Balance auf. (15) In Kooperation mit der Psychologischen Universitätsambulanz der Sigmund Freud PrivatUniversität hat die Österreichische Tierärztekammer (ÖTK) nun eine Initiative gestartet, um die psychosoziale Versorgung von Tierärzt:innen zu verbessern. Die ÖTK finanziert für alle Mitglieder Super­vision oder Beratung im Umfang von bis zu fünf Einheiten pro Jahr. Die Durchführung dieser Leistungen übernimmt Abteilung für Mensch­-Tier-­Beziehungen der Universitätsambulanz.(16)

Betrachtet man die tierärztliche Praxisstruktur in Österreich, so waren im Jahr 2021 insgesamt 443 Ordinationen mit Dienstnehmer*innen auf dem Markt (2016 waren es 418); dem standen 1.385 Ordinationen ohne Dienstnehmer:innen gegenüber (2016 waren es noch 1.427). Hier lässt sich laut Tierärztekammer der klare Trend zu mehr Arbeitsteilung bzw. größeren Gemeinschaftspraxen bereits jetzt ablesen – für die Zukunft gilt: Das Einzelkämpfertum wird deutlich weiter zurückgehen (17)

 

Der Tierärztemangel vor allem im Nutztierbereich war absehbar, dennoch gab es augenscheinlich bisher keine Maßnahmen, die dem entgegenwirken konnten und werden. Erst jetzt werden erste Schritte dagegen unternommen. 

 

(1) https://noe.orf.at/stories/3192968/

(2)https://kurier.at/chronik/burgenland/tieraerztemangel-versorgung-koennte-zusammenbrechen/402279689

(3)https://steiermark.orf.at/stories/3158393/#:~:text=Obwohl%20es%20aktuell%20so%20viele,bis%20hin%20zu%20unattraktiven%20Arbeitszeiten.&text=Rund%20420%20Tier%C3%A4rztinnen%20und%20Tier%C3%A4rzte%20gibt%20es%20in%20der%20Steiermark.

(4)https://www.tieraerztekammer.at/oeffentlicher-bereich/medien-kommunikation/news/detail/newsarticle/detail/News/orfat-kammer-tieraerztemangel-am-land-droht

(5)https://www.tieraerztekammer.at/oeffentlicher-bereich/medien-kommunikation/news/detail/newsarticle/detail/News/kaerntner-regionalmedien-tierarztmangel-schon-im-studium

(6)https://www.tieraerztekammer.at/oeffentlicher-bereich/berufsinformation/berufsbild

(7)https://tv.orf.at/program/orf2/amschaupla242.html

(8)https://www.vetmeduni.ac.at/fileadmin/v/z/news/2019/Veterinaermedizinische-Versorgung-IHS.pdf

(9)https://tiroler-bauernbund.at/de/themen/tiroler-bauernbund/index.php?we_objectID=3838

(10)https://www.tirol.gv.at/landwirtschaft-forstwirtschaft/agrar/bildung-und-schule/summer-school-vetinnsights/

(11)https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20221003_OTS0024/start-fuer-stiftungsprofessur-wiederkaeuermedizin-im-alpenraum

(12)https://www.vetmeduni.ac.at/studium/aufnahmeverfahren

(13)https://www.vetmeduni.ac.at/studium/aufnahmeverfahren/diplomstudium-veterinaermedizin

(14)https://www.vetmeduni.ac.at/universitaet/infoservice/mitteilungsblatt/uebersicht-der-mitteilungsblaetter/studienjahr-2022/2023/10-stueck-13122022

(15)https://www.tieraerztekammer.at/fileadmin/BoerseUploads/user_upload/MentaleGesundheitTieraerztInnen_Letztversion_Stetina.pdf

(16)https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220214_OTS0002/psychische-ueberlastung-im-berufsalltag-von-tieraerztinnen

(17)https://www.tieraerzteverlag.at/fileadmin/images/IMAGES_07-08-2022/VETJOURNAL-07-08-2022_ONLINE-AUSGABE.pdf

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

  1. Gibt es Pläne es der Veterinärmedizinischen Universität Wien zu ermöglichen die Studienplatzzahlen insbesondere zur Ausbildung von Nutztiertierärzt:innen zu erhöhen?
    1. wenn ja, um wie viele Plätze, in welchem Zeitraum und mit welchem Ressourceneinsatz?
    2. wenn nein, warum nicht?
  1. Gibt es Pläne dem Nutztierärzt:innenmangel durch eine langfristige Reform der Ausbildung an der Universität entgegenzuwirken?
    1. wenn ja, wie sehen diese konkret aus?
    2. wenn nein, warum nicht?
  1. Gibt es Pläne wie den Drop-out-Raten an der Veterinärmedizinischen Universität in Zukunft entgegengewirkt werden könnte?
    1. wenn ja, wie sehen diese aus?
    2. wenn nein, warum nicht?
  1. Gibt es Pläne den Lehrplan dahingehend zu adaptieren um die Drop-out-Raten nach dem Studienabschluss zu minimieren?
    1. wenn ja, wie sehen diese aus?
    2. wenn nein, warum nicht?
  1. Gibt es Pläne die Initiative der Freud Universität zur psychosozialen Unterstützung von Tierärzt:innen auf ganz Österreich auszudehnen und Beratungsmöglichkeiten niederschwellig anzubieten?
    1. wenn ja, wie sehen diese konkret aus?
    2. wenn nein, warum nicht?
  1. Gibt es Pläne die Sommerschool VetINNSights auch in anderen Bundesländern zu starten?
    1. wenn ja, in welchen Bundesländern und wann?
    2. wenn nein, warum nicht?
  1. War das Ministerium in das VetINNsights-Projekt einbezogen und ab wann?
  2. Die Teilnahme am VetINNsights-Projekt in Tirol ist kostenlos. Wer trägt dafür die Kosten?
    1. wie hoch werden die Kosten sein?
    2. Welche Fachkräfte werden für das Projekt als Lehrende herangezogen?
  1. Hat das Ministerium Kenntnis davon, ob eine Evaluierung zum VetINNsights-Projekt stattfinden wird?
    1. wenn ja, wie wird diese aussehen?
    2. wenn nein, warum nicht?
  1. Hat das Ministerium Kenntnisse über die Regionalisierungsinitiative VetmedRegio ?
    1. wenn ja, wie genau ist VetmedRegio aufgebaut?
    2. wer trägt die Finanzierung von VetmedRegio und wie hoch ist diese?
    3. welche Institutionen sind daran beteiligt?
    4. wird es das Projekt auch in anderen Bundesländern geben und wenn ja in welchen und ab wann?
    5. wird evaluiert werden, ob das Projekt den gewünschten Erfolg bringt und wenn ja, wie?