14491/J XXVII. GP

Eingelangt am 09.03.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Welchen konkreten Mehrwert bringen ICMPD-Projekte?

 

Das International Center for Migration Policy Development (ICMPD) ist eine internationale Organisation die 1993 von Österreich und der Schweiz gegründet wurde und mittlerweile mit 19 Mitgliedstaaten in über 90 Ländern weltweit tätig ist. Den eigenen Aussagen nach wurde das ICMPD gegründet, um Forschung, Projekte und Aktivitäten zu migrationsbezogenen Themen durchzuführen sowie politische Empfehlungen an Regierungen zu geben. Zu den Schwerpunktregionen gehören Afrika, Osteuropa und Zentralasien, der Mittelmeerraum, die Seidenstraßen, die westlichen Balkanländer sowie die Türkei. Finanziert wird das ICMPD von seinen Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission, den Vereinten Nationen, anderen internationalen Organisationen sowie von weiteren bilateralen Gebern, wobei nähere Details zur Finanzierungsstruktur nicht bekannt gegeben werden.1 Einmal jährlich organisiert das ICMPD die Vienna Migration Conference, bei welcher Entscheidungsträger:innen, Expert:innen, internationale Organisationen, NGOs, Vertreter:innen des Privatsektors, der Medien und der Zivilgesellschaft zusammentreffen, zuletzt auch unter Anwesenheit des damaligen Innenministers, nun Bundeskanzler, Karl Nehammer.

Seit 2016 ist der ehemalige ÖVP-Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger Direktor des ICMPD. Sein Leitbild ist es, Partnern des ICMPD mit "zukunftsweisenden Antworten auf Chancen und pragmatischen Lösungen für komplexe, regionale Migrations- und Mobilitätsherausforderungen" auszustatten. Es sei an der Zeit, neue Wege zu finden, wie Migration "intelligenter und effektiver" werden kann.2 Unter seiner Leitung verdoppelte sich das Personal des ICMPD von weniger als 200 auf fast 400 Mitarbeiter, das Jahresbudget stieg von 20 Millionen Euro auf rund 60 Millionen Euro (Jahr 2020) und die Anzahl an Dienststellen stieg von 19 auf 30. 

Einige Projekte des ICMPD widmen sich der Auslagerung von Aufgaben aus den Bereichen Grenzschutz und Migrationsmanagement an Akteure aus Drittstaaten. Ziel eines Grenzschutzprojektes in Tunesien war beispielsweise die Ausbildung von Grenzschutzpolizist:innen durch Polizist:innen aus Österreich und Dänemark sowie die Errichtung eines Trainingscamp; diese Projekt wurde von Österreich mit einer knappen Million unterstützt - dies in einem Land, in dem kein verfahrensrechtlicher Rahmen für Asylverfahren vorhanden ist.3 Sorge besteht in einer derartigen Gemengelage hinsichtlich der Einhaltung von menschenrechtlichen Standards - auch weil bei diesen Grenzmanagementprojekten die Rechtsstaatlichkeit keinen Eingang in die Projektbeschreibungen findet.4  

In den letzten Jahren wurde das ICMPD auch zunehmend mit der Koordinierung von Beschaffungsprojekten beauftragt, mit denen Polizei-, Militär- und Zollbehörden in außereuropäischen Staaten mit Überwachungs- bzw. Polizeiausrüstung ausgestattet werden sollen, sowohl in Nordafrika als auch im Westbalkan, wobei das Ausmaß an der Beteiligung des ICMPD manchmal unklar ist. So förderte die EU 2017 ein Programm zum Ausbau von integriertem Grenzmanagement (IBM) in Libyen, bei dem das ICMPD neben Italiens Regierung für die Umsetzung des Projekts vorgesehen war und in den EU-Dokumenten als Projektpartner ausgewiesen wurde. Laut ICMPD führe man jedoch "keine Projekte im Bereich Grenzmanagement in Libyen" durch und sei "nicht mit Arbeiten im Rahmen von IBM Libya beauftragt". Eine Beschwerde zu der Kooperation der EU mit Libyen liegt aktuell beim EU-Rechnungshof.

Zuletzt stand das ICMPD im Rahmen des U-Ausschusses unter Kritik: In einem Pilotprojekt (SUPREM) sollten 33 Nigerianer, ohne Chancen auf einen Verbleib in Österreich, dazu bewegt werden, nach Nigeria zurückzukehren. Geworden ist es am Ende nur einer - und selbst der verschwand, bevor das Projekt abgeschlossen war. Kostenpunkt: 273.566 Euro, gefördert vom Innenministerium. Laut Medienberichten stand eine Aberkennung der gesamten Förderung im Raum, als sich bereits während der Laufzeit des Projekts abzeichnete, dass die Ziele verfehlt werden würden - trotzdem entschied sich das BMI dafür, am Fördervertrag festzuhalten. Zu diesem Projekt gab es seitens des ICMPD keinen Endbericht, seitens des BMI wurde das Projekt angeblich genauer evaluiert.6

In einer Beantwortung zu der NEOS-Anfrage 12820/J ergab sich, dass das Innenministerium seit 2010 das ICMPD für Projekte iHv insgesamt 2.949.614 € förderte. Rechnet man die Einzelprojekte zusammen, dann ergibt sich jedoch ein Gesamtwert von rund 5 Millionen Euro, wobei unklar bleibt, ob es sich dabei um noch nicht abgerechnete Kosten handelt. Weiters sollen sowohl das Innenministerium als auch das Außenministerium in der politischen Steuerungsgruppe des ICMPD vertreten sein und würden "proaktiv bei der Gestaltung strategischer Entscheidungen, Prioritäten und Roadmaps" mitbestimmen. Weiters ergab sich, dass das ICMPD ein weiteres Projekt von Mai bis August 2022 durchführte, welches nigerianische Asylwerber:innen zur freiwilligen Rückkehr motivieren sollte.

Projekte des ICMPD werden seitens Ihres Ministeriums durch Förderungen, also schlussendlich durch Steuergeld, unterstützt. Im Sinne der Grundsätze der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Zweckmäßigkeit ist daher von Interesse, ob die geförderten Projekte nach diesen Grundsätzen ausgesucht und abgerechnet wurden.

 

  1. https://www.icmpd.org/file/download/48038/file/Factsheet_EN_July2022_Online.pdf
  2. https://www.derstandard.at/story/2000130553254/konferenz-in-wien-innovative-wege-fuer-regulaere-migration-finden
  3. https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/tunisia/report-tunisia/
  4. https://www.icmpd.org/our-work/projects/support-programme-for-the-tunisian-government-in-the-field-of-integrated-border-management-ibm-tunisia-phase-iii; https://www.icmpd.org/our-work/projects/integrated-border-management-in-the-silk-routes-countries-ibm-silk-routes
  5. https://www.derstandard.de/story/2000117235978/ngos-reichen-beschwerde-gegen-kooperation-der-eu-mit-libyen-ein
  6. https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2167549-Teure-Ueberredungskunst.html
  7. https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2173890-295-Millionen-aus-Innenministerium-fuer-Spindeleggers-Organisation.html und https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/12605/imfname_1502636.pdf

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. In welchem Ausmaß förderte Ihr Ministerium das ICMPD seit 2010? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr, Hohe der Unterstützung und Grund. 
    1. In welchen Untergliederungen, Global- und Detailbudgets wurden diese Förderungen veranschlagt?
  1. Welche Mittel sind für das Jahr 2023 für Projekte des ICMPD veranschlagt? 
    1. In welchen Untergliederungen, Global- und Detailbudgets wurden diese Förderungen veranschlagt?
  1. An welchen Projekten des ICMPD beteiligte sich das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten seit 2010 jeweils
    1. in welchen Ländern?
    2. mit welchem konkreten Inhalt bzw. welcher Zielsetzung? 
    3. für welche Laufzeit?
    4. aus welchen Gründen bzw. basierend auf welcher Daten- und Faktenlage?
    5. zu welchen Kosten? 
    6. mit welchen konkreten Ergebnissen? 
  1. Wie evaluierte Ihr Ministerium den Erfolg bzw. den Mehrwert der seit 2010 geförderten Projekte? Bitte um konkrete Angaben für jedes einzelne Projekt.  
    1. Was waren jeweils die Evaluierungskriterien? 

                                          i.    Beruft sich Ihr Ministerium lediglich auf die Endberichte des ICMPD oder werden auch eigene Evaluierungen durchgeführt? 

    1. Was waren jeweils die Ergebnisse der Evaluierungen? 

                                          i.    Bei wie vielen der geförderten Projekte wurde aufgrund welcher Sach- und Datenlage ein tatsächlicher migrationspolitischer Mehrwert festgestellt? Bitte um konkrete Angaben für jedes einzelne Projekt.  

  1. Gab es von diesen Projekten welche, bei denen der Erfolg bzw. der Mehrwert nicht evaluierte wurde? 
    1. Wenn ja, welche und aus welchem Grund? 
  1. Gab es je externe Evaluierungen der von Ihrem Ministerium geförderten Projekte des ICMPD?
    1. Wenn ja, bezüglich welcher Projekte? 
    2. Wenn ja, von wem?
  1. Laut 12605/AB wirkt das BMEIA im Rahmen der politischen Steuerungsgruppe des ICMPD "proaktiv bei der Gestaltung strategischer Entscheidungen, Prioritäten und Roadmaps" mit: Für welche strategischen Entscheidungen, Prioritäten und Roadmaps setzte sich Ihr Ministerium seit 2016 ein? Bitte um Auflistung.  
    1. Welche konkreten Entscheidungen, Prioritäten und Roadmaps schlug Ihr Ministerium proaktiv vor? 

                                          i.    Welche davon wurden vom ICMPD aufgegriffen? 

    1. Hat Ihr Ministerium durch die proaktive Mitwirkung an strategischen Entscheidungen des ICMPD bei der Ausgestaltung von Projekten ein Mitgestaltungsmöglichkeit? 

                                          i.    Wenn ja, welche Projekte wurden seitens Ihres Ministeriums inwiefern mitgestaltet? 

  1. Fordert Ihr Ministerium vom ICMPD explizit, dass die vom BMEIA geförderten Projekte stets mit menschenrechtlichen Standards übereinstimmen? 
    1. Wenn ja, durch welche konkreten Maßnahmen? 
    2. Wenn ja, durch welche konkreten Maßnahmen wurde diese Anforderungen durch das ICMPD in den jeweiligen vom BMEIA geförderten Projekten gewährleistet bzw. umgesetzt? Bitte um Auflistung für jedes Projekt. 
  1. Welcher Anteil der vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten geförderten ICMPD-Projekte hatten die (Koordinierung von) Beschaffung von Überwachungs- bzw. Polizeiausrüstung zum Gegenstand?
  2. Wie viele der vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten geförderten ICMPD-Projekte betrafen Grenzschutz bzw. Grenzmanagment? 
    1. in welchen Ländern?
    2. zu welchen Kosten? 
    3. mit welchen konkreten Ergebnissen? 
  1. Wie stellen Sie bzw. Ihr Ministerium sicher, dass sich das ICMPD im Rahmen der geförderten Projekte an die Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes bzw. die Vorgaben des BMF hält?
    1. Hat ICMPD jemals gegen Bestimmungen von mit dem BMEIA abgeschlossenen Förderverträgen verstoßen?
    2. Wurden zwischen dem BMEIA und ICMPD bestehende Förderverträge in der Vergangenheit jemals nachträglich abgeändert?

                                          i.    Wenn ja, bei welchen Projekten gab es aus welchen Gründen eine Laufzeitverlängerung?

1.    Welche Kosten entstanden hierdurch für Ihr Ministerium? 

                                        ii.    Wenn ja, bei welchen Projekten gab es eine Budgetumschichtung? 

1.    Welche Kosten entstanden hierdurch für Ihr Ministerium? 

    1. Wer trifft die vergaberechtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit vom BMEIA geförderten Projekten des ICMPD?
    2. Ist Ihnen bzw. Ihrem Ministerium bekannt, mit welchen Subunternehmern der Fördernehmer ICMPD in den jeweiligen Projekten zusammenarbeitet?

                                          i.    Wenn ja, welche? 

1.    Welcher Anteil der Fördersummen Ihres Ministeriums ging jeweils an welches Subunternehmen? 

a.    Wie oft war der Verein "Reverse Migration" an ICMPD-Projekten beteiligt?

                                                                                          i.    Welcher Anteil der Fördersummen Ihres Ministeriums ging jeweils an "Reverse Migration"?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Sollten Förderungen abseits des Vergaberechts vergeben worden sein: Mit welcher Begründung? 
    1. Aufgrund welcher Förderlinien? 
    2. Im Rahmen welcher wie festgelegten Kriterien und Entscheidungsprozesse? 
    3. Bei wie vielen der Projekte gab es eine Auswahlkommission und wie setzte sich letztere zusammen? 
  1. Michael Spindelegger soll im Rahmen seiner Vorstandsposition bei der AED im Sommer 2020 u.a. beim Wirtschaftsministerium für eine Förderung für diese Organisation geworben haben. Nach Ablehnung mangels Budgetmitteln dürfte er seine Kontakte im Finanzministerium spielen lassen haben, woraufhin dem Wirtschaftsressort eine "Mittelverwendungsüberschreitung" erlaubt wurde, aus der die AED mit fast einer Million Euro gefördert wurde (siehe “Wie sich eine blaue und eine schwarze Agentur um EU-Gelder matchen" I Der Standard). Wie wird - angesichts solcher Vorkommnisse - sichergestellt, dass Organisationen wie die AED oder eben das ICMPD, deren Führungsebene aufgrund vergangener parteipolitischer Tätigkeit über Kontakte und Netzwerke in diverse Ministerien verfügt, bei Vergaben öffentlicher Mittel nicht begünstigt werden? 
  2. Hat Ihr Ministerium das ICMPD je im Rahmen eines Grenzmanagementprojekts in Libyen gefördert? 
    1. Wenn ja, wann, in welchem Ausmaß und aus welchen Gründen?
  1. Nimmt bzw. nahm Ihr Ministerium je Beratungsleistungen des ICMPD in Anspruch? 
    1. Wenn ja, wann und aus welchen Gründen? 
    2. Wenn ja, welchen Inhalts?
    3. Wenn ja, zu welchen Kosten? 
  1. Medienberichten zufolge möchte die Joint Cooperation Platform (JCP) mit dem ICMPD sogenannte "regionale Rückkehrmechanismen" im Westbalkan schaffen: Welche Rolle spielt Ihr Ministerium diesbezüglich? 
    1. Wie sollen diese regionalen Rückkehrmechanismen funktionieren bzw. wer wird die Rückführungen wie vollziehen? Bitte um genaue Erläuterung des Konzepts. 
    2. In welchen Ländern sollen diese "regionalen Rückkehrmechanismen" geschaffen werden? 
    3. Wann sollen diese "regionalen Rückkehrmechanismen" jeweils ihre Tätigkeiten aufnehmen? 
    4. Spielt Österreich eine operative Rolle bzw. ist geplant, dass Österreich eine operative Rolle spielt? 
    5. Ist die Schaffung von "Rückkehrzentren" geplant?  

                                          i.    Wenn ja, wie werden diese gestaltet sein und wo sollen sie geographisch liegen? 

    1. Zu welchen Kosten beteiligte sich Ihr Ministerium bereits? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle. 

                                          i.    Welche Kosten sind hierfür im Jahr 2023 veranschlagt? 

  1. Ist Ihr Ministerium an den Mietkosten des ICMPD beteiligt?
    1. Wenn ja, seit wann? 
    2. Wenn ja, wie hoch waren dafür die Kosten seit 2010? Bitte um Aufschlüsselung pro Jahr. 
    3. Wenn ja, aus welchen Gründen? 
  1. Welche anderen von Michael Spindelegger geleiteten Organisationen bzw. Vereine erhielten von Ihrem Ministerium (unter Leitung Michael Spindeleggers) jeweils für welche Zwecke Förderungen? Bitte um Auflistung pro Jahr seit 2010.