14522/J XXVII. GP

Eingelangt am 15.03.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Rechtsberatung im Asylverfahren: Verfassungswidrig? 

 

Am 16. Mai 2019 wurde das Bundesgesetz über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU-Errichtungsgesetz – BBU-G) - trotz heftiger Kritik im Begutachtungsverfahren - von ÖVP und FPÖ im Nationalrat beschlossen. Dieses Gesetz trat (überwiegend) am 20. Juni 2019 in Kraft. Darin ist festgeschrieben, dass die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) ihre Tätigkeit im Bereich der Grundversorgung ab 1. Juli 2020 wahrnehmen soll; dies wurde später auf 1. Dezember 2020 verschoben. Die Tätigkeit im Bereich der Rechtsberatung, der Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe, der Menschenrechtsbeobachtung von Abschiebungen und der Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen hat die Bundesagentur am 1. Jänner 2021 aufgenommen.

Die Durchführung der Rechtsberatung durch die BBU GmbH umfasst jene vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 49 BFA-VG sowie jene vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gemäß § 52 BFA-VG. Die Bundesagentur stellt also Rechtsberater:innen für das Verfahren vor dem BFA sowie Parteienvertreter:innen und damit Verfahrensgegner:innen des BFA im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bereit. Die BBU GmbH ist jedoch sowohl finanziell als auch organisatorisch und personell eng mit dem BMI verflochten. Dies ist vor allem im Hinblick darauf problematisch, dass das BFA dem Bundesminister für Inneres als unmittelbar nachgeordnete Behörde gegenüber dem BMI weisungsgebunden ist. 

Die Verstaatlichung der Rechtsberatung löste damals eine große Kritikwelle aus. Für das Jahr 2021 wurde ein Bericht des Qualitätsbeirats, welcher sich aus verschiedenen Expert:innen zusammensetzt, veröffentlicht.1 Auch dieser Bericht beinhaltet viele Kritikpunkte, insbesondere hinsichtlich der Unabhängigkeit der Rechtsberatung, welche mit der Struktur der BBU zusammenhängt: "Die gewählte Rechtsform der GmbH im ausschließlichen Eigentum des Bundes, vertreten durch und unter maßgeblichem Einfluss des BMI, erscheinen dem Qualitätsbeirat als wenig geeignet, die Unabhängigkeit der Rechtsberatung zu garantieren (...) die Möglichkeit einer direkten oder indirekten Einflussnahme ist nicht ausgeschlossen (...) Die gelebte Unabhängigkeit hängt auch wesentlich an den handelnden Personen". Die konkreten Regelungen betreffend den Geschäftsbereich Rechtsberatung wurden durch eine bisher unveröffentlichte Rahmenvereinbarung getroffen. Die Rahmenvereinbarung ist gesetzlich nicht gesichert und könnte jederzeit durch eine neue ersetzt werden. Der Beirat vertritt die Meinung, dass legistische Maßnahmen angestrebt werden sollten, um eine unabhängige Rechtsberatung nachhaltig abzusichern und die Transparenz zu erhöhen. 

Die strikte Unabhängigkeit des Rechtsbeistandes ist für die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes und eines fairen Verfahrens unabdingbar. Dass die im BBU-Gesetz vorgesehene Ausgestaltung die rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Anforderungen gewährleistet, haben wir NEOS von Anfang an bezweifelt.2 Aus der Beantwortung zur NEOS Anfrage 12165/J ergab sich, dass trotz immer wiederkehrender Kritik keine Maßnahmen zu Sicherung der Unabhängigkeit des Rechtsberatung geplant sind - sei es durch eine etwaige Ausgliederung der Rechtsberatung aus der BBU, durch eine Gesetzesnovelle, oder durch Maßnahmen innerhalb des aktuellen gesetzlichen Rahmens.3

Obgleich die BBU seit Aufnahme ihrer Tätigkeiten im Januar 2021 vor allem durch eine fundierte Rechtsberatung auffiel, bleibt das rechtsstaatliche Risiko bestehend, dass strukturelle Schwächen in der Zukunft ausgenutzt werden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher zurecht am 13.12.2022 entschieden, ein Verfahren einzuleiten, das prüfen soll, ob die gesetzliche Ausgestaltung der Rechtsberatung in der BBU GmbH verfassungskonform ist. Konkret soll geprüft werden, ob die BBU mit der Weisungsbindung bzw. der Weisungsfreistellung mit Aufsichtsrecht mit dem Rechtsstaatsprinzip und mit Artikel 47 GRC (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht) vereinbar ist.4

Der VfGH geht bereits vorläufig davon aus, dass die vorliegende Konstruktion auf Grund des maßgeblichen Einflusses, den der Bundesminister für Inneres ausüben kann, nicht das geforderte Mindestmaß an faktischer Effektivität für Rechtsschutzsuchende aufweist5 - eine Aufhebung durch den VfGH erscheint plausibel, weshalb es gilt, vorausschauend Maßnahmen zu setzen. 

 

  1. https://www.bbu.gv.at/wp-content/uploads/2022/03/Bericht-des-Qualitaetsbeirats_2021-1.pdf
  2. https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/A/121
  3. https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/J/12165/fnameorig_1468481.html 
  4.  https://www.vfgh.gv.at/downloads/pruefungsbeschluesse/VfGH_Pruefungsbeschluss_2022.12.13_E_3608_2021_ua.pdf 
  5. https://www.krone.at/2889278

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

  1. Haben Sie bzw. Ihr Ressort seit Einleitung des VfGH-Verfahrens Maßnahmen gesetzt, um die Unabhängigkeit der Rechtsberatung sicherzustellen? 
    1. Wenn ja, welche?
    2. Wenn ja, wann?
    3. Wenn ja, mit welchen Ergebnissen jeweils?
    4. Wenn nein, warum nicht?
  1. Haben Sie bzw. Ihr Ressort die externe Evaluierung der Rechtsberatung durch die Technopolis Group dem VfGH übermittelt? 
  2. Planen Sie bzw. Ihr Ressort bereits vor Entscheidung des VfGH Maßnahmen zu setzen, um die Rechtsberatung bereits vorausschauend neu aufzustellen? 
    1. Wenn ja, welche?
    2. Wenn ja, wann?
    3. Wenn ja, mit welchen erwarteten Ergebnissen jeweils?
    4. Wenn nein, warum nicht?

4.    Ist eine Abänderung der noch immer unveröffentlichten Detailvereinbarung angedacht? 

    1. Wenn ja, welche?
    2. Wenn ja, wann?
    3. Wenn ja, mit welchen erwarteten Ergebnissen jeweils?
    4. Wenn nein, warum nicht?

5.    Ist mittlerweile eine Veröffentlichung der Detailvereinbarung angedacht? 

    1. Wenn ja, wann?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Waren Sie bzw. Ihr Ressort mit der Justizministerin bzw. Vertreter:innen des Justizministeriums bezüglich der Sicherstellung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung seit Einleitung des VfGH-Verfahrens im Austausch?
    1. Wenn ja, wann und mit wem?
    2. Wenn ja, sind Maßnahmen geplant? 

                                          i.    Welche, wann und mit welchem erwarteten Ergebnis jeweils?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht? 

    1. Wenn nein, warum nicht?
  1. Sollten noch keine Maßnahmen getroffen worden sein: Welche Maßnahmen planen Sie bzw. Ihr Ressort zu setzen, um im Falle einer Aufhebung durch den VfGH die Unabhängigkeit der Rechtsberatung sicherzustellen?  
  2. Sollten noch keine Maßnahmen getroffen worden sein: Welche Maßnahmen planen Sie bzw. Ihr Ressort zu setzen, z.B. im Falle einer eventuellen Neubesetzung, die Weisungsfreiheit des/der Leiters/Leiterin Rechtsberatung sicherzustellen?
  3. Sollten noch keine Maßnahmen getroffen worden sein: Welche Position vertreten Sie bzw. Ihr Ressort hinsichtlich 
    1. der Ausgliederung der Rechtsberatung aus der BBU bzw. einer kompletten Neuaufstellung der Rechtsberatung? 
    2. einer Gesetzesnovelle zur nachhaltigen Sicherung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung?
    3. der Stärkung und Festigung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung innerhalb des aktuellen gesetzlichen Rahmens?
  1. Wie viel budgetierte das Innenministerium in den Jahren 2021, 2022 und 2023 für die Rechtsberatung? Bitte um Aufschlüsselung nach Kostenstelle. 
  2. Wie viele Mehrkosten fielen pro Jahr für die Rechtsberatung an? Bitte um Angaben für die Jahre 2021 und 2022.