14565/J XXVII. GP
Eingelangt am 22.03.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karin Doppelbauer, Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend VERZOCKT: Das riskante Spiel des BMF und die drohende Zurückzahlung der COFAG-Hilfen
NEOS haben das BMF mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Ausgestaltung der Förderrichtlinien für die COFAG-Zuschussinstrumente zu einer Ungleichbehandlung führt: Ein Unternehmen, das jede Filiale als eigene GmbH aufstellt, ist gegenüber dem Mitbewerber, der alle Standorte in einer gemeinsamen GmbH führt, klar im Vorteil und wird überfördert. In zahlreichen parlamentarischen Anfragen haben NEOS vom BMF eindeutige Antworten zu diesem Sachverhalt verlangt. Zuletzt untermauerte das BMF in der Anfragebeantwortung vom 2.2.2023 die fragwürdige Interpretation des gesetzlichen Rahmens (2):
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"Das europäische Beihilfenrecht geht von einem einheitlichen Unternehmensbegriff aus, der durch die Rechtsprechung des EuGH zu Unternehmen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV konkretisiert wurde. Das Beihilfenrecht sieht dabei jedoch nicht zwingend vor, dass jeder Konzern oder Unternehmensverband als Einheit betrachtet werden muss und folglich die Begünstigungswirkung einer Beihilfenregelung oder einer Individualbeihilfe nur einmal für den gesamten Konzern bzw. die gesamte Gruppe eintreten darf. Vielmehr wird auf das Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“ abgestellt. Konzerne, Gruppen oder Unternehmensverbände sind nur bei Vorliegen bestimmter Kriterien als eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des Beihilfenrechts anzusehen. Zu diesen Kriterien zählen insb. das Bestehen von Kontrollbeteiligungen, die Besetzung von Gesellschaftsorganen und die Tatsache, dass sämtliche Gesellschaften innerhalb des Konzerns oder Gruppe einer einheitlichen Leitung und Steuerung unterliegen. Die Spruchpraxis der Europäischen Kommission als zuständige Behörde in Beihilfensachen muss die genannten Kriterien antragstellender Unternehmen berücksichtigen. Im Falle der COVID-19 Beihilfen hat die Kommission die Leitlinien zur Genehmigung von horizontalen Beihilfenregelungen der Mitgliedstaaten in ihrer Mitteilung „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“ (C(2020) 1863 zuletzt geändert durch C(2021) 564) festgelegt. Auf diesem „Befristeten Rahmen“ fußen (mit Ausnahme des Fixkostenzuschuss I) alle Richtlinien des BMF zur Gewährung von Haftungen und Direktzuschüssen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Dieser „Befristete Rahmen“ der Kommission trifft selbst keine Aussage darüber, wie Beihilfen an Konzerne oder Unternehmensgruppen auszugestalten sind, insb. enthält er kein ausdrückliches Gebot einer zwingenden „Konzernbetrachtung“ oder im Umkehrschluss einen Ausschluss einer isolierten Betrachtung von Unternehmen. Diesen Spielraum machten sich die Richtlinien des BMF zunutze, um die besondere Förderwürdigkeit von Unternehmen zu berücksichtigen, die hohe Umsatzeinbußen erlitten haben oder von behördlichen Schließungen betroffen waren. Im Zuge der Evaluierung der österreichischen COVID-19-Förderungen durch die Europäische Kommission werden nun durch die COFAG die an Konzerne und Unternehmensgruppen ergangenen Beihilfen überprüft." |
Das BMF bestreitet also weiterhin, einen Fehler gemacht zu haben. Einerseits wird eingeräumt, dass beim EU-Beihilfenrecht auf die „wirtschaftlichen Einheit“ abgestellt wird. Andererseits wird darauf verwiesen, dass der Befristete Beihilferahmen nirgends auf das Gebot einer zwingenden Konzernbetrachtung verweist - anders als z.B. in der De-Minimis-VO (dort mittels Fußnote). Ganz offen spricht das BMF davon, sie hätten sich diesen „Spielraum“ zunutze gemacht.
Evidente Fehlentscheidung über „wettbewerbsrechtliche Grundlagen": Warum das BMF früher einlenken hätte müssen
Dabei gibt es einige gute Argumente, warum das BMF früh auf die Bedenken von Experten und NEOS hören hätte sollen:
Erfahrung des BMF: Die COFAG wurde in der Krise erst gegründet und hatte als neue Stelle keine Expertise in der Interpretation von EU-Beihilfenrecht. Dem BMF musste aber das Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“ allein aus dem österreichischen Unternehmensrecht bekannt sein.
Gesamtbetrachtung des Beihilfenrechts: Der fehlende Verweis auf die übrigen Bestimmungen des Beihilfenrechts kann der Europäischen Kommission durchaus als handwerklicher Fehler angelastet werden. Der vorübergehende Beihilferahmen war aber stets in einer Gesamtbetrachtung des Beihilfenrechts zu sehen. Wenn die Kommission von einer gängigen Definition - wie jener der wirtschaftlichen Einheit - abgehen wollte, hätte sie dann wohl eher eine Klarstellung im Text vorgesehen. Das Fehlen eines Verweises kann also nur sehr schwer automatisch als Entfall des üblichen Rechtsrahmens gedeutet werden.
Keine Nachfrage bei der Europäischen Kommission: Das BMF war im laufenden Austausch mit der Europäischen Kommission, wie auch Brunner in der Anfragebeantwortung 11870/AB festhielt (3). Das BMF war also laufend selbst mit Experten auf europäischer Ebene im Austausch. Es wäre Aufgabe des BMF gewesen, nachzufragen, ob wirklich der ungewöhnliche Schritt der Umdeutung des Unternehmensbegriffs von den Verfassern des Beihilferahmens beabsichtigt war. Das hat man aber natürlich unterlassen, da sonst die Lücke rasch geschlossen worden wäre.
Gängige Rechtslage zunächst beachtet, dann davon abgegangen: All das wirkt insbesondere deshalb auffällig, da das BMF bei einem vorangegangenen Hilfsinstrument, dem Fixkostenzuschuss, bei der gängigen Interpretation des Unternehmensbegriffs angesetzt hat. Es stellt sich also die Frage, was das BMF dazu verleitet hat, eine Änderung des regulativen Rahmens anzunehmen.
Andere Stellen haben das Beihilfenrecht richtig angewendet: Auffällig ist auch, dass andere Stellen, die Hilfen ausgegeben haben (zB das damalige BMDW mit der Investitionsprämie), das Beihilfenrecht richtig interpretiert haben.
Zusammenfassend hat das BMF also eine riskante Annahme getroffen, die von der bisherigen Praxis und einem vorangegangenen Covid-Hilfsinstrumente abweicht, ohne die zuständigen Experten zu befragen, mit denen man ohnehin im laufenden Austausch gewesen ist und das obwohl andere Bundesministerien die gleiche Materie anders interpretieren. Der Umstand, dass derselbe Interpretationsfehler in unterschiedlichen Instrumenten über Monate hinweg wiederholt wurde, macht deutlich, dass das von BM Brunner am 9.3.2023 im Ö1 Mittagsjournal vorgebrachte Argument des Zeitdrucks eine Ausrede ist (4). Im gleichen Interview ließ der dazu befragte Wettbewerbsrechtsexperte des WIFO, MMMag. Dr. Michael Böheim, die Argumente des Finanzministers nicht gelten und hielt fest, dass es um "wettbewerbsrechtliche Grundlagen" gehe, "die jedem Fachmann bekannt sein sollten".
Beachtlich ist auch die Unterlassung vonseiten des Koalitionspartners und der Wirtschaftskammer. Einerseits war Vizekanzler Kogler durchaus bewusst, dass die Bundesregierung auf Konfrontationskurs zur Europäischen Kommission war. Selbstverständlich hätte auch er in Brüssel nachfragen können und die riskante Spekulation rund um die Auslegung des Beihilfenrechts beenden können. Andererseits war die Wirtschaftskammer auch in der Erarbeitung aller Instrumente vom BMF eingebunden. Angesichts der verfügt großen Rechtsabteilung mit viel Expertise zum Beihilfenrecht innerhalb der Kammer, hätten diese im Sinne ihrer Mitglieder für Rechtssicherheit sorgen sollen. In der Anfragebeantwortung 11870/AB hält BM Brunner zur Einbindung der Genannten nämlich ausdrücklich fest:
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Im BMF finden und fanden laufend Evaluierungen der wirtschaftlichen Situation statt. Darüber hinaus stand das BMF im Vorfeld der Ausgestaltung seiner Beihilfeninstrumente stets in regem Kontakt mit anderen Bundesministerien, gesetzlichen Interessensvertretungen sowie externen Stakeholdern. Zudem gibt es stets einen fachlichen Austausch mit anderen Mitgliedstaaten (so auch mit Deutschland) bezüglich der Umsetzung der beihilferechtlichen Bestimmungen sowie Abstimmungen mit den zuständigen Fachbeamten innerhalb der Europäischen Kommission (GD Wettbewerb). |
Das BMF bemüht sich laut BM Brunner nun darum, mit der EU-Kommission die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen. Dabei wird versucht werden, die ausgezahlten Covid-Hilfen unter andere Beihilfeinstrumente zu subsummieren, um Rückzahlungen möglichst zu verhindern. Angesichts des im Raum stehenden Volumens an Überförderung - resultierend aus der riskanten Auslegung des EU-Beihilfenrechts durch das BMF - wird der EU-Kommission in einigen Fällen nichts anderes übrig bleiben, als die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu velangen - also die Rückzahlung von Zuschüssen. Diese Anfrage dient dazu, das potenzielle Rückzahlungsvolumen zu hinterfragen und mehr Transparenz in das riskante Spiel des BMF zu bringen, das auf dem Rücken österreichischer Unternehmen ausgetragen wurde.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. Wenn ja, wann genau kam es zu diesem Auszahlungsstopp?
ii. Wenn ja, inwiefern werden noch offenen Anträge weiterhin abgewickelt?
i. Wenn ja, wann teilte sie dies dem BMF das erste Mal mit?
i. Wenn ja: Bedeutet das, dass das BMF diesbezüglich Fehler passiert sind?
ii. Wenn ja: Bedeutet das, dass Rückzahlungen nötig sein werden?
i. Inwiefern wurde der COFAG-Beirat informiert? Bitte Inhalt und Zeitpunkt angeben.
i. Inwiefern wird bei bestehenden bzw. künftigen Wirtschaftshilfen verstärkt die Expertise der EU-Kommission hinsichtlich der Auslegung von EU-Beihilfenrecht herangezogen?
ii. Welche organisatorischen Konsequenzen für bestehende bzw. künftige Wirtschaftshilfen wurden innerhalb des BMF daraus gezogen?
i. Wenn ja, begründen bitte die zugrundeliegenden Annahmen.
ii. Wenn ja, inwiefern wurde bedacht, dass die EU-Kommission dieses Abgehen von der bisherigen Praxis zum Anlass genommen hätte, eine entsprechende Klarstellung aufzunehmen?
iii. Wenn nein, warum wurde das in den Instrumenten dann nicht berücksichtigt?
i. Wenn ja: Ist dem BMF damals aufgefallen, dass das BMDW vom gängigen Unternehmensbegriffs des EU-Beihilfenrechts in den Richtlinien ausgegangen ist? Wie hat dies die Annahmen zu den COFAG Wirtschaftshilfen beeinflusst?
i. Welche anderen Ministerien wurden hinsichtlich der Ausnutzung dieses "Spielraums" bei der Interpretation des Unternehmensbegriffs eingebunden?
1. Welche Stellungnahmen haben die involvierten Bundesministerien zur Auslegung des BMF abgegeben? Bitte angeben, ob positive, negative oder keine Stellungnahmen abgegeben wurde.
ii. Welche Stellungnahmen hat die Wirtschaftskammer zur Ausnutzung dieses "Spielraums" bei der Interpretation des Unternehmensbegriffs des BMF abgegeben?
i. Inwiefern wurde die EU-Kommission zu ihrer Einschätzung bzgl. des "Spielraums" des BMF bei der Interpretation des Unternehmensbegriffs bei der Erstellung der Instrumente eingebunden?
ii. Der Fehler wurde in unterschiedlichen Instrumenten über Monate hinweg wiederholt, weshalb das Problem wohl nicht der Zeitdruck war: Warum wurden die Experten der EU-Kommission nach ihrer Einschätzung zur Interpretation des Unternehmensbegriffs durch das BMF gefragt?