14612/J XXVII. GP

Eingelangt am 24.03.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Petra Steger

an den Bundeskanzler

betreffend EU-Erweiterungsprozess

 

 

Ziel der EU-Erweiterungspolitik ist es, die europäischen Länder in einem gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Projekt zu vereinen. Die Erweiterungen der EU sollten auf gemeinsamen Werten begründet werden und unterliegen den sogenannten „Kopenhagener Kriterien“. Das politische Kriterium umfasst die institutionelle Stabilität sowie die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten im Beitrittsland. Um das wirtschaftliche Kriterium zu erfüllen, braucht der Beitrittswerber eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten. Das „Acquis-Kriterium“ umschreibt die Fähigkeit, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen. Auf der anderen Seite muss aber selbstverständlich auch die entsprechende Absorptionsfähigkeit der EU vorhanden sein.

 

Spätestens mit der Vergabe des EU-Beitrittskandidatenstatus an die Ukraine, einem hochgradig korrupten Land, das sich im Krieg mit der Russischen Föderation befindet und darüber hinaus auch ein katastrophal niedriges Wirtschaftsniveau aufweist, wurden diese Kriterien jedoch ad absurdum geführt.  Aber auch die jüngste Vergabe des EU-Beitrittskandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina erscheint mehr als fragwürdig. Ein tief gespaltenes Land, in dem sich die drei Entitäten im Dauerkonflikt befinden, die Separationsbestrebungen immer konkreter werden und jeglicher Fortschritt durch das extrem komplizierte politische System blockiert wird. Mit gutem Grund hat die EU-Kommission im Jahr 2019 die Erfüllung von 14 Reformauflagen gefordert. Interessant ist dabei, dass die EU-Kommission anscheinend vergessen hat, dass in ihrem eigenen Bericht nur von geringen Fortschritten bei den Reformen die Rede ist. 

 

Die österreichische schwarz-grüne Bundesregierung hat sich in der Vergangenheit durchwegs positiv zu den Brüsseler Erweiterungsschritten geäußert. Sowohl die Vergabe des Beitrittskandidatenstatus an die Ukraine als auch an Bosnien und Herzegowina wurde unterstützt. Bei Zweiterer sprach Ihr Außenminister Schallenberg von „strategischer Weitsicht“, Ihre EU-Ministerin Edtstadler von einem „Meilenstein“ und Sie selbst sprachen von einem „großen Erfolg für Österreich“. Dem nicht genug, haben Sie sogar von einer „klaren EU-Beitrittsperspektive“ für den Kosovo gesprochen – ein Land, dessen Unabhängigkeit völkerrechtlich mehr als umstritten ist und daher auch von 78 UN-Nationen, darunter 5 EU-Staaten (z.B. Spanien) nicht als eigenständig, sondern als serbische Provinz angesehen wird.

 

Im Zuge des deutsch-französischen Ministerrats am 22. Februar 2023 bekräftigten Bundeskanzler Scholz und Präsident Macron, dass man „schnellere und konkretere Fortschritte im EU-Erweiterungsprozess“ anstrebe. Demzufolge kann es der deutschen und französischen Führungsriege offenbar gar nicht schnell genug gehen, weitere Pleitestaaten in die EU aufzunehmen, wodurch Nettozahlerstaaten wie Österreich einen immer größeren Beitrag nach Brüssel schicken müssen. Dieser Beitrag ist bereits mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU im Jahr 2020 um einen erheblichen Teil angewachsen. Wenn jetzt auch noch das Tempo im EU-Erweiterungsprozess erhöht wird, heißt es bald: Gute Nacht, österreichischer Wohlstand!

 

 

In diesem Zusammenhang stellt die unterfertigte Abgeordnete an den Bundeskanzler nachstehende

 

Anfrage

 

1.    Wie bewerten Sie die deutsch-französische Forderung, dass man schnellere und konkretere Fortschritte im EU-Erweiterungsprozess brauche?

a.    Unterstützen Sie diese Forderung?

b.    Wo sehen Sie in dieser Forderung mögliche Vorteile für Österreich?

c.    Wo sehen Sie in dieser Forderung mögliche Risiken für Österreich?

 

2.    Haben Sie keine Bedenken, dass durch die Aufnahme weiterer wirtschaftlich schwacher Staaten in die EU der Beitrag, den die österreichischen Steuerzahler nach Brüssel schicken müssen, immer weiter anwächst?

 

3.    Wie bewerten Sie grundsätzlich die Aufnahmefähigkeit der EU?

a.    Hat sich die EU aus Ihrer Sicht in der Vergangenheit mit ihrer Aufnahmefähigkeit verschätzt?

 

4.    Haben Sie oder ein Vertreter Ihres Ministeriums im Vorfeld des deutsch-französischen Ministerrats Gespräche mit Vertretern der beiden Länder geführt?

a.    Wenn ja, wann wurden diese Gespräche geführt?

b.    Wenn ja, mit wem wurden diese Gespräche geführt?

c.    Wenn ja, was war der Inhalt dieser Gespräche?

d.    Wenn ja, wurde in den Gesprächen über die Forderung nach „schnelleren und konkreteren Fortschritten im EU-Erweiterungsprozess“ gesprochen?

e.    Wenn nein, warum wurden von Ihrem Ministerium diesbezüglich keine Gespräche geführt?

 

5.    Wie bewerten Sie den Umstand, dass der Ukraine, einem Land, welches sich im Krieg mit Russland befindet, entgegen den „Kopenhagener Kriterien“ der EU-Beitrittskandidatenstatus vergeben wurde?

a.    Warum haben Sie diese Entscheidung unterstützt, obwohl damit die „Kopenhagener Kriterien“ ad absurdum geführt wurden?

b.    Sind Sie der Ansicht, dass die Ukraine die „Kopenhagener Kriterien“ auch nur ansatzweise erfüllt?

c.    Sind Sie der Ansicht, dass die Ukraine ausreichende Maßnahmen gegen die Korruption gesetzt hat?

 

6.    Warum haben Sie die Vergabe des EU-Beitrittskandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina als „großen Erfolg für Österreich“ bezeichnet?

7.    Sehen Sie in der Nichterfüllung der Reformauflagen der EU-Kommission sowie in den Dauerkonflikten der drei Entitäten und deren Separationsbestrebungen keine klaren Hinderungsgründe für die Vergabe des EU-Beitrittskandidatenstatus an Bosnien und Herzegowina?

 

8.    Stehen Sie nach wie vor zu Ihrer Äußerung, in der Sie sich für eine „klare EU-Beitrittsperspektive“ für den von 78 UN-Nationen, darunter 5 EU-Staaten (z.B. Spanien) nicht anerkannten Kosovo aussprachen?

a.    Wie genau unterstützen Sie diese „klare EU-Beitrittsperspektive“ für den Kosovo?

b.    Wie genau soll diese „klare Beitrittsperspektive“ für den Kosovo aussehen, wenn von mehreren EU-Staaten nicht einmal die nationalstaatliche Souveränität sowie die territoriale Integrität des Kosovo anerkannt wird?

c.    Ist die Forderung nach einer „klaren EU-Beitrittsperspektive“ für den Kosovo angesichts der sich zuspitzenden Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo nicht diplomatisch äußerst fragwürdig?