14710/J XXVII. GP

Eingelangt am 29.03.2023
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Anfrage

 

der Abgeordneten Georg Bürstmayr, Lukas Hammer, Eva Blimlinger, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Polizeieinsatz am 27.3.2023 bei der Demonstration gegen die EGC

BEGRÜNDUNG

 

Am 27.03.2023 kam es in Wien zu mehreren, auch medial beachteten Polizeieinsätzen rund um Kundgebungen, die sich gegen die „European Gas Conference“ bzw. gegen die weitere Förderung von Gas richteten. Dabei wurde u.a. eine Demonstration, die sich am Ausgang der U-Bahn-Station „Stadtpark“ gebildet hatte, nach bereits ca. 100m in 1010 Wien, Johannesgasse Ecke Parkring von Einsatzkräften der Polizei gestoppt. Die rund 100 Teilnehmer:innen dieser Demonstration waren – weil sie alle weiße Overalls trugen – eindeutig als Kundgebungs- / Demonstrationsteilnehmer:innen erkennbar. Schon bei diesem ersten Zusammentreffen wurde von einer Mehrzahl von Polizeibeamt:innen Pfefferspray gegen Kundgebungsteilnehmer:innen eingesetzt, was nach übereinstimmenden Beobachtungen von Medien und anderen anwesenden Personen auch zu Beeinträchtigungen / Verletzungen von Kundgebungs-teilnehmer:innen und Polizeibeamt:innen führte.

In weiterer Folge wurden die rund 100 Teilnehmer:innen der Demonstration nicht nur daran gehindert, ihren Weg Richtung Parkring fortzusetzen, sondern auch daran, den Ort wieder zu verlassen (sogenannter „Kessel“). Auch nach völliger Einkreisung / Einkesselung der Kundgebungsteilnehmer:innen kam es mindestens ein weiteres Mal zu einem größeren Einsatz von Pfefferspray gegen diese, wobei sich die Kungebungsteilnehmer:innen zu diesem Zeitpunkt in keine Richtung mehr entfernen konnten. Dieses Vorgehen widerspricht der Rechtsprechung der Landesverwaltungsgerichte zum Umgang mit dem Versammlungsrecht und dem Einsatz von Pfefferspray. (zB Landesverwaltungsgericht Wien VGW-102/076/8488/2016 vom 02.11.2016; Landesverwaltungsgericht Tirol LVwG-2021/23/0712-9 vom 04.05.2021).

In weiterer Folge wurde den solcherart „eingekesselten“ Teilnehmer:innen dieser Kundgebung per Lautsprecher von der LPD Wien mitgeteilt, dass sie alle unter Verdacht stünden, das Delikt des § 274 Abs 1 StGB verwirklicht zu haben. Teilnehmer:innen, die nicht willens oder nicht in der Lage waren, sich auszuweisen, wurden festgenommen und iwF im PAZ Rossauer Lände angehalten.

Das Vorgehen und Aufgebot der Polizei bei diesem Einsatz kann getrost als unverhältnismäßig und überschießend aggressiv beschrieben werden. An vielen Stellen war zu beobachten, dass sich dieser Einsatz in seiner Härte auffallend vom Umgang mit – angemeldeten, aber auch nicht angemeldeten – Kundgebungen sogenannter Corona-Maßnahmen-Gegner unterschied

Auch die pauschale Kriminalisierung aller Kundgebungsteilnehmer:innen,  die für einen nachhaltigen Umgang mit unserer aller Umwelt eintreten, scheint verstörend. Die oft zitierte - und bei zahlreichen Corona-Maßnahmen-Gegner-Demonstrationen auch praktizierte - sogenannte 3D Strategie kam am 27.3. lediglich in Form des Durchgreifens, nicht aber in den – in diesem Konzept vorgelagerten – Vorgehensweisen des Dialogs und der Deeskalation zur Anwendung.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

 

1)    Wie lautete der Behördenauftrag in Vorbereitung auf die Einsatzplanung für den 27.3.2023?

 

2)    Ist dieser öffentlich einsehbar?

a.    Wenn ja, wo?

b.    Wenn nein, wieso nicht?

3)    Mit welchen Aktionen und mit welcher Anzahl an teilnehmenden Personen wurde im Vorfeld der Demonstrationen gerechnet?

4)    Lagen dazu Erkenntnisse und / oder Risikoeinschätzungen der DSN oder des Wiener Landesamts für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) vor, wenn ja, welche?

 

5)    In Ihrem Interview mit der Tageszeitung „Heute“ berichteten Sie, dass bei ähnlichen Demonstrationen in Europa bereits Straßenzüge gebrannt hätten[1]. Welche Klimademonstrationen in Österreich oder Europa sind Ihnen bekannt, bei denen Straßenzüge gebrannt haben?

 

6)    Wann und aufgrund welcher Erkenntnisse wurde beschlossen, für Einsätze rund um die „European Gas Conference“ auch Beamt:innen aus mehreren Bundesländern beizuziehen?

7)    Wie viele Beamt:innen waren in den Morgenstunden dieses Tages für Einsätze rund um die European Gas Conference verfügbar? Bitte auch um Aufschlüsselung nach Bundesland, Einheit, Geschlecht. Haben sich die einzelnen Beamt:innen freiwillig in den Dienst gemeldet?

8)    Welche Maßnahmen wurden im Vorfeld ergriffen, um den Behördenauftrag zu erfüllen?

a.    Waren darunter auch Maßnahmen des Dialogs und der Deeskalation vorgesehen, wenn ja, welche?

b.    Wenn nein, warum nicht?

 

9)    Wer war der Einsatzkommandant und welche Aufträge hat er wann erhalten?

a.    Welche Aufträge hat er bereits im Vorfeld im Form des Behördenauftrages erhalten?

b.    Welche Aufträge hat er vor Ort erhalten?

 

10) Welche Einheiten wurden wie und wo eingesetzt?

a.    In diesem Tweet: https://twitter.com/LenaSchilling1/status/1640241441560567808?s=20 ist sichtbar, dass Einheiten aus Salzburg in der Johannesgasse eingesetzt waren. Aus welchem Grund wurden Einsatzeinheiten aus Salzburg und Tirol, die tendenziell weniger Erfahrung im Umgang mit Demonstrationen haben, an kritischen Schlüsselstellen einer Kundgebung in Wien eingesetzt?

11) Weshalb und in welcher Weise wurden Hundestaffeln eingesetzt?

 

12) Bei der Demonstration am 28.3.2023 standen Wasserwerfer bereit. Weshalb? Waren diese auch am 27.3.2023 in Bereitschaft?

 

13)  Um wieviel Personen handelte es sich bei der Versammlung / Demonstration in der Johannesgasse? Wie viele Beamt:innen waren vor Ort?

 

14) Warum wurde die Spontandemonstration in der Johannesgasse gestoppt? Wurde die Versammlung polizeilich für aufgelöst erklärt und wenn ja
- wann
- wie und
- aus welchem Grund?

 

15)  Auf einem Video, das die Annäherung der Demonstration an die Ecke Johannesgasse / Parkring zeigt, ist eine Erklärung, dass die Kundgebung aufgelöst wäre, nicht zu vernehmen. Wurde diese Erklärung nachträglich abgegeben, wenn ja, wann, durch wen und auf welche Weise? https://twitter.com/DanniPilger/status/1640267701774962688 )

 

16)  Wurde den Teilnehmenden der Versammlung die Möglichkeit gegeben, den Versammlungsort zu verlassen?

 

17)  Auf welcher Rechtsgrundlage kam es zum Einsatz von Pfefferspray in der Johannesgasse?

 

18) Welches gelindere Mittel hätte es gegeben? Wieso wurde dieses nicht eingesetzt?

19) Bekommen Beamt:innen, die leitende Funktionen bei Demonstrationen haben, Rechtsschulungen oder Einsatztrainings, in denen auch der Einsatz von Pfefferspray behandelt wird? Wenn ja, welche Prinzipien werden in diesen Rechtsschulungen oder Einsatztrainings für den Einsatz von Pfefferspray vermittelt?

 

20) Ist der Befehl "Geht schon Attacke" ein Wortlaut, der bei Einsatztrainings oder bei Amtshandlungen auf Demonstrationen üblich ist? (siehe hier: https://twitter.com/msulzbacher/status/1640345691644911616 )

21) Ein Beamter setzte Pfefferspray mit wenigen Zentimetern Abstand zum Gesicht von Betroffenen ein. Wird bei Schulungen vermittelt, aus welcher Distanz Pfefferspray eingesetzt werden darf? Entspricht dieses Vorgehen der geltenden Rechtslage? (siehe hier: https://twitter.com/PresseWien/status/1640419301852102659 )

22)  Kamen bei dem Einsatz außer Pfefferspray auch andere Substanzen wie zum
Beispiel Reiz- oder Tränengas zum Einsatz? Wenn ja, welche?

23) Wird der Einsatz von Pfefferspray und von anderen vergleichbaren Substanzen dokumentiert? Wenn ja, zu wie vielen Anwendungen kam es bei dem besagten Einsatz am 27. März 2023?

24) Wie viele Polizeibeamt:innen wurden von Kolleg:innen mit Pfefferspray verletzt?

 

25) Wie viele Versammlungsteilnehmer:innen wurden verletzt? Bitte um Aufzählung.

 

26) Wurden Journalist:innen verletzt? Wenn ja, wie viele und wodurch?

 

27) Den in der Johannesgasse befindlichen Kundgebungsteilnehmer:innen wurde im weiteren Verlauf der Amtshandlung über Lautsprecher mitgeteilt, sie stünden alle im Verdacht, das Delikt des § 274 StGB verwirklicht zu haben. Welche Grundlage(n) hatte diese Mitteilung?

 

28)  Welche Gegenstände wurden vor der o.a. Mitteilung vorgefunden, die auf einen solchen Verdacht schließen ließen? (bitte um Auflistung)

 

29) Wurden gefährliche Waffen nach den Festnahmen gefunden?

 

30) Auf wessen Anweisung hat der Einsatzleiter Anzeigen nach § 274 StGB angeordnet? War das eine eigenständige Entscheidung oder eine Anordnung der dienstführenden Behörde?

 

31) Wie viele Kundgebungsteilnehmer:innen wurden aufgrund welcher Paragrafen angezeigt? Wie viele wurden verhaftet? Gegen wie viele wurde Untersuchungshaft beantragt? Bitte um Aufzählung.

 

32) Auf dem Kurznachrichtenportal „twitter“ wurde von der wiederholten Anwendung von Schmerzgriffen bei TeilnehmerInnen der o.a. Kundgebung berichtet, als diese einzeln abgeführt werden sollten. Werden solche Schmerzgriffe bei Einsatztrainings geübt? Welche Rechtsgrundlage hatte die Anwendung dieser Schmerzgriffe?  (siehe: https://twitter.com/PresseWien/status/1640419395733426232 )

33) Ein Video vom Beginn der besagten Amtshandlung zeigt, dass es einigen Dutzend Exekutivbeamt:innen in kurzer Zeit gelang, mit Anwendung von Körperkraft die gegen die Sperrkette andrängenden Kundgebungsteilnehmer:innen zum Stehen zu bringen. Mehrere Sekunden danach ist der Befehl „Pfeffer!“ zu hören, zu sehen sind in weiterer Folge Exekutivbeamt:innen, die aus der zweiten oder dritten Reihe Pfefferspray – über die Köpfe ihrer Kolleg:innen hinweg – in Richtung der Kundgebungsteilnehmer:innen versprühen.
Warum kam es zu diesem Zeitpunkt zur Anordnung des Einsatzes von Pfefferspray?  https://twitter.com/DanniPilger/status/1640267701774962688 

 

34)  Auf folgendem Video ist zu sehen, wie ein Beamter einen bzw. mehrere Versammlungsteilnehmer:innen auf Nierenhöhe boxt. Wurde dieser Beamte bereits identifiziert? https://twitter.com/DanniPilger/status/1640267701774962688

a.    Wenn nein, wieso nicht?

b.    Wenn ja, welche Maßnahmen wurden ergriffen?

c.    Wurden bereits Ermittlungen wegen überschießender Polizeigewalt eingeleitet?

 

35) Wann und wie oft hat die LPD Wien unter Einsatz von Pfefferspray versucht, unangemeldete Kundgebungen (oder deren Abweichen von einer angekündigten Route) von sogenannten Corona-Maßnahmen-Gegnern aufzuhalten oder zu verhindern?

36)  Gehört der Einsatz von Pfefferspray und / oder Reizgasen gegen Menschen auch dann zur üblichen Vorgangsweise der LPD Wien, wenn sich die Betroffenen in keine Richtung entfernen können?

37)  Wurde der hier in Rede stehende Einsatz seitens der LPD Wien und / oder des BMI evaluiert, und wenn ja, mit welchen Ergebnissen bzw. Schlussfolgerungen?



[1] https://www.heute.at/s/innenminister-lobt-polizei-angriff-auf-klima-aktivisten-100262911 (Letzter Zugriff: 29.03.2023)