Eingelangt am 05.04.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie
Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin
für Justiz
betreffend Wo bleibt der/die
neue Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts?
Die Besetzung des Postens der/des
Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts steht in der
Öffentlichkeit unter besonderer Beobachtung. Grund dafür ist der vor
etwa einem Jahr öffentlich gewordene “Sideletter” der
Türkis-Grünen Koalition zum Regierungsprogramm, in dem das
Nominierungsrecht für den Posten der ÖVP zugeschrieben wurde –
obwohl § 2 Abs 3 BVwGG ein klar geregeltes
Auswahlverfahren vorsieht.
Für die Nachfolge von Harald Perl
bewarben sich zwölf Personen. Alle wurden zum Hearing vor der im Gesetz
vorgesehenen Kommission geladen. Diese bestand aus sieben Personen. Fixe
Mitglieder waren laut Gesetz Vertreter:innen der drei Höchstgerichte:
Neben Verfassungsgerichtshof-Präsidenten Grabenwarter waren der
Senatspräsident Wolfgang Köller in Vertretung für den
Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes und Elisabeth Lovrek, Präsidentin
des Obersten Gerichtshofes Mitglieder. Hinzu kamen mit Iris Eisenberger und dem
ehemaligen Vizekanzler Clemens Jabloner – beide mit Professur an der
Universität Wien – zwei Vertreter:innen der universitären
Rechtswissenschaft. Die Runde komplettierten Michael Fruhmann, Leiter der
Stabsstelle für Vergaberecht im Justizministerium, und Albert Posch als
Vertreter des Bundeskanzleramtes; er ist dort Leiter des Verfassungsdienstes.1
Die Kommission hat laut Gesetz ein Hearing
mit den zwölf Bewerber:innen durchzuführen – und dann der
Regierung drei Bewerber:innen vorzuschlagen. Die drei von der Kommission
vorgeschlagenen Kandidat:innen sind, Medienberichten zufolge, Sabine Matejka,
derzeit Vorsteherin des Wiener Bezirksgerichts Floridsdorf, als bestgereihte,
gefolgt von Chef der BVwG-Außenstelle Linz, Mathias Kopf, und
schließlich der einstige Vorsitzende der Kammer für Fremdenwesen und
Asyl des BVwG und nunmehriger Gruppenleiter im Innenministerium, Christian
Filzwieser.2 Ernannt wird die neue Präsidentin oder der
neue Präsident des BVwG letztlich vom Bundespräsidenten auf Vorschlag
der Regierung. Nach Angaben des Bundesministeriums für Kunst, Kultur,
öffentlichen Dienst und Sport Anfang Januar 2023 liefe das
Auswahlverfahren noch. Nach Angaben der Justizministerin Zadic im Oktober 2022
soll auf jeden Fall die/der Erstgereihte nominiert werden.3
Seit 1. Dezember 2022 ist der
Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Harald Perl, in den Ruhestand
getreten. Seitdem führt der ÖVP-Nahe Vizepräsident des
Bundesverwaltungsgerichts, Michael Sachs, das Gericht bis zur Neubesetzung des
Amtes des/der Präsident:in weiter. Laut Medienberichten wäre er
ebenfalls gerne Präsident des Hauses geworden, kam aber mutmaßlich
wegen in Kritik stehender Rechtsprechung nicht zum Zug.4
Den Medien ist zu entnehmen, dass noch vor
dem Wechsel an der Spitze wichtige Positionen im Bundesverwaltungsgericht
neu besetzt werden sollen und es zu einigen Umstrukturierungen kommen
soll. Derzeit ist das Gericht mit Hauptsitz in Wien in vier Kammern und
drei Außenstellen in Linz, Graz und Innsbruck geteilt. Die große
Kammer für Fremdenwesen und Asyl dürfte nun geteilt werden: Es soll
eine eigene "Eilkammer" herausgelöst werden, die vor allem
für Abschiebungen, Schubhaftentscheidungen und für bestimmte
Herkunftsstaaten zuständig ist. Eine Aufteilung in zwei Kammern, wie sie
bereits bei der Einrichtung des BVwG im Jahr 2014 vorgesehen war, wurde in der
Vergangenheit immer wieder diskutiert. Aufgrund der Umstrukturierung
müssen die beiden Chef:innenposten der neu entstehenden Asylkammern
nachbesetzt werden. Auch in der Kammer für Soziales bestellt das Gericht
eine Nachfolge für die bisherige Vorsitzende, die ihr Amt mit Ende
Jänner zurücklegt, und für deren Stellvertreterin. Da
aktuell der ÖVP-nahe Michael Sachs das Gericht interimistisch führt,
wird nun auch er die Kammervorsitzenden und ihre Stellvertreter:innen
"nach Anhörung des Personalsenates für die Dauer von sechs
Jahren bestellen", wie es im Gesetz heißt. Kammervorsitzende
können auch "jederzeit aus wichtigen Gründen" wieder vom
Präsidenten abberufen werden. Während im BVwG die neue
Geschäftsverteilung für das kommende Geschäftsjahr, das mit 1.
Februar beginnt, diskutiert wird, bleibt noch immer unklar, wann nun
die Neubesetzung des Amtes des/der Präsident:in stattfinden
wird.5
- https://www.derstandard.at/story/2000142447622/die-baustellen-der-regierungsklausur
- https://www.derstandard.at/story/2000139796237/justizministerinzadic-eigene-gerichtspolizei-spannender-vorschlag
- https://www.derstandard.at/story/2000137349439/lotterie-am-asylgericht-wie-sich-strukturelle-probleme-auf-entscheide-auswirken
- https://www.vn.at/politik/2022/10/04/diese-kommission-besetzt-das-praesidium-des-bundesverwaltungsgerichts.vn?_ga=2.195019624.476224021.1674657357-1249417508.1674657357
- https://www.derstandard.at/story/2000142659458/vor-wechsel-an-der-spitze-bundesverwaltungsgericht-besetzt-wichtige-positionen-neu
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Seit wann war bekannt, dass der Präsident des BVwG,
Harald Perl, am 01.12.2022 seinen Ruhestand antreten würde?
- Wann begannen die Planungen für die Ausschreibung des
Präsident:innenpostens am BVwG? Mit welchem Zeitlauf wurde gerechnet?
- Aus welchen Gründen hat
der Bestellungsprozess nicht rechtzeitig begonnen?
- Präsident Perl gab im Ö1 Journal am 18.03.2023
sinngemäß bekannt, dass eine Übergangs- und
Übergabephase mit seiner/m Nachfolger:in von Vorteil gewesen
wäre. Warum wurde darauf nicht eingegangen?
- § 2 Abs 3 BVwGG sieht u.a.
als Mitglied der Kommission ein:e weitere:n Vertreter:in "eines
Bundesministeriums": Wie wird und wurde im konkreten Fall nach
welchen Kriterien ausgewählt, welches Ministerium ein
Kommissionsmitglied stellen darf?
- Wie kam es dazu, dass das
Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt ein
Mitglied stellen durfte bzw. wie verlief hier die Abstimmung?
- Wer war in die Bestimmung der Kommissionsmitglieder
eingebunden?
- Wann wurde das Auswahlverfahren
begonnen und abgeschlossen?
- Seit wann ist Ihrem Ministerium das Ergebnis des
Auswahlprozesses bekannt?
- In welcher genauen Reihenfolge
wurden die zwölf Kandidat:innen von der Kommission aufgelistet?
- An welchem Tag langte das
Gutachten der Kommission in Ihrem Ministerium ein?
- Aus welchen Gründen
dauerte die Übermittlung des Gutachtens so lange?
- Inwiefern wurde die von der
Kommission etablierten Reihenfolge beachtet?
- Welche Position vertritt Ihr
Ministerium diesbezüglich?
- Wurden die Kandidat:innen kontaktiert und über den
Ausgang des Verfahrens informiert?
- Wenn ja, wann?
- Wenn ja, welche Informationen wurden mitgeteilt?
- Wurde den drei Erstgereihten ein Zeithorizont genannt, in
welchem sie mit der Ernennung rechnen konnte?
i. Wenn
ja, welcher?
- Unter welchen Voraussetzungen
kann die Begutachtung der gesetzlich vorgesehenen Auswahlkommission
unbeachtet bleiben?
- Waren diese Voraussetzungen in
diesem Fall erfüllt und wenn ja, inwiefern?
- Sollte die von der Kommission
etablierte Reihenfolge nicht beachtet bzw. die erstgereihte nicht
nominiert worden sein: Aus welchen konkreten Gründen?
- Welche Position vertritt Ihr
Ministerium diesbezüglich?
- Wurden alle Kandidat:innen von der Kommission neugereiht
oder gab es eine sogenannte "shortlist" mit den TOP 3
Kandidat:innen?
i. Wenn
ja, wer sind die TOP 3 Kandidat:innen?
- Ist es korrekt, dass Sabine Matejka die topgereihte
Kandidatin ist?
- Wer besetzt die Stelle
des interimistischen Vizepräsidenten, während der
Vizepräsident Sachs interimistisch das BVwG leitet(e)?
- Wie wurde diese Person bestimmt?
- Wie ist die Entlohnung von Vizepräsident Sachs
während seiner interimistischen Leitungsphase?
- Entspricht es den Tatsachen, dass der Vizepräsident
Sachs sich um die Stelle des Präsidenten beworben hat?
- Entspricht es der Tatsache, dass der Vizepräsident
Sachs sich nicht unter den TOP 3 gereihten Kandidat:innen befindet?
- Sollte es zum Zeitpunkt der
Beantwortung noch immer nicht zur Neubesetzung gekommen sein: Wann ist
spätestens mit einem Amtsantritt zu rechnen?
- Aus welchen konkreten
Gründen findet gerade vor der Neubesetzung des Amtes des/der
Präsident:in eine umfassende Umstrukturierung des
Bundesverwaltungsgerichts durch den interimistischen Präsidenten
statt?
- Wieso konnte die
Umstrukturierung nicht auf die Neubesetzung des Amtes des/der
Präsident:in warten?
- Im Oktober 2022 war die
Intention, die große Kammer für Fremdenwesen und Asyl zu
teilen, bereits bekannt. Zwei neue Chef:innenposten müssen
dafür neu besetzt werden. Welcher Zeitplan war damals für die
Teilung der großen Kammer für Fremdenwesen und Asyl und
für diese Neubesetzungen angedacht?
- Was ist der vorgesehene Prozess
für die Teilung einer Kammer?
- Aus welchen Gründen wird
die Teilung der großen Kammer für Fremdenwesen und
Asyl nun erst jetzt durch den interimistischen Präsidenten
umgesetzt?
- In welcher Form,
nach welchem Verfahren und welchen Kriterien erfolgen die
Bestellungsverfahren?
- Welche Meinung vertritt das
Personalsenat bezüglich der Auswahl der Kandidat:innen?
- In welcher Form,
nach welchem Verfahren und welchen Kriterien wird die/der
neue:r Vorsitzende der Kammer für Soziales und
nachbesetzt?
- Welche Meinung vertritt das
Personalsenat bezüglich der Auswahl der Kandidat:innen?
- Waren Sie bzw. welche Stelle
Ihres Ressorts in die Bestellungsverfahren eingebunden?
- Wenn ja, in welcher Form
jeweils?
- Wann ist die nächste Ernennung bzw. der nächste
Auswahlprozess von Richter:innen von Verwaltungsgerichtshofrichter:innen
vorgesehen?
- Ist Ihrem Ministerium bekannt, ob Personen auf der
"shortlist" sich auch für die Funktion von Richter:innen
am VwGH beworben haben?
i. Wenn
ja, wer?