14967/J XXVII. GP

Eingelangt am 27.04.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Ing. Reinhold Einwallner, Christian Oxonitsch, Dr. Harald Troch,
Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Inneres

betreffend Errichtung eines Abschiebezentrums und menschenrechtswidrigen Gefängnis in Bosnien mit österreichischem Steuergeld


Europa braucht eine gemeinsame, menschenrechtskonforme Asylpolitik. Respekt für die Menschen, eine Kooperation zwischen den europäischen Ländern und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern ist dafür unbedingt notwendig.

Seit seiner Errichtung im Jahr 2020 ist das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien-Herzegowina ständiger Schauplatz menschlicher Tragödien.  Das Lager ist in den letzten Jahren immer wieder durch desaströse Zustände in die Schlagzeilen geraten. Zuletzt durch einen Brand im Herbst 2021: „Lipa brennt, zum zweiten Mal. Tatsache: Die EU hat es im zweiten Jahr trotz ihrer angeblichen millionenschweren Soforthilfe nicht geschafft, für die Menschen dort Elektrizität und Wasser sicherzustellen. Willkommen in der Realität, willkommen in Bosnien, willkommen in der Hölle...", ließ Petar Rosandić, besser bekannt als Kid Pex und Mitbegründer von SOS Balkanroute, seiner Erschütterung durch die Zustände vor Ort auf Twitter[1] (28.09.2021) freien Lauf[2].

Unter dem Titel “Hilfe vor Ort” wird nun offenbar das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien-Herzegowina mit Hilfe von österreichischem Steuergeld zu einem illegalen Gefangenenlager umgebaut. „Ein hoher Zaun, auf jedem Schritt und Tritt Kameras, Fenster mit Gefängnisgittern und fast kein Tageslicht in den Zellen", hieß es am Dienstag, 11.4.2023, in einer Aussendung mit dem Titel "So sieht das österreichische Guantánamo in Bosnien aus" (SOS – Balkanroute)[3].

Österreich zählt zu den größten Geldgebern des nun im medial im Brennpunkt stehenden Projekts in Bosnien. Bisher sollen mehr als 1,1 Millionen Euro an österreichischen Steuergeldern aus dem Innenministerium und dem Land Oberösterreich für die Infrastruktur des Lagers Lipa aufgebracht worden sein. Allerdings sollen die Gelder laut SOS-Balkanroute nicht nur in die Infrastruktur zur Verbesserung der Lage der flüchtenden Menschen investiert worden sein. Es wurde auch ein gesperrter Bereich errichtet, der von Menschenrechtsorganisationen wie auch von Betroffenen und Augenzeug*innen wie ein Gefangenenlager erlebt wird. Für den Bau der neuen „Internierungszellen“[4] soll das „International Centre for Migration Policy Development (ICMPD)“ verantwortlich sein, als dessen Leiter ÖVP-Ex-Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger fungiert[5].

Dieser gab auf Nachfrage der ZIB 2 am 13.04.2023 zu Protokoll:

„Wir sind die Errichter dieses einzigen gesicherten Bereichs für maximal zwölf Personen. Mit dem Flüchtlingscamp, wo Tausende sind, haben wir überhaupt nichts zu tun. […] Wie soll ich beurteilen können, ob Menschenrechtsverletzungen stattfinden in einem Camp, das wir nicht betreiben.“

Das Lager Lipa liegt in einer Region, die an sich durch eine besonders ausgeprägte Flüchtlingsbewegung gekennzeichnet ist und daher auch seit Jahren im Fokus der Berichterstattung, aber auch der politischen Diskussion steht und die höchste Sensibilität mit Blick auf die Menschenrechtslage erfordert. Laut der NGO SOS-Balkanroute kommt es an der kroatischen Grenze immer wieder zu illegalen Pushbacks nach Bosnien-Herzegowina. Ein betroffener Flüchtender sagte, dass die kroatische Polizei Geld, Schuhe und Handys eingesammelt und verbrannt habe. Die Migranten seien geschlagen und ins Camp Lipa gebracht worden. "Fast alle Betroffenen berichten nahezu ausnahmslos von massiver Gewalt durch die Polizei"[6].

Unabhängig, wieso die Menschen auf der Flucht sind, ist es Aufgabe der Republik Österreich, als Mitglied der Europäischen Union dafür einzustehen, dass die Menschenrechte in der EU wie auch an ihren Grenzen eingehalten werden.

Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Inneres folgende

Anfrage

1.      Seit wann besteht die Zusammenarbeit zwischen dem BMI und dem ICMPD?

2.      Welche Projekte wurden in Zusammenarbeit zwischen BMI und dem ICMPD realisiert? Listen Sie diese bitte nach Jahr der Planung und Realisierung auf.

3.      Wie hoch sind die Finanzmittel, die für die Projekte des ICMPD aus dem BMI zur Verfügung gestellt wurden jeweils?

4.      Können Sie ausschließen, dass durch den Einfluss der ÖVP Niederösterreich im BMI (HBM Gerhard Karner) und dem ICMPD (Präsident Spindelegger) eine informelle Ebene besteht, auf der Projekte besprochen wurden und Gelder geflossen sind?

5.      Was ist der konkrete Zweck, zu dem das Gefangenenlager in Lipa errichtet wurde?

6.      Inwiefern war das BMI finanziell und konzeptionell in die Umsetzung des Projekts in Lipa eingebunden bzw. daran beteiligt?

7.      Wird es weitere Finanzmittel geben, die in Lipa aufgewendet werden sollen?

a.       Falls ja: Wie hoch sind diese und wann sollen diese fließen?

b.      Falls ja: Wer erhält diese Mittel konkret und sind Nachweise bzw. Dokumentationen zur Verwendung der Mittel zu erbringen?

8.      Gab es hinsichtlich des Gefangenenlagers in Lipa eine Zusammenarbeit zwischen BMI und dem Land Oberösterreich?

a.       Falls ja: Aus welchem Grund existiert diese Zusammenarbeit und was beinhaltet sie konkret?

b.      Falls ja: Durch wen wurde das BMI und das Land OÖ in dieser Zusammenarbeit vertreten?

9.      Hat das BMI eine aktive kontrollierende Rolle in der bereits genannten Gefangeneneinrichtung?

a.       Wenn ja: Wie gestaltet sich diese?

b.      Wenn nein: Aus welchem Grund wurden dann Finanzmittel zur Verfügung gestellt?

10.  Im Hinblick auf die aktuellen Berichte von Augenzeug*innen über die Zustände in der Gefangenenanstalt in Lipa stellt sich die Frage nach möglichen Maßnahmen zur Beseitigung der aufgezeigten Missstände. Ist von Ihrer Seite aus geplant, direkt auf die neuen Berichte zu reagieren und diese Missstände zu beseitigen? Wenn ja, wie sollen diese Maßnahmen konkret aussehen?

11.  Wird das BMI eigene Handlungen oder Untersuchungen ins Leben rufen, um die Lage vor Ort genauer zu erheben und zu beobachten?

12.  Besteht seitens des BMIs eine Erklärung, wie es zu diesen Missständen kommen konnte?

13.  Sind zukünftig Maßnahmen geplant, um die Lage der Gefangenen vor Ort nachhaltig zu verbessern? Sind in der Gefangeneneinrichtung in Lipa österreichische Beamte der Polizei, oder Bedienstete Ihres Ressorts oder anderer Ressorts eingesetzt?

a.       Falls ja: Wie viele, seit wann und wie hoch sind die Kosten dafür?

b.      Falls nein: Können Sie einen Einsatz österreichischer Polizeibeamter oder Beschäftigter Ihres Ressorts auch in Zukunft ausschließen?

14.  Können Sie Menschenrechtsverletzungen in Lipa, insbesondere in der Gefangeneneinrichtung, die durch Ihr Ressort und damit aus österreichischen Steuermitteln finanziert wurde, ausschließen?

a.       Wenn ja: In welcher Form können sie die Einhaltung der Menschenrechte garantieren?

b.      Wenn nein: Werden Sie mit Blick auf diesen Umstand weitere Zahlungen an das ICMPD einstellen bzw. ausschließen?

c.       Wenn nein: Wie rechtfertigen Sie den Einsatz österreichischen Steuergelds, wenn die Menschenrechte, zu denen sich Österreich bekennt, nicht eingehalten werden bzw. garantiert werden können?

15.  Sind weitere, ähnliche Projekte durch Ihr Ressort mitfinanziert, oder ist eine Mitfinanzierung weiterer Projekte geplant?

a.       Falls ja: Welche?

b.      Falls ja: Wie hoch sind die Mittel für diese Projekte jeweils?

16.  Welche Flüchtlingslager unterstützt Ihr Ressort mit finanziellen, oder materiellen Mitteln? Listen Sie bitte Jahre, Projektpartner und Fördervolumen auf.

17.  Werden vergleichbare Projekte auf europäischer Ebene gerade umgesetzt, an denen sich das Bundesministerium für Inneres nicht beteiligt?

a.       Wenn ja: Welche?

18.  Sind Ihnen die Menschenrechtsverletzungen, die der kroatischen Polizei vorgeworfen werden, bekannt?

a.       Werden Sie diese auf europäischer Ebene, z.B. im Rahmen eines Rats der Innenminister ansprechen?

b.      Werden Sie sich für eine Aufklärung dieser Vorwürfe auf europäischer Ebene einsetzen?

19.  Hat Ihr Ressort mit Regierungschef von Una-Sana, Mustafa Ruznic, bezüglich dieser Vorwürfe Kontakt aufgenommen?

20.  Waren im Rahmen der Planung und Errichtung der Einrichtung in Lipa die örtlichen bzw. regionalen Behörden und Gemeinden eingebunden?

a.       Falls ja: Welche und ab wann?

b.      Falls ja: Wie konkret?

c.       Falls nein: Wieso nicht?

d.      Falls nein: Wer wurde vor Ort als Ansprechpartner*innen eingebunden?

21.  Bezüglich diverser Menschenrechtsverletzungen im Flüchtlingswesen am Balkan (Serbien, Ungarn, Bosnien, Kroatien) haben Sie in mehreren Interviews gemeint, dass diese untersucht werden müssen. Haben Sie im Innenministerium eine Gruppe zur Untersuchung dieser Vorkommnisse eingerichtet?

a.       Wenn nein: Warum nicht?

b.      Wenn nein: Setzen Sie sich auf anderen Ebenen für die Untersuchung dieser Vorkommnisse ein und falls Sie das tun, auf welchen Ebenen und durch wen sollen diese untersucht werden?

c.       Wenn ja: Seit wann besteht diese Gruppe und ist diese schon zu Erkenntnissen gelangt bzw. bis wann ist mit diesen Erkenntnissen zu rechnen?

22.  Bereits 2017 geriet das ICMPD in die Kritik, weil die Qualität der Arbeit unzureichend war – Förderungen flossen jedoch trotzdem. Zudem wurde im ÖVP-Untersuchungsausschuss deutlich, dass das Projekt „Suprem“ nicht den gewünschten Erfolg brachte und vom ICMPD nur 230.000 der 770.000 Euro an Geldern aus dem BMI abgeholt werden konnten. Was sind die konkreten Gründe, weshalb nur 230.000 Euro der 770.000 Euro abgeholt werden konnten? [7]

23.  Wie begründet sich die weiterhin durch das BMI geleistete Förderung von Projekten des ICMPD und welche stehen konkret in der Kritik?

24.  Werden auch andere Träger trotz wiederholter Kritik an der Qualität ihrer Arbeit und unzureichend funktionierender Projekte weiterhin vom BMI gefördert?

a.       Falls ja: Welche sind das und wie hoch sind die Fördermittel? Bitte listen Sie diese nach Jahr seit Bestehen der Förderung und Projekt sortiert auf.



[1] https://twitter.com/Kid_Pex/status/1442774820459008000?s=20

[2] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210928_OTS0142/willkommen-in-der-hoelle-lager-lipa-ging-erneut-in-flammen-auf-bild

[3] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230411_OTS0037/so-sieht-das-oesterreichische-guantanamo-in-bosnien-aus-fotos-videos-sie-sperrten-uns-4-tage-in-der-kaelte-ein-bild

[4] https://menschliche-asylpolitik.at/oevp-laesst-illegales-abschiebegefaengnis-in-bosnien-bauen/

[5] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230405_OTS0064/oesterreichs-hilfe-vor-ort-wird-zum-gefaengnis-fuer-gefluechtete-camp-lipa-bekommt-abschiebezentrum-bild

[6] https://www.derstandard.at/story/2000145405184/mit-geld-aus-oesterreich-wird-in-bosnien-abschiebelager-mit-gefaengnis

[7] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2174670-Maessig-zufriedenstellende-Umsetzung.html