14989/J XXVII. GP
Eingelangt am 05.05.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Verlauf von Strafverfahren gegen hohe Justizbeamte wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs und der Falschaussage
Am 11. September 2021 wurde bekannt, dass das Verfahren gegen den Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien Johann Fuchs wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs durch eine Weisung, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu Beginn der sog. Ibiza-Ermittlungen davon abhalten sollte, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, und wegen Verdachts der Falschaussage dazu zum Teil eingestellt wurde (https://www.derstandard.at/story/2000129579537/u-ausschuss-ermittlungen-gegen-johann-fuchs-teilweise-eingestellt). Grund für diese Ermittlungen war eine Anzeige der Leiterin der WKStA zu beiden Sachverhalten.
Die Chronologie ist Folgende: Sowohl der damalige Sektionschef des Justizministeriums, Christian Pilnacek, als auch Fuchs wiesen im "ÖVP-Korruptions"-U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht stets zurück, Einfluss auf Ermittlungen genommen zu haben. Staatsanwalt Roland Koch, der im Mai 2019 im Kabinett von Josef Moser tätig und im Mailverteiler von Christian Pilnacek und Johann Fuchs war, konnte diese Aussagen aufgrund ihm bekannt seienden Emails nicht nachvollziehen und übermittelte daher sein E-Mail-Postfach aus dem oben genannten Zeitraum an die WKStA (gegenüber dem U-Ausschuss schilderte Staatsanwalt Koch sein Vorgehen folgendermaßen: "Bei den Befragungen von Sektionschef Pilnacek und LOStA Fuchs im Juli 2020 habe ich dann via Liveticker etwas mitverfolgt und bemerkt, dass deren Schilderungen in wesentlichen Punkten von meinen Wahrnehmungen und den mir bekannten Aktenstücken und Dokumenten abweichen. Nachdem ich diesen Eindruck hatte, habe ich mir dann im November 2020 die veröffentlichten Protokolle durchgelesen. Meine erste Einschätzung betreffend diese Angaben haben sich aus meiner Sicht bestätigt. Dabei habe ich auch qualifizierte Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass relevante Dokumente und Dateien der damaligen Sektion IV des BMJ und der OStA Wien entweder nicht veraktet oder jedenfalls nicht dem Ausschuss vorgelegt wurden").
Aus den durch StA Koch übermittelten Emails geht nämlich hervor dass Christian Pilnacek an Johann Fuchs am Tag der Veröffentlichung des Ibiza-Videos um 20:50 Uhr schrieb: „Ich denke, dass du den Auftrag aktiv stellen solltest; HBM möchte WKStA keine aktive Rolle zukommen zu (sic!) lassen.“ Mit "HBM" ist der damalige Justizminister Moser gemeint, der einen solchen Wunsch bzw. eine solche Weisung später in Abrede stellte: „Das ist ein absoluter Blödsinn, das habe ich nie gesagt“ (https://www.profil.at/oesterreich/die-ibiza-vertuschung-justizministerium-unter-verdacht/401155287).
Von Christian Pilnacek und Johann Fuchs wurden die Mails, die sie bei ihrer ersten Befragung im U-Ausschuss mit keinem Wort erwähnt hatten, dahingehend interpretiert, dass die Medienarbeit gemeint war.
Anfang Juli 2021 wurden allerdings Chats zwischen Christian Pilnacek und Johann Fuchs bekannt, die ihren Aussagen widersprachen. So schrieb Christian Pilnacek an Johann Fuchs am Tag des Erscheinens der Ibiza-Videos: "Ich habe nur gesagt, die Prüfung obliegt Euch, um zu verhindern, dass die WKStA von sich aus tätig wird, was ja gedroht hat." Und: "Unterstütze mich bitte; HBM (der damalige ÖVP-Justizminister Josef Moser, Anm.) ist schon wieder fuchsteufelswild, dass ich das gesagt habe" (https://kurier.at/politik/inland/u-ausschuss-weitere-hinweise-zu-pilnaceks-schritten-gegen-wksta/401431549).
Von Medienarbeit ist in diesen Chats keine Rede. Wohl aber von der Verachtung gegenüber der WKStA und anderen rechtstaatlichen Institutionen, bis hin zu einer vorgeschlagenen Observation eines unliebsamen Staatsanwalts.
In der Zusammenschau scheint es generell hinterfragenswürdig, ob der ermittelnde Staatsanwalt überhaupt alle Beweismittel, wie das E-Mail-Postfach von Christian Pilnacek sowie die in den sichergestellten Handys von Christian Pilnacek und Johann Fuchs gefundenen Chatnachrichten zur Verfügung gestellt bekam.
Dies wäre durch die Veröffentlichung der Einstellungsbegründung zu erfahren - die aber höchst dubioserweise zum Zeitpunkt der Anfragestellung noch nicht vorgenommen wurde. Da im Ermittlungsverfahren gegen Johann Fuchs wegen Verdachts des Amtsmissbrauchs in dem politisch brisantesten Korruptionsverfahren der letzten Jahrzehnte zweifellos ein besonderes öffentliches Interesse herrscht und hierüber schon medial intensiv berichtet wurde1, ist es mittlerweile verstörend, dass hier nach wie vor keine Veröffentlichung in der Ediktsdatei nach § 35a StAG erfolgt ist und auf mehrmalige Anfragen von Journalist:innen lediglich auf eine lange andauernde Prüfung durch die OStA Innsbruck verwiesen wird. Durch die Veröffentlichung würde auch geklärt, ob die sichergestellten Chats auch Eingang in die Ermittlungen fanden.
Zur Veröffentlichung von Einstellungsbegründungen an sich haben wir NEOS schon in unserem Antrag vom 7.10.2020 (https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/A/911) zur Änderung des Staatsanwaltsgesetzes (StAG) zur Veröffentlichung der Einstellungsbegründung von berichtspflichtigen Verfahren gem. § 8 Abs 1 StAG ausgeführt, dass es in der Veröffentlichungspraxis nach § 35 a StAG eine Diskrepanz gibt. Nach § 35 a StAG sind "Entscheidungen der Staatsanwaltschaften über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens (...), soweit sie von besonderem öffentlichen Interesse sind oder besondere für die Beurteilung gleichgelagerter Verfahren bedeutsame rechtliche Ausführungen beinhalten"...in der Ediktsdatei zu veröffentlichen. Selbst auf S. 7 Punkt 4. des Medienerlasses BMJ-Pr50000/0021-Kom/2016 (https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Erlaesse/ERL_BMVRDJ_20160523_BMJ_Pr50000_0021_Kom_2016/ERL_BMVRDJ_20160523_BMJ_Pr50000_0021_Kom_2016.html) sowie zuvor BMJ-S604.000/0005-IV 3/2011 (https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Erlaesse/ERL_BMJ_20110921_604000S_5_IV3_11/07_20110921_604000S5IV311_01.pdf) wird dies bekräftigt.
Einerseits haben Staatsanwaltschaften aus Eigenem an die jeweils übergeordnete Oberstaatsanwaltschaft über Strafsachen zu berichten, an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht oder in denen noch nicht hinreichend geklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind. Dies führt in den sog. clamorosen Fällen oftmals zu langen Verzögerungen. Wenn es andererseits zur Einstellung des Verfahrens kommt, werden die wenigsten dieser Entscheidungen auch veröffentlicht. Insofern muss dem derzeitigen System unter dem Aspekt der Transparenz eine gehörige Schieflage attestiert werden. Solche Veröffentlichungen von Einstellungsbegründungen würden nicht nur für die Justiz selbst, sondern auch für die Rechtswissenschaft im Allgemeinen einen beträchtlichen Erkenntnisgewinn bringen.
In der Beantwortung der Anfrage „System Pilnacek - das Abdrehen des Verfahrens Chalet N in Lech am Arlberg" durch das BMVRDJ vom 7.10.2019 wird zur Frage 1 auf § 8 Abs 1 StAG hingewiesen. wonach eine Berichtspflicht der WKStA in dieser Causa wegen des besonderen öffentlichen Interesses (§ 8 Abs 1 StAG) aufgrund der Funktion des Beschuldigten im öffentlichen Wirtschaftsleben und der Art der verfahrensgegenständlichen Vorwürfe besteht. Zur Beantwortung der Fragen 15 bis 18 zur unterbliebenen Veröffentlichung der Einstellungsbegründung in der Ediktsdatei wird unter Anführen des § 35a Abs 1 StAG darauf hingewiesen, dass für die Veröffentlichung geforderte Interesse am Inhalt der Einstellungsbegründung nicht bestanden habe, sondern erste 3 Jahre später durch die mediale Berichterstattung vorlag. Sowohl § 8 Abs 1 StAG als auch § 35a Abs 1 StAG sprechen ausdrücklich und gleichlautend von einem „besonderen öffentlichen Interesse". Auf die Frage, warum dieses besondere öffentliche Interesse zwar bei der Begründung der Berichtspflicht der WKStA gem § 8 Abs 1 StAG angenommen, jedoch bei der Pflicht zur Veröffentlichung gem § 35a Abs 1 StAG verneint wurde, antworteten Sie am 29.5.2020 (https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/1343/imfname_800428.pdf): "Im Gegensatz zu § 8 Abs. 1 StAG ist § 35a StAG eine Ermessensbestimmung. Eine intensive Medienberichterstattung ist zwar ein Indiz für das Vorliegen einer Strafsache nach § 8 Abs. 1 StAG, muss aber nicht zwangsweise vorliegen. Die Intensität der Medienberichterstattung spielt bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 35a StAG eine gewichtige Rolle. Nicht jede Einstellung einer Berichtssache nach § 8 Abs. 1 StAG zieht auch eine Veröffentlichung nach § 35a StAG nach sich. Für das Ermessen bei § 35a StAG ist zwischen Persönlichkeitsrechten Verfahrensbeteiligter einerseits und dem berechtigten Transparenzgebot andererseits abzuwägen. Die für eine Veröffentlichung nach § 35a StAG erforderlichen Voraussetzungen waren nach Einschätzung der Oberstaatsanwaltschaft Wien erst mit der intensiven medialen Thematisierung dieser Verfahrenseinstellung im Zusammenhang mit der Berichterstattung zur „Ibiza-Affäre“ ab dem Sommer 2019 darstellbar."
1 Insider wirft Justiz Vertuschung rund um Ibiza-Ermittlungen vor - Inland - derStandard.at › Inland, Parlament - Ibiza-Ausschuss: "Halten uns streng ans Gesetz" - Wiener Zeitung Online, Ibiza-U-Ausschuss - Oberstaatsanwalt: "Mein Handeln ist nicht durch Netzwerke bestimmt" (kleinezeitung.at), Die Ibiza-Vertuschung: Justizministerium unter Verdacht (profil.at), „Ibiza“: Justizmails nach Videoveröffentlichung im Fokus - news.ORF.at, OStA-Leiter: Info an Justizressort nach Hausdurchsuchungen | SN.at, Wie die WKStA aus den Ibiza-Ermittlungen gehalten wurde | zackzack.at, U-Ausschuss: Justizressort wird nach Durchsuchungen informiert | kurier.at.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. als Zeug:in
ii. als Verdächtige:r
iii. als Beschuldigte:r?
i. als Zeug:in
ii. als Verdächtige:r
iii. als Beschuldigte:r?
i. Wenn ja, wann bei welcher Staatsanwaltschaft?
i. Wenn ja, wann inwiefern?
ii. Wenn nein, warum nicht?
i. Wenn ja, wann inwiefern durch wen?
i. Wenn ja, seit wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?