15079/J XXVII. GP

Eingelangt am 19.05.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Unterlassen des Innenministeriums rund um "Feindeslisten" und Anschlagsplan auf das Volksstimme-Fest durch einen Neonazi

 

Jährlich findet das von der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) organisierte "Volksstimmefest" auf der Jesuitenwiese im Wiener Prater statt. Im Jahr 2021 plante ein Rechtsradikaler einen Anschlag auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der politisch linksgesinnten Veranstaltung, wie dies aus dem Verfassungsschutzbericht 2022 hervorgeht:

"In einem weiteren Fall verurteilte das LG Eisenstadt einen Rechtextremisten am 31. März 2022 wegen Verstoßes gegen die § 3g Verbotsgesetz (Wiederbetätigung im nationalistischen Sinn), § 283 StGB (Verhetzung), § 50 Waffengesetz (Unbefugter Besitz von Waffen der Kategorie B) und § 28a Abs. 1 Suchtmittelgesetz (Suchtgifthandel) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Bereits im Jahr 2021 hatten intensive (Internet-)Recherchen auf die Spur dieses österreichischen Staatsbürgers geführt, der im Verdacht stand, Tatbestände nach dem Verbotsgesetz und der Verhetzung begangen zu haben. Zudem gab es Hinweise auf unbefugten Waffenbesitz. Im Zuge einer daraufhin angeordneten Hausdurchsuchung konnten zahlreiche Waffen, NS-Devotionalien sowie Sprengmittel sichergestellt werden. Der Verdächtige wurde noch am Tag der Hausdurchsuchung festgenommen. Er ist langjähriger Anhänger der rechtsextremen 'Identitären Bewegung Österreich' (IBÖ) und führte mehrere Zahlungen auf das Konto der IBÖ sowie IBÖ-naher Vereine durch. Ebenso konnten diverse Demo- und Werbeutensilien bei dem Verdächtigen sichergestellt werden. Durch die Ermittlungen wurden zahlreiche Kontakte zu Mitgliedern der IBÖ festgestellt. Auch in Chatgruppen (WhatsApp und Telegram) der IBÖ war der Verdächtige sehr aktiv. Bei der Sichtung eines sichergestellten USB-Sticks konnte ein Ordner mit der Bezeichnung „Nationale Wehrkraft“ vorgefunden werden. Der Ordner beinhaltete detaillierte Anleitungen zum Bomben- und Waffenbau sowie eine Datei mit dem Namen 'Freundes- und Feindesliste'. Ebenso wurden Listen mit mehreren politisch links gerichteten Organisationen vorgefunden, die als Feinde beziehungsweise potenzielle Ziele geführt wurden. Außerdem ergab sich der Hinweis auf einen geplanten Anschlag auf das Volksstimmefest in Wien, ein traditionelles Pressefest der kommunistischen Wiener Monatszeitschrift. Auch wurden auf den USB-Sticks diverse islamfeindliche sowie rechtsextreme beziehungsweise neonazistische Bilder entdeckt. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse und der bei der Hausdurchsuchung vorgefundenen Waffen und Sprengmittel erhärtete sich der Verdacht der Vorbereitung einer nationalsozialistisch motivierten, rechtsterroristischen Straftat. Zudem wurde ein selbst angefertigtes Video vorgefunden, auf welchem bereits erfolgreiche Sprengübungen mit selbstgebauten Sprengkörpern durchführt wurden. Aufgrund der Auffindung des im Haus vorgefundenen Lehr-/Handbuchs für Aktivisten, Extremisten und Terroristen des rechten Spektrums sowie der im Zuge der Hausdurchsuchung aufgefundenen Waffen und waffenähnlichen Gegenstände wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass der Verdächtige alle Mittel zur Umsetzung eines rechtsextrem motivierten Anschlags hatte, sich gedanklich auch damit auseinandersetzte und lediglich durch die rechtzeitig erfolgte Festnahme an der Umsetzung des Vorhabens behindert wurde. Nach der Verurteilung legte die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung ein, da der von ihr angeregten Einstufung der besonderen Gefährlichkeit nicht gefolgt wurde. Das Oberlandesgericht Wien stellte nach neuerlicher Verhandlung mit Urteil vom 20. Oktober 2022 fest, dass beim Beschuldigten eine besondere Gefährlichkeit vorliegt und erhöhte die Verurteilung/Strafe auf fünf Jahre unbedingte Freiheitsstrafe."1

Trotz der beim Rechtsextremen vorgefundenen Anschlagspläne, Waffensammlungen und einer "Feindesliste" wurden weder die Veranstalter:innen des "Volksstimme-Festes" noch von der "Feindesliste" Betroffenen informiert. Erst durch die Recherchen eines Journalisten habe die KPÖ vom geplanten Anschlag erfahren. Laut dem Sprecher des Innenministeriums wurden Informationsflüsse unterlassen, weil die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes eindeutig hervorgebracht hätten, dass der radikalisierte Mann allein handeln wollte und zum Zeitpunkt des Festes bereits in Untersuchungshaft saß. Auch von dem vermeintlichen erweiterten polizeilichen Schutz am Fest wussten die Veranstalter:innen nichts.

Darüber hinaus verwundert es, dass der Mann im Prozess am LG Eisenstadt zwar wegen Wiederbetätigung, Verhetzung, unbefugten Besitzes von Waffen sowie Suchtgifthandels verurteilt wurde, aber die konkreten Anschlagspläne auf das "Volksstimme-Fest" offenkundig im Prozess nicht thematisiert wurden.3 

Die Causa wurde nur bekannt, weil die DSN den Fall in den Verfassungsbericht 2022 aufnahm, obwohl die Ermittlungen schon 2021 stattfanden – zu einem Zeitpunkt, wo es die DSN noch gar nicht gab und das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zuständig war. 

 

1 https://www.dsn.gv.at/501/files/VSB/VSB_2022_bf_12052023.pdf

2 https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2/14179157/Anschlag-auf-KPOe-Fest-vereitelt/15395689

3 https://oe1.orf.at/player/20230517/719548/1684320300576

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Warum wurde über den konkreten Vorfall nicht schon im Verfassungsschutzbericht 2021 berichtet?
  2. Der rechtsextreme Täter wurde laut Medienberichten u.a. nach § 175 Abs. 1 StGB verurteilt.2 Warum steht das nicht im Verfassungsschutzbericht 2022?
  3. Warum wurde der Vorfall seitens des BMI nicht stärker öffentlich kommuniziert, sondern bloß die Verurteilung des Täters in einer Presseaussendung vom April 20221 beiläufig erwähnt?
    1. Warum im April 2022? 
  1. Warum wurde in diesem Zusammenhang der Anschlag auf das "Volksstimme-Fest" nicht thematisiert?
  2. Laut Medienberichten stand auf der "Feindesliste" auch das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW). Auch diese Institution wurde laut den Recherchen nicht informiert und auch im Verfassungsschutzbericht wurde diese Information nicht erwähnt. Warum?
  3. Fanden sich auf der "Feindesliste" auch (ehemalige) Politiker:innen?
    1. Wenn ja, wer genau?
    2. Wenn ja, auch (ehemalige) Mitglieder der Bundesregierung?

                                          i.    Wenn ja, wie viele insgesamt?

                                        ii.    Wenn ja, wer?

  1. Wurde der Ständige Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten (UAIA) von dem Fall informiert?
    1. Wenn ja, inkl. Versuch eines Anschlages auf das "Volksstimme-Fest"?
    2. Wenn ja, inkl. "Feindesliste"? 
    3. Wenn ja, wann jeweils? 
    4. Wenn nein, warum nicht? 
  1. Welcher begründeter Verdacht führte zur Hausdurchsuchung (um Übermittlung des Durchsuchungsprotokolls wird zudem gebeten)?
    1. Wer wurde im Vorfeld über die geplante Hausdurchsuchung informiert?
    2. Wann erfolgte sie genau?
    3. Durch wen wurde sie veranlasst?
    4. Welche konkreten Waffen/Sprengkörper udgl. wurden gefunden (um genaue Auflistung wird gebeten)?
    5. Wer stand auf der im Zuge der Hausdurchsuchung gefundenen ""Freundes- und Feindesliste" des Täters (um Vorlage dieser Liste wird gebeten)?
    6. Wer wurde in Ihrem Ressort nach der Hausdurchsuchung von dieser informiert?
    7. Wann wurde Innenminister Nehammer informiert? 
    8. Wann sein Kabinett bzw. Pressesprecher? 
    9. Wer setzte welche Maßnahmen in der Folge? 
  1. Durch welche Behördeneinheit starteten die Ermittlungen wann genau?
  2. Wann wurden die Ermittlungen beendet?
  3. Kam es aufgrund der Ermittlungserkenntnisse gegen den Täter zu weiteren Ermittlungen gegen andere Personen?
    1. Falls ja, wann durch wen? 
    2. Falls ja, gegen wie viele?
    3. Falls ja, stammen diese auch aus der rechtsextremen Szene bzw. sind Mitglieder der IBÖ oder Identitäre in deren Umfeld?
    4. Falls ja, in welchem Stadium befinden sich die Ermittlungen bzw. welches Ergebnis erzielten die Ermittlungen?
  1. Konnte man aufgrund der Ermittlungen herausfinden, ob es weitere Anschlagsziele gab?
    1. Falls ja, wer fand dies wann heraus? 
    2. Falls ja, welche?
    3. Falls ja, wurden die Betroffenen informiert?
    4. Falls ja, welche erweiterten polizeilichen Schutzmaßnahmen wurden gesetzt?
  1. Zu welchem konkreten Zeitpunkt wurde das BMI bzw. das Kabinett über die Anschlagspläne auf das "Volksstimme-Fest" informiert?
    1. Welche Informationen bekam wer konkret wann? 
    2. Wie wurde in weiterer Folge vorgegangen?

                                          i.    Wurden darüber Medien nformiert?

1.    Wenn ja, welche?

    1. Wer wurde darüber auf Behördenseite von wem informiert?

                                          i.    Wurden auch potentielle Anschlagsopfer bzw. die Betroffenen auf der "Feindesliste" informiert?

1.    Falls ja, wer genau (um konkrete Auflistung wird gebeten)?

2.    Falls nein, warum nicht? (Sofern in diesem Zusammenhang auf die Inhaftierung des Täters referenziert wird, bitte um genaue Analyse, warum er bzw. andere Informierte keine Gefahr mehr für die Betroffenen darstellten und warum dennoch ein erweiterter polizeilicher Schutz am Fest von Nöten war)?  

  1. Zu welchem konkreten Zeitpunkt wurde das BMI bzw. das Kabinett über Ermittlungserfolge bei der Operation Luxor und/oder bei der Verhinderung des Terroranschlags auf den Vienna City Marathon an Medien informiert?
    1. Welche Informationen bekam wer konkret wann? 
    2. Wie wurde in weiterer Folge vorgegangen?

                                          i.    Wurden darüber Medien informiert?

1.    Wenn ja, welche?

    1. Wer wurde darüber auf Behördenseite von wem informiert?

                                          i.    Wurden auch potentielle Opfer bzw. die Betroffenen informiert?

1.    Falls ja, wer genau (um konkrete Auflistung wird gebeten)?

2.    Falls nein, warum nicht? (Sofern in diesem Zusammenhang auf die Inhaftierung des Täters referenziert wird, bitte um genaue Analyse, warum er bzw. andere Informierte keine Gefahr mehr für die Betroffenen darstellten und warum dennoch ein erweiterter polizeilicher Schutz am Fest von Nöten war)?  

  1. Wie sahen die erweiterten polizeilichen Schutzmaßnahmen am "Volksstimme-Fest" im September 2021 konkret aus?
    1. Welche Gefährdungseinschätzung legte die LPD Wien diesen zugrunde (um Vorlage der Gefährdungseinschätzung wird gebeten)?

                                          i.    Zu welchem Zeitpunkt erfolgte diese genau?

    1. Warum wurden die Organisatoren über die erweiterten Schutzmaßnahmen nicht informiert?
  1. Laut Aussagen der Polizei gab es keine Mitwisser bzw. Bestimmungs- und/oder Beitragstäter. Woraus konkret leitete die Polizei dies ab?
  2. Warum konnte man so klar davon ausgehen, befand sich der Täter doch jahrelang im Kreis der rechtsextremen Szene und war auch auf diversen Plattformen aktiv?
  3. Der Verfassungsschutz (im Jahr 2021 das zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) hat den zuständigen Justizbehörden alle fallbezogenen Erkenntnisse zu übermitteln, inklusive der Verdachtsmomente bzgl. mutmaßlicher rechtsextremer Aktionen oder Gewalttaten. Welche Erkenntnisse wurden hier wann und durch wen genau übermittelt?
    1. Wurde hier insbesondere die Anschlagsplanung auf das "Volksstimme-Fest" sowie die "Feindesliste" übermittelt? 

                                          i.    Wenn ja, wann und durch wen genau?

                                        ii.    Wenn nein, weshalb nicht?

                                       iii.    Wie wurde sichergestellt, dass in diesem Zusammenhang alle Opferrechte eingehalten wurden?

                                       iv.    Wie konnten diese gewährleistet werden, wenn die Veranstalter:innen des "Volksstimme-Festes" im Zeitraum des Strafverfahrens nichts von dem Anschlagsplan wussten?

  1. In welchen sich bereits ereigneten potentiellen Anschlagsfällen vergangener Jahre wurde die Öffentlichkeit auch nicht darüber informiert, weil es ansonsten "bloße Diskontinuitäten und Störungen des öffentlichen Lebens hervorrufen würde (anlass- und zweckloses Erzeugen von Furcht und Unruhe in der Bevölkerung, Absage von öffentlichen Veranstaltungen etc.)", wie in der Hintergrundinformation der DSN dargelegt wird?
    1. Wurden die Organisatoren des Vienna City Marathons 2022 (VMC) über den geplanten Anschlag informiert?

                                          i.    Falls ja, wann und in welcher Form?

                                        ii.    Falls nein, warum nicht?

                                       iii.    Gab es in diesem Zusammenhang erweiterte Schutzmaßnahmen?

1.    Wurden die Organisatoren des VMC darüber informiert?

                                       iv.    Wie gelangte der Anschlagsversuch damals in die Medien3?

  1. Warum findet sich der Fall überhaupt im Verfassungsschutzbericht 2022, wenn die DSN nichts dazu geleistet hat? 
  2. Welche anderen Fälle, in denen die DSN selbst keine Leistung gesetzt hat, sind in den Verfassungsschutzbericht 2022 aufgenommen worden? 
    1. Warum jeweils? 
    2. Wer entschied dies jeweils? 
  1. Steht der Rechtsextremismusbericht bereits in Ausarbeitung?
    1. Falls ja, in welchem Stadium befindet er sich?
    2. Falls ja, wann soll er veröffentlicht werden?
    3. Falls nein, warum nicht und wann soll die Ausarbeitung in die Wege geleitet werden?

 

1https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220405_OTS0003/hohe-haftstrafen-fuer-rechtsextreme-straftaeter

2https://twitter.com/florianklenk/status/1658894841525280781

3https://www.krone.at/2733660