15122/J XXVII. GP
Eingelangt am 24.05.2023
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ANFRAGE
der Abgeordneten Eva Blimlinger, Olga Voglauer, Georg Bürstmayr, Lukas Hammer, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Inneres
betreffend rechtsextreme Anschlagspläne auf das Volksstimmefest
Am 12. Mai wurde durch den Bundesminister für Inneres Gerhard Karner der Verfassungsschutzbericht 2022 präsentiert. Eine Passage im Bericht, die bei der Pressekonferenz jedoch keine Erwähnung fand, sorgt seit der Veröffentlichung für großes Aufsehen: Dort heißt es nämlich, ein Rechtsextremer hätte einen Anschlag auf das Volksstimmefest sowie auf mehrere links gerichtete Organisationen in Wien geplant. An der Veranstaltung nehmen jedes Jahr mehrere 10.000 Menschen teil, unter ihnen sehr viele Familien mit Kindern.
In der Kommunikation der Behörden zu diesem Fall zeigen sich einige auffällige Widersprüche. Im Juli 2021 kam es bei einem Rechtsextremen im Burgenland zu einer Hausdurchsuchung. Gefunden wurden dort neben Suchtmitteln und NS-Devotionalien auch Waffen und Material für einen Bombenbau sowie gerahmte Bilder des Massenmörders Anders Breivik, des Briefbomben-Attentäters Franz Fuchs und der NSU-Terroristin Beate Zschäpe. Der beschuldigte 78-jährige Rudolf P. wurde umgehend festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Die weiteren Ermittlungen zeigten, dass der Mann Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte, an die „Identitäre Bewegung“ Geldbeträge spendete und Propagandamaterial der „Identitären“ hortete. Zudem war der Mann in der Vergangenheit Funktionär der FPÖ und hatte Verbindungen zum organisierten Neonazismus[1]. In weiterer Folge erhärtete sich laut Verfassungsschutz der Verdacht, dass der Mann konkrete Anschläge vorbereitete. Es fanden sich Feindeslisten sowie selbstgefertigte Videoaufnahmen, in denen der Einsatz von Sprengmitteln trainiert wurde.
Dieser Umstand veranlasste das Bundesministerium für Inneres dazu, im Europol-Bericht „European Union – Terrorism Situation and Trend Report 2022" auf einen verhinderten Anschlag auf ein linkes Fest in Österreich aufmerksam zu machen[2]. Das war Mitte Juli 2022. Als es im März 2022 zum Prozess gegen den Beschuldigten am Landesgericht Eisenstadt kam, wurden die rechtsterroristischen Anschlagspläne sehr unkonkret von den Behörden thematisiert. Vor Gericht waren sie aber scheinbar gar kein Thema mehr. In einer Presseaussendung des Bundesministeriums für Inneres dazu ist aber zu lesen, dass der Mann eine rechtsterroristische Straftat mittels Rohrbomben plante und „Mitglied der Identitären Bewegung Österreich/DO5“ sei.[3] Er wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Eine größere Öffentlichkeit erlangte dieser Fall jedoch nicht. Auch die Betroffenen auf den sogenannten „Feindeslisten“, wie die Organisator:innen des Volksstimmefests oder andere Organisationen und Personen, wurden von den Behörden nicht über die konkreten Anschlagspläne informiert und gewarnt. Sie mussten darüber erst durch die Nennung des Falles im Verfassungsschutzbericht erfahren. Im Nachgang der medialen Berichterstattung rechtfertigte sich die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), warum sie die Organisatoren des Volksstimmefests nicht über den Anschlagsplan informiert hatte, damit, dass der Täter ein Alleingänger gewesen sei und zum Zeitpunkt des Festes (Anfang September) schon in Haft war und aus diesem Grund keine Gefahr mehr darstellen konnte. Die DSN spricht in ihrer Stellungnahme wörtlich von einem "(auto)radikalisierte[n] Einzeltäter", während das Bundesministerium für Inneres ihn zuvor noch als „Mitglied der Identitären Bewegung Österreich/DO5“ führte³.
Die Hausdurchsuchung bei Rudolf P. fand am 19. Juli 2021 statt, das Volksstimmefest am 4./5. September. Zwischen beiden Ereignissen lagen also nur knapp sieben Wochen. Bei P. wurden viele Materialien/Unterlagen sichergestellt. Polizei und Verfassungsschutz betonen bei jeder Gelegenheit, für die Auswertung solcher Funde viel Zeit zu benötigen. Das steht im Widerspruch zum Fall P., bei dem eine endgültige Gefahreneinschätzung offenbar bereits nach kurzer Zeit getroffen wurde.
Die unterfertigten Abgeordneten haben davon Kenntnis erlangt, dass am 12. Mai 2023, also am Tag der Präsentation des Verfassungsschutzberichts, zumindest eine Person vom Verfassungsschutz darüber informiert worden sein soll, dass ihr Name auf der „Feindesliste“ von P. gestanden habe.
Diese widersprüchlichen Informationen, die sich teilweise nur an eine Teilöffentlichkeit richteten, werfen mehrere Fragen auf.
1.
Welche Anschläge gegen welche Ziele hat Rudolf
P. konkret geplant oder in Aussicht gestellt?
2. Was konkret wurde bei P. im Zuge der Hausdurchsuchung am 19.7.2021
sichergestellt. Bitte um eine genaue Auflistung, insbesondere auch den Umfang
der sichergestellten Datenträger betreffend.
3. Wie war es möglich, dass in diesem Fall die Auswertung der
sichergestellten Materialien innerhalb von nur wenigen Wochen – und das
in der Urlaubszeit – erfolgt sein soll, während in ähnlich
gelagerten Fällen immer betont wird, dass eine Auswertung Monate in
Anspruch nehmen würde?
4. Wann genau kamen die Behörden zum Schluss, dass es sich bei P.
definitiv um einen Einzeltäter handelt?
5. Wie und wann ist Rudolf P. zu den von ihm gehorteten Waffen und zu den
Sprengmitteln gelangt?
6. Warum wurden die Verantwortlichen des Volksstimmefests nicht gewarnt?
7. Wie wurden die Behörden auf P. aufmerksam?
8. Gab es eine polizeiliche oder nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit
nicht-österreichischen Behörden im Fall P. und wenn ja mit welchen?
9. Welche und wie viele Organisationen und Personen befinden sich noch auf
diesen „Feindeslisten“?
a) Bitte um genaue Darstellung der Organisationen und Personen.
b) Sollte keine Darstellung erfolgen, bitte um ausführliche
Begründung warum nicht.
c) Welche Informationen wurden auf diesen Listen über die betreffenden
Organisationen und Personen gesammelt?
10. Befanden sich
Politiker:innen und Regierungsmitglieder auf diesen
„Feindeslisten“?
11. Wurden
Organisationen und Personen, die sich auf den „Feindeslisten“
befanden, informiert und gewarnt?
a) Bitte um genaue Darstellung der Art und des Zeitpunkts (Tag, Monat, Jahr)
der Information und Warnung.
b) Wenn keine Information und/oder Warnung erfolgte, bitte um ausführliche
Begründung warum nicht.
12. Nach welchen
Kriterien und wann wurden diese „Feindeslisten“ erstellt und
können Sie ausschließen, dass Rudolf P. bei der Erstellung der
„Feindeslisten“ unterstützt wurde?
a) Wenn nein, haben Sie Kenntnis über Personen und/oder Organisationen,
die Rudolf P. bei der Erstellung dieser „Feindeslisten“
unterstützt haben?
13. Hat es
außer Rudolf P. noch andere Personen gegeben, die Kenntnis von den
„Feindeslisten“ beziehungsweise von den darauf aufgelisteten
konkreten Personen, Organisationen oder Veranstaltungen hatten oder gehabt
haben könnten?
14. Wurden die
auf P.s „Feindeslisten“ gelisteten Personen/Oragnisationen
inzwischen benachrichtigt? Falls nein: Warum nicht? Falls ja: Wurde auch eine
Sicherheitsberatung durchgeführt?
15. Wurde Rudolf
P. im Laufe der Ermittlungen zum Zweck der „Feindeslisten“ befragt?
Falls ja: Was hat P. diesbezüglich angegeben? Falls nein: Warum nicht?
16. Aufgrund
welcher Fakten- und Aktenlage kamen die Behörden zur Einschätzung,
dass Rudolf P. ein Einzeltäter war? Immerhin berichtete das
Bundesministerium für Inneres am 5. April 2022 selbst von einer Verbindung
von Rudolf P. zur „Identitären Bewegung“. Bitte um
ausführliche Darstellung der Materialien, Unterlagen und Informationen zu
Rudolf P. im Zusammenhang mit der „Identitären Bewegung“.
17. Welche
Personen lassen sich auf Basis der Aktivitäten von Rudolf P. (online wie
offline) seinem Netzwerk und politischen Kontakten zuordnen? Bitte um
ausführliche Darstellung.
a) Hatte P. Kontakte zur „Identitären Bewegung“?
b) Hatte P. Kontakte zur „Freiheitlichen Jugend“?
c) Hatte P. Kontakte zur FPÖ?
d) Hatte P. Kontakte zur Neonazi-Szene (etwa zur „Nationalen Volkspartei
–NVP“)?
e) Hatte P. Kontakte zur „Corona-Querfront“, die auch im Burgenland
aktiv war und ist?
18. Können
Mitwisser:innen aus diesem rechtsextremen Milieu – insbesondere aus der
Gruppe „Identitäre“ – seitens der Behörden
ausgeschlossen werden, zumal die ermittelnden Stellen ja keinerlei Kenntnisse
über Inhalte von mündlichen Gesprächen bei diversen Treffen
haben dürften?
a) Wenn ja, aufgrund welcher Materialien, Unterlagen und Informationen? Bitte
um ausführliche Darstellung.
b) Wenn nein, aufgrund welcher Materialien, Unterlagen und Informationen? Bitte
um ausführliche Darstellung.
c) Fand im Zuge der Ermittlungen gegen P. eine
Telekommunikationsüberwachung statt?
19. Warum wurde
der Fall erst im Verfassungsschutzbericht 2022 veröffentlicht und nicht
schon 2021?
20. Aus welchem
Grund haben die Behörden den Fall bisher, außer in einer
Presseaussendung in einem Absatz am Schluss, niemals öffentlich
thematisiert?
21. Auf
welcher Grundlage wird im Bundesministerium für Inneres entschieden, wann
die Öffentlichkeit über mögliche Anschlagspläne oder
ähnliche Gefahrenlagen informiert wird und wann nicht?
22. Auf welcher
Grundlage wird im Bundesministerium für Inneres entschieden, wann
betroffene Organisationen und Personen über mögliche
Anschlagspläne oder ähnliche Gefahrenlagen informiert werden? Bitte
um ausführliche Darstellung.
23. Mitte
März 2023 wurde die Öffentlichkeit über mögliche
Anschläge auf Kirchen informiert. Die Polizei sprach dabei von keiner
akuten Gefahrenlage. Warum wurde hier die Öffentlichkeit informiert und
bei den rechtsterroristischen Anschlagsplänen, im Zuge derer es konkrete
Vorbereitungshandlungen und Ziele gegeben haben soll, nicht?
24. Wie geht das
Bundesministerium für Inneres im Allgemeinen gegen die aufkeimende Gefahr
des Rechtsterrorismus vor? Bitte um ausführliche Darstellung der
Maßnahmen.
25. Haben Sie
Kenntnis von weiteren „Feindeslisten“ aus dem rechtsextremen bzw.
rechtsterroristischen Milieu? Falls ja: Welche sind das? Falls ja: Wurden die
betroffenen Personen darüber informiert?
26. Gibt es nach Ihrem Wissensstand einen Zusammenhang zwischen dem geplanten Anschlag auf das Volksstimmefest 2021 und dem Brandanschlag auf das „Lobaubleibt“-Protestcamp in Hirschstetten am 31.12.2021? Wenn ja, welchen?
[1] https://oera.noblogs.org/der-fall-rudolf-p-ein-neonazistischer-bombenbauer-und-sein-netzwerk/
[2] https://www.derstandard.at/story/2000146510156/plaene-fuer-terroranschlag-auf-volksstimmefest-waren-schon-2022-thema-einer
[3] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220405_OTS0003/hohe-haftstrafen-fuer-rechtsextreme-straftaeter