Eingelangt am 29.06.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie
Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für
Inneres
betreffend Einigung der
EU-Innenminister:innen betreffend Asyl und Migration
Am 8. Juni 2023 einigten sich die EU-Innenminister:innen
auf Änderungen im Asyl- und Migration, welche die "Dublin"-Regeln
ersetzen sollen.1 Die Einigung dient als Mandat für die
Trilog-Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission.
Inhaltlich ginge es konkret um zwei Verordnungsvorschläge:
- Eine
Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement
- Eine
Verordnung zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur
Gewährung internationalen Schutzes
Vorgesehen ist die Einführung eines gemeinsamen
Verfahrens, inklusive der Vorprüfungen von Asylanträgen von Menschen
aus Herkunftsstaaten mit geringen Anerkennungschancen (unter 20%) an den
EU-Außengrenzen. Ankommende Menschen aus als sicher geltenden
Ländern sollen künftig nach dem Grenzübertritt unter
haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen
untergebracht werden, wo eine Prüfung des Asylantrags in einem
Schnellverfahren von maximal 12 Wochen erfolgen soll. Bei einem negativen
Verfahrensausgang sollen die Personen binnen drei weiterer Monate entweder in
ihre Heimatstaaten oder in Drittstaaten, aus denen sie gekommen sind oder zu
denen sie eine anderweitige Verbindung haben, zurückgeführt werden.
Mitgliedsstaaten sollen dafür Kapazitäten für 30.000 Personen
aufbauen. Um gegen Sekundärmigration vorzugehen, ist eine Vereinfachung
des Wiederaufnahmeverfahrens zur Überstellung eines/einer Antragsteller:in
in den für seinen Antrag zuständigen Mitgliedsstaat vorgesehen bzw.
sollen Möglichkeiten für die Übertragung oder Verschiebung der
Zuständigkeit zwischen den Mitgliedstaaten eingeschränkt werden.
Weiters ist ein neuer Solidaritätsmechanismus vorgesehen.
Mögliche Beiträge umfassen Übernahmen, Finanzbeiträge
(20.000 € pro nicht aufgenommene:m Asylwerber:in) oder alternative
Solidaritätsmaßnahmen wie die Entsendung von Personal oder
Maßnahmen mit Schwerpunkt auf Kapazitätsaufbau, wobei Mitgliedsstaaten
die Form der Solidarität frei wählen können. Übernahmen
sollen jedenfalls nicht verpflichtend werden. Jährlich soll es mindestens
30.000 Übernahmen geben. Wenn ein Mitgliedstaat sich unzureichend an
Übernahmen beteiligt, sind gegebenenfalls "Verrechnungen der
Verantwortlichkeit" vorgesehen: Das bedeutet, dass der infrage kommende
Mitgliedstaat für einen anderen Mitgliedsstaat die Zuständigkeit
für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz
übernimmt.
Wir NEOS pochen schon immer auf eine rechtsstaatliche,
gemeinsame europäische Lösung und wiederholen seit Jahren, dass man
die Herausforderungen in den Bereichen Asyl und Migration nur gemeinsam
lösen kann. Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass
ein weiterer Schritt auf europäischer Ebene gesetzt wurde. Jedoch hat die
Einigung auch einige Kritikpunkte hervorgerufen2 und lässt
aktuell noch viele offene Fragen. Bis auf unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge sollen auch Familien mit Kindern in den haftähnlichen
Einrichtungen untergebracht werden, was menschenrechtlich problematisch ist.
Weiters ist nicht bekannt, wie mit jenen Personen verfahren wird, deren Antrag
abgelehnt wird, bei denen aber eine Rückführung nicht möglich
ist (z.B. weil der Drittstaat sich weigert, die Person aufzunehmen). Es besteht
die Befürchtung, dass sich ein Rückstau an abgelehnten
Asylwerber:innen bildet oder die Einrichtungen im Falle von neuen
fluchtrelevanten Konflikten schnell überfüllt sein werden, was zu
Szenen wie in Moria führen könnte. Die vorgesehenen Kapazitäten
von 30.000 Personen ist gering, wenn man die Ankunftszahlen bedenkt, die
beispielsweise zwischen März und Mai 2023 an den mediterranen Seegrenzen
bei rund 45.000 lagen. Darüber hinaus sind keine legalen Fluchtrouten
vorgesehen und auch Resettlement Programme sind nicht Inhalt der Einigung.
Legale Fluchtrouten sind jedoch der einzige Weg, um Schleppern das Handwerk zu
legen. Auch bleibt die Befürchtung, dass sich Mitgliedstaaten weiterhin
nicht an EU-Recht halten werden und keine Konsequenzen erleben, wenn sie sich
weigern, Asylanträge anzunehmen oder sich nicht am
Solidaritätsmechanismus beteiligen wollen. Schlussendlich ist unklar,
inwiefern europäische Behörden in die Außengrenzverfahren
eingebunden werden.
Der finale Text der Einigung der Innenminister:innen liegt
noch nicht vor, es fehlen daher noch zahlreiche konkrete Informationen - ein
Kompromiss für den gesamten Asyl- und Migrationspakt, der mehrere
Regelungen vorsieht, soll jedoch noch vor den Europawahlen im Juni 2024 erzielt
werden, weshalb weitere Präzisierungen zu der Einigung und den
erarbeiteten Konzepten von Interesse sind.
- https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/06/08/migration-policy-council-reaches-agreement-on-key-asylum-and-migration-laws/
- https://orf.at/stories/3319608/
Die unterfertigten Abgeordneten
stellen daher folgende
Anfrage:
- Bei der Verkündigung der Einigung
der Innenminister:innen wurde kein Rechtstext vorgelegt. Auf welchen
Rechtstext bzw. Beschluss bezog sich die Einigung? Bitte um Übermittlung
- Falls kein Rechtstext, auf was bezog
sich die Verkündigung der Einigung? Bitte um Übermittlung der
Grundlage der Einigung.
- Welche Positionen vertraten Sie im Rat
der EU hinsichtlich der Verordnung zur Einführung eines gemeinsamen
Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes? Bitte um
präzise Erläuterung, insbesondere zum Thema Rechtsschutz,
Einhaltung der Verfahrensgarantien und Verbindungskriterium.
- Nach welchen konkreten Kriterien
sollen die gemeinsamen EU-Außengrenzverfahren erfolgen?
- Wird eine EU Behörde für
die Durchführung der Außengrenzverfahren zuständig
sein?
i. Wenn ja, welche?
ii. Haben Sie sich dafür eingesetzt, dass eine EU
Behörde für die Durchführung der Außengrenzverfahren
zuständig sein soll?
1.
Wenn nein, warum nicht?
iii. Wenn nicht, wer soll für die Durchführung der
Asylverfahren in erster Instanz zuständig sein?
iv. Wenn nicht, wer soll für die Durchführung der
Asylverfahren in zweiter Instanz zuständig sein?
v. Wenn nicht, welche Rolle wird im Rahmen der gemeinsamen
Verfahren
1.
der EU Grundrechteagentur
zukommen?
2.
Frontex zukommen?
3.
welcher anderen EU Organisation bzw.
Behörde bzw. Agentur zukommen?
- Wenn nicht, wie und durch wen soll
die Einhaltung der Regeln zu den gemeinsamen Verfahren
überprüft werden?
- Durch welche konkreten Maßnahmen
soll Rechtsstaatlichkeit der Asylverfahren inkl. Zugang zum
Rechtsmittelverfahren gewährleistet werden?
- Ist ein Grundrecht-Monitoring
vorgesehen?
i. Wenn ja, in welcher Form und durch welche(n) Akteure bzw.
Organisation(en)?
- Welches Verfahren sollen Asylwerber:innen
mit einer hohen Anerkennungschance durchlaufen?
- Durch welche konkreten Maßnahmen
soll der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung für die
Asylwerber:innen gewährleistet werden?
- Durch welche Organisation soll diese
gewährleistet werden?
- Welches Verfahren soll
anschließend an eine negative Asylentscheidung durchgeführt
werden?
- Unter welchen Voraussetzungen gilt ein
Drittstaat als „sicheres Land“ und wie wird die Verbindung zu
letzterem definiert?
- Wer soll federführend für
die Durchführung der Rückführungen zuständig sein?
- Durch welche konkrete Maßnahme
soll sichergestellt werden, dass Rückführungen effizient
funktionieren?
- Welche Strategie ist zum Ausbau von
Rückführungsabkommen vorgesehen?
- Welche Konsequenz soll die
Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen oder faktischen
Gründen nach sich ziehen?
- Wie wird mit Personen verfahren, die
nicht abgeschoben werden können?
- Durch welche konkreten Maßnahmen
soll eine menschenrechtskonforme Unterbringung der Asylwerber:innen
für die Dauer des Asylverfahrens gewährleistet werden?
- Wird eine EU Behörde für
die Aufnahmeeinrichtungen zuständig sein?
i. Haben Sie sich dafür eingesetzt, dass eine EU
Behörde für die Aufnahmeeinrichtungen zuständig sein soll?
1.
Wenn nein, warum nicht?
ii. Wenn nicht, wer soll für die Aufnahmeeinrichtungen
zuständig sein?
- Nach welcher Sach- und Faktenlage
wurde beschlossen, dass Kapazitäten für 30.000 Personen
geschaffen werden sollen?
- Durch welche Maßnahme soll die
soll eine menschenrechtskonforme Unterbringung der Asylwerber:innen ermöglicht
werden, wenn die vorgesehenen Kapazitäten überstiegen
werden?
- Haben Sie sich dafür eingesetzt,
dass Familien mit Kindern ebenfalls unter haftähnlichen Bedingungen
in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden?
i. Wenn ja, mit welcher Begründung?
- Welche Positionen vertraten Sie im Rat
der EU hinsichtlich der Verordnung über Asyl- und
Migrationsmanagement? Bitte um präzise Erläuterung.
- Durch welche konkreten Maßnahmen
wird sichergestellt, dass Sekundärmigration verhindert werden?
- Durch welche Kriterien werden
Wiederaufnahmeverfahren zur Überstellung eines/einer
Antragsteller:in vereinfacht?
- Durch welche konkreten Maßnahmen
wird sichergestellt, dass alle Mitgliedsstaaten sich an dem
Solidaritätsmechanismus beteiligen?
- Welche Sanktionsmöglichkeiten
sind vorgesehen, wenn ein Mitgliedsstaat sich in keiner Form
beteiligt?
- Wie wird sichergestellt, dass es
jährlich mindestens 30.000 Übernahmen geben soll, wenn letztere
nicht verpflichtend sind?
i. Nach welchen Kriterien werden Schutzberechtigte
für die Übernahmen ausgewählt?
- Nach welchen Kriterien soll ein
Mitgliedstaat für einen anderen Mitgliedsstaat die
Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf
internationalen Schutz zu übernehmen?
i. Wie erfolgt die Zuständigkeitsübertragung und
in der Folge die Durchführung des Verfahrens?
- Welche Regeln und welche
Änderungen des ursprünglichen Vorschlags haben Sie explizit
gefordert?
- Von welchen Forderungen haben Sie die
Zustimmung Österreichs explizit abhängig gemacht?
- Welche Positionen bzw. Forderungen der
österreichischen Bundesregierung wurden in die Einigung nicht
aufgenommen? Bitte um präzise Erläuterung.
- Haben Sie bzw. Vertreter:innen Ihres
Ressorts bei der EU Kommission um eine Rückerstattung der bilateralen
Polizeieinsätze angesucht?
- Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
- Österreich hatte im Jahr 2022
unbestritten einen Mehraufwand bei der Registrierung von Asylsuchenden, da
diese nicht in Ländern wie etwa Ungarn registriert wurden. Haben Sie
diesbezüglich um finanzielle Unterstützung bei der EU-Kommission
gebeten?
- Wenn ja, was war das Ergebnis?
- Wenn nein, warum nicht?
- Österreich hat laut
parlamentarischer Anfragebeantwortung 11630/AB seit 2011 keine
Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-VO nach Griechenland
durchgeführt. Grund ist das Urteil des EGMR im Fall M.S.S. gegen
Belgien und Griechenland, in dem zusammengefasst festgehalten wird,
dass Schutzsuchende im Fall einer Rücküberstellung nach
Griechenland droht, der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt
zu sein. Wie viele take-back und take-charge-Ansuchen wurden von
Österreich an Griechenland 2022 und 2023 gestellt? Bitte um
Auflistung nach Monaten.
-
i. Wie viele wurden positiv, negativ und gar nicht
beantwortet?
- Wie viele take-back und
take-charge-Ansuchen wurden von Griechenland an Österreich 2022 und
2023 gestellt? Bitte um Auflistung nach Monaten
i. Wie viele wurden positiv, negativ und gar nicht
beantwortet?
- Wie viele Personen wurden seit 2011
im Rahmen der Dublin-III-VO nach Griechenland überstellt? Bitte um
Auflistung nach Jahr und Herkunftsland.
- Wie viele Personen wurden seit 2011
aufgrund eines in Griechenland bereits gewährten Schutzstatus
(§ 4a AsylG) nach Griechenland überstellt? Bitte um Auflistung
nach Jahr und Herkunftsland.
- Wie viele Personen wurden seit 2011
im Rahmen der Dublin-III-VO von Griechenland nach Österreich
überstellt? Bitte um Auflistung nach Jahr und Herkunftsland
- Wie viele Personen wurden seit 2011
aufgrund eines in Österreich bereits gewährten Schutzstatus
(§ 4a AsylG) von Griechenland nach Österreich überstellt?
Bitte um Auflistung nach Jahr und Herkunftsland.
- Eine Überstellung eines
Antragstellers von Österreich nach Griechenland ist auch schon
bislang nicht möglich. Unter den Regeln, auf die sich die
Innenminister:innen geeingt haben: Was ändert sich in Bezug auf
Personen, die in Griechenland einen Asylantrag gestellt haben, aber dann
nach Österreich weiterziehen?