15440/J XXVII. GP

Eingelangt am 29.06.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Einigung der EU-Innenminister:innen betreffend Asyl und Migration

 

Am 8. Juni 2023 einigten sich die EU-Innenminister:innen auf Änderungen im Asyl- und Migration, welche die "Dublin"-Regeln ersetzen sollen.1 Die Einigung dient als Mandat für die Trilog-Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission. Inhaltlich ginge es konkret um zwei Verordnungsvorschläge:

Vorgesehen ist die Einführung eines gemeinsamen Verfahrens, inklusive der Vorprüfungen von Asylanträgen von Menschen aus Herkunftsstaaten mit geringen Anerkennungschancen (unter 20%) an den EU-Außengrenzen. Ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern sollen künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, wo eine Prüfung des Asylantrags in einem Schnellverfahren von maximal 12 Wochen erfolgen soll. Bei einem negativen Verfahrensausgang sollen die Personen binnen drei weiterer Monate entweder in ihre Heimatstaaten oder in Drittstaaten, aus denen sie gekommen sind oder zu denen sie eine anderweitige Verbindung haben, zurückgeführt werden. Mitgliedsstaaten sollen dafür Kapazitäten für 30.000 Personen aufbauen. Um gegen Sekundärmigration vorzugehen, ist eine Vereinfachung des Wiederaufnahmeverfahrens zur Überstellung eines/einer Antragsteller:in in den für seinen Antrag zuständigen Mitgliedsstaat vorgesehen bzw. sollen Möglichkeiten für die Übertragung oder Verschiebung der Zuständigkeit zwischen den Mitgliedstaaten eingeschränkt werden.  

Weiters ist ein neuer Solidaritätsmechanismus vorgesehen. Mögliche Beiträge umfassen Übernahmen, Finanzbeiträge (20.000 € pro nicht aufgenommene:m Asylwerber:in) oder alternative Solidaritätsmaßnahmen wie die Entsendung von Personal oder Maßnahmen mit Schwerpunkt auf Kapazitätsaufbau, wobei Mitgliedsstaaten die Form der Solidarität frei wählen können. Übernahmen sollen jedenfalls nicht verpflichtend werden. Jährlich soll es mindestens 30.000 Übernahmen geben. Wenn ein Mitgliedstaat sich unzureichend an Übernahmen beteiligt, sind gegebenenfalls "Verrechnungen der Verantwortlichkeit" vorgesehen: Das bedeutet, dass der infrage kommende Mitgliedstaat für einen anderen Mitgliedsstaat die Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz übernimmt.  

Wir NEOS pochen schon immer auf eine rechtsstaatliche, gemeinsame europäische Lösung und wiederholen seit Jahren, dass man die Herausforderungen in den Bereichen Asyl und Migration nur gemeinsam lösen kann. Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass ein weiterer Schritt auf europäischer Ebene gesetzt wurde. Jedoch hat die Einigung auch einige Kritikpunkte hervorgerufen2 und lässt aktuell noch viele offene Fragen. Bis auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen auch Familien mit Kindern in den haftähnlichen Einrichtungen untergebracht werden, was menschenrechtlich problematisch ist. Weiters ist nicht bekannt, wie mit jenen Personen verfahren wird, deren Antrag abgelehnt wird, bei denen aber eine Rückführung nicht möglich ist (z.B. weil der Drittstaat sich weigert, die Person aufzunehmen). Es besteht die Befürchtung, dass sich ein Rückstau an abgelehnten Asylwerber:innen bildet oder die Einrichtungen im Falle von neuen fluchtrelevanten Konflikten schnell überfüllt sein werden, was zu Szenen wie in Moria führen könnte. Die vorgesehenen Kapazitäten von 30.000 Personen ist gering, wenn man die Ankunftszahlen bedenkt, die beispielsweise zwischen März und Mai 2023 an den mediterranen Seegrenzen bei rund 45.000 lagen. Darüber hinaus sind keine legalen Fluchtrouten vorgesehen und auch Resettlement Programme sind nicht Inhalt der Einigung. Legale Fluchtrouten sind jedoch der einzige Weg, um Schleppern das Handwerk zu legen. Auch bleibt die Befürchtung, dass sich Mitgliedstaaten weiterhin nicht an EU-Recht halten werden und keine Konsequenzen erleben, wenn sie sich weigern, Asylanträge anzunehmen oder sich nicht am Solidaritätsmechanismus beteiligen wollen. Schlussendlich ist unklar, inwiefern europäische Behörden in die Außengrenzverfahren eingebunden werden.

Der finale Text der Einigung der Innenminister:innen liegt noch nicht vor, es fehlen daher noch zahlreiche konkrete Informationen - ein Kompromiss für den gesamten Asyl- und Migrationspakt, der mehrere Regelungen vorsieht, soll jedoch noch vor den Europawahlen im Juni 2024 erzielt werden, weshalb weitere Präzisierungen zu der Einigung und den erarbeiteten Konzepten von Interesse sind. 

 

  1. https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/06/08/migration-policy-council-reaches-agreement-on-key-asylum-and-migration-laws/
  2. https://orf.at/stories/3319608/

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Bei der Verkündigung der Einigung der Innenminister:innen wurde kein Rechtstext vorgelegt. Auf welchen Rechtstext bzw. Beschluss bezog sich die Einigung? Bitte um Übermittlung
    1. Falls kein Rechtstext, auf was bezog sich die Verkündigung der Einigung? Bitte um Übermittlung der Grundlage der Einigung.
  1. Welche Positionen vertraten Sie im Rat der EU hinsichtlich der Verordnung zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes? Bitte um präzise Erläuterung, insbesondere zum Thema Rechtsschutz, Einhaltung der Verfahrensgarantien und Verbindungskriterium.
  2. Nach welchen konkreten Kriterien sollen die gemeinsamen EU-Außengrenzverfahren erfolgen?
    1. Wird eine EU Behörde für die Durchführung der Außengrenzverfahren zuständig sein? 

                                          i.    Wenn ja, welche?  

                                        ii.    Haben Sie sich dafür eingesetzt, dass eine EU Behörde für die Durchführung der Außengrenzverfahren zuständig sein soll? 

1.    Wenn nein, warum nicht? 

                                       iii.    Wenn nicht, wer soll für die Durchführung der Asylverfahren in erster Instanz zuständig sein? 

                                       iv.    Wenn nicht, wer soll für die Durchführung der Asylverfahren in zweiter Instanz zuständig sein? 

                                        v.    Wenn nicht, welche Rolle wird im Rahmen der gemeinsamen Verfahren

1.    der EU Grundrechteagentur zukommen? 

2.    Frontex zukommen? 

3.    welcher anderen EU Organisation bzw. Behörde bzw. Agentur zukommen? 

    1. Wenn nicht, wie und durch wen soll die Einhaltung der Regeln zu den gemeinsamen Verfahren überprüft werden? 
  1. Durch welche konkreten Maßnahmen soll Rechtsstaatlichkeit der Asylverfahren inkl. Zugang zum Rechtsmittelverfahren gewährleistet werden?
    1. Ist ein Grundrecht-Monitoring vorgesehen? 

                                          i.    Wenn ja, in welcher Form und durch welche(n) Akteure bzw. Organisation(en)? 

  1. Welches Verfahren sollen Asylwerber:innen mit einer hohen Anerkennungschance durchlaufen? 
  2. Durch welche konkreten Maßnahmen soll der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung für die Asylwerber:innen gewährleistet werden?
    1. Durch welche Organisation soll diese gewährleistet werden? 
  1. Welches Verfahren soll anschließend an eine negative Asylentscheidung durchgeführt werden?
  2. Unter welchen Voraussetzungen gilt ein Drittstaat als „sicheres Land“ und wie wird die Verbindung zu letzterem definiert? 
  3. Wer soll federführend für die Durchführung der Rückführungen zuständig sein?
  4. Durch welche konkrete Maßnahme soll sichergestellt werden, dass Rückführungen effizient funktionieren? 
    1. Welche Strategie ist zum Ausbau von Rückführungsabkommen vorgesehen?
  1. Welche Konsequenz soll die Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen oder faktischen Gründen nach sich ziehen?
    1. Wie wird mit Personen verfahren, die nicht abgeschoben werden können? 
  1. Durch welche konkreten Maßnahmen soll eine menschenrechtskonforme Unterbringung der Asylwerber:innen für die Dauer des Asylverfahrens gewährleistet werden?
    1. Wird eine EU Behörde für die Aufnahmeeinrichtungen zuständig sein? 

                                          i.    Haben Sie sich dafür eingesetzt, dass eine EU Behörde für die Aufnahmeeinrichtungen zuständig sein soll? 

1.    Wenn nein, warum nicht? 

                                        ii.    Wenn nicht, wer soll für die Aufnahmeeinrichtungen zuständig sein? 

    1. Nach welcher Sach- und Faktenlage wurde beschlossen, dass Kapazitäten für 30.000 Personen geschaffen werden sollen?  
    2. Durch welche Maßnahme soll die soll eine menschenrechtskonforme Unterbringung der Asylwerber:innen ermöglicht werden, wenn die vorgesehenen Kapazitäten überstiegen werden? 
    3. Haben Sie sich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern ebenfalls unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden? 

                                          i.    Wenn ja, mit welcher Begründung? 

  1. Welche Positionen vertraten Sie im Rat der EU hinsichtlich der Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement? Bitte um präzise Erläuterung. 
  2. Durch welche konkreten Maßnahmen wird sichergestellt, dass Sekundärmigration verhindert werden? 
    1. Durch welche Kriterien werden Wiederaufnahmeverfahren zur Überstellung eines/einer Antragsteller:in vereinfacht? 
  1. Durch welche konkreten Maßnahmen wird sichergestellt, dass alle Mitgliedsstaaten sich an dem Solidaritätsmechanismus beteiligen? 
    1. Welche Sanktionsmöglichkeiten sind vorgesehen, wenn ein Mitgliedsstaat sich in keiner Form beteiligt? 
    2. Wie wird sichergestellt, dass es jährlich mindestens 30.000 Übernahmen geben soll, wenn letztere nicht verpflichtend sind? 

                                          i.    Nach welchen Kriterien werden Schutzberechtigte für die Übernahmen ausgewählt? 

    1. Nach welchen Kriterien soll ein Mitgliedstaat für einen anderen Mitgliedsstaat die Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zu übernehmen? 

                                          i.    Wie erfolgt die Zuständigkeitsübertragung und in der Folge die Durchführung des Verfahrens? 

  1. Welche Regeln und welche Änderungen des ursprünglichen Vorschlags haben Sie explizit gefordert? 
  2. Von welchen Forderungen haben Sie die Zustimmung Österreichs explizit abhängig gemacht? 
  3. Welche Positionen bzw. Forderungen der österreichischen Bundesregierung wurden in die Einigung nicht aufgenommen? Bitte um präzise Erläuterung.
  4. Haben Sie bzw. Vertreter:innen Ihres Ressorts bei der EU Kommission um eine Rückerstattung der bilateralen Polizeieinsätze angesucht? 
    1. Wenn ja, mit welchem Ergebnis? 
  1. Österreich hatte im Jahr 2022 unbestritten einen Mehraufwand bei der Registrierung von Asylsuchenden, da diese nicht in Ländern wie etwa Ungarn registriert wurden. Haben Sie diesbezüglich um finanzielle Unterstützung bei der EU-Kommission gebeten?
    1. Wenn ja, was war das Ergebnis?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Österreich hat laut parlamentarischer Anfragebeantwortung 11630/AB seit 2011 keine Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-VO nach Griechenland durchgeführt. Grund ist das Urteil des EGMR im Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, in dem zusammengefasst festgehalten wird, dass Schutzsuchende im Fall einer Rücküberstellung nach Griechenland droht, der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein. Wie viele take-back und take-charge-Ansuchen wurden von Österreich an Griechenland 2022 und 2023 gestellt? Bitte um Auflistung nach Monaten. 
    1.  

                                          i.    Wie viele wurden positiv, negativ und gar nicht beantwortet?

    1. Wie viele take-back und take-charge-Ansuchen wurden von Griechenland an Österreich 2022 und 2023 gestellt? Bitte um Auflistung nach Monaten

                                          i.    Wie viele wurden positiv, negativ und gar nicht beantwortet?

    1. Wie viele Personen wurden seit 2011 im Rahmen der Dublin-III-VO nach Griechenland überstellt? Bitte um Auflistung nach Jahr und Herkunftsland. 
    2. Wie viele Personen wurden seit 2011 aufgrund eines in Griechenland bereits gewährten Schutzstatus (§ 4a AsylG) nach Griechenland überstellt? Bitte um Auflistung nach Jahr und Herkunftsland.
    3. Wie viele Personen wurden seit 2011 im Rahmen der Dublin-III-VO von Griechenland nach Österreich überstellt? Bitte um Auflistung nach Jahr und Herkunftsland
    4. Wie viele Personen wurden seit 2011 aufgrund eines in Österreich bereits gewährten Schutzstatus (§ 4a AsylG) von Griechenland nach Österreich überstellt? Bitte um Auflistung nach Jahr und Herkunftsland.
  1. Eine Überstellung eines Antragstellers von Österreich nach Griechenland ist auch schon bislang nicht möglich. Unter den Regeln, auf die sich die Innenminister:innen geeingt haben: Was ändert sich in Bezug auf Personen, die in Griechenland einen Asylantrag gestellt haben, aber dann nach Österreich weiterziehen?