Eingelangt am 05.07.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Dr. Nikolaus
Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Wiedereinführung von Grenzkontrollen an
den Binnengrenzen
Der freie Personenverkehr stellt eine der vier
Grundfreiheiten der Europäischen Union dar und ist unter anderem im
Schengener Abkommen verankert. Das unkontrollierte Passieren der
EU-Binnengrenzen als Prinzip dieses Abkommens ist ein wesentlicher Pfeiler
unseres europäischen "Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts" und ist generell eine der wichtigsten Errungenschaften der
europäischen Integration.
Die Möglichkeit, vorübergehende Kontrollen an den
Binnengrenzen wiedereinzuführen ist in Art 25 des Schengener Grenzkodex
verankert (bzw. Art 28 Abs 1 für Fälle, die sofortiges Handeln
erfordern).1 Jedoch gelten hierfür strenge Anforderungen.
Grundsätzlich ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen "nur
als letztes Mittel" und für Situationen konzipiert, in denen
"die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem
Mitgliedstaat ernsthaft bedroht" ist. Die vorübergehende
Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen soll zeitlich auf
maximal sechs Monate begrenzt sein.
Weiters muss ein Mitgliedsstaat bewerten, inwieweit mit
einer derartigen Maßnahme der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder
der inneren Sicherheit voraussichtlich angemessen begegnet werden kann und ob
die Verhältnismäßigkeit zwischen der Maßnahme und der
Bedrohung gewahrt ist. Dies beinhaltet u.a. eine Bewertung der
voraussichtlichen Auswirkungen, die Kontrollen auf den freien Personenverkehr
haben werden (Art 26 des Schengener Grenzkodex). Zweitens muss ein
Mitgliedstaat den anderen Mitgliedstaaten sowie der Kommission eine Reihe an
Informationen mitteilen (Art 27 des Schengener Grenzkodex):
- die Gründe für die geplante Wiedereinführung,
einschließlich sämtlicher sachdienlichen Daten zu den
Ereignissen, die eine ernsthafte Bedrohung seiner öffentlichen
Ordnung oder seiner inneren Sicherheit darstellen;
- den Umfang der geplanten Wiedereinführung mit
Angabe des Abschnitts/der Abschnitte der Binnengrenzen, an dem/denen die
Kontrollen wieder eingeführt werden sollen;
- die Bezeichnungen der zugelassenen
Grenzübergangsstellen;
- den Zeitpunkt und die Dauer der beabsichtigten
Wiedereinführung;
- gegebenenfalls die von den anderen Mitgliedstaaten zu
treffenden Maßnahmen.
Seit der Fluchtbewegung 2015 wurden die Binnengrenzkontrollen
von einigen Mitgliedsstaaten zunehmend veranlasst und immer wieder
verlängert, darunter auch Österreich. Im April 2022 befand der EuGH
diese Binnengrenzkontrollen als unrechtmäßig. Laut Urteil darf ein
EU-Land im Schengen-Raum Grenzkontrollen im Falle einer ernsthaften Bedrohung
seiner öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit für maximal sechs
Monate einführen - danach bräuchte es einen Nachweis einer neuen
ernsthaften Bedrohung. Österreich dürfte schon seit längerer
Zeit die für die Kontrollen erforderliche ernsthafte Bedrohung seiner
öffentlichen Ordnung nicht nachgewiesen haben.2
Binnengrenzkontrollen sind für das Funktionieren des
Schengen-Raums und das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten eine
Belastung. Daher sollen sie auch nur in Ausnahmefällen
wiedereingeführt werden, streng befristet sein und ein letztes Mittel
bleiben - so wird es auch von der EU Kommission in ihrem aktuellen
Schengen-Bericht ausgeführt, in dem sie die Einleitung von
Konsultationsverfahren mit den betroffenen Mitgliedstaaten ankündigt,
darunter Österreich, und auch mit rechtlichen Mitteln droht, wenn es in
der Folge keine Änderungen geben sollte.3
- Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex
für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener
Grenzkodex): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0399
- Rechtssachen C-368/20 und C-369/20: https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=258262&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3702454
- State of Schengen report 2023:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX%3A52023DC0274
und https://orf.at/stories/3316966/
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Wie viele vorübergehende
Grenzkontrollen hat Ihr Ministerium seit 2015 jeweils zu welchem Land
eingeführt? Bitte um Angaben nach Binnengrenze/Grenzübergang,
Rechtsgrundlage (Art 25 oder Art 28 Abs 1 des Schengener Grenzkodex) sowie
Zeitpunkt und Dauer der Kontrollen.
- Welche davon laufen aktuell
(Stichtag der Anfrage) und bis wann jeweils?
- Wie viele Beamt:innen wurden
seit 2015 für Grenzkontrollen eingesetzt? Bitte um Angaben nach Jahr,
Grenzübergang und Einheit/LPD der Beamt:innen.
- Wie hoch waren die Mehrkosten
für die Grenzkontrollen seit 2015? Bitte um Angaben nach Jahr und
Kostenstelle (Personal- und Sachaufwand usw.).
- In wie vielen Fällen
übertraf die Dauer der Grenzkontrollen 6 Monate? Bitte um
Angaben nach Grenzübergang.
- Inwiefern wurde bewertet,
inwieweit mit einer derartigen Maßnahme der Bedrohung der
öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit voraussichtlich
angemessen begegnet werden kann und ob die
Verhältnismäßigkeit zwischen der Maßnahme und der
Bedrohung gewahrt ist? Bitte um Angaben per vorübergehende
Wiedereinführung der Grenzkontrollen und Binnengrenze/Grenzübergang
seit 2015.
- Mit welchen Ergebnissen
jeweils?
- In wie vielen Fällen wurde
eine derartige Bewertung nicht vorgenommen?
- Inwiefern wurde bewertet, welche
Auswirkungen die Kontrollen auf den freien Personenverkehr an den
Binnengrenzen haben würden? Bitte um Angaben per vorübergehende
Wiedereinführung der Grenzkontrollen und
Binnengrenze/Grenzübergang seit 2015.
- Mit welchen Ergebnissen
jeweils?
- In wie vielen Fällen wurde
eine derartige Bewertung nicht vorgenommen?
- Wann wurden die Kommission und
die Mitgliedstaaten jeweils verständigt? Bitte um Angaben per
vorübergehende Wiedereinführung der Grenzkontrollen und
Binnengrenze/Grenzübergang seit 2015.
- Mit welcher Reaktion vonseiten
der Kommission?
- Mit welcher Reaktion vonseiten
der Mitgliedstaaten?
- In wie vielen Fällen
wurden die Kommission und die Mitgliedstaaten weniger als vier Wochen vor
der geplanten Wiedereinführung der Grenzkontrollen
verständigt?
- In wie vielen Fällen
wurden die Kommission und die Mitgliedstaaten nach der
Wiedereinführung der Grenzkontrollen verständigt?
i. Aus welchen Gründen wurden letztere zu spät
verständigt?
- In wie vielen Fällen
wurden die Kommission und die Mitgliedstaaten gar nicht
verständigt?
i. Aus welchen Gründen?
- Welche Gründe für die
geplante Wiedereinführung der Grenzkontrollen wurden der Kommission
und den Mitgliedstaaten mitgeteilt? Bitte um Angaben per
vorübergehende Wiedereinführung der Grenzkontrollen und
Binnengrenze/Grenzübergang seit 2015.
- Basierend auf welcher Sach- und
Datenlage, die eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung
oder der inneren Sicherheit iSd Schengener Grenzkodex
begründet?
- In wie vielen Fällen und
wieso jeweils wurden der Kommission keine Gründe mitgeteilt?
- In wie vielen Fällen und
wieso jeweils wurden den Mitgliedsstaaten keine Gründe
mitgeteilt?
- In wie vielen Fällen
äußerte die Kommission Bedenken hinsichtlich der geplanten
Wiedereinführung von Grenzkontrollen durch Österreich?
- In wie vielen davon wurden die
Grenzkontrollen trotzdem fortgesetzt?
- In wie vielen Fällen gab
die Kommission eine diesbezügliche Stellungnahme ab?
i. Mit welchem Ergebnis?
- In wie vielen Fällen gab
es diesbezügliche Konsultationen?
i. Mit welchem Ergebnis?