15547/J XXVII. GP

Eingelangt am 05.07.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen

 

Der freie Personenverkehr stellt eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union dar und ist unter anderem im Schengener Abkommen verankert. Das unkontrollierte Passieren der EU-Binnengrenzen als Prinzip dieses Abkommens ist ein wesentlicher Pfeiler unseres europäischen "Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" und ist generell eine der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Integration.

Die Möglichkeit, vorübergehende Kontrollen an den Binnengrenzen wiedereinzuführen ist in Art 25 des Schengener Grenzkodex verankert (bzw. Art 28 Abs 1 für Fälle, die sofortiges Handeln erfordern).1 Jedoch gelten hierfür strenge Anforderungen. Grundsätzlich ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen "nur als letztes Mittel" und für Situationen konzipiert, in denen "die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht" ist. Die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen soll zeitlich auf maximal sechs Monate begrenzt sein.

Weiters muss ein Mitgliedsstaat bewerten, inwieweit mit einer derartigen Maßnahme der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit voraussichtlich angemessen begegnet werden kann und ob die Verhältnismäßigkeit zwischen der Maßnahme und der Bedrohung gewahrt ist. Dies beinhaltet u.a. eine Bewertung der voraussichtlichen Auswirkungen, die Kontrollen auf den freien Personenverkehr haben werden (Art 26 des Schengener Grenzkodex). Zweitens muss ein Mitgliedstaat den anderen Mitgliedstaaten sowie der Kommission eine Reihe an Informationen mitteilen (Art 27 des Schengener Grenzkodex):

Seit der Fluchtbewegung 2015 wurden die Binnengrenzkontrollen von einigen Mitgliedsstaaten zunehmend veranlasst und immer wieder verlängert, darunter auch Österreich. Im April 2022 befand der EuGH diese Binnengrenzkontrollen als unrechtmäßig. Laut Urteil darf ein EU-Land im Schengen-Raum Grenzkontrollen im Falle einer ernsthaften Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit für maximal sechs Monate einführen - danach bräuchte es einen Nachweis einer neuen ernsthaften Bedrohung. Österreich dürfte schon seit längerer Zeit die für die Kontrollen erforderliche ernsthafte Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung nicht nachgewiesen haben.2

Binnengrenzkontrollen sind für das Funktionieren des Schengen-Raums und das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten eine Belastung. Daher sollen sie auch nur in Ausnahmefällen wiedereingeführt werden, streng befristet sein und ein letztes Mittel bleiben - so wird es auch von der EU Kommission in ihrem aktuellen Schengen-Bericht ausgeführt, in dem sie die Einleitung von Konsultationsverfahren mit den betroffenen Mitgliedstaaten ankündigt, darunter Österreich, und auch mit rechtlichen Mitteln droht, wenn es in der Folge keine Änderungen geben sollte.3

 

  1. Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0399
  2. Rechtssachen C-368/20 und C-369/20: https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=258262&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3702454
  3. State of Schengen report 2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX%3A52023DC0274  und https://orf.at/stories/3316966/

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

  1. Wie viele vorübergehende Grenzkontrollen hat Ihr Ministerium seit 2015 jeweils zu welchem Land eingeführt? Bitte um Angaben nach Binnengrenze/Grenzübergang, Rechtsgrundlage (Art 25 oder Art 28 Abs 1 des Schengener Grenzkodex) sowie Zeitpunkt und Dauer der Kontrollen. 
    1. Welche davon laufen aktuell (Stichtag der Anfrage) und bis wann jeweils? 
  1. Wie viele Beamt:innen wurden seit 2015 für Grenzkontrollen eingesetzt? Bitte um Angaben nach Jahr, Grenzübergang und Einheit/LPD der Beamt:innen. 
  2. Wie hoch waren die Mehrkosten für die Grenzkontrollen seit 2015? Bitte um Angaben nach Jahr und Kostenstelle (Personal- und Sachaufwand usw.). 
  3. In wie vielen Fällen übertraf die Dauer der Grenzkontrollen 6 Monate? Bitte um Angaben nach Grenzübergang. 
  4. Inwiefern wurde bewertet, inwieweit mit einer derartigen Maßnahme der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit voraussichtlich angemessen begegnet werden kann und ob die Verhältnismäßigkeit zwischen der Maßnahme und der Bedrohung gewahrt ist? Bitte um Angaben per vorübergehende Wiedereinführung der Grenzkontrollen und Binnengrenze/Grenzübergang seit 2015.
    1. Mit welchen Ergebnissen jeweils? 
    2. In wie vielen Fällen wurde eine derartige Bewertung nicht vorgenommen? 
  1. Inwiefern wurde bewertet, welche Auswirkungen die Kontrollen auf den freien Personenverkehr an den Binnengrenzen haben würden? Bitte um Angaben per vorübergehende Wiedereinführung der Grenzkontrollen und Binnengrenze/Grenzübergang seit 2015. 
    1. Mit welchen Ergebnissen jeweils? 
    2. In wie vielen Fällen wurde eine derartige Bewertung nicht vorgenommen? 
  1. Wann wurden die Kommission und die Mitgliedstaaten jeweils verständigt? Bitte um Angaben per vorübergehende Wiedereinführung der Grenzkontrollen und Binnengrenze/Grenzübergang seit 2015. 
    1. Mit welcher Reaktion vonseiten der Kommission?
    2. Mit welcher Reaktion vonseiten der Mitgliedstaaten?
    3. In wie vielen Fällen wurden die Kommission und die Mitgliedstaaten weniger als vier Wochen vor der geplanten Wiedereinführung der Grenzkontrollen verständigt? 
    4. In wie vielen Fällen wurden die Kommission und die Mitgliedstaaten nach der Wiedereinführung der Grenzkontrollen verständigt? 

                                          i.    Aus welchen Gründen wurden letztere zu spät verständigt? 

    1. In wie vielen Fällen wurden die Kommission und die Mitgliedstaaten gar nicht verständigt? 

                                          i.    Aus welchen Gründen? 

  1. Welche Gründe für die geplante Wiedereinführung der Grenzkontrollen wurden der Kommission und den Mitgliedstaaten mitgeteilt? Bitte um Angaben per vorübergehende Wiedereinführung der Grenzkontrollen und Binnengrenze/Grenzübergang seit 2015. 
    1. Basierend auf welcher Sach- und Datenlage, die eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit iSd Schengener Grenzkodex begründet? 
    2. In wie vielen Fällen und wieso jeweils wurden der Kommission keine Gründe mitgeteilt? 
    3. In wie vielen Fällen und wieso jeweils wurden den Mitgliedsstaaten keine Gründe mitgeteilt? 
  1. In wie vielen Fällen äußerte die Kommission Bedenken hinsichtlich der geplanten Wiedereinführung von Grenzkontrollen durch Österreich?
    1. In wie vielen davon wurden die Grenzkontrollen trotzdem fortgesetzt? 
    2. In wie vielen Fällen gab die Kommission eine diesbezügliche Stellungnahme ab?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis? 

    1. In wie vielen Fällen gab es diesbezügliche Konsultationen? 

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?