15576/J XXVII. GP

Eingelangt am 05.07.2023
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Peter Wurm, Mag. Gerhard Kaniak, Dr. Dagmar Belakowitsch

an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Rechnungshofsonderprüfung ergibt schwere Verfehlungen bei der Covid-19-Impfstoffbeschaffung

 

 

Die am 16. Juni 2023 veröffentlichten Ergebnisse der Sonderprüfung des österreichischen Rechnungshofs (RH) über die Covid-19-Impfstoffbeschaffung ergeben schwere Mängel im Beschaffungswesen des österreichischen Gesundheitsministeriums und der EU-Kommission.

 

Dazu veröffentlichte der Rechnungshof folgende Pressemitteilung:[1]

 

COVID-19-Impfstoffbeschaffung: Rechnungshof veröffentlichte Sonderprüfung

Rahmenbedingungen änderten sich aufgrund des dynamischen Pandemieverlaufs laufend

 

Das Ziel bei der Beschaffung von COVID-19-Impfstoffen war: die österreichische Bevölkerung mit Impfstoff zu versorgen und einen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie zu leisten. Für den Rechnungshof zählen wissenschaftliche Fakten. Die – zeitnah entwickelte – Impfung half laut Studien, Todesfälle und schwere Krankheitsverläufe zu verhindern. Die Umsetzung der Impfstoffbeschaffung hatte allerdings Schwächen, wie der Rechnungshof in seiner Sonderprüfung „COVID-19-Impfstoffbeschaffung“, die auf Verlangen von SPÖ-Nationalratsabgeordneten erfolgte, feststellt. Der Rechnungshof hält fest, dass die COVID-19- Impfstoffbeschaffung aufgrund des dynamischen Pandemieverlaufs von sich laufend verändernden Rahmenbedingungen begleitet war.

 

Im Jahr 2020 verständigten sich die 27 EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Beschaffung von COVID-19-Impfstoffen. In Österreich stand ab Juni 2021 genügend Impfstoff von verschiedenen Impfstoffherstellern zur Verfügung. Aber: Zu Beginn der Impfstoffbeschaffung ab Juni 2020 fehlten beispielsweise detaillierte Kalkulationen zu den voraussichtlichen Ausgaben. Bei weiteren Beschaffungen existierten zudem unterschiedliche Bedarfsberechnungen ohne dokumentierte nachvollziehbare Grundlage. Der überprüfte Zeitraum umfasste im Wesentlichen die Jahre 2020 und 2021.

 

Die Beschaffung von COVID-19-Impfstoffen auf EU-Ebene erfolgte durch die EU- Kommission und wurde durch den EU-Lenkungsausschuss begleitet, in dem auch Österreich vertreten war. Für die gemeinsame EU-weite Beschaffung schloss die EU-Kommission im Auftrag und im Namen von Mitgliedstaaten Vorkaufverträge mit den Herstellern ab. Darin waren die wesentlichen Parameter für die Impfstoffkäufe (etwa die Produktbeschreibung, der Preis und die Liefermodalitäten) bereits festgelegt. Gemäß EU-Strategie sollte der Zugang der EU-Mitgliedstaaten zu den gemeinsam beschafften Impfdosen im Verhältnis der jeweiligen Bevölkerung zur Unionsbevölkerung erfolgen. Auf Österreich entfielen dabei rund zwei Prozent. Es war möglich, Impfstoffe über und unter dem Bevölkerungsschlüssel zu bestellen.
Die konkrete Bestellung führten die einzelnen Mitgliedstaaten – in Österreich das Gesundheitsministerium – eigenständig durch. Dadurch hatten sie einen gewissen Ermessensspielraum insbesondere bei der Bestellmenge.

 

Österreich bestellte Impfstoff zunächst unter, dann über dem Bevölkerungsschlüssel

Die Impfstoffbeschaffung in Österreich war aufgrund des dynamischen Pandemieverlaufs von Rahmenbedingungen begleitet, die sich laufend änderten. Dazu zählen neben dem Auftreten neuer Virusvarianten etwa mehrere Lockdowns sowie die Impfpflicht, die angekündigt, eingeführt, nicht angewendet und schließlich abgeschafft wurde. Zudem fanden Ministerwechsel statt: Insgesamt waren drei unterschiedliche Gesundheitsminister während der Pandemie im Amt. Dem Rechnungshof sind die herausfordernden Rahmenbedingungen für die Akteurinnen und Akteure bewusst.

 

Bis Frühjahr 2021 beschaffte Österreich weniger COVID-19-Impfstoff, als möglich gewesen wäre. Bis zum 30. Juni 2021 bestellte das Gesundheitsministerium verbindlich 24,32 Millionen COVID-19-Impfdosen verschiedener Impfstofftechnologien. Diese Bestellmenge unterschritt die nach Bevölkerungsschlüssel mögliche Bestellmenge um zwölf Prozent. Eine Berechnung des Rechnungshofes zeigt, dass sich die hypothetische Durchimpfungsrate der Bevölkerung erhöht hätte, wenn Österreich gemäß Bevölkerungsschlüssel bestellt hätte. Je nach Berechnungsart hätte sich die Rate zum 30. Juni 2021 bei Erstgeimpften von 53,6 Prozent auf 56,9 Prozent beziehungsweise 56,2 Prozent erhöht.

 

Ab Oktober 2021 wiederum erfolgten Impfstoffbestellungen über dem Bevölkerungsschlüssel im Ausmaß von 14,65 Millionen Dosen. Den Beschaffungen lagen unterschiedliche Annahmen zugrunde. Es fehlte häufig eine dokumentierte nachvollziehbare Grundlage, etwa in Beschlüssen oder Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums. Beispielsweise ging das Gesundheitsministerium in einer Bedarfsberechnung von einer Durchimpfungsrate von 100 Prozent aller Personen ab zwölf Jahren aus. Auch in Hinblick auf die geplante Impfpflicht etwa wurde im Dezember 2021 auf politischer Ebene vereinbart, vom Impfstoff Novavax „as much as possible“ abzurufen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Haltbarkeit der Impfstoffe begrenzt war. 

 

Impfdosen verdreifacht, Kosten vervierfacht

Im Juli 2020 betrug der Rahmen für die Gesamtkosten bis zu 200 Millionen Euro. Der Rechnungshof beurteilt kritisch, dass das Gesundheitsministerium keine Kalkulationen zu den voraussichtlichen Ausgaben erstellte, obwohl es über voraussichtliche Preisbänder informiert war.

           
Der Gesamtkostenrahmen erhöhte sich im Juli 2021 auf bis zu 1,252 Milliarden Euro.

Bis Ende Februar 2022 bestellte Österreich rund 70 Millionen COVID-19-Impfdosen. Die voraussichtlichen Ausgaben dafür: 1,085 Milliarden Euro. Das entspricht dem knapp Dreifachen der Impfstoffmenge und dem knapp Vierfachen der Kosten zum 30. Juni 2021. Damals, Ende Juni 2021, wurden rund 24 Millionen Impfdosen um voraussichtlich 287,42 Millionen Euro bestellt.

 

Plausibel ist, dass sich im Verlauf der Pandemie der Erkenntnisstand über die Wirksamkeit der Impfungen laufend veränderte und etwa das Nationale Impfgremium seine Anwendungsempfehlungen laufend dem aktuellen Erkenntnisstand anpasste. Der Rechnungshof empfiehlt, bei Beschaffungsvorhaben von Impfstoffen aktenmäßig dokumentierte Bedarfsberechnungen auf Basis nachvollziehbarer Annahmen zugrunde zu legen.

 

 

In diesem Zusammenhang richten die Abgeordneten Peter Wurm, Mag. Gerhard Kaniak und Dr. Dagmar Belakowitsch an den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nachstehende

 

Anfrage

 

1.    Welche Sektion(en), Gruppen bzw. Abteilungen im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) waren bzw. sind in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 mit der Covid-19-Impfstoffbeschaffung befasst gewesen bzw. aktuell befasst?

2.    Welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMSGPK waren bzw. sind in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 mit der Covid-19-Impfstoffbeschaffung befasst gewesen bzw. aktuell befasst (namentliche Nennung inklusive Funktion)?

3.    Welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kabinett der Bundesminister Rudolf Anschober, Dr. Wolfgang Mückstein und Johannes Rauch im BMSGPK waren bzw. sind in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 mit der Covid-19-Impfstoffbeschaffung befasst gewesen bzw. aktuell befasst (namentliche Nennung inklusive Funktion)?

4.    Welche Mitglieder des Nationalen Impfgremiums im BMSGPK waren bzw. sind in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 mit der Covid-19-Impfstoffbeschaffung befasst gewesen bzw. aktuell befasst?

5.    Welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMSGPK haben die Interessen des österreichischen Gesundheitsministeriums bzw. der Republik Österreich im EU-Lenkungsausschuss in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 im Zusammenhang mit der Covid-19-Impfstoffbeschaffung an Sitzungen vertreten und wann haben diese Sitzungen bzw. Beschlussfassungen stattgefunden?

6.    Zu welchen Zeitpunkten und über welche Inhalte wurde dem BMSGPK, dh. den zuständigen Sektionen, Gruppen und Abteilungen sowie dem Ministerbüro und den Herrn Bundesministern Rudolf Anschober, Dr. Wolfgang Mückstein und aktuell Johannes Rauch, aus dem EU-Lenkungsausschuss berichtet?

7.    Wurde die Bundesbeschaffungsgesellschaft GmbH zu irgendeinem Zeitpunkt durch das BMSGPK in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 mit der Covid-19-Impfstoffbeschaffung befasst bzw. ist diese aktuell damit befasst und wenn ja, wann und in welchem Zusammenhang?

8.    Wurde die Finanzprokuratur zu irgendeinem Zeitpunkt durch das BMSGPK in den Jahren 2020, 2021, 2022 und 2023 mit der Covid-19-Impfstoffbeschaffung befasst bzw. ist diese aktuell damit befasst und wenn ja, wann und in welchem Zusammenhang?

9.    Welche Liefer- und Preiskorrekturen bei den einzelnen Covid-19-Impfbeschaffungsverträgen mit der Pharmaindustrie erfolgten seit 2020 und welchen Einfluss hat darauf die Republik Österreich bzw. das Gesundheitsministerium genommen?



[1] https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/news/news/news_3/COVID-19-Impfstoffbeschaffung_Rechnungshof_Sonderpruefung.html#