15672/J XXVII. GP

Eingelangt am 06.07.2023
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Anfrage

 

der Abgeordneten Elisabeth Götze, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Strategiewechsel bei der Borealis – gegen die Interessen der Republik?

BEGRÜNDUNG

 

Diverse Medienberichte sorgten in den letzten Wochen für eine Überraschung: Die OMV-Tochterfirma Borealis, Herstellerin von Kunststoffen und bei der OMV Kundin für die dafür benötigten Raffinerieprodukte, soll in einen globalen Chemie-Konzern eingebracht werden.[1] Konkrete Sondierungen hätten bereits begonnen.[2] Treiber des Projekts sei der Juniorinvestor der Borealis, Abu Dhabis staatlicher Ölkonzern Adnoc.

Das Pikante dabei: die Borealis gehört erst seit kurzem mehrheitlich der OMV. Im Oktober 2020 stockte der Konzern seinen 36%-Anteil auf insgesamt 75% auf. Warnungen, dass der Kaufpreis überhöht sei und für die bilanziellen Vorteile wie die Vollkonsolidierung auch eine Aufstockung auf 51% gereicht hätte, wurden vom damaligen OMV-Chef Rainer Seele in den Wind geschlagen. Die Transaktion sei „fair“[3], der Ankauf ein „Game-Changer“, welcher „eine mittelfristig rückläufige Kraftstoffproduktion durch größere Mengen an petrochemischen Produkten kompensieren“ könne, sagte er damals.[4] Das alles fügte sich gut in die neue Strategie der OMV, welche den Fokus auf zukunftsfähige Erdölerzeugnisse setzt.

Verkäufer der 39% der Borealis an die OMV war Mubadala Investments, Staatsfonds des Emirats Abu Dhabi. Mubadala war damals Kernaktionär der OMV, verkaufte seine Anteile Ende 2022 aber an Adnoc.[5] Auch die übrigen 25% Borealis-Anteile wanderten bereits im April 2022 von Mubadala zu Adnoc.[6] Damit sitzt Adnoc, bekannt als strategischer Investmentarm der Emiratis, nun an den Schalthebeln für eine Neuorganisation der Petrochemie-Unternehmen in ihrem Portfolio.

Borealis wurde als Filetstück der Zukunftsstrategie der österreichischen OMV gehandelt, welche die Unternehmensgruppe von einem Energie- zu einem Chemiekonzern transformieren sollte. Zuletzt wirtschaftete der Neuzugang auch sehr erfolgreich: gut 2,1 Milliarden Euro Gewinn nach Steuern im Jahr 2022.[7] Nun scheint die OMV-Spitze die kolportierten Pläne der Adnoc zumindest zu erwägen. Dementi gab es von Vorstand Alfred Stern bisher nur zu einem Verkauf der Anteile,[8] nicht zur Einbringung in einen größeren Konzern.

Der Vorstand der OMV und der Aufsichtsrat, dessen Mitglieder ihre Mandate teils schon vor der Borealis-Übernahme besaßen, haben sich bisher allerdings gegenüber dem Kapitalmarkt nicht zu einem neuerlichen Strategiewechsel geäußert. Solch materielle Insider-Informationen sind laut Österreichischem Corporate Governance Kodex schnellstmöglich offenzulegen.[9] Sowohl die OMV als auch die ÖBAG entsenden ständige Mitglieder in den Arbeitskreis, der den Kodex gestaltet. Jüngst wurde berichtet, dass Sondierungen zwischen OMV und Adnoc über eine Borealis-Borouge-Fusion bereits begonnen hätten – was von der OMV als „Marktspekulationen“ unkommentiert blieb, die Aktie aber bereits positiv beeinflusste.[10] Diese positiven Aktieneffekte wären auch bei einem eigenständigen Börsengang der Borealis an der Wiener Börse zu erwarten.

Das „Profil“ berichtete kurz vor der OMV-Hauptversammlung Ende Mai, Adnoc sei an einer Mehrheit an der Borealis interessiert. Denn: „Das Unternehmen möchte dem Vernehmen nach seine Petrochemie-Anteile an NOVA Chemicals, Borouge (54 Prozent gehören Adnoc, 36 Prozent Boralis, der Rest wurde an die Börse gebracht, Anm.) und der Borealis auf arabischem Boden bündeln, bräuchte dafür aber eine komfortable Mehrheit an der Borealis.“[11] Aktuell kontrolliert Adnoc direkt sowie indirekt über die Anteile an der OMV 43,675% der Borealis.

Für die nötigen Kontakte könnte laut „Profil“ der ehemalige OMV-Vorstand Seele in seiner heutigen Funktion als „bezahlter externer Berater für die Adnoc“ sorgen. Direkter Austausch besteht laut Finanzministerium auch zwischen Abu Dhabi und der Republik Österreich.[12] LNG-Lieferungen aus dem Emirat könnten als Gegengeschäft vereinbart worden sein.[13]

Bei einer Einbringung in einen neuen Petrochemie-Konzern stünde die Mehrheit der OMV-Beteiligung an der Borealis und damit ihr Einfluss auf wichtige Entscheidungen, wie den Standort des Headquarters und die Zukunft der F&E-Arbeitsplätze, auf dem Spiel (siehe Abbildung).

Abbildung 1: Besitzverhältnisse der Petrochemie-Player Borealis, NOVA Chemicals und Borouge, die ggf. mit weiteren Unternehmen zu einem neuen Konzern fusionieren könnten

Würde neben Borealis und Borouge, einem gemeinsamen Joint Venture der Borealis (36%) mit Adnoc (54%), auch Nova Chemicals eingebracht, wird es eng für die OMV-Mehrheit. Nimmt man etwa für die Bewertung der nicht-börsennotierten Unternehmen Borealis und NOVA Chemicals die Bewertung der in Abu Dhabi gelisteten Borouge als Maßstab (die Marktkapitalisierung entspricht ca. dem Dreifachen des Jahresumsatzes)[14], landet die OMV bei knapp unter 50% Anteil an der neuen Gesellschaft. Aktuell wird jedoch als Diskussionsgrundlage von einer Bewertung  der Borealis von nur 10 Mrd. Euro berichtet[15], was zu einer deutlichen Minderheit der OMV bei einer Borealis-Fusion mit Borouge und NOVA Chemicals führen würde. Die Frage der Bewertung wird für die OMV also zur Priorität.

Adnoc scheint darüber hinaus interessiert, weitere Standorte für den globalen Konzern zu gewinnen. Medien berichteten kürzlich gleich über zwei passende Kaufangebote. Die deutsche Covestro lehnte ein als zu niedrig empfundenes Angebot der Adnoc ab.[16] Laut dem Handelsblatt wolle sich Adnoc beim Leverkusener Konzern „Zugang zu Zukunftstechnologien“ im Bereich von Schäumen und Polycarbonat sichern.[17] Covestro hat aktuell eine Marktkapitalisierung von knapp 10 Mrd. Euro. Zudem gibt es Gerüchte, dass Adnoc gemeinsam mit der amerikanischen Beteiligungsgesellschaft Apollo hinter einem Übernahmeangebot für das brasilianische Chemie-Unternehmen Braskem (ehem. Odebrecht) in Höhe von 6,9 Mrd. Euro steht.[18] Apollo hatte laut Handelsblatt-Bericht schon 2020 Interesse an Covestro gezeigt, der Deal versandete jedoch. Sollten weitere Konzerne ebenfalls Teil der Adnoc-Pläne sein, könnte der OMV-Anteil am neuen Unternehmen in weiterer Folge unter eine Beteiligung von 25% fallen, was eine signifikante Einschränkung der aktienrechtlichen Kontroll- und Informationsrechte mit sich bringen würde.

Zuletzt war die OMV mit einem neuen Milliarden-Deal aufgefallen. Gemeinsam mit der zu 51% von der OMV gehaltenen Rumänientochter OMV Petrom und dem vom rumänischen Staat dominierten Romgaz-Konzern soll ein Gasfeld im Schwarzen Meer erschlossen werden. Zwar haben sich die geopolitischen Risiken bei der Erdgasbeschaffung entscheidend verändert, zu einer post-fossilen Kunststoffstrategie trägt der mit zwei Milliarden Euro bezifferte OMV-Anteil am Projekt jedoch nicht bei. Weder ist das Gas für den österreichischen Markt gedacht, noch kann die OMV das Projekt entscheidend gestalten. Die Kontrolle liegt beim rumänischen Staat, der über seine Beteiligungen bei Romgaz und Petrom insgesamt ca. 60% des Projektes finanziert.[19]

Die Republik Österreich, vertreten durch das Finanzministerium, ist über die ÖBAG zu 31,5% an der OMV beteiligt. Deren langfristiger Erfolg ist auch nach dem fossilen Zeitalter für den Wirtschaftsstandort Österreich von herausragender Bedeutung. Aufgrund der von der Konzernspitze bekräftigten zentralen Rolle der Borealis in der Strategie der OMV stellen die unterfertigenden Abgeordneten an den Bundesminister für Finanzen folgende

ANFRAGE

 

1)    Es gibt widersprüchliche Pressemeldungen dazu, was das Ziel der von der OMV mit der Adnoc geführten Gespräche ist. Wurde der Bundesminister für Finanzen (BMF) über eine geplante oder angedachte Transaktion in Kenntnis gesetzt?

a.    Wenn ja, welche Form der Transaktion wurde gegebenenfalls besprochen?

2)    War der BMF auch direkt in Gespräche mit Parteien bzw. Unternehmen aus Abu Dhabi bezüglich des Borealis-Deals involviert?

a.    Wenn ja, mit welchen Parteien bzw. Unternehmen?

3)    Inwieweit könnte die ÖBAG, wenn sie die Interessen der Republik gefährdet sieht, über ihre Beteiligung an der OMV die Entscheidung beeinflussen, die Borealis-Anteile zu reduzieren oder in einen neuen Konzern einzubringen?

4)    2020 wurde in Folge einer strategischen Neuausrichtung der OMV in Richtung Petrochemie-Konzern mit 75% eine übergroße Mehrheit an der Borealis erworben. Nun ist möglicherweise die Einbringung in einen Konzern geplant, womit die Beteiligung der OMV von einer strategischen zu einer Finanzbeteiligung wird. Wurden die von der ÖBAG entsandten Mitglieder des Aufsichtsrats über einen neuerlichen Strategiewechsel informiert?

a.    Wenn ja, wurden sie über konkrete Pläne (Verkauf, Einbringung in eine neue Gesellschaft) informiert?

b.    Wenn ja, welche Begründung wurde seitens des OMV-Vorstands angeführt?

5)    Es gilt als wahrscheinlich, dass die Adnoc zur Konzernkonzentration des geschaffenen Chemiekonzerns weitere Übernahmen und Beteiligungen plant. Welche Schritte kann die ÖBAG als Miteigentümerin der OMV setzen, um bei einer Einbringung der Borealis-Anteile in einen neuen Chemiekonzern den Einfluss der OMV abzusichern?

a.    Gäbe es bei der ÖBAG das Interesse auch die Akquise weiterer Petrochemie-Unternehmen unter dem Dach eines neuen Konzerns mitzufinanzieren?

b.    Inwiefern kann von der ÖBAG sichergestellt werden, dass die OMV-Beteiligung am neuen Konzern nicht unter 25% fällt?

c.    Welche Rechte würde die OMV erhalten, wenn die Beteiligung an der Borealis bzw. des neuen Chemiekonzerns in Zukunft auf 25% oder darunter fiele?

d.    Inwiefern würden sich diese Rechte von den umfangreichen Rechten unterscheiden, welche Adnoc aktuell mit ihrem 25%-Anteil an der Borealis genießt?

6)    Wie bewertet der BMF/die ÖBAG die Auswirkungen auf die Interessen der Republik, wenn der Anteil der OMV an der Borealis durch eine Einbringung in einen größeren Chemiekonzern auf unter 25% sinkt?

7)    Bleibt die OMV für die ÖBAG als Investment interessant, wenn durch eine Verwässerung der Anteile der Gestaltungsspielraum in der Dekarbonisierung verloren geht?

8)    Welche Möglichkeiten gibt es seitens der ÖBAG, die korrekte Bewertung der in den neuen Konzern eingebrachten Unternehmen, insbesondere der Borealis, sicherzustellen?

a.    Sind seitens der ÖBAG eigene Bewertungen in Auftrag gegeben worden?

b.    Wenn ja, zu welchem Ergebnis kommen die Bewertungen?

c.    Wenn nein, ist dies geplant?

9)    Kann die Republik Österreich/die ÖBAG im Zuge einer neuerlichen Transaktion zwischen Adnoc und der OMV in Bezug auf die Borealis sicherstellen, dass der Firmensitz der Borealis in Wien dauerhaft und im bisherigen Umfang verbleiben wird?

a.    Falls ja, wie könnte diese vertragliche Absicherung konkret aussehen?

b.    Falls ja, für welchen Zeitraum?

c.    Falls nein, warum nicht?

10) Wie viele Fachkräfte hatte die Borealis 2022?

a.    Wie viele Fachkräfte wären bei einem Verlust der Mehrheitsanteile potenziell gefährdet?

11) Kann die Republik Österreich/die ÖBAG im Zuge einer neuerlichen Transaktion zwischen Adnoc und der OMV in Bezug auf die Borealis sicherstellen, dass das European Innovation Headquarter der Borealis in Linz dauerhaft und im bisherigen Umfang verbleiben wird?

a.    Falls ja, wie könnte diese vertragliche Absicherung konkret aussehen?

b.    Falls ja, für welchen Zeitraum?

c.    Falls nein, warum nicht?

d.    Falls nein, welche Auswirkungen hätte eine Abwanderung auf den Industriestandort Linz und den Industriestandort Österreich insgesamt?

e.    Wie viele Patente meldete die Borealis im Jahr 2022 an?

f.     Falls nein, wie viele der derzeit im European Innovation Headquarter der Borealis in Linz beschäftigte Fachkräfte würde dies betreffen?

g.    Falls nein, wie viele der in Linz beschäftigten Fachkräfte haben eine postgraduale Ausbildung bzw. arbeiten im hochspezialisierten MINT Bereich und wie viele arbeiten in Mangelberufen?

12) Ist oder war die ÖBAG in Gespräche oder Pläne eingebunden, die Borealis eigenständig an die Wiener Börse zu bringen?

a.    Könnte die OMV laut bestehendem Vertrag mit der Adnoc eine Börsenlistung der Borealis in Wien auch ohne Zustimmung der Adnoc durchführen?



[1] https://www.diepresse.com/6295293/das-omv-geheimprojekt-borealis sowie https://www.derstandard.at/story/2000146555150/abu-dhabi-will-mehr-borealis-anteile-von-der-omv

[2] https://kurier.at/wirtschaft/omv-und-adnoc-sondieren-milliardenfusion-ihrer-chemiekonzerne/402510550

[3] https://www.derstandard.at/story/2000121280302/omv-schliesst-inmitten-von-verlusten-borealis-deal-ab

[4] https://www.omv.com/de/blog/omv-erhoeht-ihren-anteil-an-borealis-auf-75-prozent

[5] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/oesterreich/2172505-Aktionaerswechsel-be-der-OMV.html

[6] https://www.adnoc.ae/en/news-and-media/press-releases/2022/adnoc-acquires-25-percent-stake-in-borealis

[7] https://www.borealisgroup.com/storage/Company/Investor-Relations/Financial-Reports/Borealis-AG-Financial-Report-2022-SA_DE.pdf

[8] https://www.reuters.com/business/energy/omv-will-not-sell-majority-stake-borealis-ceo-says-2023-06-07/

[9] https://www.corporate-governance.at/kodex/

[10] https://kurier.at/wirtschaft/omv-und-adnoc-sondieren-milliardenfusion-ihrer-chemiekonzerne/402510550

[11] https://www.profil.at/wirtschaft/omv-hauptversammlung-unruhe-vor-dem-sturm/402461669 Anm.: NOVA Chemicals ist aktuell im Besitz von Mubadala Investments

[12] ibid.

[13] https://www.derstandard.at/story/2000146555150/abu-dhabi-will-mehr-borealis-anteile-von-der-omv

[14] https://www.borouge.com/en/media/Pages/News/2022-Financial-Results.aspx

[15] https://kurier.at/wirtschaft/omv-und-adnoc-sondieren-milliardenfusion-ihrer-chemiekonzerne/402510550

[16] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/covestro-adnoc-1.5958089

[17] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/adnoc-warum-covestro-fuer-den-oelkonzern-aus-abu-dhabi-so-interessant-ist/29219166.html

[18] https://www.kunststoffweb.de/branchen-news/braskem_polyolefinkonzern_vor_uebernahme_durch_adnoc_und_apollo_t252762

[19] https://www.derstandard.at/story/3000000175564/omv-gibt-gruene