Eingelangt am 13.07.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie
Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin
für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt
betreffend Der nächste
U-Ausschuss kommt bestimmt. Werden die Archivierungspflichten eingehalten?
Vergangene Untersuchungsausschüsse sowie Ermittlungen
der StA und WKStA, beispielsweise im Kontext der Ibiza- oder
Casinos-Affäre, belegen die Gewohnheit politischer Funktionär:innen,
dienstliche Angelegenheiten, wie Postenbesetzungen, über E-Mails, SMS,
Chats oder Memos abzuwickeln bzw. zu dokumentieren. Der Verfassungsgerichtshof
kritisierte die Verwehrung der Einsicht in politisch relevante Emails nach
Beschwerde der Oppositionsparteien im Zuge des
„Ibiza“-Untersuchungsausschusses. Der Forderung des VfGH nach
Vorlage aller verlangten Materialien von Seiten des ehemaligen Bundeskanzlers
konnte nicht nachgegangen werden, da die betroffenen Unterlagen bereits
gelöscht worden waren: „E-Mails werden im Bundeskanzleramt nicht
dauerhaft aufgehoben, außer sie sind Teil eines Aktes. Mit dem
Ausscheiden einer Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters werden die
Postfächer gelöscht. Bei Regierungswechsel werden auch die Backups
gelöscht, um das Bundesarchivgesetz nicht zu unterlaufen“, antwortet
der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz, denn E-Mails im Bundeskanzleramt,
die nicht Teil eines Aktes sind, werden nicht dauerhaft aufgehoben. (3136/AB,
2020)1
Doch was ist geltendes Gesetz? Dass dienstlich relevantes
Schriftgut von Bundesdienststellen bzw. „sämtliches Schriftgut, das
beim Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Vizekanzler, bei einem
Bundesminister oder Staatssekretär in Ausübung Ihrer Funktion oder in
deren Büros anfällt“ dem Österreichischen Staatsarchiv
(ÖStA) zu übergeben ist, legen § 5 Abs. 1 bzw. § 6 Abs. 3
Bundesarchivgesetz fest. Als Schriftgut legt §5 Abs. 2 des Denkmalschutzgesetzes
„schriftlich geführte oder auf elektronischen
Informationsträgern gespeicherte Aufzeichnungen aller Art“ fest,
wobei „persönliche Unterlagen, wie Aufzeichnungen und
Notizen“, der Archivierungspflicht ausgenommen sind. Ob Kurznachrichten,
wie SMS oder Chats, archivierungspflichtig oder als „persönliche
Unterlagen“ ausgenommen sind, stellt unter Generaldirektoren des
ÖStA eine Kontroverse dar. Der 2019 pensionierte Wolfgang Maderthaner
betont, dass alles Schriftgut der Kabinette, aber auch Datenträger, die
Parteiarbeit betreffen und eventuell Privates dem ÖStA zu übergeben
ist, da „sehr, sehr oft auch persönlich interessengeleitete Arbeit
und Verwaltungsarbeit nicht auseinandergehalten werden“. Helmut Wohnout,
der aktuelle und ÖVP-nahe Generaldirektor des ÖStA, sieht die
Löschung von Kurznachrichten als gesetzeskonform, da diese als
„persönliche Aufzeichnungen“ zu kategorisieren sind. Laut
Wohnout sei die Archivierung von Kalendereinträgen nicht durch das Gesetz
geklärt (siehe ORF, 2020).2 Angesichts der obig
ausgeführten historischen, politischen und strafrechtlichen Relevanz von
Kurznachrichten, Kalender, Memos, etc. ist die vage Formulierung sowie der
Interpretationsspielraum von „persönlichen Aufzeichnungen“
laut § 2 Abs. 2 Bundesarchivgesetz zu hinterfragen.
Bezüglich der Nachvollziehbarkeit der Weitergabe von
Schriftgut an das ÖStA sieht § 6 Abs. 1 Bundesarchivgesetz vor, dass
Bundesdienststellen dem ÖStA anzeigen müssen, welches Schriftgut
ausgesondert und welches zur Archivierung angeboten wird. Ex-Generaldirektor
Maderthaner meint aber, dass das ÖStA keine kontrollierende oder
sanktionierende Rolle trägt und davon auszugehen sei, dass in der Praxis
nur unvollständig an das Staatsarchiv geliefert würde. Die
Bundesministerin für EU und Verfassung, Mag. Karoline Edtstadler,
bestätigt in 10235/AB (2022)3, dass nur eine geringe Anzahl an
Schriftgut in Form von E-Mail-Systemen von Bundesdienststellen an das ÖStA
zur Archivierung übermittelt werden, aber sieht „im aktuellen
Prozess keine Umstände, die eine Änderung der Rechtslage erforderlich
machen würden“. Inwiefern aktuelle Archivierungs-Praktiken und
Monitoring-Mechanismen eine Verbesserung der Bewahrung dienstlich relevanter
Unterlagen, auch E-Mails und Kurznachrichten betreffend, bewirken, ist demnach
zu hinterfragen.
Im internationalen Vergleich sind genauere
Archivierungsregeln in Deutschland hervorzuheben, wo für Minister:innen
der Bundesregierung eine Archivierungspflicht für aktenrelevante digitale
Informationen, einschließlich SMS, besteht und beispielsweise
Chat-Verläufe der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel gesichert
wurden (Süddeutsche Zeitung, 2013).4 Auch in den Vereinigten
Staaten von Amerika ist die Bewahrung aller amtlichen E-Mails verpflichtend,
sodass das Versenden beruflicher E-Mails von einer privaten E-Mail-Adresse
(ohne Archivierung) in einem Skandal für die ehemalige
Präsidentschaftskandidatin Hilary Clinton resultierte.
In Österreich sprechen sich neben NEOS und SPÖ
auch die Grünen als Regierungspartei für eine bessere Nachvollziehbarkeit
des Regierungs- und Verwaltungshandelns im Sinne von „Transparenz,
Antikorruption und sauberen Politik“ aus. Ilse-Maria Vrabl-Sanda,
Leiterin der WKStA, fordert ebenfalls eine Dokumentationspflicht politischer
Entscheidungen, die Amtsträger über derzeit nicht veraktete
elektronische Kommunikationsmittel treffen (Der Standard).5
Quellen:
- https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/AB/3136
- https://orf.at/stories/3171066/
- https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/J/10491?selectedStage=100
- https://www.sueddeutsche.de/politik/regierungsakten-fuer-kurznachrichten-sms-von-kanzlerin-merkel-werden-archiviert-1.1572702
- https://www.derstandard.at/story/2000142803492/sollen-handy-chats-archiviert-werden
Die unterfertigten Abgeordneten
stellen daher folgende
Anfrage:
Aktuelle Praxis Archivierung
- In welchem Umfang wurde seitens des
BKA im Zuge des Übergangs zwischen verschiedenen Bundeskanzlern seit
Regierungswechsel 2019 (Sebastian Kurz, Alexander Schallenberg, Karl
Nehammer) angefallenes Schriftgut gelöscht bzw. an das Staatsarchiv
übergeben (bitte Angabe nach Anzahl an Dokumente, Datenträgern,
Mails, Seitenanzahl)?
- Wer war für die Entscheidung
über Löschung verantwortlich?
- Werden von Seiten der Ministerien auch
hauseigene Archive befüllt bzw. geführt?
- Falls ja, welche Ministerien betrifft
das?
- Falls ja, warum?
- Weshalb erfolgte eine Übertragung
der Zuständigkeit für das Digitale Langzeitarchiv vom Referat
für „Digitales Archiv und IT-Services“ der Stabstelle
für Öffentlichkeitsarbeit, Digitales und Services (ÖADS)
auf den provisorischen Leiter des ÖStA im Juli 2019?
- Wie sind die Zuständigkeiten im
Digitalen Langzeitarchiv des Bundes geregelt? (Siehe 3804/AB von Mag.
Schallenberg, 2019)
- Ist die Verlagerung aller
Betriebskomponenten ins BRZ im Zuge der bundesweiten IT-Konsolidierung wie
nach Plan 2022 abgeschlossen worden? (Siehe 10235/AB von BMEUV Mag.
Edtstadler, 2022)
- Welche Kosten sind durch diese
Verlagerung angefallen?
- Wurde das Übergabeformat EDIAKT,
das in der Bundesarchivgutverordnung, BGBl. II Nr. 367/2002, für die
Übergabe elektronsicher Akten an das Digitale Langzeitarchiv
vereinbart ist, seit 2019 vollständig durch das EDIDOC-Format
abgelöst, sodass die Abgabe von ELAK-Akten seitens
Bundesdienststellen wieder vollständig erfolgen kann? (Siehe 3804/AB
von Mag. Schallenberg, 2019)
Aktuelle Praxis Monitoring
9. Wie gestaltet sich die Anzeige von zu archivierendem bzw.
auszusonderndem elektronischem Schriftgut von Seiten der Bundesdienststellen an
das ÖStA gemäß § 6 Abs. 1 Bundesarchivgesetz?
- Welches elektronische Schriftgut wurde
von Bundesdienststellen seit dem Regierungswechsel 2019 dem ÖStA als
zu archivierend bzw. als auszusondernd angezeigt (um Aufschlüsselung
nach der Form des Schriftguts und der jeweiligen Bundesdienststelle wird
gebeten)?
- Welche personellen Ressourcen stehen
dem ÖStA für die Durchsicht der zur Archivierung freigegebenen
Unterlagen nach § 6 Abs. 2 Bundesarchivgesetz zur Verfügung?
- Ist für das ÖStA die
Einhaltung der einjährigen Frist für die Feststellung der Eignung
von angebotenem elektronischem Schriftgut als Archivgut stets
möglich?
i. Wenn nein, warum?
- Inwiefern wird die Einhaltung
bestehender Archivierungspflichten von Seiten der Bundesdienststellen
kontrolliert?
- Wer ist für die Prüfung
zuständig?
- Inwiefern wird die korrekte
Kategorisierung von elektronischen Akten nach § 25 Abs. 2
Büroordnung 2004 sowie nach § 3 Abs. 1 Bundesarchivgutverordnung
seitens der Bundesdienststellen vor dem Angebot an das ÖStA
überprüft?
- Wenn nein, warum?
- Laut BMEUV Mag. Karoline Edtstadler
erfolgt „die digitale Übernahme bzw. Archivierung von Echtdaten
(von „ELAKimBund“) mehrerer Bundesdienststellen laufend und
sei ein permanenter Prozess. Die Übernahme von Schriftgut in anderer
Form wie z.B. (un)strukturierten Fileablagen, Fachinformationssystemen
oder E-Mail-Systemen ist Gegenstand laufender Diskussion“. Welche
Ergebnisse hat diese Diskussion seit Regierungswechsel 2019 erbracht?
- Wie lauten die konkreten inhaltlichen
Schwerpunkte der Diskussion?
- In welcher Form findet diese Diskussion
statt? Gibt es eine Arbeitsgruppe zu dem Thema?
- Wer ist in diese Diskussion
eingebunden?
- Wie viel Schriftgut wurde dem
ÖStA seit dem Regierungswechsel 2019 in Form von (un)strukturierten
Fileablagen, Fachinformationssystemen oder E-Mail-Systemen angeboten?
i. Inwiefern konnte das ÖStA gemäß §6
Abs. 2 des Bundesarchivgesetzes die Archivwürdigkeit dieses Schriftguts
feststellen? Warum (nicht)?
- Wurde dem ÖStA Schriftgut in
Form von elektronischen Kalendereinträgen angeboten? Konnte eine
Archivwürdigkeit des Schriftguts vom ÖStA festgestellt werden?
- Laut ehemaligen BK Sebastian Kurz
wurden keine rechtlichen Gutachten zur vom BKA während
Regierungsperiode Kurz I gewählten Praxis des rigorosen Löschens
von Emails/Chatnachrichten eingeholt, sondern „aufkommende Fragen im
kurzen Weg mit dem ÖStA erörtert und nach dessen
Einschätzung behandelt“ (siehe AB 6479, S.5). Wie viele bzw.
welche Abteilungen des ÖStA wurden in diesem Zeitraum zur
Konsultierung herangezogen?
- Inwiefern wurde die Praxis des
Löschens seit Regierungswechsel 2019 in Konsultation mit dem
ÖStA erörtert?
- Wer initiierte diese Gespräche?
- Wer sind hier die
Ansprechpartner:Innen von Seiten des ÖStA?
- Was haben die Gespräche ergeben?
- In Anbetracht der stark
differenzierenden Ansichten zur Archivierung jeder Form von Schriftgut,
einschließlich von Kurznachrichten, der Generaldirektoren des
ÖStA Wolfgang Maderthaner und Helmut Wohnout, wurden seit des
Regierungswechsels 2019 rechtliche Gutachten/Stellungnahmen zur Praxis
der Löschung von Emails/Chatverläufen des BKA und anderer
oberster Bundesorgane eingeholt?
i. Wenn ja, wann mit welchem wann vorliegenden Ergebnis?
Reformvorhaben
16. Werden
aktuelle Archivierungspflichten und -praktiken in Bezug auf sich stetig
modernisierende elektronische Kommunikationsmöglichkeiten analysiert?
- Falls ja, wann mit welchem Ergebnis?
- Falls ja, wer war und ist in die
Evaluierung einbezogen?
- Falls nein, warum nicht?
- Inwiefern wurde wann eine
Präzisierung der Rechtslage dahingehend diskutiert, dass jegliches
regierungs- und verwaltungsrelevantes digitales Schriftgut archiviert
wird?
- Mit welchem wann vorliegenden
Ergebnis?
- Inwiefern werden Emails,
Chatnachrichten, Memos, Kalender und SMS mit dienstlichen Inhalten auf
ihre Archivwürdigkeit untersucht? Mit welchem Ergebnis?
- Inwiefern wird sichergestellt, dass
eine Wiederholung der im Zuge des
„Ibiza“-Untersuchungsausschusses aufgezeigten Missstände
der Archivierung dienstlich relevanter Unterlagen nicht auftritt, wie auch
vom VfGH kritisiert wurde?
- Inwiefern wird eine Reform des Strafgesetzbuches
§295 dahingehend evaluiert, dass das Vernichten, Beschädigen
und Unterdrücken von Beweismitteln im Rahmen von
Untersuchungsausschüssen des Nationalrats den missbräuchlichen
Umgang mit dienstlich relevanten Unterlagen verbessern würde? (siehe
1542/A von Dr. Margreiter, 2021)
i. Wenn ja – mit welchem Ergebnis?
ii. Wenn nein - warum nicht?
- Inwiefern wird die Rechtslage in
anderen Ländern, wie Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika, als Vorlage zur Präzisierung der Archivierungsregulierungen
bzgl. digitalem Schriftguts konsultiert? Inwiefern steht Österreich
im Austausch mit anderen Ländern zu dem Thema?
i. Wenn ja, wie häufig und unter wessen
Zuständigkeit fand dieser Austausch statt? Mit welchem Ergebnis?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Warum können gem. § 3 Abs. 2
Bundesarchivgesetz Universitäten eigene Archive führen,
Fachhochschulen allerdings nicht?
- Ist diesbezüglich eine
Gleichstellung geplant?
i. Falls nein, warum nicht?
- Ist geplant die Schutzfristen des
Archivgutes iSd §8 Bundesarchivgesetz zu verkürzen?
- Falls nein, warum nicht?
- Was wird nach Meinung des Ministeriums
unter "persönlicher Einsicht" iSd § 9 Abs. 5
Bundesarchivgesetz verstanden?
- Sofern darunter die bloße
physische Einsichtnahme verstanden wird: Ist geplant, eine digitale
Einsicht zu ermöglichen?
- Wird auch eine Überarbeitung des
§ 6 Abs. 3 Bundesarchivgesetz angestrebt?
- Falls ja, welche Eckpunkte soll diese
zukünftige Bestimmung enthalten?