15800/J XXVII. GP

Eingelangt am 19.07.2023
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landesverteidigung
betreffend Sky Shield

Anfang Juli hat Verteidigungsministerin Klaudia Tanner eine Absichtserklärung für Österreichs Beitritt zum europäischen Sky Shield Luftabwehrprogramm unterzeichnet. Der genaue Inhalt von Sky Shield sowie die Rolle Österreichs bleiben jedoch noch unklar.

Als der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im August 2022 vorschlug, gemeinsam mit europäischen Nachbarn ein gemeinsames Luftverteidigungssystem aufzubauen, winkte die Verteidigungsministerin ab. Sky Shield sei mit der Neutralität nicht vereinbar. Scholz sprach von Bedrohungen "aus der Luft und aus dem Weltraum," die gemeinsam effizienter und kostengünstiger zu bewältigen seine. Konkret nannte Scholz die Niederlande, Polen, Estland, Lettland und Litauen, Tschechien, die Slowakei sowie die Partner in Skandinavien - also allesamt Mitglieder der GSVP, der auch Österreich vollinhaltlich angehört und innerhalb derer sich Österreich laut geltender Verfassung ohne Neutralitätsbedenken beteiligen könnte.

Etwas später kündigte Großbritannien seine Beteiligung an; auch Norwegen ist mittlerweile Teil der Initiative. Just zu dem Zeitpunkt, als Sky Shield kein reines GSVP-Projekt mehr war, änderte die Bundesministerin ihre Position und erklärte, auch Österreich werde eine Teilnahme prüfen. So sagte Ministerin Tanner im November 2022, dass es verfassungsrechtlich Möglichkeiten gebe und sie mit Hinblick auf die Neutralität "einige Verfassungsgutachten" eingeholt habe. Dieser Schwenk gibt nun den Kritikern der Initiative Nährstoff.

Nachdem der Beitritt im BMLV dann beschlossen war, gab es weitere Aussagen, die einer Erläuterung bedürfen. So sei es mit der Neutralität vereinbar, zusammen mit Partnern anfliegende Raketen abzuschießen, bei Flugzeugen aber müsse Österreich alleine handeln. Bundeskanzler Nehammer und Verteidigungsministerin Tanner erläuterten, dass die Neutralität durch das Projekt deshalb nicht gefährdet sei, weil es nur "um die Beteiligung an einem Schutzschirm, der zur Gefahrenabwehr dient" handle. Wo der juridische Unterschied zur Abwehr der Gefahr durch einen feindlichen Kampfflugzeuges liegt, wurde nicht klargestellt.

Diese Neutralitätsdebatte erreichte auch Verfassungs- und Militärexpert:innen. Mit Ausnahme eines von der FPÖ bestellten Völkerrechtlers setzte sich die Meinung durch, dass gemeinsame Beschaffung neutralitätsrechtlich unproblematisch wäre. Beim Datenaustausch gäbe es bereits Probleme damit, in einem Krieg einer Seite versichern zu können, dass Österreich das Paritätsprinzip wahren könne, also beiden Parteien gegenüber äquidistant gegenüberstehen würde. Die Erklärung des österreichischen Luftwaffenchefs, Gerfried Promberger, dass Österreich mittels Sky Shield seine Neutralität schützen wolle, würde bedeuten, dass unser Bundesheer Sky Shield ebenso dazu nutzt, aus z.B. Russland Richtung Deutschland fliegende Raketen abzuschießen wie sich aus Deutschland in Richtung Russland bewegende. Das ist aber aufgrund des Datenabtausches nur mit Sky Shield Partnern in der Realität unwahrscheinlich. Militärexperte Walter Feichtinger meinte dazu in einem

Medieninterview, man kann nicht einen großen Schirm aufstellen, wo jeder im Kleinen entscheidet. Dazu haben wir die Zeit nicht.

Das BMLV stellte in mehreren öffentlichen Auftritten klar, dass der Einsatz von Wirkmitteln ausschließlich unter österreichischem Kommando stehen würde, und keine ausländischen Wirkmittel über österreichischem Luftraum zum Einsatz kommen dürften. Militärexperte Franz-Stefan Gady meinte, dass Flugabwehrsysteme mittlerer Reichweite, also einer Reichweite zwischen 15 bis 50 Kilometern beziehungsweise in die Höhe bis zu 25 Kilometern, eine Möglichkeit seien. Ob damit allerdings alle Gefahren von Österreich abgewendet werden könnten, oder Gefahren mit ausreichend großer Wahrscheinlichkeit abgewendet werden könnten, bleibt offen. Ballistische Raketen, z.B., also jene, die zumeist mit Atomwaffen bestückt sind, fliegen in hohem Bogen exoatmosphärisch an und können kaum im Zielanflug ausgeschaltet werden, sondern müssen früher, am besten in der boost-phase, bekämpft werden.

Vor kurzem trat auch die Schweiz bei und beschloss gemeinsam mit Österreich, einen nicht näher definierten Neutralitätsvorbehalt an eine spätere Beitrittserklärung anschließen zu wollen. Generell gehe es dabei um einen ex-ante Ausschluss an einer Teilnahme an einem internationalen Konflikt, was bei einem multilateralen Verteidigungsinstrument, das zumindest von Datenvernetzung abhängt, in der Praxis kompliziert sein wird. Nicht zufällig meinte Kanzler Nehammer am gleichen Tag, Sky Shield sei ein Schutzschild, "an dem Österreich und die Schweiz nun teilhaben werden, um uns für die veränderten Bedrohungslagen zu rüsten. Es ist ein sicherheitspolitischer Meilenstein, dass wir unseren Luftraum im europäischen Verbund schützen - denn kein Staat in Europa wäre in der Lage, das auf sich alleine gestellt in dieser Form zu bewältigen" Wie dies mit einer Ausstiegsklausel bei "internationalen Konflikten" einhergehen könne, bleibt bislang Undefiniert.

Je lauter die Kritik, desto mehr mutiert der Regierungsnarrativ um Sky Shield zu einer reinen Beschaffungsplattform. Allein dazu bräuchte es aber keine neue Initiative, denn gemeinsame Verteidigungsforschung und -beschaffung wird bereits innerhalb der European Defense Agency oder in der Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (engl. Abkürzung PESCO) in Brüssel betrieben. Österreich nimmt z.B. bereits an 36 EDA-Projekten beteiligt. Wo der Mehrwert einer Sky Shield Beschaffungsplattform über bestehende Kooperationsmöglichkeitn ist, hat die Regierung noch nicht dargelegt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Sky Shield ist laut Aussagen von Regierungsmitgliedern eine Beschaffungsplattform, aber (zumindest) auch ein gemeinsames Datenaustauschprojekt.

a.    Welche Daten werden ausgetauscht?

b.    Werden diese Daten in Echtzeit ausgetauscht?

c.     Wie werden Daten zwischen den Mitgliedern ausgetauscht? Welche Netzwerkverlinkungen werden dazu neu gebraucht werden? Welche bestehen schon, und mit welchen Staaten und Institutionen?

d.      Werden Daten mit allen oder ausgewählten Teilnehmerstaaten ausgetauscht?

e.      Wird es eine gemeinsame Zentrale zur Datenzusammenführung geben?

f.        Wo werden ausgetauschte Daten ausgewertet? Wird es eine gemeinsame Zentrale zur Datenauswertung geben?

2.    Wie ist der Austausch von Daten über einen Angriff eines Staates auf einen anderen Staat mit der österreichischen Neutralität vereinbar? Beteiligt sich Österreich damit nicht an einem Konflikt, indem es einer Partei militärisch relevante Informationen zukommen lässt?

a.    Wird Österreich aus Gründen des Paritätsprinzips auch Sky Shield Daten mit Drittstaaten, die nicht an Sky Shield teilnehmen, teilen?

3.    Österreich beteiligt sich bereits an europäischen Beschaffungsplattformen. So war oder ist Österreich an 36 Projekten der Beschaffungsplattform European Defense Agency und an acht übergreifenden Projekten beteiligt. Warum wickelt Österreich die gemeinsame Beschaffung für Luftraumüberwachung und -Verteidigung nicht über bestehende, europäische Plattformen ab? Welche Vorteile entstehen durch die Schaffung einer neuen, nur für Luftraumverteidigung geschaffenen Initiative?

4.    Bundeskanzler Nehammer hat über Sky Shield gesagt, dass man den Luftraum nur im europäischen Verbund schützen könne, und dass kein Staat dazu alleine in der Lage sei. Wie ist das Wort "Verbund" zu verstehen, wenn Österreich keiner Verteidigungsallianz beitreten und eine Neutralitätsklausel in den Vertrag einbauen will?

5.    Ungeachtet der Aussage des Bundeskanzlers zur Verteidigung im Verbund hat die politische wie auch die militärische Führung festgestellt, dass Österreich seine Neutralität verteidigen muss, und dazu eine robustere Luftraumverteidigung benötigt als derzeit vorhanden. Die Wahrung der Neutralität in der Luft bedeutet, dass Österreich seinen Luftraum gegenüber all jenen verteidigen muss, die ihn für Kampfhandlungen gegen Drittstaaten verwenden wollen. Würde Österreich die Daten und Wirkmittel, die im Rahmen von Sky Shield erworben werden, dazu nutzen, den österreichischen Luftraum auch gegen europäische GSVP-Partner, wenn nötig mit Gewalt, zu schließen?

a.    Wenn nein, inwiefern handelt es sich bei Sky Shield nicht um ein Bündnis?

b.    Wenn ja, wie wäre ein derartiges Vorgehen mit der europäischen Solidarität unter der GSVP vereinbar?

6.    Die Bundesministerin hat von mehreren Studien über die Neutralitätskonformität von Sky Shield gesprochen. Da Studien über die Anwendung und Interpretation von Gesetz und Verfassung der Allgemeinheit zugänglich sein müssen, bitten wir um Übermittlung dieser Studien.

7.    Die Bundesministerin hat erklärt, dass gemeinsame Raketenabwehr die Neutralität deshalb nicht berührt, weil Österreich weiterhin eine eigene Luftraumüberwachung durchführen wird. Wie ist die Erkennung und Bekämpfung eines Flugzeuges neutralitätsrechtlich von der Erkennung und Bekämpfung einer Rakete oder Drohne zu trennen?

8.    Die Bundesministerin will einen Neutralitätsvorbehalt in den finalen Vertragstext inkludieren. Wie könnte ein solcher gestaltet sein? Kann Österreich sich an Datenaustausch oder gemeinsamer Verteidigung des Luftraums nur dann beteiligen, wenn Österreich gefährdet ist, bei Gefahr für die Vertragspartner aber Datenaustausch und Unterstützung versagen?

9.    Um die Neutralität zu wahren dürfen laut Brigadier Gerfried Promberger österreichische Wirkmittel immer nur österreichischem Kommando unterstehen, und nur österreichische Wirkmittel dürfen in österreichischem Luftraum zum Einsatz kommen.

a.    Ist es möglich, gegen eine ballistische Rakete erst im Zielanflug über Österreich wirksame Abwehrmaßnahmen einzuleiten?

b.    Ist es möglich, gegen eine Hyperschallrakete erst im unmittelbaren Zielanflug in österreichischem Luftraum wirksame Abwehrmaßnahmen einzuleiten?

c.     Ist es aus militärischer Sicht anzuraten, eine auf längere Zeit mit Radar verfolgte Rakete erst beim Eintritt in österreichischen Luftraum (bei der geringen Größe des österreichischen Staatsgebiets also erst unmittelbar vor Einschlag) zu bekämpfen? Wie verändert sich die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Abwehr, wenn eine Rakete erst im Endstadium des Fluges von der aktiven Abwehr erfasst wird?

d.    Da die Abwehrwahrscheinlichkeit steigt, wenn eine Rakete frühzeitig bekämpft wird, werden Staaten frühzeitig den Abschuss einer sie gefährdenden Rakete fordern. Darf Österreich eine Aufforderung z.B. Deutschlands auf Abschuss einer in Richtung Deutschland fliegenden Rakete mit Verweis auf die allein österreichische Kommandostruktur ablehnen? Würde Österreich in diesem Fall (i) das Sorgfaltsprinzip (ii) die in der GSVP eingeforderte Solidarität verletzen?