15801/J XXVII. GP

Eingelangt am 19.07.2023
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Anfrage

 

der Abgeordneten Meri Disoski, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Verhütungsgerechtigkeit für Frauen

BEGRÜNDUNG

 

„Wer das Sagen über unsere Fortpflanzung hat, entscheidet buchstäblich über Leben und Tod“[1] von Frauen. Der Zugang zu sicheren und verträglichen Verhütungsmitteln ist daher ein Menschenrecht. Es wurde erstmals 1968 auf der UN-Menschrechtskonferenz festgelegt und 1995 in der Charta der sexuellen und reproduktiven Rechte von der International Planned Parenthood Federation ausformuliert. Darin heißt es: „Alle Personen haben das Recht, eine sichere und für sie akzeptable Methode zum Schutz vor ungeplanter Schwangerschaft frei zu wählen und anzuwenden“.

Bereits 1994 hat Österreich „den ungehinderten Zugang zu möglichst sicheren, gesundheitlich verträglichen und finanziell erschwinglichen Verhütungsmethoden“ auf der UN-Weltbevölkerungskonferenz als Ziel erklärt. Die Forderung nach einem sicheren Zugang zu Verhütung findet sich auch in den „Sustainable Development Goals“ der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen, denen sich Österreich 2015 verpflichtet hat. Mit dem Ministerratsbeschluss vom 12. Jänner 2016 wurden alle Bundesministerien zur kohärenten Umsetzung der in der „Agenda 2030“ festgesetzten Ziele beauftragt – und damit auch das Ministerium für Finanzen.

Trotz dieser international verbindlichen Verpflichtungen ist Österreich noch immer eines der wenigen Länder in Westeuropa, in dem weder Verhütungsmittel noch Schwangerschaftsabbrüche von den Krankenkassen übernommen oder anfallende Kosten anderweitig finanziell erstattet werden. Während unter anderem in Frankreich, Portugal, Slowenien, Großbritannien oder jüngst sogar im rechtskonservativ regierten Italien Verhütungsmittel kostenlos angeboten werden, zählt Österreichs Verhütungspolitik zu den schlechtesten und rückständigsten in ganz Nord- und Westeuropa[2]. Insbesondere junge und/oder armutsgefährdete Menschen können ihr Recht auf eine selbstbestimmte und verantwortungsbewusste Familienplanung hierzulande oft nicht verwirklichen.

Verhütung ist nicht Frauensache. Trotzdem übernehmen 42 % der Frauen die alleinige Verantwortung für die Verhütung – doppelt so häufig wie Männer[3]. Obwohl klar ist, dass der Zugang zu sicheren Verhütungs- und Abtreibungsmöglichkeiten nicht von der Geldbörse abhängen darf, zeigen Studien, dass Frauen ihr Verhütungsverhalten ändern, wenn das Geld knapp ist. Sie weichen auf günstigere und weniger sichere Verhütungsmittel aus oder verhüten überhaupt nicht mehr – was zu ungewollten Schwangerschaften führt.

Bei der Entscheidung für eine passende Verhütungsmethode sollten aber nicht die Kosten, sondern die Verträglichkeit und Sicherheit das entscheidende Kriterium sein. Es darf nicht sein, dass Frauen in Österreich aus finanziellen Gründen keine echte Wahlmöglichkeit bei der Verhütung haben.

Wenn bei der Wahl des Verhütungsmittels als Kriterium die Verträglichkeit herangezogen wird, würden sich 60 % der Frauen in Österreich für eine hormonfreie Verhütung wie die Kupferspirale entscheiden[4]. Sie zählt wie die Hormonspirale zu den Langzeitmethoden und damit zu den wirksamsten Verhütungsmethoden. Diese schützen Frauen über viele Jahre vor ungewollten Schwangerschaften. Allerdings fallen bei dieser Verhütungsmethode Kosten in Höhe von rund 500 Euro an. Diese Kosten stellen für viele Frauen eine finanziell unbezwingbare Hürde dar. Eine Hürde, die durch die hohe Inflation immer weiterwächst. Eine Hürde, gegen die wirksame Gegenmaßnahmen gesetzt werden müssen.


Eine solche direkt wirksame Maßnahme in der Zuständigkeit des Bundesministers für Finanzen ist ein Steuererlass auf Langzeitverhütungsmittel. Bereits 2006 wurden Spiralen und Hormonimplantate per Erlass des Finanzministeriums als steuerfreie Heilsbehandlungen eingestuft und damit von der Umsatzsteuer befreit. Frauen hat diese finanzielle Erleichterung in Höhe von 20 % damals spürbar geholfen. 2014 wurde dieser Erlass jedoch zurückgenommen. Diese ausschließlich politische motivierte Fehlentscheidung gilt es dringend zu korrigieren. Das damals vom Bundesfinanzministerium angeführte Argument, wonach das Einsetzen einer Spirale nur dann eine steuerfreie Heilsbehandlung darstelle, wenn damit ein therapeutisches Ziel verfolgt würde, hat die Österreichische Ärztekammer und somit die Bundesfachgruppe Gynäkologie bereits in ihrem Einspruch vom Jänner 2015 widerlegt:

„Nahezu in allen Fällen des Einsetzens der Spirale [steht] ein therapeutisches Ziel, ein therapeutischer Zweck im Vordergrund bzw. [dient] diese Maßnahme dem Schutz und der Aufrechterhaltung der Gesundheit (das sind die vom EuGH aufgestellten Kriterien für die Umsatzsteuerfreiheit ärztlicher Leistungen). Überdies wird die Notwendigkeit der Differenzierung bzw. der Formulierung der medizinisch-therapeutischen Ziele/Zwecke im Einzelfall dem Arzt obliegen bzw. zu beträchtlichen Beurteilungsschwierigkeiten auch seitens der Finanzämter führen.“[5]

Das bedeutet: Der therapeutische Zweck einer Langzeitverhütung von Schwangerschaften ist die Verhütung von Schwangerschaften – somit ist das therapeutische Ziel klar gegeben. Nicht das Bundesministerium für Finanzen kann bestimmen, ob dieser Zweck erfüllt ist, sondern ausschließlich Fachärzt:innen. Die Ärztekammer forderte dementsprechend bereits 2015 die Fortführung des Erlasses von 2006 und damit die Umsatzsteuerbefreiung für Langzeitverhütungsmittel. Eine Forderung, die es endlich zu erfüllen gilt, um Frauen und ihre reproduktive Gesundheit in Österreich zu unterstützen und um ungewollten Schwangerschaften vorzubeugen. Eine Forderung, der die unterfertigten Abgeordneten mit dieser Anfrage Nachdruck verleihen. 

Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist in Österreich noch immer mit einem viel zu hohen finanziellen Aufwand verbunden. So kostet ein chirurgischer Abbruch zwischen 500€ und 800€, ein medikamentöser Abbruch mit der Mifegyne zwischen 350€ und 600€. Die Mifegyne kostet in der Anschaffung zwischen 90€ und 155€, Patientinnen unterliegen somit hohen und intransparenten Preisschwankungen. Hinzu kommt, dass Schwangerschaftsabbrüche in Österreich steuerlich einer Schönheitsoperation gleichgesetzt werden.  Das bedeutet: Während Mifegyne einem USt.-Satz von 20 % unterliegt, wird z.B. Viagra mit einem USt.-Satz von 10 % versehen. Gynäkologische Praxen geben diese ungerechtfertigte, höhere Steuer direkt an ihre Patientinnen weiter. Auch hier herrscht dringender Handlungsbedarf, konkret: eine Änderung des USt.-Satzes bei Schwangerschaftsabbrüchen von 20 % auf 10 %.


Obwohl „Verhütungsgerechtigkeit keine feministische Luxusforderung (ist), sondern eine überfällige Maßnahme in einer sich als gleichberechtigt verstehenden Gesellschaft,“[6] hat Österreich noch immer großen Nachholbedarf, wenn es um den niederschwelligen Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen geht. Was in vielen Staaten bereits selbstverständlich ist, muss daher endlich auch für Österreich Normalität werden: Ein kostenloser oder zumindest leistbarer Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen.

Mit einer Umsatzsteuerbefreiung auf Langzeitverhütungsmittel, die es in Österreich bereits von 2006 bis 2014 gegeben hat und mit der Änderung des Steuersatzes auf Schwangerschaftsabbrüche von 20 % auf 10 % können wir zwei wichtige Schritte gehen, um die Selbstbestimmung von Frauen, ihre reproduktive Gesundheit und ihre reproduktiven Rechte zu stärken.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Welche Maßnahmen hat das Bundesministerium für Finanzen in der XXVII. Gesetzgebungsperiode bislang für die Umsetzung der „Agenda 2030“ bezüglich Paragraph 5.6. (Zugang zu sicherer Verhütung) gesetzt?

 

2.    Welche Maßnahmen ergreift das Bundesministerium für Finanzen aktuell zur Umsetzung der „Agenda 2030“ und den dort unter Paragraph 5.6. formulierten Zielen?

 

3.    Wie rechtfertigt das Bundesministerium für Finanzen das Weiterbestehen der Umsatzbesteuerung von Langzeitverhütungsmitteln und damit die geringen zusätzlichen Steuereinnahmen im Verhältnis zur finanziellen Barriere und Belastung für einkommensgeschwächte Frauen?

 

4.    Weder das Bundesministerium für Finanzen, noch das diesem unterstellte Finanzamt verfügt über medizinisches Expert:innen-Wissen. Nach welchen Kriterien beurteilt das Bundesministerium für Finanzen also, ob ein therapeutisches Ziel (Zweck) für das Einsetzen und für die Lieferung eines Langzeitverhütungsmittel gegeben ist?

 

5.    Daran anschließend: Wie vermag das Bundesministerium für Finanzen bzw. das diesem unterstellte Finanzamt ohne medizinisches Fachwissen zu beurteilen, dass eine Umsatzsteuerbefreiung auf Langzeitverhütungsmittel nicht berechtigt ist?

 

6.    Plant das Bundesministerium für Finanzen vor den oben ausgeführten Hintergründen die Wiedereinführung der Umsatzsteuerfreiheit für Langzeitverhütungsmittel, wie sie beispielsweise von der Ärztekammer und der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung gefordert wird?

 

a.    Wenn ja, in welchem Zeitrahmen?

b.    Wenn nein, wieso nicht?

 

7.    Sowohl die AGES-Medizinaufsicht wie auch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) erkennen die Mifegyne als Standardarzneimittel an. Somit ist die Mifegyne mit 10 % zu besteuern. Mit welcher sachlichen Begründung setzt folglich das Bundesministerium für Finanzen die Mifegyne steuerlich einer Schönheitsoperation gleich? Eine solche steuerliche Einstufung hat zur Folge, dass die Mifegyne mit 20 % USt. satt mit 10 % USt. besteuert wird.

8.    Die WHO definiert Gesundheit als einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Um die Gesundheit aller zu gewährleisten und die Einhaltung der Menschenrechte voranzutreiben, müssen alle Menschen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung haben – einschließlich einer umfassenden Abtreibungsversorgung. Fehlender Zugang zu einem sicheren, rechtzeitigen, finanziell erschwinglichen und respektvollen Schwangerschaftsabbruch gefährdet nicht nur das körperliche, sondern auch das psychische und soziale Wohlbefinden von Frauen und Mädchen[7]. Wie rechtfertigt das Bundesministerium für Finanzen daher grundsätzlich die Gleichsetzung eines Schwangerschaftsabbruchs mit einer Schönheitsoperation?

 

9.    Plant das Bundesministerium für Finanzen vor den oben ausgeführten Hintergründen die Einstufung der Mifegyne in den für Arzneimittel üblichen Steuersatz von 10 % USt.?

 

a.    Wenn ja, in welchem Zeitrahmen?

b.    Wenn nein, wieso nicht?

 

10. Produkte zur Empfängnisregelung, wie die Pille, die hormonelle wie nicht-hormonelle Spirale etc. unterliegen dem Steuersatz für Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktegesetzes in Höhe von 20 % USt. Darunter fallen Produkte wie Pflaster, Fieberthermometer oder Pflegebetten. Hingegen werden alle Arzneimittel, die dem Arzneimittelgesetz unterliegen, mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 10 % besteuert:

 

a.    Wie argumentiert das Bundesministerium für Finanzen die Einstufung von Arzneimitteln zur Empfängnisregelung als Medizinprodukt und damit eine erhöhte Besteuerung von 20 % USt.?

 

b.    Plant das Bundesministerium für Finanzen die sachlich gebotene Einstufung von Arzneimitteln zur Empfängnisregelung als Arzneimittel und damit eine automatische Umsatzsteuerermäßigung auf 10 % im Sinne des Arzneimittelgesetzes?

 

                                          i.    Wenn ja, in welchem Zeitrahmen?

                                        ii.    Wenn nein, wieso nicht?

 

11. Steuerlich geltend gemacht werden können Kosten, die wegen einer Krankheit entstanden sind. Nicht geltend gemacht werden können dagegen Verhütungsmittel oder die Mifegyne (aufgrund steuerlicher Gleichsetzung mit Schönheitsoperation):

 

a.    Die WHO definiert Gesundheit als einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Auch Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche sind somit Teil der weiblichen Gesundheitsversorgung. Demnach müssen alle Kosten zum Erhalt der Gesundheit gleichrangig steuerlich geltend gemacht werden:  Wieso werden Verhütungsmittel wie die Antibabypille dennoch generell von einer steuerlichen Geltendmachung ausgeschlossen?

 

b.    Wieso ist dagegen Viagra als Arzneimittel steuerlich absetzbar, die Antibabypille als Verhütungsmittel oder die Mifegyne jedoch nicht, obwohl theoretisch alle drei Medikamente die reproduktive Gesundheit und Familienplanung betreffen?

 

c.    Für die steuerliche Geltendmachung von Krankheitskosten (Außergewöhnliche Belastungen), müssen diese erstens außergewöhnlich sein, das bedeutet, dass die Aufwendungen höher sind als beim Großteil der Steuerpflichtigen, zweitens zwangsläufig entstehen, und drittens die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen: Wieso sollten die Kosten für potenzsteigernde Mittel wie Viagra somit steuerlich absetzbar sein, die Kosten der Antibabypille als Verhütungsmittel oder des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs dagegen steuerlich nicht absetzbar sein?

 

12. Die Kosten für eine künstliche Befruchtung zählen im österreichischen Steuersystem zu den außergewöhnlichen Belastungen mit Selbstbehalt und damit zu den sogenannten Steuervorteilen, da diese finanziellen Aufwendungen von der Steuer absetzbar sind. Verhütungsmittel und Schwangerschaftsabbrüche zählen jedoch nicht dazu:

 

a.    Wie argumentiert das Bundesministerium für Finanzen diese unterschiedliche Steuereinstufung zumal sowohl die künstliche Befruchtung als auch Verhütung und der Abbruch einer Schwangerschaft gleichermaßen zu den reproduktiven Rechten und der Gesundheitsversorgung von Frauen zählen?

 

b.    In Österreich genießen Menschen mit Kinderwunsch und damit dem Wunsch zur Fortpflanzung Vorteile im Steuersystem, während Menschen ohne (akuten) Kinderwunsch steuerlich benachteiligt bzw. nicht berücksichtigt werden:

 

                                          i.    Wie argumentiert das Bundesministerium für Finanzen diese über das Steuersystem gelenkte Reproduktionspolitik?

 

                                        ii.    Welche Maßnahmen wird das Bundesministerium für Finanzen ergreifen, um diese unterschiedliche Besteuerung aufzuheben und in welchem Zeitrahmen?

 

13. Als Krankheitskosten werden Kosten für Medikamente (auch homöopathische Präparate) vom Finanzamt in der Regel akzeptiert und sind somit steuerlich absetzbar:

 

a.    Wieso fällt die Mifegyne als von der AGES-Medizinmarktaufsicht und des BASG als Standardarzneimittel anerkanntes Medikament nicht hierunter und ist somit nicht steuerlich absetzbar?

 

b.    Wieso vergibt das Bundesministerium für Finanzen Steuervorteile für homöopathische Präparate, obwohl deren gesundheitliche Wirksamkeit klinisch nicht bewiesen ist, während die klinisch bewiesene Wirksamkeit der Mifegyne bei durchschnittlich 95 % liegt, deren finanzielle Aufwendung dennoch nicht von der Steuer absetzbar ist?

 

c.    Welche Schritte wird das Bundesfinanzministerium ergreifen, um die Mifegyne als Medikament steuerlich absetzbar zu machen?

 

d.    In welchem Zeitrahmen wird das Bundesministerium für Finanzen diese Schritte setzen?



[1] Franka Frei: „Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist“, 2023

[2] https://www.derstandard.at/story/2000143566870/wenn-sex-ins-geld-geht-oesterreichs-huerden-bei-der-verhuetung

[3] https://www.derstandard.at/story/2000140245655/verhuetung-ist-frauensache-leider

[4] Österreichischer Verhütungsreport 2019.

[5]https://www.aekooe.at/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=1481&token=60cb6b63654e3a7ebc48a1aeb4ac5981df6d19a3

[6] Franka Frei: „Überfällig. Warum Verhütung auch Männersache ist“, 2023.

[7] https://www.who.int/health-topics/abortion#tab=tab_1