15826/J XXVII. GP
Eingelangt am 21.07.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Teileinstellung gegen Marsel O.
Am Abend des 02.11.2020 verübte der Islamist Kujtim F. einen Terroranschlag in der Wiener Innenstadt . Der behördenbekannte, bereits rechtskräftig nach §278a und 278b StGB Verurteilte, schoss mit einem Sturmgewehr und einer Pistole in der belebten Gegend zwischen Schwedenplatz und Hoher Markt um sich und tötete vier und verletzte 23 Menschen.
Schon kurz nach dem Terroranschlag wurde klar, dass im Innenministerium gravierende Fehler passiert waren, die auch dazu führten, dass der Terroranschlag nicht verhindert wurde. Insbesondere die Tatsache, dass die Behörden wussten, dass es einen Hinweis seitens der slowakischen Behörden zum versuchten Munitionskauf für ein Sturmgewehr gegeben hat, ist erschreckend.
Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass es eine Teileinstellung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen Marsel O. gegeben hat. Marsel O. hatte dem späteren Attentäter ein Sturmgewehr und eine Pistole übergeben. Die Teileinstellung bezog sich auf das Sturmgewehr des Typs Zastava M70, weswegen Marsel O. nur wegen Vergehens nach dem Waffengesetz zur Rechenschaft gezogen wurde.
"Weshalb es zu dem staatsanwaltschaftlichen Fehler kommen konnte, erklärte Behördensprecherin Bussek in einem längeren Telefongespräch der APA zusammengefasst wie folgt: Im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung der Terror-Nacht wurde gegen weit mehr als 30 Beschuldigte umfangreich ermittelt. Um die Staatsanwältin zu entlasten, die jahrelang engagiert und zeitintensiv die Ermittlungen leitete, wurde in einzelnen Fällen das Verfahren gegen am Rande Beteiligte ausgeschieden. Eine weitere Staatsanwältin bekam so einen Akt gegen einen Verdächtigen auf den Tisch, der - wie Bussek betonte - nichts mit dem Anschlag an sich zu tun hatte. In einem Bericht, der sich zunächst primär auf diesen Mann und offenbar auf einen Verdacht in Richtung Verstoß gegen das Kriegsmaterialgesetz bezog, tauchte erstmals der Name Marsel O. auf. Die zweite, nicht federführende Staatsanwältin bezog den Slowenen kurzerhand in ihren Akt ein. Nach Auswertung der Erhebungsergebnisse kam diese Anklägerin zum Schluss, dass gegen den ursprünglich Verdächtigen keine hinreichenden Verdachtsmomente vorlagen, um diesen weiter zu verfolgen. Sie stellte daher das Verfahren gegen ihn ein - versehentlich bezog sich die Einstellung allerdings auch auf Marsel O., was behördenintern offenbar nicht weiter auffiel und auch der in erster Linie zuständigen Staatsanwältin nicht zur Kenntnis gelangte." (https://www.diepresse.com/6293012/anschlag-in-wien-justizirrtum-im-verfahren-gegen-waffenlieferant-fuer-zadic-inakzeptabler-fehler)
Am 13.06.2023 veröffentlichte "Dossier" dann einen Artikel, der weitere vermeintliche Fehler der Justiz aufzeigte:
Nach DOSSIER-Informationen profitierte O. von dem »Irrtum« aber noch mehr, als bisher bekannt war: So soll O. laut Ermittlungen des Verfassungsschutzes einem weiteren Mann in Wien ein zweites, baugleiches Sturmgewehr zum Kauf angeboten haben. Auf diesen war das LVT über die weitreichenden Ermittlungen nach dem Anschlag gekommen. Der versuchte Verkauf des zweiten Sturmgewehrs sei ebenfalls vom zuletzt bekannt gewordenen Justizirrtum betroffen, erklärt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien gegenüber DOSSIER. Die irrtümliche Verfahrenseinstellung aus dem Jahr 2021 betraf "im Zweifel alles, was in diesem Zeitraum an Kriegsmaterial verkauft wurde". Deswegen könne Marsel O. sowohl wegen des Gewehrs im März 2020, als auch zur verkauften Attentatswaffe im Juni 2020 nicht mehr belangt werden.
Kurz nach dem Anschlag begann der Verfassungsschutz mit der Observation von Marsel O.. "Ende März 2021 erkennt der Wiener Verfassungsschutz schließlich die Dringlichkeit in Bezug auf Marsel O. In einem Anlassbericht ersucht das LVT die zuständige Wiener Staatsanwältin, eine Festnahme, einen Europäischen Haftbefehl und eine Hausdurchsuchung gegen Marsel O. anzuordnen. Doch dazu kommt es nie. Im Endbericht der Ermittlungen kommentiert das LVT die Kursänderung knapp: »Mangels konkreter Terrorismusverdachtslage« seien eine Hausdurchsuchung sowie eine Festnahme »nicht bewilligt worden«. Das Vorgehen irritiert. 30 Hausdurchsuchungen waren im Zuge der Terrorermittlungen durchgeführt und 20 Personen festgenommen worden, doch ausgerechnet bei jenem Mann, der gemeinsam mit Adam M. die Tatwaffen an den Attentäter verkauft haben soll, reicht die Verdachtslage nicht aus? Wie konnte eine "Terrorismusverdachtslage" von vornherein ausgeschlossen werden, wenn doch noch nicht zu dem Mann ermittelt worden war? Warum wurde bei dem Mann keine Hausdurchsuchung wegen des Waffenhandels, dessen er beschuldigt wurde, durchgeführt? Auch Expert:innen sind verwundert: "Von außen betrachtet ist das Aussparen des Lieferanten sehr seltsam. Noch dazu, weil die Behörden ansonsten derart breit vorgegangen sind", sagt Alexander Tipold zu DOSSIER. Tipold ist außerordentlicher Professor am Wiener Institut für Strafrecht und Kriminologie. "Ich finde es auch seltsam, dass man den Tötungsvorsatz so locker verneinte. Es ist ja keine Absicht erforderlich, es reicht ja ein Eventualvorsatz", sagt er. Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes, die die Untersuchungskommission zum Behördenversagen im Vorfeld des Anschlags federführend geleitet hat, sagt: Es sei schon auffällig, "dass man bei dem eigentlichen Waffenhändler anders vorgegangen ist als bei anderen Verdächtigen, die in die Waffenvermittlung involviert waren". Das Vorgehen der Justiz begründet die Sprecherin der Staatsanwaltschaft folgendermaßen: "Es gab keine Voraussetzungen für eine Festnahme oder Hausdurchsuchung. Es gab keine Ermittlungsergebnisse dahingehend, dass da eine terroristische Straftat dem Beschuldigten zur Last gelegt werden könnte."(https://www.dossier.at/dossiers/terror/die-akte-marsel-o/).
Auch die slowenischen Behörden unternahmen nichts dergleichen. Es kam nur zu einer Einvernahme in Maribor.
Festzuhalten ist, dass die "irrtümliche" Verfahrenseinstellung eine Verurteilung nach den Bestimmungen des Kriegsmaterialgesetzes (mit entsprechend höherem Strafrahmen) unmöglich gemacht hat und dass die Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2021 angenommen hat, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Hausdurchsuchung bzw. einer Festnahme oder die Erlassung eines Europäischen Haftbefehls nicht vorgelegen sind. Dies erweckt den Eindruck, dass die Justiz im Verfahrenskomplex "Marsel O." grobe Fehler zu verantworten hat.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. Wenn ja, hat die StA Wien eine tatbestandliche Handlungseinheit angenommen?
1. Wenn ja, wieso?
i. Wieso wird kein besonderes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung angenommen?
i. Wurden „strukturellen“ Änderungen bei der StA Wien veranlasst?
1. Wenn ja, welche genau?
ii. Wurden konkreten Schritte zur Stärkung der internen Fachaufsicht eingeleitet?
1. Wenn ja, welche genau?
iii. Sonstige Maßnahmen?
iv. Fanden dazu Gespräche innerhalb und außerhalb des Ressorts oder mit anderen Bundes- oder Landesorgangen statt?
1. Wenn ja, wann, mit wem und was war der konkrete Gesprächsinhalt?
i. Werden „strukturellen“ Änderungen bei der StA Wien veranlasst?
1. Wenn ja, welche genau?
ii. Werden konkreten Schritte zur Stärkung der internen Fachaufsicht eingeleitet?
1. Wenn ja, welche genau?
iii. Sonstige Maßnahmen?
i. Wenn ja, wann, mit wem und was war der konkrete Gesprächsinhalt?
i. Was war jeweils der Gesprächsinhalt?
i. Was war jeweils der Gesprächsinhalt?
i. Was war jeweils der Gesprächsinhalt?
i. Was war jeweils der Gesprächsinhalt?
i. Wieso wurden die Haftgründe des § 170 StPO verneint?
ii. Wieso wurden die Voraussetzungen für eine Hausdurchsuchung verneint?