15856/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.08.2023
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Gefährdungslage für Putin-kritische Personen

 

"Das System Putin gilt heute als eine Autokratie mit teils deutlichen Einschränkungen freiheitlich-demokratischer Grundrechte" (https://osteuropa.lpb-bw.de/russland-demokratie-rechtsstaatlichkeit#). Im Welt-Pressfreiheits-Index 2023 belegt Russland den 164. von 180 Plätzen (150 in 2021, 155 in 2022), sogar hinter Staaten wie Belarus oder Afghanistan, welches von den radikalislamistischen Taliban kontrolliert wird (https://rsf.org/en/index).

Alle unabhängigen Fernsehsender in Privatbesitz sind mit einem Sendeverbot belegt und kein:e Journalist:in ist vor Anklagen aufgrund vage formulierter drakonischer Gesetze sicher, die oft in aller Eile verabschiedet wurden. Der Einmarsch in die Ukraine gab diesem Prozess neuen Auftrieb und das russische Parlament hat in aller Eile Änderungen verabschiedet, nach denen "fake news" über die russischen Streitkräfte und andere im Ausland tätige russische Staatsorgane nun mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden können.

In den letzten Jahren wurde das Arsenal der systematischen Einschüchterung von Journalist:innen durch die häufige Verhängung von Geldstrafen und Kurzzeitverhaftungen unter verschiedenen Vorwänden erweitert, wobei einige Journalist:innen, vor allem auf lokaler Ebene, schwere Strafen erteilt bekamen und sogar Folter ausgesetzt waren. Den Medien droht auch die willkürliche Aufnahme in die Liste der "ausländischen Agenten", ein Status, der mit hohen bürokratischen Hürden und rechtlichen Risiken verbunden ist, sowie in die Liste der "unerwünschten Organisationen", die jede Erwähnung der ins Visier genommenen Medien - oder die Zusammenarbeit mit ihnen - unter Strafe stellt. Angesichts der zusätzlichen Risiken, die seit Beginn des Krieges in der Ukraine bestehen, haben sich viele Journalist:innen, die für unabhängige Medien arbeiten, für das Exil entschieden. Die Behörden halten den Druck auf diejenigen aufrecht, die das Land verlassen, indem sie Familienmitglieder "besuchen" oder sie in Abwesenheit verurteilen. (https://rsf.org/en/country/russia)

Der Amnesty International Report 2022/23 stellt zu Russland folgendes fest: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ging mit zunehmender Repression gegen Andersdenkende in Russland einher. Friedliche Antikriegsproteste wurden oft gewaltsam aufgelöst, und diejenigen, die sich offen gegen den Krieg aussprachen, mussten mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Es wurden neue Gesetze eingeführt, um Proteste und Aktivitäten von NGOs und zivilgesellschaftlichen Aktivist:innen zu beschneiden. (https://www.amnesty.org/en/documents/pol10/5670/2023/en/)

Die letzten zwei Jahrzehnte haben gezeigt, dass Kreml-Kritiker:innen, auch im Ausland, nicht sicher sind. Die Fälle von Anna Politkowskaja, Alexander Litwinenko, Natalja Estemirowa, Sergej Skripal sind nur die Spitze des Eisbergs. Der bekannteste Gegner von Kremlchef Putin, Alexei Nawalny war im Sommer 2020 bei einer Reise nach Sibirien mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Er wurde damals im Koma liegend nach Deutschland ausgeflogen, wo er in der Berliner Charité behandelt wurde. Laut dem Investigativnetzwerk Bellingcat steckt der russische Geheimdienst FSB hinter der Vergiftung. Der Kreml weist die Vorwürfe zurück. Navalny sitzt derzeit in Russland in Haft, wo er unmenschlich behandelt wird und trotz einer schweren Erkrankung in eine Einzelzelle verlegt wurde (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/nawalny-russland-krankheit-einzelzelle-103.html).

Der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev, tätig für Investigativplattform "Bellingcat", hat angekündigt seine Wahlheimat Österreich nach fast 20 Jahren verlassen zu wollen, weil es für ihn zu gefährlich geworden ist. Der Wochenzeitung Falter gegenüber gab er an, dass er vermute, "dass es in der Stadt mehr russische Agenten, Spitzel und Handlanger gibt als Polizisten". Grozev war dafür verantwortlich, dass nach dem Giftanschlag auf Nawalny die Attentäter aufgespürt wurden. Weiters war er auch an bedeutenden Recherchen von "Bellingcat" beteiligt. Russland hat ihn zur Fahndung ausgeschrieben (https://www.derstandard.at/story/2000143123211/investigativjournalist-christo-grozev-verlaesst-oesterreich).

Dass Russland einer der Hauptakteure der Spionagetätigkeiten in Österreich ist, ist hinlänglich bekannt und wurde im Verfassungsschutzbericht 2022 erneut bestätigt (siehe: https://www.dsn.gv.at/501/files/VSB/VSB_2022_bf_12052023.pdf) Österreich hat, verglichen zu anderen europäischen Staaten wie beispielsweise Belgien oder die Niederlande, nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine relativ wenig gegen die Spionagetätigkeiten Russlands unternommen. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben die europäischen Länder mehr als 400 russische Diplomaten ausgewiesen, die verdeckt für die russischen Geheimdienste arbeiten. (https://vsquare.org/russian-diplomatic-facilities-serve-as-sigint-nests-in-europe/) In Österreich wurden gerade einmal acht Russen zur "personae non gratae" erklärt (vier davon erst im Februar 2023) und das bei insgesamt 290 Personen, die bei der russischen Botschaft, bei den Vertretungen bei den Vereinten Nationen und bei der OSZE akkreditiert sind. (https://kurier.at/politik/inland/oesterreich-weist-vier-russische-diplomaten-aus/401965613; https://www.puls24.at/news/politik/spionageverdacht-oesterreich-weist-vier-russische-diplomaten-aus/287890) Auch scheint die heimische Spionageabwehr personell und fachlich mager ausgestattet zu sein (https://www.derstandard.at/story/2000142077678/taeglich-gruesst-der-spion-ein-seltsamer-coup-und-eine-kleine)(Zu den Spionagetätigkeiten von Russland, China, Iran, etc... haben wir NEOS am 12.05.2023 zwei parlamentarische Anfragen an das BMI und BMJ eingebracht: https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/J/15008 ; https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/J/15007). 

Spionage kann nicht nur gegen andere Staaten gerichtet sein, sondern sich auch gegen Kritiker:innen des eigenen Regimes richten, die von Spionen unter anderem ausgespäht und eingeschüchtert werden können. Es ist die Pflicht des österreichischen Staates, zu gewährleisten, dass jede Person, die in Österreich aufhältig ist, von ihrem Recht Gebrauch machen kann, die eigene Meinung zu äußern und diese im öffentlichen Raum kundzutun. Es bedarf daher seitens des BMI besonderer Vorkehrungen, um Personen, die dieses Recht ausüben bzw. ausüben wollen, dies zu ermöglichen. 


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Wurde generell von Seiten Ihres Ressorts Kontakt mit Organisationen/Aktivist:innen, die gegen das russische Regime auftreten, aufgenommen?
    1. Wenn ja, wann durch wen mit wem?
    2. Wenn ja, welche Wünsche bzw. Forderungen wurden an das BMI durch wen gerichtet?
    3. Wenn ja, wer reagierte wann durch Setzen welcher Maßnahme auf welche Wünsche bzw. Forderungen?
  1. Wurde von Organisationen/Aktivist:innen, die gegen das russische Regime auftreten, Kontakt mit dem BMI aufgenommen?
    1. Wenn ja, wann durch wen?
    2. Wenn ja, welche Wünsche bzw. Forderungen wurden an das BMI durch wen gerichtet?
    3. Wenn ja, wer reagierte wann durch Setzen welcher Maßnahme auf welche Wünsche bzw. Forderungen?
  1. Wurde eine Gefährdungseinschätzung für Aktivist:innen gegen das russische Regime vorgenommen?
    1. Wenn ja, wann durch wen? 
    2. Wenn ja, mit welchem Ergebnis jeweils wann?
    3. Wenn ja, welche Maßnahmen wurden infolgedessen durch wen und wann gesetzt?
  1. Bei welchen bisher in Österreich stattgefundenen Versammlungen wurde eine Gefährdungseinschätzung für Aktivist:innen gegen das russiche Regime vorgenommen?
    1. Wann jeweils durch wen? 
    2. Mit welchem Ergebnis jeweils wann?
    3. Welche Maßnahmen wurden infolgedessen durch wen und wann gesetzt?
  1. Wurden Vorkehrungen seitens des BMI getroffen, um die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit von Aktivist:innen gegen das russische Regime so zu gewährleisten, dass sich Aktivist:innen damit möglichst wenig Gefahr aussetzen?
    1. Wenn ja, welche Maßnahme(n) wurden wann durch wen gesetzt?
    2. Falls nein, warum nicht?
  1. Wurde bzw. wird Personenschutz für gegen das russische Regime agierende Aktivist:innen gewährt?
    1. Wenn ja, für wie viele Personen jeweils wann?
    2. Falls nein: Waren bzw. sind dafür die Ressourcen gegeben?

                                          i.    Wenn ja, in welchem Ausmaß?

                                        ii.    Wenn ja, warum wurde kein Personenschutz gewährt?

  1. Wurden bzw. werden Ermittlungen aufgrund von Anzeigen bzw. Aussagen von Aktivist:innen gegen das russische Regime vorgenommen?
    1. Wenn ja, wann aufgrund des Verdachts der Verwirklichung welches Straftatbestandes?
  1. Wurden seitens der DSN Schutzmöglichkeiten (Personen-/Objektschutz, technische Überwachung, Alarmverbindung zu einer Sicherheitsdienststelle odgl.) für Aktivist:innen gegen das russische Regime angeboten?
    1. Wenn ja, welche jeweils wann?
    2. Wenn nein, warum nicht?
    3. Falls nein: Wurde generell von Seiten Ihres Ressorts Kontakt mit potentiell bedrohten Aktivist:innen gegen das russische Regime aufgenommen?

                                          i.    Wenn ja, wann durch wen?