15858/J XXVII. GP
Eingelangt am 02.08.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Mag. Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Gefährdungslage für Kritiker:innen des Erdogan-Regimes
Unter dem türkischen Präsidenten Erdogan durchläuft die Türkei eine Autokratisierung, dies insbesondere nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 und der Einführung des Präsidialsystems 2018, mit der dem Präsidenten mehr Macht verliehen wurde. Diese Entwicklungen blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Gestaltung der türkischen Außen- und Nachbarschaftspolitik. Hier kam es zu einer immer stärkeren Verwischung der Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik. Die Außenpolitik wurde zusehends zu einer Erweiterung der Innenpolitik und ist durch die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Regierungspartei AKP und von Erdogan geleitet. Eine prononcierte Identitätspolitik positioniert Präsident Erdogan, seine Partei und die Türkei als Fürsprecherin von unterdrückten, marginalisierten Muslim:innen in der Welt.
Die Diasporapolitik zielt darauf ab, eine aktive pro-AKP Wählerschaft zu mobilisieren, dies unter anderem durch ihre vorgelagerten Vereine und Organisationen. Es wurde bspw. eine neue Institution geschaffen, die den Umgang mit türkischen Minderheiten und Diasporagemeinschaften im Ausland überwacht und koordiniert (https://www.oiip.ac.at/cms/media/kurzanalyse-parteiinteressen-und-aussenpolitik-tucc88rkei.pdf).
Nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2023 in der Türkei sagte der Soziologe Kenan Güngör, "dass die große Zustimmung für Erdogan damit zusammenhänge, dass die AKP (die Partei Erdogans, Anm.) seit zehn bis 15 Jahren eine aktive Diaspora-Politik betreibe. Außerdem würden in 85 Prozent der türkischen Haushalte in Österreich „die gleichgeschalteten türkischen Medien“ laufen" (https://orf.at/stories/3318588/).
Auch der Verfassungsschutzbericht 2022, welcher vor den türkischen Wahlen 2023 erschien, hält fest, dass türkische Politiker:innen Österreich besuchten, um unter anderem politische Vorfeld- und Lobbying-Organisationen in Österreich zu bedienen. Dabei stand der parteipolitische, auf den Wahlkampf ausgerichtete Charakter im Vordergrund. Perspektivisch sind diese Besuche bereits im Kontext des Wahlkampfes zu sehen.
"Zudem sind nachrichtendienstliche und nachrichtendienst-ähnliche Aktivitäten zu verzeichnen, die teils über bereits länger bekannte Möglichkeiten individueller Berichterstattung (zum Beispiel via Smartphone-App) hinausgehen. Quantitative als auch demographische Faktoren begünstigen Aufklärungstätigkeiten und Informationsbeschaffungen in Österreich. Im Fokus stehen dabei jene Gruppierungen, die in der Türkei als Terrororganisationen geführt werden. Die Auswirkungen dieser Aktivitäten wurden (bereits vor dem Berichtszeitraum) etwa im Zuge von Verhaftungen aus der Türkei abstammender oder türkischer Staatsbürgerinnen oder Staatsbürger in der Türkei erkennbar. Diese Verhaftungen während eines Türkei-Aufenthaltes bauen eine Art „Drohkulisse“ auf und wirken als Signal nach Österreich."
Im Bericht wird auch festgehalten, dass türkischstämmige Österreicher:innen und türkische Staatsbürger:innen in Österreich, je nach politischer Verortung, einem erhöhten Risiko der Instrumentalisierung oder Aufklärung durch einen ausländischen Nachrichtendienst unterliegen (https://www.dsn.gv.at/501/files/VSB/VSB_2022_bf_12052023.pdf).
Es ist die Pflicht des österreichischen Staates, zu gewährleisten, dass jede Person, die in Österreich aufhältig ist, von ihrem Recht Gebrauch machen kann, die eigene Meinung zu äußern und diese im öffentlichen Raum kundzutun. Es bedarf daher seitens des BMI besonderer Vorkehrungen, um Personen, die dieses Recht ausüben bzw. ausüben wollen, dies zu ermöglichen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. Wenn ja, in welchem Ausmaß?
ii. Wenn ja, warum wurde kein Personenschutz gewährt?
i. Wenn ja, wann durch wen?