15871/J XXVII. GP
Eingelangt am 03.08.2023
Dieser Text ist elektronisch
textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
des Abgeordneten Kai Jan Krainer,
Genossinnen und Genossen
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend Steuerstundungen im Insolvenzfall Kika/Leiner werden zu Kosten für die Steuerzahler:innen?
Sehr geehrter Herr Finanzminister!
Laut Medienberichten betrugen die Steuerstundungen der Kika Möbel-HandelsgmbH im September 2021 rund 20 Mio. €, bei der Rudolf Leiner GmbH waren es 39 Mio. €[1].
Gemäß Randziffer 201 der Richtlinien für die Abgabeneinhebung (RAE) sind Zahlungserleichterungsansuchen, also Stundungen oder Ratenzahlungen, nur zulässig, wenn die sofortige Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgabe nicht gefährdet ist. Das entspricht der gesetzlichen Regelung des § 212 BAO. Die RAE machen die Zulässigkeit von der Ermessenentscheidung abhängig, für die kein Raum bleibt, wenn auch nur eine der Voraussetzungen nicht erfüllt ist (RZ 202). Und weiter zum Beispiel: „Besteht bereits eine Gefährdung der Einbringlichkeit, dann ist für die Bewilligung einer Zahlungserleichterung ebenso kein Raum, wie wenn die Einbringlichkeit erst durch die Zahlungserleichterung selbst gefährdet würde“ (RZ 232). Es gibt auch noch einen Unterschied bezüglich der Abgabenrückstände nach Steuern, bei der Umsatzsteuer wird ein strengerer Maßstab angelegt werden (RZ 242), weil diese ja in der Regel vereinnahmt wurde, daher die Liquidität dem Unternehmen zur Verfügung steht.
Abweichend von § 212 Abs. 1 BAO gibt es die Möglichkeit des Covid-19- Ratenzahlungsmodells nach § 323e BAO. Die Phase 1 betrifft Abgabenschuldigkeiten zwischen 15.3.2020 und 30.6.2021, der Ratenzahlungszeitraum war bis 30.09.2022 begrenzt. Die Phase 2 betrifft jene Teile, die aus Phase 1 noch nicht vollständig entrichtet werden konnten, für diese betrifft der Ratenzahlungszeitraum zusätzliche 21 Monate - gem. § 323e Abs. 3 Z 6 muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass er diesen verbliebenen Abgabenrückstand entrichten kann.
Sie haben am 27. Juii 2022 per Verordnung BGBl II 2022/291[2] geregelt, wie der Steuerpflichtige diese Glaubhaftmachung darlegen kann. Beträgt der Abgabenrückstand weniger als 20.000 €, so reicht die Erfüllung der termingerechten und vollständigen Erfüllung der Ratenzahlungen aus Phase 1 (§ 2 der VO), beträgt der Abgabenrückstand jedoch mehr als 20.000 €, muss eine Gegenüberstellung der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben des Ratenzahlungszeitraums vorgelegt werden, zusätzlich („im Rahmen dessen“) muss dargelegt werden, wie die für die Fortführung des Unternehmens notwendigen Mittel aufgebracht werden sollen, wobei der Abgabenrückstand gesondert ausgewiesen werden muss, In dem oben zitierten Standard-Artikel vom 15.6.2023 wird auch beschrieben, dass sich die Finanzprokuratur ansehen werde, ob vom Unternehmen die Voraussetzungen für die Steuerstundungen eingehalten wurden; gleichzeitig wird aber in dem Artikel erwähnt, dass die tausenden Stundungsanträge in der Praxis aus Zeitgründen nicht einzeln geprüft werden konnten.[3]
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
(1) Wie viele Anträge der Phase 1 bzw. der Phase 2 des Covid-19-Ratenzahlungsmodells wurden vollautomatisch (per Algorithmus) genehmigt, ohne dass eine persönliche Bearbeitung durch Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung erfolgte? Bitte um summenweise und getrennte Angabe der Fallanzahl und des gestundeten Volumens nach Genehmigungsjahr und Phase.
(2) Wie viele Anträge der Phase 1 bzw. der Phase 2 des Covid-19-Ratenzahlungsmodells wurden im Rahmen einer persönlichen Bearbeitung durch Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung genehmigt? Bitte um summenweise und getrennte Angabe der Fallanzahl und des gestundeten Volumens nach Genehmigungsjahr und Phase.
(3) Wie viele Anträge wurden insgesamt für Phase 1 und Phase 2 genehmigt? Bitte um summenweise und getrennte Angabe der Fallanzahl und des gestundeten Volumens nach Genehmigungsjahr und Phase.
(4) Wie viele Anträge wurden insgesamt für Phase 1 und Phase 2 nicht genehmigt? Bitte um summenweise und getrennte Angabe der Fallanzahl und des gestundeten Volumens nach Genehmigungsjahr und Phase sowie Angabe ob ein Algorithmus oder Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung die Nicht-Genehmigung vorgenommen haben.
(5) Sind Anträge nach § 323e BAO aus Sicht der Finanzverwaltung Ermessensentscheidungen? Wenn ja, welche Kriterien gelten für die positive Erledigung?
(6) Wie viele abgabenrechtlichen Entscheidungen der Finanzverwaltung, die Ermessensentscheidungen sind, sind an einen Algorithmus ausgelagert, ohne dass Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung eingebunden sind? Bitte um Angabe des jeweiligen Paragraphen im Abgabenrecht.
(7) Ist die Auslagerung von Ermessensentscheidungen im Abgabenverfahren an ein Computer-Programm, ohne Beteiligung von Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung am bescheidmäßigen Entscheidungsvorgang, aus Sicht der Finanzverwaltung zulässig? Wenn ja, warum?
(8) Wenn ja, bis zu welcher Abgabenhöhe wurde die Auslagerung von Ermessensentscheidungen der Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung an Computer-Programme vorgegeben und IT-technisch umgesetzt?
(9) Wurden im konkreten Einzelfall der Kika/Leiner-Gruppe die Genehmigungen der Stundungs-/Ratenzahlungsanträge von Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung getroffen, oder erfolgte sie automatisiert durch ein Computer-Programm?
(10) Die Glaubhaftmachung im Rahmen von Stundungs-/Ratenzahlungsansuchen iVm mit hohen Abgabenrückstände erfolgt It. VO durch Vorlage von Unterlagen durch den Abgabepflichtigen. Werden diese Angaben automatisiert überprüft oder ausschließlich durch Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung?
(11) Werden Angaben des Abgabepflichtigen, z.B. Begründungen bei Bescheidberufungen über Finanzonline, automatisiert, oder ausschließlich durch Mitarbeiter:innen der Finanzverwaltung überprüft?
(12) Ist es denkbar, dass bei den Anforderungen an die Fortbestehensprognose und die zusätzlichen Angaben des Steuerpflichtigen, Abgabenrückstände aus den Covid- Ratenzahlungsmodellen Teil von Insolvenzforderungen werden könnten?
(13) Wie hoch sind im konkreten Einzelfall die auf die Umsatzsteuer, Ertragssteuer, Lohnsteuer etc., sowie § 212 BAO bzw. § 323e BAO entfallenden Abgabenrückstände der Kika/Leiner-Gruppe?
(14) Wie hoch sind die generell inzwischen in Insolvenzforderungen verfangenen Forderungen (Abgabenrückstände) der Finanzverwaltung aus Umsatzsteuer, Ertragssteuern, Lohnsteuer, etc., sowie § 212 BAO bzw. § 323e BAO bewilligte Stundungs-/Ratenzahlungsforderungen? Bitte um getrennte Angabe je Steuer und Jahr seit 2019 bis heute, auch um einen etwaigen Anstieg ersehen zu können.
(15) Gibt es ministeriumsintern Risikozahlen, die von möglichen Insolvenzverfahren betroffene drohende Abgabenforderungen zeitnah messen? Wenn ja, welche und sind auch jene erfasst, die Teil eines Stundungs-/Ratenzahlungsansuchens waren?
(16) Die Ratenzahlungszeiträume, insbesondere der Covid-Ratenzahlungsvarianten, gehen über sehr lange Zeiträume, in denen die Finanzverwaltung bzw. die zuständigen Sachbearbeiter:innen durch monatliche, quartals- oder jahresweise Abgabenerklärungen, Informationen erlangen, die die Glaubhaftmachung der bei dem seinerzeitigen Stundungs-/Ratenantrag gemachten Angaben überprüfbar machen. Wie geht die Finanzverwaltung generell mit tatsächlichen zeitlich nachgelagerten Abweichungen von den ursprünglich „glaubhaft“ gemachten Daten und Informationen der Abgabenpflichtigen um?
(17) Wie hat die Finanzverwaltung im konkreten Einzelfall die glaubhaft gemachten Angaben der Kika/Leiner-Gruppe überprüft, bewertet, die (Ermessens-)Entscheidung getroffen und anhand der zeitlich nachgelagerten zusätzlich vorliegenden Informationen (Betriebsprüfungen, Einschauen, Steuererklärungen und Bilanzunterlagen) geprüft? Bitte um Angabe wann Überprüfungen stattgefunden haben und was deren Ergebnis war?
(18) Im Standard-Artikel „Der Drei-Euro-Verkauf von Kika/Leiner: Signa hat sich gut abgesichert“ vom 9.6.2023 wird dargestellt, dass den am Verkauf beteiligten Unternehmen detailliert die Steuerschulden und möglichen Rückforderungen gegenüber dem Staat bekannt gewesen sein dürften. Wenn die Verträge wie berichtet am 31.5.2023 abgeschlossen wurden, sind darin auch die letzten bzw. aktuellsten Bilanzdaten enthalten. Ist es aus Sicht der Finanzverwaltung plausibel, dass ein unterjähriger Verkauf auf Grund von alten Bilanzdaten erfolgt, oder ist es nicht vielmehr naheliegender, dass eine Stichtagsbilanz und Due-Diligence-Prüfung des zum Verkauf stehenden Unternehmens erstellt wird?
(19) Liegen der Finanzverwaltung, zumal Betriebsprüfungen, Steuer- oder Förderungsprüfungen stattfinden dürften, diese unterjährigen aktuellsten Unternehmenszahlen vor?
(20) Seit wann liegen diese Daten vor, und hat sich die Beurteilung der Finanzverwaltung zu den vom Unternehmen „glaubhaft“ gemachten Informationen/Angaben seit der letzten Bilanzlegung bzw. seit der letzten Bewilligung der Stundungs-/Ratenzahlung geändert? Wenn ja, in welche Richtung?
(21) War der weniger als zwei Wochen nach dem Unternehmensverkauf gestellte Insolvenzantrag angesichts der, der Finanzverwaltung vorliegenden und bekannten, Informationen und Unterlagen überraschend? Wenn ja, warum?
(22) Wie hoch sind die gesamten im Insolvenzverfahren der Kika/Leiner-Gruppe angemeldeten Abgabenforderungen?