15925/J XXVII. GP
Eingelangt am 10.08.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Mario Lindner,
Genossinnen und Genossen,
an den Bundesminister für Inneres
betreffend „Welche Lehren ziehen Sie aus dem Hate Crime Lagebericht 2022?“
Seit 1. November 2020 werden vorurteilsmotivierte Hassverbrechen in Österreich statistisch erfasst. Seit der Einführung der statistischen Erhebung dieser so genannten Hate Crime ist ein kontinuierlicher Anstieg erkennbar: Wurden im Pilotzeitraum von November 2020 bis April 2021 noch 2.401 Hassverbrechen polizeilich erfasst, waren es zwischen Jänner und Dezember 2021 bereits 6.619 bei 5.464 vorurteilsmotivierten Straftaten. Laut dem kürzlich vorgestellten Lagebericht Hate Crime 2022 des Bundesministeriums für Inneres stieg diese Zahl zwischen Jänner und Dezember 2022 auf insgesamt 6.779 Vorurteilsmotive bei 5.865 vorurteilsmotivierten Straftaten.
Dieser Lagebericht sorgte aus verschiedenen Gründen für eine Reihe von medialen und politischen Debatten: Einerseits durch die Weigerung des Bundesministers für Inneres, seinen Pflichten gemäß dem parlamentarischen Interpellationsrecht nachzukommen und diese Zahlen in seinen Beantwortungen mehrerer parlamentarischer Anfragen offen zu legen. Andererseits durch die Art und Weise, mittels der dieser Lagebericht schlussendlich veröffentlicht wurde – durch die exklusive Berichterstattung in der Tageszeitung Österreich im Ausmaß von drei Paragraphen an einem Samstag. Eine Pressekonferenz des zuständigen Bundesministers oder weitergehende mediale Maßnahmen seitens des Ressorts gab es nicht. Wenige Stunden vor der medialen Veröffentlichung wurde der Lagebericht außerdem einer Reihe von Abgeordneten zum Nationalrat per E-Mail zugestellt.
Besonders auffallend an diesem Lagebericht ist jedoch ein statistischer Unterschied gegenüber dem Bericht des Vorjahres: Statt wie im Jahr 2021 alle angezeigten Hate Crime in den Bericht aufzunehmen, wurden bei der Darstellung des Jahres 2022 „nur solche Straftaten einbezogen, deren polizeiliche Ermittlungen bereits abgeschlossen sind“.[1] Es werden also „Straftaten mit Verdacht auf ein Vorurteilsmotiv, zu denen noch polizeilich ermittelt wird, in der vorliegenden Statistik nicht berücksichtigt“.[2] Dieser kleine, aber zentrale Unterschied zieht zahlreiche Aussagen des Lageberichts, insbesondere hinsichtlich der Steigerung von Hate Crime im Ausmaß von sieben Prozent und der Aufklärungsquote „über dem Durchschnitt der in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 erfassten Straftaten“[3] in Zweifel und zeugt von einer zutiefst unseriösen Kommunikationsweise des zuständigen Ressorts.
Diese Tatsachen, sowie der erneute Verzicht auf eine begleitende Dunkelfeldstudie – eine Maßnahme, die bereits im Pilotbericht zu Hasskriminalität 2021 von Expert*innen eingefordert wurde – zur Analyse der Dunkelziffer nicht angezeigter Hassverbrechen werfen eine Reihe wichtiger Fragen auf. So kommt im gesamten Lagebericht die Frage der Dunkelziffer nur ein einziges Mal vor (im Vorwort des Bundesministers) und es wird darüber hinaus auch vollständig auf Ableitung, Analysen und Folgemaßnahmen zur Eingrenzung von Hassverbrechen verzichtet. Es stellt sich daher leider die Frage, ob und inwieweit das Bundesministerium für Inneres den Kampf gegen Hasskriminalität überhaupt ernst nimmt.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
1. Für wie viele Hassverbrechen, die zwischen Jänner und Dezember 2022 angezeigt und polizeilich erfasst wurden, liefen zum Zeitpunkt der Fertigstellung des „Lagebericht Hate Crime 2022“ noch polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen? Bitte um Auflistung von Vorurteilsmotiv und Straftaten.
2. Sind die von Ihrem Ressort im Lagebericht getätigten Vergleiche hinsichtlich Vorurteilsmotiven, Straftaten, Aufklärungsquote etc. zwischen den Jahren 2021 und 2022 durch die bewusste Auslassung von Hassverbrechen, die sich noch im polizeilichen Ermittlungsstadium befinden, als unseriös bzw. unwissenschaftlich zu betrachten?
a. Wenn ja, warum wurden diese Vergleiche dann von Ihrem Ressort veröffentlicht?
b. Wenn nein, bitte begründen Sie Ihre Antwort hinsichtlich der unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen.
3. Um wie viel Prozent stiegen Hassverbrechen zwischen 2021 und 2022 an, wenn auch jene Hassverbrechen, die sich zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Lageberichts noch im Stadium polizeilicher Ermittlungen befanden, mit eingerechnet und damit dieselbe Berechnungsgrundlage verwendet wird?
4. Welche konkreten Schlüsse ziehen Sie aus den Ergebnissen des Lageberichts Hate Crime 2022? Bitte um detaillierte Antwort.
5. Welche finanziellen Mittel stehen in Ihrem Ressort momentan zur Bekämpfung von Hate Crime zur Verfügung?
a. Ist seitens Ihres Ressorts aktuell eine Erhöhung dieser finanziellen Mittel, insbesondere im Zuge der Verhandlungen über das Budget 2024, geplant? Wenn nein, warum nicht?
6. Welche Mittel (Budget, Planstellen etc.) stehen insbesondere der Abteilung III/S/1 (Grund- und Menschenrechtliche Angelegenheiten) im aktuellen Budgetjahr zur Verfügung? Bitte um Auflistung der entsprechenden Mittel für die Jahre 2017 bis 2023.
a. Ist eine Ausweitung der Mittel dieser Abteilung im Jahr 2024 geplant?
7. Ist in Zukunft insbesondere eine Ausweitung der Schulungen zu Hate Crime für Multiplikator*innen in Zusammenarbeit mit dem ÖIF, mit denen seit 2022 insgesamt 58 Personen ausgebildet wurden, geplant?
a. Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant?
b. Wenn nein, warum sehen Sie dazu keine Notwendigkeit?
8. Planen Sie den Lagebericht Hate Crime 2022 dem Parlament als Verhandlungsgegenstand im Sinne einer umfassenden parlamentarischen Debatte zum Kampf gegen Hasskriminalität zuzuleiten?
a. Wenn ja, wann?
b. Wenn nein, warum sehen Sie dazu keine Notwendigkeit?
9. Wie viele Fälle möglicher Hassverbrechen im Jahr 2022 wurden im Zuge der von Ihnen in der Anfragebeantwortung 14347/AB vom 16. Juni 2023 angekündigten „Qualitätskontrollen“ aus der Auswertung ausgeschlossen und damit nicht als Hassverbrechen ausgewiesen?
a. Bitte um Auflistung der Gründe für diese Umqualifizierung der jeweiligen Delikte.
10. Unterscheiden sich die im Lagebericht Hate Crime 2022 vorgelegten Zahlen zu Vorurteilsmotiven und Straftaten von jenen, die Ihrem Ressort zum Zeitpunkt Ihrer Anfragebeantwortung 13557/AB vom 31. März 2023 vorlagen?