15949/J XXVII. GP

Eingelangt am 16.08.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Bildung‚ Wissenschaft und Forschung

betreffend Schulbürokratie als Zeitfresser und Chancenräuber

 

In einer Umfrage von Peter Hajek Public Opinion Strategies unter 700 Lehrkräften haben neun von zehn Befragten angegeben, dass dringend etwas verändert gehört, um den Arbeitsalltag zu verbessern. Ebenfalls 90% der Befragten Lehrer:innen sagen, dass sie im Arbeitsalltag Tätigkeiten ausüben, die viel Zeit in Anspruch nehmen und wenig Nutzen haben. Auf die Frage, welche Tätigkeiten das sind, geben 57% der Befragten "Administration und Bürokratie" an, weitere 19% nennen "Dokumentation und Protokolle", also ebenfalls bürokratische Tätigkeiten.

Bürokratie kostet Zeit, Geld und Motivation. Die für bürokratische Tätigkeiten aufgewendete Zeit geht zulasten der individuellen Zuwendung zu den Kindern und zulasten der Vorbereitung guten Unterrichts. Bürokratie verschärft auch den Lehrkräftemangel, weil sie den Beruf zunehmend unattraktiv macht. 95% der Befragten stimmen der Aussage "LehrerInnen sind mit zu vielen Erlässen, Verordnungen und Regelungen aus Ministerium und Bildungsdirektionen konfrontiert und finden immer weniger Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben" ganz oder eher zu. 

Nicht nur die genannte Umfrage weist auf das enorme Bürokratie-Problem im Schulsystem hin, auch die Vertretung der Lehrer:innen berichtet Ähnliches: Gewerkschaftschef Paul Kimberger von der ÖVP-nahen Fraktion Christlicher Gewerkschafter klagt in einem Bericht im Portal schule.at vom 20.04.2023, dass Schulleitungen und Lehrpersonal in allen Bundesländern "in Verwaltung, Bürokratie und sinnbefreiten Abfragen versinken". Die Behörden wissen laut Kimberger teilweise überhaupt nicht, wie die Realität an den Schulen aussieht und wie hoch die Belastung der Schulleitungen und Lehrer bereits ist.

Dass es auch anders geht zeigen Länder wie der "PISA-Europameister" Estland und Finnland. Das dortige Schulsystem basiert auf Vertrauen statt Kontrolle und auf Autonomie statt Bürokratie. Eine Schulinspektion bzw. ein Top-Down Schulqualitätsmanagement sind unbekannt - die Schulen, Schulleitungen und Lehrkräfte entscheiden als wertgeschätzte Profis selbst, in welcher Weise sie Self-Assessments und Evaluationen zur eigenen Weiterentwicklung nutzen. Behörden, die mit den österreichischen Bildungsdirektionen vergleichbar wären, existieren nicht. Regulierungen und Dokumentationspflichten sind auf ein Minimum reduziert.  

All das zeigt, dass in Österreichs Schulsystem vieles zu verändern ist, damit sich Lehrer:innen voll und ganz ihrer Kernaufgabe, nämlich der Zuwendung zu den Kinder und der Gestaltung erfolgreichen Unterrichts, widmen können. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Peter Hajek unter 700 Lehrerinnen und Lehrern geht hervor, dass sich Lehrkräfte darüber beschweren, dass sie Daten mehrfach in unterschiedliche Systeme und/oder Listen eintragen müssen. Das betrifft etwa Fehlstunden und Zeugnisnoten.
    1. Ist dem BMBWF, den Bildungsdirektionen und dem IQS dieses Problem bekannt?
    2. Sind Maßnahmen geplant, um dieses Problem zu beheben?

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Weiters kritisieren Lehrer:innen, dass sie "ständig alles verschriftlichen" müssten, dass "zu viele Tätigkeiten zu protokollieren und zu dokumentieren" seien und dass Konflikte zu dokumentieren mehr Aufwand sei als sich der Lösung zu widmen.
    1. Ist dem BMBWF, den Bildungsdirektionen und dem IQS dieses Problem bekannt?
    2. Sind Maßnahmen geplant, dieses Problem zu beheben?

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Ebenso wird bemängelt, dass zu viele Formulare auszufüllen seien. Die Anlässe dafür reichen von Supplierungen über Reisekostenabrechnungen, Ansuchen für finanzielle Zuschüsse, Qualitätsmanagement bis zu standardisierten Testungen u.v.a.m. 
    1. Gibt es seitens des BMBWF, der Bildungsdirektionen und des IQS Pläne, die Anzahl und den Umfang der auszufüllenden Formulare zu reduzieren? 

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Gibt es seitens des BMBWF, der Bildungsdirektionen und des IQS Pläne, die Bearbeitung der Formulare durch Vereinfachung der Abläufe und Automatisierung (bspw. Nutzung bestehender Daten, Digitalisierung, Einsatz von Barcodes und QR-Codes etc.) zu vereinfachen?

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Lehrerinnen und Lehrer müssen - teilweise auch während des Unterrichts - viel Zeit dafür aufwenden, diverse Geldbeträge einzusammeln, zu zählen und zu verwalten. Dies betrifft unter anderem Geld für Schulmilch, Jugendrotkreuz, Materialien, Busfahrten, Museen und Theaterbesuche. Gleichzeitig müssen Eltern zu Schulbeginn lange Einkaufslisten (für Hefte, Schreib- und Zeichengeräte, Bastelutensilien etc.) abarbeiten und die Lehrer:innen die Materialien kontrollieren und Erinnerungen aussprechen, bis alle Kinder mit allem nötigen ausgestattet sind. 
    1. Gibt es Pläne seitens des BMBWF Pläne, das Einheben von Geldbeträgen zu vereinfachen und aus der Unterrichtszeit herauszulösen, indem eine elektronische Zahlungs- und Abrechnungslösung zwischen Schulen und Eltern zentral eingerichtet und bereitgestellt wird?

                                          i.    Wenn ja, inwiefern und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Gibt es seitens der Bundesregierung (insbesondere seitens der Minister:innen für Bildung, Familie und Finanzen) Überlegungen, durch eine Umschichtung von FLAF-Mitteln von Geld- zu Sachleistungen die Schulen mit allem auszustatten, was Schülerinnen und Schüler für die volle Teilhabe am Schulgeschehen benötigen und damit erstens das Einsammeln von Geldbeträgen obsolet zu machen und zweitens den Einkauf von Materialien zu bündeln und den Eltern abzunehmen?

                                          i.    Wenn ja, welche?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Lehrpersonen berichten, dass sie für zahlreiche Aktivitäten Formulare, Einverständniserklärungen u.a. auf Zetteln an die Schüler:innen verteilen und wieder einsammeln müssen. Das betrifft etwa Datenschutzformulare für den Schulfotografen und unterschiedlichste andere Dinge, zu denen Eltern ihre Zustimmung erteilen sollen.
    1. Gibt es seitens des BMBWF und der Bildungsdirektionen Pläne, einen zeit- und papiersparenden Modus für das Einholen der Elternzustimmung zu etablieren, etwa elektronisch unter Nutzung der Handysignatur bzw. ID Austria?

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Ebenfalls in der genannten Umfrage beschweren sich Lehrkräfte und Schulleitungen über "Ständige Konferenzen zu ständigen Neuerungen", "Vorgaben der Bildungsdirektion, die sich gefühlt wöchentlich ändern", "zu viele und zu lange schriftliche Informationen über Neuerungen" und "Sinnlose Schulungen vom Ministerium, redundante FH-Fortbildungen". 
    1. Gibt es seitens des BMBWF Pläne, die Regelungsdichte (und damit die Frequenz von Änderungen) zu reduzieren, indem die Autonomie der Schulen substanziell ausgeweitet wird?

                                          i.    Wenn ja, welche?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Lehrerinnen und Lehrer berichten auch, dass "Verfahren (z.B. zum SPF) immer komplizierter und aufwendiger" würden und dass bei Problemen ein "Gewirr durch verschiedene Institutionen" zu bewältigen sei.
    1. Gibt es seitens des BMBWF Pläne, Verfahren zu vereinfachen?

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Haben Sie Vorschläge, wie die Kompetenzverteilung im Bildungswesen einfacher und effizienter gestaltet werden könnte?
  1. Das Schulverwaltungsprogramm Sokrates wurde von Lehrer:innen als "mühsam und zeitaufwendig" sowie "nicht ausgereift" bezeichnet. Weiters wird bemängelt, dass Listen und Datenblätter mit Daten zu befüllen seien, die in Sokrates bereits vorhanden wären. 
    1. Gibt es seitens des BMBWF Pläne, die Funktionalität und Usability von Sokrates zu verbessern?

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

    1. Gibt es seitens des BMBWF, der Bildungsdirektionen und des IQS Pläne, die vorhandenen Daten besser zu nutzen und die neuerliche Erhebung in anderen Zusammenhängen zu vermeiden?

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Lehrerinnen und Lehrer berichten, dass sie Listen, Berichte, Förderpläne, Dokumentationen, Meldungen, Aufzeichnungen usw. zu schreiben hätten, die "nach der Niederschrift niemand mehr liest".
    1. Gibt es in BMBWF Mechanismen, um zu überprüfen, ob der Aufwand für Dokumentationen und dergleichen in einem sinnvollen Verhältnis zu deren Nutzen für die Tätigkeit der Lehrer:innen und den Lernerfolg der Schüler:innen steht?

                                          i.    Wenn ja, welche?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Bitte um Auflistung aller Umfragen und Erhebungen, die das BMBWF, die Bildungsdirektionen und das IQS seit Beginn der Legislaturperiode an die Schulen zur Bearbeitung geschickt haben.
  2. Bitte um Auflistung, welche Verwaltungssoftware-Systeme die Schulen in Österreich verwenden.
    1. Aus dem Jahr 2019 ist bekannt, dass die Schülerverwaltungssoftware Sokrates, das digitale Dienstpostsystem ISO-Web, das Bewerbungsverwaltungtool „Get your teacher“, das Unterrichtsinformationssystem GP UNTIS, das Unterrichtspersonalsystem PM UPIS und Softwaresysteme einiger Bundesländer (WISION, e*SA OÖ, ...) im Einsatz sind. Ist diese Aufzählung noch aktuell? Was hat sich ggf. geändert?
    2. Gibt es seitens des BMBWF Pläne, bspw. nach dem Vorbild Estlands, alles in ein zentrales Bildungsinformationssystem mit entsprechenden Subverzeichnissen zusammenzufassen? 

                                          i.    Wenn ja, welche und bis wann?

                                        ii.    Wenn nein, warum nicht?

  1. Gab es seitens des BMBWF in den letzten Jahren eine Erhebung über die Arbeitszeitverteilung und Arbeitsplatzsituation der Lehrerinnen und Lehrer?
    1. Wenn ja, wo sind die Ergebnisse einsehbar und welche Schlüsse wurden daraus gezogen?
    2. Wenn nein, ist eine solche Erhebung in absehbarer Zukunft geplant?
    3. Wenn abermals nein, warum nicht?