Eingelangt am 16.08.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. Martina Künsberg
Sarre, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für
Bildung‚ Wissenschaft und Forschung
betreffend Schulbürokratie als
Zeitfresser und Chancenräuber
In einer Umfrage von Peter Hajek Public
Opinion Strategies unter 700 Lehrkräften haben neun von zehn Befragten
angegeben, dass dringend etwas verändert gehört, um den Arbeitsalltag
zu verbessern. Ebenfalls 90% der Befragten Lehrer:innen sagen, dass sie im
Arbeitsalltag Tätigkeiten ausüben, die viel Zeit in Anspruch nehmen
und wenig Nutzen haben. Auf die Frage, welche Tätigkeiten das sind, geben
57% der Befragten "Administration und Bürokratie" an,
weitere 19% nennen "Dokumentation und Protokolle", also ebenfalls
bürokratische Tätigkeiten.
Bürokratie kostet Zeit, Geld und
Motivation. Die für bürokratische Tätigkeiten aufgewendete Zeit
geht zulasten der individuellen Zuwendung zu den Kindern und zulasten der
Vorbereitung guten Unterrichts. Bürokratie verschärft auch den
Lehrkräftemangel, weil sie den Beruf zunehmend unattraktiv macht. 95% der Befragten stimmen der Aussage "LehrerInnen
sind mit zu vielen Erlässen, Verordnungen und Regelungen aus Ministerium
und Bildungsdirektionen konfrontiert und finden immer weniger Zeit für
ihre eigentlichen Aufgaben" ganz oder eher zu.
Nicht nur die genannte
Umfrage weist auf das enorme Bürokratie-Problem im Schulsystem hin, auch
die Vertretung der Lehrer:innen berichtet Ähnliches: Gewerkschaftschef Paul Kimberger von der ÖVP-nahen
Fraktion Christlicher Gewerkschafter klagt in einem Bericht im Portal schule.at vom 20.04.2023,
dass Schulleitungen und Lehrpersonal in allen Bundesländern "in
Verwaltung, Bürokratie und sinnbefreiten Abfragen versinken". Die
Behörden wissen laut Kimberger teilweise überhaupt nicht, wie die
Realität an den Schulen aussieht und wie hoch die Belastung der
Schulleitungen und Lehrer bereits ist.
Dass es auch anders geht zeigen Länder
wie der "PISA-Europameister" Estland und Finnland. Das dortige
Schulsystem basiert auf Vertrauen statt Kontrolle und auf Autonomie statt
Bürokratie. Eine Schulinspektion bzw. ein Top-Down
Schulqualitätsmanagement sind unbekannt - die Schulen, Schulleitungen und
Lehrkräfte entscheiden als wertgeschätzte Profis selbst, in welcher
Weise sie Self-Assessments und Evaluationen zur eigenen Weiterentwicklung
nutzen. Behörden, die mit den österreichischen Bildungsdirektionen
vergleichbar wären, existieren nicht. Regulierungen und
Dokumentationspflichten sind auf ein Minimum reduziert.
All das zeigt, dass in Österreichs
Schulsystem vieles zu verändern ist, damit sich Lehrer:innen voll und ganz
ihrer Kernaufgabe, nämlich der Zuwendung zu den Kinder und der Gestaltung
erfolgreichen Unterrichts, widmen können.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher
folgende
Anfrage:
- Aus einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Peter Hajek unter 700 Lehrerinnen und Lehrern
geht hervor, dass sich Lehrkräfte darüber beschweren, dass sie
Daten mehrfach in unterschiedliche Systeme und/oder Listen eintragen
müssen. Das betrifft etwa Fehlstunden und Zeugnisnoten.
- Ist dem BMBWF, den
Bildungsdirektionen und dem IQS dieses Problem bekannt?
- Sind Maßnahmen
geplant, um dieses Problem zu beheben?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Weiters kritisieren
Lehrer:innen, dass sie "ständig alles verschriftlichen"
müssten, dass "zu viele Tätigkeiten zu protokollieren und
zu dokumentieren" seien und dass Konflikte zu dokumentieren mehr
Aufwand sei als sich der Lösung zu widmen.
- Ist dem BMBWF, den
Bildungsdirektionen und dem IQS dieses Problem bekannt?
- Sind Maßnahmen
geplant, dieses Problem zu beheben?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Ebenso wird
bemängelt, dass zu viele Formulare auszufüllen seien. Die
Anlässe dafür reichen von Supplierungen über
Reisekostenabrechnungen, Ansuchen für finanzielle Zuschüsse,
Qualitätsmanagement bis zu standardisierten Testungen u.v.a.m.
- Gibt es seitens des BMBWF, der
Bildungsdirektionen und des IQS Pläne, die Anzahl und den Umfang der
auszufüllenden Formulare zu reduzieren?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Gibt es seitens des BMBWF,
der Bildungsdirektionen und des IQS Pläne, die Bearbeitung der
Formulare durch Vereinfachung der Abläufe und Automatisierung (bspw.
Nutzung bestehender Daten, Digitalisierung, Einsatz von Barcodes und
QR-Codes etc.) zu vereinfachen?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Lehrerinnen und Lehrer müssen -
teilweise auch während des Unterrichts - viel Zeit dafür
aufwenden, diverse Geldbeträge einzusammeln, zu zählen und zu
verwalten. Dies betrifft unter anderem Geld für Schulmilch, Jugendrotkreuz,
Materialien, Busfahrten, Museen und Theaterbesuche. Gleichzeitig
müssen Eltern zu Schulbeginn lange Einkaufslisten (für Hefte,
Schreib- und Zeichengeräte, Bastelutensilien etc.) abarbeiten und die
Lehrer:innen die Materialien kontrollieren und Erinnerungen aussprechen,
bis alle Kinder mit allem nötigen ausgestattet sind.
- Gibt es Pläne seitens des BMBWF
Pläne, das Einheben von Geldbeträgen zu vereinfachen und aus
der Unterrichtszeit herauszulösen, indem eine elektronische
Zahlungs- und Abrechnungslösung zwischen Schulen und Eltern zentral
eingerichtet und bereitgestellt wird?
i. Wenn ja, inwiefern und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Gibt es seitens der
Bundesregierung (insbesondere seitens der Minister:innen für
Bildung, Familie und Finanzen) Überlegungen, durch eine Umschichtung
von FLAF-Mitteln von Geld- zu Sachleistungen die Schulen mit allem
auszustatten, was Schülerinnen und Schüler für die volle
Teilhabe am Schulgeschehen benötigen und damit erstens das
Einsammeln von Geldbeträgen obsolet zu machen und zweitens den
Einkauf von Materialien zu bündeln und den Eltern abzunehmen?
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Lehrpersonen
berichten, dass sie für zahlreiche Aktivitäten Formulare,
Einverständniserklärungen u.a. auf Zetteln an die Schüler:innen
verteilen und wieder einsammeln müssen. Das betrifft etwa
Datenschutzformulare für den Schulfotografen und unterschiedlichste
andere Dinge, zu denen Eltern ihre Zustimmung erteilen sollen.
- Gibt es seitens des
BMBWF und der Bildungsdirektionen Pläne, einen zeit- und
papiersparenden Modus für das Einholen der Elternzustimmung zu
etablieren, etwa elektronisch unter Nutzung der Handysignatur bzw. ID
Austria?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Ebenfalls in der
genannten Umfrage beschweren sich Lehrkräfte und Schulleitungen
über "Ständige Konferenzen zu ständigen
Neuerungen", "Vorgaben der Bildungsdirektion, die sich
gefühlt wöchentlich ändern", "zu viele und zu
lange schriftliche Informationen über Neuerungen" und
"Sinnlose Schulungen vom Ministerium, redundante
FH-Fortbildungen".
- Gibt es seitens des
BMBWF Pläne, die Regelungsdichte (und damit die Frequenz von
Änderungen) zu reduzieren, indem die Autonomie der Schulen
substanziell ausgeweitet wird?
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Lehrerinnen und Lehrer
berichten auch, dass "Verfahren (z.B. zum SPF) immer komplizierter
und aufwendiger" würden und dass bei Problemen ein "Gewirr
durch verschiedene Institutionen" zu bewältigen sei.
- Gibt es seitens des
BMBWF Pläne, Verfahren zu vereinfachen?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Haben Sie
Vorschläge, wie die Kompetenzverteilung im Bildungswesen einfacher
und effizienter gestaltet werden könnte?
- Das
Schulverwaltungsprogramm Sokrates wurde von Lehrer:innen als
"mühsam und zeitaufwendig" sowie "nicht
ausgereift" bezeichnet. Weiters wird bemängelt, dass Listen und
Datenblätter mit Daten zu befüllen seien, die in Sokrates
bereits vorhanden wären.
- Gibt es seitens des
BMBWF Pläne, die Funktionalität und Usability von Sokrates zu
verbessern?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Gibt es seitens des
BMBWF, der Bildungsdirektionen und des IQS Pläne, die vorhandenen
Daten besser zu nutzen und die neuerliche Erhebung in anderen
Zusammenhängen zu vermeiden?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Lehrerinnen und Lehrer
berichten, dass sie Listen, Berichte, Förderpläne,
Dokumentationen, Meldungen, Aufzeichnungen usw. zu schreiben hätten,
die "nach der Niederschrift niemand mehr liest".
- Gibt es in BMBWF
Mechanismen, um zu überprüfen, ob der Aufwand für
Dokumentationen und dergleichen in einem sinnvollen Verhältnis zu
deren Nutzen für die Tätigkeit der Lehrer:innen und den
Lernerfolg der Schüler:innen steht?
i. Wenn ja, welche?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Bitte um Auflistung
aller Umfragen und Erhebungen, die das BMBWF, die Bildungsdirektionen und
das IQS seit Beginn der Legislaturperiode an die Schulen zur Bearbeitung
geschickt haben.
- Bitte um Auflistung,
welche Verwaltungssoftware-Systeme die Schulen in Österreich
verwenden.
- Aus dem Jahr 2019 ist
bekannt, dass die Schülerverwaltungssoftware
Sokrates, das digitale Dienstpostsystem ISO-Web, das Bewerbungsverwaltungtool „Get
your teacher“, das Unterrichtsinformationssystem
GP UNTIS, das Unterrichtspersonalsystem PM UPIS und Softwaresysteme einiger
Bundesländer (WISION, e*SA
OÖ, ...) im Einsatz sind. Ist diese
Aufzählung noch aktuell? Was hat sich ggf. geändert?
- Gibt es seitens des
BMBWF Pläne, bspw. nach dem Vorbild Estlands, alles in ein zentrales
Bildungsinformationssystem mit entsprechenden Subverzeichnissen
zusammenzufassen?
i. Wenn ja, welche und bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
- Gab es seitens des
BMBWF in den letzten Jahren eine Erhebung über die
Arbeitszeitverteilung und Arbeitsplatzsituation der Lehrerinnen und
Lehrer?
- Wenn ja, wo sind die
Ergebnisse einsehbar und welche Schlüsse wurden daraus gezogen?
- Wenn nein, ist eine
solche Erhebung in absehbarer Zukunft geplant?
- Wenn abermals nein,
warum nicht?