15997/J XXVII. GP

Eingelangt am 23.08.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Soziales‚ Gesundheit‚ Pflege und Konsumentenschutz

betreffend "Neue-Gentechnik": Risikoeinschätzung und Position des Ministers?

 

Vor kurzem hat die EU-Kommission Richtlinien für eine gesetzliche Neuregelung für den Umgang mit neuen Methoden der Pflanzenzüchtung veröffentlicht. Sie folgt damit der Notwendigkeit, die rasante Entwicklung auf dem Gebiet zu berücksichtigen, denn mit der Genschere CRISPR/Cas können präzise Veränderungen in der DNA Sequenz pflanzeneigener Gene (Mutationen) erzielt werden, ohne Fremd-DNA in das Genom einzubauen. Durch Gen-Editierung, geplante Mutationen an genau definierten Stellen im Genom, können Pflanzen neue Eigenschaften erhalten, z.B. Resistenzen gegen Schädlinge oder Stress, stärkeres Wurzelwachstum, bessere Inhaltsstoffe, weniger Schadstoffe oder bessere Verarbeitung. Das sind ähnliche Ziele wie in herkömmlichen Züchtungsvorhaben, bei denen man allerdings auf die zufällige Entstehung passender Mutationen angewiesen ist und ungewünschte Mutationen aussortieren muss.

Die Art der CRISPR-erzeugten Mutationen entspricht denen aus etablierten Mutagenese-Verfahren, und es gibt es keine molekularbiologischen Nachweise, die zwischen den beiden Methoden eindeutig unterscheiden können. Zusätzlich zu den Vorhaben der konventionellen Züchtung ermöglicht das CRISPR-Verfahren auch neue Züchtungsziele: so können vorteilhafte Mutationen aus Wildpflanzen oder Landrassen in Elitesorten „kopiert“ werden, womit die Biodiversität der Kulturpflanzen zur wichtigen Ressource wird. CRISPR ermöglicht außerdem, alle Kopien eines Gens gleichzeitig zu verändern, was bei vervielfältigten Genomen wie denen in den meisten Kulturpflanzen besonders wichtig ist.

Durch mehr als 600 wissenschaftliche Veröffentlichungen ist das hohe Potential der Methodik für Verbesserungen in einem breiten Spektrum an Pflanzenarten bereits belegt. (1) Die höhere Präzision der Mutationserzeugung ohne den Verbleib transgener Sequenzen im Genom und die den konventionellen Verfahren vergleichbaren Mutationstypen bieten keine wissenschaftlich fundierten Argumente mehr für die Annahme, dass von gen-editierten Pflanzen ein höheres Risiko für Konsum oder Verarbeitung ausgeht als bei konventionell gezüchteten Sorten. In Europa unterliegen allerdings bisher alle Produkte der CRISPR Verfahren den Zulassungsregulierungen für gentechnisch veränderte Organismen (GVO), im Gegensatz zu den Regeln in den meisten großen Agrarnationen wie USA, Kanada, China, Brasilien, Argentinien, oder Indien. Während Europa maßgebend an Forschung und Entwicklung beteiligt war und noch ist, zeichnet sich jedoch ab, dass Expertise und Wettbewerbsvorteile durch die bisherige Regelung bedroht sind. Deshalb sehen die vorgeschlagenen neuen Richtlinien vor, alle Pflanzen, in denen die Gen-Editierung Mutationen verursacht hat, deren Art und Ausmaß theoretisch auch durch konventionelle Verfahren hätten entstehen können, von der GVO-Regelung auszunehmen und von der Kennzeichnungspflicht zu befreien.

Führende wissenschaftliche Institutionen in Österreich wie die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die Universität Wien, die Universität für Bodenkultur oder das IST Austria unterstützen diesen Vorschlag und sehen in dem Einsatz der neuen Züchtungsmethoden einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft durch präzisere, schnellere und kostengünstigere Pflanzenzüchtung, zur qualitativen Verbesserung pflanzlicher Produkte und zur Ertragssteigerung, besonders auch unter den Folgen des Klimawandels. (2) Der Verzicht auf den Einsatz der Gen-Editierung bei Pflanzen in Europa oder die international ausgesprochen strengen Bedingungen bei Freisetzen und Inverkehrbringen von GVO würden langfristig die Nahrungsmittelsicherheit durch neue Abhängigkeiten von außereuropäischen Lieferketten gefährden und die einschlägige Forschung strukturell aus Österreich verdrängen. Gerade letzteres ist notwendig. Österreich benötigt ein Mehr an Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung in dem Bereich, eine ausreichende Unterstützung der Forschung und die Beseitigung der Hürden für Freilanderprobung und das Inverkehrbringen in Europa, einschließlich Österreich.

(1) https://www.eu-sage.eu/genome-search

(2) https://www.oeaw.ac.at/news/gruene-gentechnik-offener-brief-fuer-eine-wissenschaftsbasierte-beurteilung

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Im Gentechnikgesetz-GTG werden die Rahmenbedingungen für die Freisetzung von GVO und das Inverkehrbringen von Erzeugnissen definiert.
    1. Wie viele Anträge zur Freisetzung von GVO im Rahmen des Gentechnikgesetz – GTG, gestellt von Universitäten oder Forschungseinrichtungen laut FoFinag hat das Ministerium seit 2001 erhalten?
    2. Wie viele wurden abschlägig behandelt, wie viele positiv beschieden?
  1. Plant das Ministerium eine Änderung des Gentechnikgesetz – GTG, insbesondere bei den Bedingungen des Freisetzens von GVO und des Inverkehrbringens von Erzeugnissen?
  2. Die EU-Kommission hat ihren Verordnungsvorschlag der EU-Kommission “On plants obtained by certain new genomic techniques and their food and feed, and amending Directives 68/193/EEC, 1999/105/EC, 2002/53/EC, 2002/55/EC, and Regulation (EU) 2017/625“ veröffentlicht.
    1. Wird das Ministerium diesen Verordnungsvorschlag unterstützten?
    2. Wenn nein, anhand welcher wissenschaftlichen Studien oder Erkenntnisse begründen sie die Ablehnung?
  1. Im Falle einer Ablehnung des Verordnungsvorschlags:
    1. Warum erachten sie die Mutagenese mittels Bestrahlung oder chemischer Methoden, die schon von der RL 2001/18/EG ausgenommen waren, als weniger ablehnungswürdig als Veränderungen die durch CRISPR/Cas oder ähnlichen Methoden der NGT erfolgen können. Oder umgekehrt gefragt: Worin sehen sie die Gefahren der Verfahren der Genomeditierung?
  1. Ein wesentliches Argument der bisher öffentlich gemachten Skepsis gegenüber einer Veränderung der bestehenden RL 2001/18/EG (siehe Gemeinsame OTS von FBM Gewessler, HBM Totschnig und HBM Rauch vom 05.07.2023) ist der Entfall der Kennzeichnungspflicht von genomeditierten Pflanzen und der daraus gewonnen Endprodukte. Damit wird die Wahlfreiheit der Konsument:innen bei Endprodukten im Handel als gefährdet angesehen.
    1. Warum fordern sie dann aber nicht die Kennzeichnungspflicht jeglicher mutagen veränderter Pflanzen, unabhängig davon, ob die Züchtung durch chemische Stoffe, radioaktive Bestrahlung, genomeditierter Verfahren oder sonstige Züchtungsmethoden erreicht wird?
    2. Aufgrund welcher Studien oder welcher wissenschaftlicher Argumente wird bei der einen Methode (CRISPR/Cas) für Kennzeichnung plädiert und bei anderen Züchtungsmethoden nicht? Bitte um Quellen- und Studienangaben.
  1. Unabhängig vom angesprochenen Verordnungsvorschlag der EU Kommission wird der Gentechnik eine wachsende Bedeutung zukommen, sowohl als sogenannte rote Gentechnik mit Anwendung in der Medizin und Pharmazeutik als auch als grüne Gentechnik mit den Einsatzgebieten Pflanzenzucht und Lebensmitteltechnologie.
    1. In welchem Ausmaß fördern sie durch gezielte Programme die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung in den Bereichen der roten und grünen Gentechnik.
    2. Welche Forschungsförderagentur (nach FoFinag) ist mit der Abwicklung einschlägiger Programme betraut?
    3. Welches finanzielle Volumen kommt jährlich der Forschung zugute?
  1. Die Zulassung der Genomeditierung dürfte auch weitreichende Folgen für die österreichische Landwirtschaft und insbesondere für den Bio-Sektor mit sich bringen. Werden landwirtschaftliche Aspekte bei den Überlegungen und Bewertungen des Ministers zur NGT mitberücksichtigt? 
    1. Welche Position nimmt der Minister in Bezug auf NGT unter dem Aspekt der Landwirtschaft ein? Wie wird diese Position begründet?
    2. Gab es bereits einen Austausch mit dem Landwirtschaftsminister und wenn ja, welche gemeinsamen Positionen wurden bisher erarbeitet?