16014/J XXVII. GP

Eingelangt am 30.08.2023
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Anfrage

der Abgeordneten Christian Oxonitsch, Reinhold Einwallner
Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend „ethische und rechtsstaatliche Aspekte in der Asylpolitik: Österreichs Kooperationen und Zurückweisungen.“

Am Montag, den 01.08.2023, präsentierten Innenminister Gerhard Karner und Karoline Preißer, Vizedirektorin des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA), in einer Pressekonferenz die aktuellen Zahlen zu Asylanträgen und Außerlandesbringungen von Migrant*innen und Schutzsuchenden für das erste Halbjahr 2023.

Die Zahl der neuen Asylanträge ist in den ersten sechs Monaten 2023 um 29 Prozent im Vergleich zu ersten Halbjahr 2022 gesunken. Im Juni seien die Zahlen sogar um 50 Prozent zurückgegangen. 28.000 Personen haben das Land wieder verlassen und etwa 23.000 Asylanträge wurden neu eingebracht. Die Zahl der Außerlandesbringungen ist im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen und es wurden 60 Prozent mehr Asylentscheidungen getroffen.

Allerdings fällt auf, dass bei den 5.872 Außerlandesbringungen hauptsächlich Personen mit slowakischer, serbischer oder rumänischer Staatsangehörigkeit betroffen waren. Die neue Zusammenarbeit mit Marokko führte zu einer dreifachen Steigerung der Außerlandesbringungen marokkanischer Staatsbürger*innen im Vergleich zum Vorjahr.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die gesunkenen Asylantragszahlen sei die verstärkte Kooperation der österreichischen Exekutive mit den Behörden anderer europäischer Länder. Durch die Einrichtung der österreichischen Polizeieinheit "Fox" mit 31 Beamt*innen, die auf ungarischem Boden eingesetzt werden, wurden 1.000 Migrant*innen daran gehindert einzureisen. Von Menschenrechtsorganisationen und Asylrechtsexpert*innen wird diese Kooperation seit ihrer Einführung überaus kritisch beurteilt. Gegen die Länder, mit denen das Innenministerium zunehmend kooperiert, Ungarn, Bulgarien, Griechenland gibt es regelmäßig schwere Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen und illegalen Pushbacks[1]. Der Europarat mahnte jene Staaten bereits mehrmals[2]. Die Europäische Kommission hat Ungarn aufgrund seiner Asylpolitik bereits mehrmals kritisiert und auch rechtliche Schritte eingeleitet[3]. Auch in Österreich gab es zuletzt eine höchstgerichtliche Verurteilung in Bezug auf das Grenz- und Asylmanagement österreichischer Beamt*innen[4]. Es muss daher eingehend geprüft werden, wie diese Zahlen zustande kommen und ob die Menschenrechte dennoch konsequent eingehalten werden.

 

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE

1.       Wie viele dieser sogenannten „Eil- oder Schnellverfahren“ wurden im ersten Halbjahr 2023 durchgeführt?

a.       Liegen wir richtig, dass es sich bei den von Ihnen benannten „Eil- oder Schnellverfahren“ um ein „beschleunigtes Verfahren“ (nach §27a AsylG) handelt?

b.       Besteht ein Unterschied zwischen den im Jahr 2020 eingeführten "Schnellverfahren" und den aktuell genannten und durchgeführten "Eil- oder Schnellverfahren"?

c.       Im „beschleunigten Verfahren“ muss längstens innerhalb von 5 Monaten entschieden werden. Welche Faktoren haben dazu geführt, dass sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dementsprechend verkürzt hat?

d.       Was hat sich hinsichtlich der Abläufe in diesen „Eilverfahren“ geändert? Welche Maßnahmen (im Hinblick auf Personal, Ablauf, internationale Zusammenarbeit) haben Sie konkret ergriffen, um Asylverfahren derart zu beschleunigen?

e.       Bei wie vielen „beschleunigten“ Verfahren wurde der von Ihnen genannte Zeitraum von 36 Tagen nicht überschritten?

f.        Wie lange war die durchschnittliche Dauer dieser „Eilverfahren“?

g.       Wo wurden diese Verfahren durchgeführt?

h.       Gegen wie viele dieser „Eilverfahren“ wurde Beschwerde erhoben?

i.         Was waren die Gründe der Beschwerde? Bitte um eine tabellarische Auflistung nach Gründen und Herkunftsländern.

j.         In §18 (1) BFA- Verfahrensgesetz werden Gründe für das Beschleunigte Verfahren genannt. Welche Fälle waren im vergangenen halben Jahr gegeben. Bitte um eine tabellarische Auflistung.

k.       Wie viele Rücküberstellungen in EU-Länder gab es am Ende der "Eilverfahren" gemäß der Dublin-II-Verordnung? Bitte um eine zahlenmäßige Auflistung nach Ländern.

2.       Wie konnten Sie die Zahl der erledigten Asylverfahren um 60 Prozent steigern, und welche Schritte wurden unternommen, um diese gesteigerte Zahl zu erreichen?

3.       In Ihrer PK vom 31.08.2023 betonen Sie, dass kein gewaltsames Zurückdrängen an den Grenzen stattfinde, allerdings fänden rechtskonforme Zurückweisungen statt.

a.       Auf welcher Rechtsgrundlage finden diese Zurückweisungen statt?

b.       Falls die Zurückweisungen wie angenommen auf Grundlage von § 41 FPG stattfinden, wie rechtsfertigen Sie, dass es für diese Personen kein ordentliches Asylverfahren gibt?

c.       Wie wird sichergestellt, dass bei den rechtskonformen Zurückweisungen nach Ungarn oder anderen Nachbarländern Personen, die keinen Asylantrag in Österreich gestellt haben, kein Recht auf Asyl in Österreich gehabt hätten?

d.       Werden solche Zurückweisungen zahlenmäßig erfasst? Wenn ja, bitte um die Darstellung dieser Zahlen.

e.       Bitte erklären Sie im Detail, wie diese „gewaltfreien“ Zurückweisungen aussehen und nach welchen Vorgaben die Beamt*innen handeln?

f.        Auf Basis welcher Gründe/Merkmale fanden diese Zurückweisungen statt? Bitte um eine Auflistung der Gründe.

g.       Oder wurde diesen Personen nur geraten keine Asyl in Österreich anzusuchen? Aufgrund welcher Merkmale werde diese Personen ausgesucht?

h.       In welche Nachbarländer wurden Personen zurückgewiesen? Bitte um eine Auflistung der Anzahl der Zurückweisungen nach Ländern.

4.       Was sind die Hauptgründe für den 50-prozentigen Rückgang der neuen Asylanträge im Juni 2023?

a.       Wurden von Ihrer Seite aus weitere Maßnahmen ergriffen, um die Asylanträge im Juni speziell weiter zu senken?

b.       Wenn ja, welche waren das?

5.       Da Österreich nach Ungarn rückschiebt und Ungarn oftmals ohne ein Asylverfahren nach Serbien abschiebt und Serbien weiter nach Bulgarien, kann es leicht zu einer Kettenabschiebung kommen. Solche sind nach Unionsrecht nicht erlaubt. Wie können Sie sicherstellen, dass bei den Zurückweisungen nach Ungarn solche Kettenabschiebungen nicht zustande kommen?

a.       Haben Sie Maßnahmen ergriffen, um Kettenabschiebungen zu verhindern?

b.       Stehen sie diesbezüglich mit politischen Vertreter*innen aus Ungarn in Kontakt?

6.       Was unternehmen Sie, um sicherzustellen, dass bei der Zusammenarbeit mit Ungarn und anderen Ländern ethische und rechtsstaatliche Aspekte gewahrt werden?

7.       Wie sieht die Kooperation mit Marokko im Detail aus? Welche Abmachung hat dazu geführt, dass dreimal so viele Ersatzreisedokumente für die Rückkehr eigener Staatsbürger*innen im ersten Halbjahr ausgestellt wurden?

8.       Wie erklären Sie Ihre Aussage, dass „Pushbacks“ nur dann illegal sind, wenn sie unter Gewaltanwendung erfolgen, obwohl es rechtliche Urteile wie das des Landesverwaltungsgerichts Steiermark gibt, die österreichische Beamte auch für eine „gewaltfreie“ Praxis der Ausweisung verurteilen, weil jeder Mensch das Recht auf die Prüfung des eigenen Asylantrags hat? [5]

a.       Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um zukünftige Fälle illegaler Zurückweisungen, bei denen betroffene Personen keine Prüfung ihres Asylantrags erfahren haben, zu verhindern?

9.       Gemäß einem Entscheid des Verwaltungsgerichtshofs vom 19.05.2022 wurde festgestellt, dass "Pushbacks" an der Grenze zu Slowenien "des Öfteren" bzw. "methodisch" angewendet werden[6]. Haben Sie inzwischen Maßnahmen eingeleitet, um dieser illegalen Praxis entgegenzuwirken?

10.   Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um zu garantieren, dass Menschenrechte gewahrt werden und Österreich weder direkt noch indirekt an Menschenrechtsverletzungen und illegalen Pushbacks in den Grenzländern beteiligt ist?

a.       Stehen Sie diesbezüglich in Verhandlungen mit politischen Verantwortlichen aus Ungarn?

b.       Sind menschenrechtliche Standards fester Teil der Verhandlungen mit anderen Staaten?

c.       Haben Sie die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen auf ungarischem Staatsgebiet in ihre letzten Treffen in Bezug auf Kooperation in der Asylpolitik angesprochen?

d.       Welche Verbesserungen in diesem Bereich sind geplant, um die rechtsstaatlichen Standards auch in den Grenzgebieten konsequent einzuhalten?

 



[1] Fast ein Drittel weniger Asylanträge – auf Kosten der Menschenrechte? - International - derStandard.de › International

[2] Menschenrechte auch beim EU-Grenzschutz einfordern - Martin Tschiderer - derStandard.at › Diskurs

[3] EuGH zu Migration: Ungarns Asylverfahren vor Gericht - ZDFheute

[4] Verwaltungsgerichtshof bestätigte Urteil über illegalen Pushback nach Slowenien - Flüchtlinge - derStandard.at › Panorama

[5] „Postfaktisch“: Kritik an Karners Pushback-Aussage - news.ORF.at

[6] Österreichischer Verwaltungsgerichtshof - § 41 FPG: Rechtswidrige Zurückweisungen von Asylwerbern an der Grenze zu Slowenien (vwgh.gv.at)