16048/J XXVII. GP
Eingelangt am 30.08.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
ANFRAGE
des Abgeordneten Christian Hafenecker, MA
an die Bundesministerin für Landesverteidigung
betreffend Schützt uns Sky Shield auch vor NATO-Raketen?
Der Alleingang der Bundesregierung und insbesondere des Verteidigungsministeriums betreffend des Beitritts Österreich zur European Sky Shield Initiative (ESSI) wirft nicht nur gravierende sicherheitspolitische Fragen auf, die bis heute nicht geklärt wurden, er stellt auch einen deutlichen Angriff auf unsere verfassungsmäßig garantierte, immerwährende Neutralität dar. Daran ändert auch eine eilig zusammengezimmerte Zusatzerklärung der Bundesregierung betreffend unsere Neutralität zum „Sky Shield“-Abkommen nichts, die lediglich einer rechtlich unverbindlichen Absichtserklärung gleichkommt. Das sieht auch der renommierte Völkerrechtsexperte Prof. Dr. Michael Geistlinger so. Die Mitgliedschaft Österreichs bei „Sky Shield“ sei ein großes Problem und ein Bruch des Völkerrechts:
Es ist mit dem völkerrechtlichen Status Österreichs als immerwährend neutraler Staat unvereinbar und bedeutet damit einen Neutralitätsbruch und zugleich Völkerrechtsbruch. Österreich würde damit seine Verteidigungspolitik in Fragen Raketenabwehr und Luftraumüberwachung einseitig und hauptsächlich gemeinsam mit Staaten des Militärbündnisses NATO gegen Nicht-NATO-Staaten ausrichten, NATO-kompatible und gegen Nicht-NATO-Staaten gerichtete Waffen- und damit in Zusammenhang stehende Überwachungssysteme erwerben, beziehungsweise sich daran beteiligen und würde indirekt Teil eines Militärbündnisses, dem es aufgrund seines Neutralitätsstatus nicht zugehören darf.[1]
Unklar ist, wie Österreich im Ernstfall autonom agieren kann - oder eben von NATO-Entscheidungsstrukturen abhängig ist. Denn in Krisenfällen entscheiden oftmals Sekunden und logistisch-geografische Begebenheiten. Ebenso wurde nicht kommuniziert und dargelegt, wie sich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner das Einbringen des österreichischen Luftraum-Überwachungssystems „Goldhaube“ in das „Sky Shield“-System vorstellt und mit der Neutralität für vereinbar hält. Denn dies würde nichts anderes bedeuten, als dass in diesem Bereich unsere militärische Infrastruktur auch für NATO-Staaten genutzt und Österreich dadurch de facto indirekt zu einem Teil dieses Militärbündnisses werden würde. Die Einbringung der „Goldhaube“ würde zudem auch ganz klar bedeuten, dass im Falle der Verwicklung eines anderen an „Sky Shield“ beteiligten Staates in eine kriegerische Auseinandersetzung unsere österreichischen Radaranlagen zu einem Hochwert-Angriffsziel werden könnten.
Ein weiteres Indiz für dieses reine „NATO-Projekt“ und damit einem indirekten Beitritt Österreichs zum Nordatlantikpakt liefert die Entstehungsgeschichte von „Sky Shield“. Denn von den ursprünglich 15 europäischen Staaten, die eine Erklärung zu dieser Initiative im Oktober 2022 im Brüsseler NATO-Hauptquartier unterzeichneten, waren mit Ausnahme des erst 2023 beigetretenen Finnland, das zu diesem Zeitpunkt einen Beobachterstatus hatte, alle Länder zumindest seit 2004 Mitglied der NATO.[2] Ein von der Bundesregierung offenbar völlig ignoriertes, aber nicht unwichtiges Detail am Rande bildet wiederum die Tatsache, dass gewichtige NATO-Staaten wie Frankreich, Polen, Italien und Spanien der „Sky Shield“-Initiative erst gar nicht beigetreten sind und offenbar berechtigte Zweifel an diesem System hegen. Warum sollte dann ausgerechnet das neutrale Österreich mitmachen?
Sollte „Sky Shield“ letzten Endes tatsächlich in Österreich zur Anwendung kommen, bleibt noch die Frage, wovor dieses System im Ernstfall konkret schützt und was oder wer von diesem Schutz ausgenommen ist. Denn zumindest in der Theorie könnten bei einer kriegerischen Auseinandersetzung rund um Österreich auch NATO-Raketen auf unserem Staatsgebiet einschlagen. Darf „Sky Shield“ dann überhaupt davor „schützen“?
In diesem Zusammenhang stellt der unterfertigte Abgeordnete an die Bundesministerin für Landesverteidigung folgende
Anfrage
1. Wie wird sichergestellt, dass die Bundesregierung im Ernstfall die Hoheit über den Einsatz von Abwehrwaffen über österreichischem Staatsgebiet hat?
a. Wie wollen Sie konkret Zweifel an der österreichischen Autonomie bei dieser Art der Luftraumverteidigung ausräumen (bitte um Erläuterung)?
2. Was genau beinhalten die „neutralitätsrechtlichen Vorbehalte“ in der Zusatzerklärung zur Absichtserklärung?
a. Wie sollen diese im konkreten Fall umgesetzt bzw. garantiert werden?
3. Wie kann das Verteidigungsministerium sicherstellen, dass im Rahmen der Teilnahme an „Sky Shield“ österreichische Radaranlagen und andere militärische Infrastrukturen nicht Ziel von Angriffen werden, sollte ein anderer „Sky Shield“-Teilnehmerstaat in einen kriegerischen Konflikt eintreten?
4. Wie soll die Integration des Luftraum-Überwachungssystems „Goldhaube“ in „Sky Shield“ konkret ablaufen?
a. Welche Ressourcen und Infrastrukturen werden dafür anderen NATO-Staaten bereitgestellt?
b. Wie ist dieses Vorgehen mit der immerwährenden Neutralität vereinbar?
c. Wie kann das Verteidigungsministerium sicherstellen, dass im Rahmen der Integration von „Goldhaube“ in „Sky Shield“ österreichische Radaranlagen und andere militärische Infrastrukturen nicht Ziel von Angriffen werden, sollte ein anderer „Sky Shield“-Teilnehmerstaat in einen kriegerischen Konflikt eintreten?
5. Schützt „Sky Shield“ im Zuge einer kriegerischen Auseinandersetzung auch vor NATO-Raketen, NATO-Drohnen oder ähnlichem, die möglicherweise im Staatsgebiet einschlagen würden?
a. Wenn ja, wie konkret?
b. Wenn nein, warum nicht?
6. Kann das Verteidigungsministerium Angaben dazu machen, warum sich wichtige NATO-Staaten wie Frankreich, Polen, Italien und Spanien der European Sky Shield Initiative (ESSI) nicht angeschlossen haben?
a. Wurden etwaige Bedenken dieser Staaten zur ESSI eingeholt, evaluiert und/oder in den Entscheidungsprozess zum österreichischen Beitritt miteinbezogen?
7. Was ist der gegenwärtige Stand der Verhandlungen hinsichtlich einer gemeinsamen Beschaffung im Rahmen der ESSI?
a. Von welchen Staaten, die sich ESSI angeschlossen haben, liegen bisher Beschaffungsanfragen vor?
b. Ab wann erwartet die Bundesregierung die ersten gemeinsamen Beschaffungen?
8. Wurde der Bundesregierung respektive dem Verteidigungsministerium ein Kostenmodell zur gemeinsamen Beschaffung im Rahmen der ESSI vorgelegt?
a. Wenn ja, ist dieses öffentlich einsehbar und wo?
b. Wenn nein, warum nicht?
9. Ist mit der „European Sky Shield Initiative“ auch der Aufbau eines eigenen europäischen Raketenabwehrsystems verbunden?
a. Wenn ja, wird sich Österreich daran beteiligen und wie?