16070/J XXVII. GP
Eingelangt am 31.08.2023
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Frauen‚ Familie‚ Integration und Medien
betreffend Kinderbetreuungsgeld für Grenzgänger
Grenzüberschreitende Konstellationen sorgen beim Bezug von Kinderbetreuungsgeld immer wieder für Probleme, wie beispielsweise Verzögerungen bei der Auszahlung. Das ist hinreichend bekannt und wird seit Jahren kritisiert, nachdem sich auch die Wartezeiten nicht reduzieren. Gerade die Frage, ob es sich um einkommensabhängiges oder pauschales Kinderbetreuungsgeld handelt, hat in der Vergangenheit oft für Verwirrungen gesorgt und daher auch zu eigenen OGH-Urteilen geführt. 2015 hieß es, bezugnehmend auf einen Fall mit Beschäftigungsverhältnis in Deutschland, dass auch einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für Grenzgänger:innen zusteht(1).
Im Sommer 2023 hieß es allerdings plötzlich, dass ganze 1.500 Grenzgänger:innen in Vorarlberg kein Kinderbetreuungsgeld mehr erhielten, unabhängig ob pauschal oder einkommensabhängig. Auch von einem Wegfall der Versicherung war die Rede (2). Die Ursache dafür sei ein weiteres OGH-Urteil aus dem November 2022, demzufolge mangels eines ähnlichen Konzeptes zu Kinderbetreuungsgeld in der Schweiz und in Liechtenstein bei Grenzgänger:innen mit Beschäftigung in diesen Ländern kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld vorliege (3).
Gerade bei Grenzgänger:innen gibt es aufgrund von EU-Verordnungen aber verschiedene Auslegungen, inwiefern Beschäftigungsverhältnisse und soziale Absicherung aus einem Staat in einem anderen Staat ebenso anerkannt werden. So gibt es EuGH-Urteile, inwiefern Pensionsansprüche oder Kindergeld bei Beschäftigung in einem anderen Land anerkannt werden müssen (4). Auch, ob die Familienbetrachtungsweise anwendbar ist oder nicht, sorgt für viele Fragen, weshalb medial sogar dazu übergegangen wurde, verschiedene Fallbeispiele von Vorarlberger Grenzgänger:innen durchzuexerzieren (5,6).
Offensichtlich ist die Vielfalt der Fallkonstellationen für das BMFFIM aber nicht von Wichtigkeit gewesen, da eine Weisung aus dem Februar 2023 dafür sorgt, dass seitens der ÖGK für Grenzgänger:innen unabhängig vom Einzelfall kein Kinderbetreuungsgeld mehr anerkannt wird. Ironisch an dieser Konstellation ist, dass man seitens des Ministeriums gerade zur gleichen Zeit darauf verwiesen hat, dass es keine generellen Informationen über Weisungen zur Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes gebe (7). Da anhand der Anfragebeantwortung auch nicht eruierbar ist, wie viele der Vorarlberger Fälle von Kinderbetreuungsgeld besagten grenzüberschreitenden Bezug haben, ist zusätzlich nicht bekannt, wie viele Vorarlberger Bezieher:innen nunmehr tatsächlich von dieser Weisung betroffen sind und kein Kinderbetreuungsgeld (mehr) bekommen.
Ähnliche Ignoranz gegenüber Bezieher:innen zeigte die Republik schon einmal, als 2020 ohne Informationen die Verwaltungspraxis der Finanzämter umgestellt wurde, sodass der Kinderabsetzbetrag nicht mehr ausgezahlt wurde (8). Was theoretisch keine Auswirkung hätte. Da jedoch Familienbeihilfe und Absetzbeträge gemeinsam die Grundlage für den Vergleich mit ähnlichen Zuschüssen anderer Länder bilden, führt dieser Wegfall der Familienbeihilfe durch Österreich dazu, dass der Anspruch auf einen Ausgleich der Familienbeihilfe mit null festgesetzt wird. D.h. ein Ausgleichsanspruch besteht dem Grunde nach, aber nicht der Höhe nach. Daraus zieht das Ministerium den falschen Schluss, es stünde überhaupt keine Familienbeihilfe zu, daher auch kein Kinderbetreuungsgeld. Gäbe es eine Familienbeihilfe - egal in welcher Höhe - entstünde ein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Tatsächlich müsse das Ministerium davon ausgehen, dass dem Grunde nach ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht und daher auch Kinderbetreuungsgeld zu gewähren ist.
Das Ministerium stützt sich dabei möglicherweise auf eine textliche Änderung in § 2 Abs 1 KBGG aus dem Jahr 2006.
Bestimmung alt:
"Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat ein Elternteil (Adoptivteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind), sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376 besteht, oder für dieses Kind nur deswegen nicht besteht, weil Anspruch auf eine gleichartige ausländische Leistung besteht."
Ab 01.01.2007 lautet die Formulierung:
"Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind) bzw. eine Krisenpflegeperson für ein Krisenpflegekind, sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, besteht und Familienbeihilfe für dieses Kind tatsächlich bezogen wird, "
Den Zweck (telos des Gesetzes!) der Änderung könnte ein serviceorientiertes Ministerium den Materialien (Erläuterungen zu 229 d.B., XXIII. GP) entnehmen (9):
Zu Z 1 (§ 2 Abs. 1 Z 1):
Eine wesentliche Anspruchsvoraussetzung für das Kinderbetreuungsgeld ist derzeit der Anspruch auf Familienbeihilfe. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass die für das Kinderbetreuungsgeld zuständigen Arbeits- und Sozialgerichte damit begonnen haben, die Anspruchsvoraussetzungen für Familienbeihilfe selbstständig zu prüfen, ohne die Entscheidungen der für die Familienbeihilfe zuständigen Behörden abzuwarten. Dadurch besteht die Gefahr widersprüchlicher Enscheidungen für den Bereich der Familienbeihilfe – bezogen auf das Kinderbetreuungsgeld – durch Behörden und Gerichte. Durch das Abstellen auf den tatsächlichen Bezug der Familienbeihilfe ist klargestellt, dass die Gerichte an die Entscheidungen der zuständigen Finanzbehörden gebunden sind. Verfahren vor den - für die Familienbeihilfe zuständigen - Finanzbehörden sind daher abzuwarten. Im Normalfall kommt es durch diese Neuregelung zu keinen Änderungen wie etwa längeren Wartezeiten auf das Kinderbetreuungsgeld. Die Regelung betrifft lediglich Ausnahmefälle, welche derzeit jedoch langwierige Probleme mit sich bringen.
Es ging also um die Frage, ob die Gerichte den Behörden vorgreifen. Das sollte durch die Gesetzesänderung verhindert werden. Es ging nicht darum, für den Fall, dass die österr. Familienleistungen unter die des Nachbarlandes fallen, den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld zu verwehren.
Insofern führt die zitierte OGH-Entscheidung nicht zwingend zu einem Ende des Kinderbetreuungsgeldes für Vorarlberger:innen, die in der Schweiz oder in Liechtenstein arbeiten. Anstelle dessen ist lediglich die dem Gesetzeszweck zuwiderlaufende Weisung des BMFFIM die Ursache, dass unzählige Familien und Schwangere sich vor der schönen, aber doch auch belastenden Zeit nach der Geburt eines Kindes auch noch Sorgen machen müssen, ob es mangels Kinderbetreuungsgeldes überhaupt einen Versicherungsschutz für Mutter und Kind gibt. Eine derartige Rechtsauslegung zeigt damit mangelndes Verständnis des Ministeriums für die Lebenssituation vieler Vorarlberger:innen, die in einem wirtschaftlich zusammengewachsenen und modernen Europa leben und arbeiten und nunmehr plötzlich mit nationalen Schikanen konfrontiert sind.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
Aufgrund der spezifischen Falllage beziehen sich alle Fragen auf Vorarlberger Bezieher:innen mit der Bitte um Aufschlüsselung nach Ländern, in denen Bezieher:innen vor Bezug des Kinderbetreuungsgeldes beruflich tätig waren.
i. Wie viele davon wurden positiv erledigt und haben Kinderbetreuungsgeld erhalten/ zugesprochen bekommen?
ii. Wie viele davon erhielten einen negative Bescheid und haben kein Kinderbetreuungsgeld erhalten/ zugesprochen bekommen?